Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 SB 1801/07
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 5040/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin erstrebt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG".
Auf den Verschlimmerungsantrag der 1940 geborenen Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 19.02.2007 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 seit 07.11.2006 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen fest: 1. Depression, Migräne, chronisches Schmerzsyndrom (GdB 40), 2. Funktionsbehinderungen beider Hüftgelenke, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, Funktionsbehinderung beider Sprunggelenke (GdB 30), 3. Verlust der Gebärmutter (GdB 20), 4. Magengeschwürsleiden, Speiseröhrengleitbruch, funktionelle Reststörungen nach Verlust der Gallenblase (GdB 20), 5. chronische Harnwegsentzündung (GdB 20), 6. degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen, Schulter-Arm-Syndrom, Fibromyalgiesyndrom, Bandscheibenschaden (GdB 30), 7. Bluthochdruck (GdB 20), 8. chronische Bronchitis (GdB 10), 9. Sehminderung beidseitig, eingepflanzte Kunstlinse beidseits, grüner Star (Glaukom) (GdB 30).
Weiter anerkannte er das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens G. Die weiter geltend gemachten gesundheitlichen Merkmale für die Feststellung der Merkzeichen B und aG lägen nicht vor.
Den gegen die Versagung des Merkzeichens aG eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.2007, auf den Bezug genommen wird, zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 22.05.2007 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben mit der Begründung, sie sei seit etwa zwei Jahren auf die Benutzung eines Rollators angewiesen, um die Wegstrecke von gut 1000 m zur Bus- oder Straßenbahnhaltestelle zurückzulegen. Ihre Befunde verschlechterten sich drastisch.
Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. Der Orthopäde Dr. R. hat unter dem 03.07.2007 mitgeteilt, unter alleiniger Beachtung der Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet lägen lediglich die Voraussetzungen des Merkzeichens G vor. Durch Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebieten seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens aG nicht erfüllt.
Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. M. hat unter dem 16.07.2007 mitgeteilt, er habe die Klägerin von Mai bis Juli 2007 zur Akupunkturbehandlung wegen eines chronischen Schmerzsyndroms zu insgesamt sechs Behandlungen gesehen. Die Klägerin könne sich nur wenige Meter mit Krücken fortbewegen.
Der Facharzt für Allgemeinmedizin Eberhardt hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 16.08.2007 mitgeteilt, die Klägerin habe, bedingt durch ein schweres LWS-Syndrom und eine ausgeprägte Gonarthrose, Schmerzen beim Gehen und Stehen sowie beim Tragen von Lasten. Aufgrund ihrer chronischen Bronchitis und Dyspnoe bestehe eine deutliche Leistungsminderung. Es liege keine der in Nr. 31 Abs. 3 der Anhaltspunkte für die gutachterliche Tätigkeit (AHP) genannten Einschränkungen vor.
Dr. Z., Dialysezentrum Heidelberg, hat unter dem 10.09.2007 mitgeteilt, die Klägerin begleite fast regelmäßig ihren Ehemann, der seit Oktober 2001 dreimal wöchentlich an der künstlichen Niere behandelt werde. Wegen schwerster degenerativer Veränderungen der LWS sowie mehrerer Bandscheibenprotrusionen sei die Gehfähigkeit der Klägerin erheblich eingeschränkt, durch die Sehbehinderung, bedingt durch ein schweres beidseitiges Glaukom, sei die Klägerin ausgesprochen unsicher und schwanke bisweilen beim Gehen und müsse sich immer wieder an festen Gegenständen oder anderen Personen festhalten.
Mit Gerichtsbescheid vom 26.09.2007 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens aG lägen nicht vor. Weder gehöre die Klägerin aufgrund ihrer Behinderungen zu dem ausdrücklich begünstigten Personenkreis, wie er in der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) ausdrücklich benannt sei, noch lasse sich eine Gleichstellung mit diesem Personenkreis begründen, da keine medizinischen Tatbestände vorlägen, die eine Einschränkung der Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße begründeten.
Gegen den am 28.09.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 22.10.2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie erneut vorgetragen, seit ca. zwei Jahren sei sie auf die Benutzung eines Rollators angewiesen, um die Wegstrecke von ca. 1000 bis 1500 m zur Bus- oder Bahnhaltestelle zu bewältigen. Eine weitere Verschlechterung ergebe sich aus dem Schreiben der Radiologischen Praxis in Mannheim vom 29.09.2005 hinsichtlich einer Enge des Spinalkanals.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 26. September 2007 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 19. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2007 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr das Merkzeichen außergewöhnliche Gehbehinderung ("aG") festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Klägerin sei nicht außergewöhnlich gehbehindert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten, die beigezogenen Schwerbehindertenakten des Beklagten sowie die gleichfalls beigezogenen Akten des SG Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der angegriffene Gerichtsbescheid des SG sowie der Bescheid des Beklagten vom 19.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.04.2007 sind nicht zu beanstanden, soweit darin die Zuerkennung des Merkzeichens aG abgelehnt worden ist. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens außergewöhnliche Gehbehinderung ("aG").
Das Merkzeichen "aG" ist gemäß § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i. V. mit Abschnitt II Nr. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (VV) zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) von den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden festzustellen. Nach II Nr. 1 der Verwaltungsvorschrift sind als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts müssen diejenigen Schwerbehinderten, die in der Aufzählung der Verwaltungsvorschrift nicht ausdrücklich genannt sind, dann gleichgestellt werden, wenn ihre Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und sie sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz der Verwaltungsvorschrift aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen können. Zwar genügt es, wenn der Behinderte hinsichtlich seiner Gehfunktionen ebenso eingeschränkt ist wie der Angehörige nur einer der in der Verwaltungsvorschrift genannten Gruppen. Das gilt insbesondere für die Gruppe der Doppelunterschenkelamputierten. Auch in diesem Fall muss aber die Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt sein, so dass sich ein Vergleich mit Doppelunterschenkelamputierten, bei denen dieses nicht der Fall ist, verbietet, mag auch aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung bei Personen, die dieser Untergruppe angehören, eine besondere Prüfung des Gehvermögens unterbleiben (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2002 - B 9 SB 9/01 R -, zitiert nach juris, m. w. N.).
Eine solche Einschränkung der Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße setzt dabei nicht voraus, dass ein schwerbehinderter Mensch nahezu unfähig ist, sich fortzubewegen. Ein den Anspruch ausschließendes Restgehvermögen lässt sich griffig weder quantifizieren noch qualifizieren. Auch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugt dazu grundsätzlich nicht. Denn die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist, nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich (insbesondere Parkerleichterungen) auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R -, SozR 3-3250 § 69 Nr. 1 = BSGE 90, 180 ff. m. w. N.).
Die Klägerin könnte danach zum berechtigten Personenkreis gehören, wenn ihre Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt wäre und sie sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen könnte, wie die in der Verwaltungsvorschrift genannten Personen (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.2002, a. a. O.). Dies ist aber nicht der Fall:
Unstreitig ist, dass bei der Klägerin eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vorliegt, weshalb ihr bereits das Merkzeichen "G" zuerkannt worden ist.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist die für die Zuerkennung des Merkzeichens aG geforderte große körperliche Anstrengung dann gegeben, wenn eine Limitierung der Wegstrecke auf 30 m darauf beruht, dass bereits nach dieser kurzen Wegstrecke der behinderte Mensch erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann (BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - in Juris). Anhaltspunkte für eine derartige Einschränkung der Klägerin liegen nicht vor. So hat der behandelnde Arzt Eberhardt in seiner sachverständigen Zeugenaussage angegeben, die Klägerin habe zwar Schmerzen beim Gehen und Stehen sowie beim Tragen von Lasten, es läge jedoch keine der für die Zuerkennung des Merkzeichens aG aufgezählte oder vergleichbare gesundheitliche Beeinträchtigung vor. Auch der behandelnde Orthopäde Dr. R. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 03.07.2007 ausgeführt, die Erkrankungen der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet rechtfertigten nicht die Zuerkennung des Merkzeichens aG.
Soweit demgegenüber Dr. M. mitgeteilt hat, die Klägerin könne sich nur wenige Meter mit Krücken fortbewegen, steht dem die eigene Angabe der Klägerin entgegen, wonach sie mit Hilfe eines Rollators den Weg von 1000 bis 1500 m zur Bus- bzw. Straßenbahnhaltestelle zurücklegt.
Der Auskunft von Dr. Z., Dialysezentrum Heidelberg, kann zudem entnommen werden, dass die Klägerin regelmäßig ihren Ehemann zur dort stattfindenden Dialyse-Behandlung begleitet. Zwar wird in dem Bericht angegeben, die Klägerin könne nur kurze Strecken unter starken Schmerzen ohne Unterstützung gehen, längere Gehstrecken seien ihr auch in Begleitung nicht möglich, jedoch werden keine Ausführungen über die der Klägerin noch zumutbaren und möglichen Gehstrecken gemacht. Zudem wird ausgeführt, die Ursachen der Gehbehinderung lägen nicht im internistischen Bereich, so dass sich die Beurteilung durch Dr. Z. auf fachfremde Befunde stützt.
Schließlich ergibt auch das von der Klägerin vorgelegte Schreiben der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie H. vom 17.07.2007 keine andere Beurteilung. Darin wird die Diagnose einer Depression mit Somatisierungsstörung genannt. In der Anamnese werden keine Einschränkungen des Gehvermögens geltend gemacht. Im neurologischen Befund vom 17.07.2007 wird hinsichtlich der Motorik vielmehr angegeben, bezüglich des Gangbildes bestehe ein Schonhinken, Zehen- und Fersenstand seien unauffällig. In der zusammenfassenden Beurteilung wird ausgeführt, nach den vorliegenden Unterlagen bestünden auch mehrere somatische Erkrankungen, die geklagten Symptome ließen jedoch auf eine im Vordergrund stehende depressive Symptomatik schließen. Anhaltspunkte auf eine für die Zuerkennung des Merkzeichens aG ausreichende Einschränkung der Gehfähigkeit lassen sich diesem Arztbericht nicht entnehmen.
Für eine Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin liegen keine Anhaltspunkte vor. Soweit sich die Klägerin hierzu auf einen Arztbrief des Radiologen Dr. Ricken vom 29.9.2005 bezieht, ist dem entgegenzuhalten, dass dieser Befund bei den aktuellen Stellungnahmen bereits berücksichtigt worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 177 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin erstrebt die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "aG".
Auf den Verschlimmerungsantrag der 1940 geborenen Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 19.02.2007 einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 seit 07.11.2006 wegen folgender Funktionsbeeinträchtigungen fest: 1. Depression, Migräne, chronisches Schmerzsyndrom (GdB 40), 2. Funktionsbehinderungen beider Hüftgelenke, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Knorpelschäden an beiden Kniegelenken, Funktionsbehinderung beider Sprunggelenke (GdB 30), 3. Verlust der Gebärmutter (GdB 20), 4. Magengeschwürsleiden, Speiseröhrengleitbruch, funktionelle Reststörungen nach Verlust der Gallenblase (GdB 20), 5. chronische Harnwegsentzündung (GdB 20), 6. degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen, Schulter-Arm-Syndrom, Fibromyalgiesyndrom, Bandscheibenschaden (GdB 30), 7. Bluthochdruck (GdB 20), 8. chronische Bronchitis (GdB 10), 9. Sehminderung beidseitig, eingepflanzte Kunstlinse beidseits, grüner Star (Glaukom) (GdB 30).
Weiter anerkannte er das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens G. Die weiter geltend gemachten gesundheitlichen Merkmale für die Feststellung der Merkzeichen B und aG lägen nicht vor.
Den gegen die Versagung des Merkzeichens aG eingelegten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.2007, auf den Bezug genommen wird, zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 22.05.2007 Klage zum Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben mit der Begründung, sie sei seit etwa zwei Jahren auf die Benutzung eines Rollators angewiesen, um die Wegstrecke von gut 1000 m zur Bus- oder Straßenbahnhaltestelle zurückzulegen. Ihre Befunde verschlechterten sich drastisch.
Das SG hat die behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen gehört. Der Orthopäde Dr. R. hat unter dem 03.07.2007 mitgeteilt, unter alleiniger Beachtung der Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebiet lägen lediglich die Voraussetzungen des Merkzeichens G vor. Durch Erkrankungen auf orthopädischem Fachgebieten seien die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens aG nicht erfüllt.
Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. M. hat unter dem 16.07.2007 mitgeteilt, er habe die Klägerin von Mai bis Juli 2007 zur Akupunkturbehandlung wegen eines chronischen Schmerzsyndroms zu insgesamt sechs Behandlungen gesehen. Die Klägerin könne sich nur wenige Meter mit Krücken fortbewegen.
Der Facharzt für Allgemeinmedizin Eberhardt hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 16.08.2007 mitgeteilt, die Klägerin habe, bedingt durch ein schweres LWS-Syndrom und eine ausgeprägte Gonarthrose, Schmerzen beim Gehen und Stehen sowie beim Tragen von Lasten. Aufgrund ihrer chronischen Bronchitis und Dyspnoe bestehe eine deutliche Leistungsminderung. Es liege keine der in Nr. 31 Abs. 3 der Anhaltspunkte für die gutachterliche Tätigkeit (AHP) genannten Einschränkungen vor.
Dr. Z., Dialysezentrum Heidelberg, hat unter dem 10.09.2007 mitgeteilt, die Klägerin begleite fast regelmäßig ihren Ehemann, der seit Oktober 2001 dreimal wöchentlich an der künstlichen Niere behandelt werde. Wegen schwerster degenerativer Veränderungen der LWS sowie mehrerer Bandscheibenprotrusionen sei die Gehfähigkeit der Klägerin erheblich eingeschränkt, durch die Sehbehinderung, bedingt durch ein schweres beidseitiges Glaukom, sei die Klägerin ausgesprochen unsicher und schwanke bisweilen beim Gehen und müsse sich immer wieder an festen Gegenständen oder anderen Personen festhalten.
Mit Gerichtsbescheid vom 26.09.2007 hat das SG die Klage abgewiesen mit der Begründung, die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens aG lägen nicht vor. Weder gehöre die Klägerin aufgrund ihrer Behinderungen zu dem ausdrücklich begünstigten Personenkreis, wie er in der Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) ausdrücklich benannt sei, noch lasse sich eine Gleichstellung mit diesem Personenkreis begründen, da keine medizinischen Tatbestände vorlägen, die eine Einschränkung der Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße begründeten.
Gegen den am 28.09.2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 22.10.2007 Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie erneut vorgetragen, seit ca. zwei Jahren sei sie auf die Benutzung eines Rollators angewiesen, um die Wegstrecke von ca. 1000 bis 1500 m zur Bus- oder Bahnhaltestelle zu bewältigen. Eine weitere Verschlechterung ergebe sich aus dem Schreiben der Radiologischen Praxis in Mannheim vom 29.09.2005 hinsichtlich einer Enge des Spinalkanals.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 26. September 2007 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 19. Februar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24. April 2007 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, bei ihr das Merkzeichen außergewöhnliche Gehbehinderung ("aG") festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Klägerin sei nicht außergewöhnlich gehbehindert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten, die beigezogenen Schwerbehindertenakten des Beklagten sowie die gleichfalls beigezogenen Akten des SG Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Der angegriffene Gerichtsbescheid des SG sowie der Bescheid des Beklagten vom 19.02.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.04.2007 sind nicht zu beanstanden, soweit darin die Zuerkennung des Merkzeichens aG abgelehnt worden ist. Denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens außergewöhnliche Gehbehinderung ("aG").
Das Merkzeichen "aG" ist gemäß § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) i. V. mit Abschnitt II Nr. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (VV) zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 Straßenverkehrsordnung (StVO) von den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden festzustellen. Nach II Nr. 1 der Verwaltungsvorschrift sind als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können. Hierzu zählen Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte und einseitig Oberschenkelamputierte, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie andere Schwerbehinderte, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch auf Grund von Erkrankungen, dem vorstehend angeführten Personenkreis gleichzustellen sind.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts müssen diejenigen Schwerbehinderten, die in der Aufzählung der Verwaltungsvorschrift nicht ausdrücklich genannt sind, dann gleichgestellt werden, wenn ihre Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist und sie sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die in Abschnitt II Nr. 1 Satz 2 1. Halbsatz der Verwaltungsvorschrift aufgeführten Schwerbehinderten oder nur noch mit fremder Hilfe fortbewegen können. Zwar genügt es, wenn der Behinderte hinsichtlich seiner Gehfunktionen ebenso eingeschränkt ist wie der Angehörige nur einer der in der Verwaltungsvorschrift genannten Gruppen. Das gilt insbesondere für die Gruppe der Doppelunterschenkelamputierten. Auch in diesem Fall muss aber die Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt sein, so dass sich ein Vergleich mit Doppelunterschenkelamputierten, bei denen dieses nicht der Fall ist, verbietet, mag auch aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung bei Personen, die dieser Untergruppe angehören, eine besondere Prüfung des Gehvermögens unterbleiben (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2002 - B 9 SB 9/01 R -, zitiert nach juris, m. w. N.).
Eine solche Einschränkung der Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße setzt dabei nicht voraus, dass ein schwerbehinderter Mensch nahezu unfähig ist, sich fortzubewegen. Ein den Anspruch ausschließendes Restgehvermögen lässt sich griffig weder quantifizieren noch qualifizieren. Auch eine in Metern ausgedrückte Wegstrecke taugt dazu grundsätzlich nicht. Denn die maßgebenden straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften stellen nicht darauf ab, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen ihm dies nur noch möglich ist, nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung. Wer diese Voraussetzung - praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kraftfahrzeuges an - erfüllt, qualifiziert sich für den entsprechenden Nachteilsausgleich (insbesondere Parkerleichterungen) auch dann, wenn er gezwungenermaßen auf diese Weise längere Wegstrecken zurücklegt (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R -, SozR 3-3250 § 69 Nr. 1 = BSGE 90, 180 ff. m. w. N.).
Die Klägerin könnte danach zum berechtigten Personenkreis gehören, wenn ihre Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maß eingeschränkt wäre und sie sich nur unter ebenso großen körperlichen Anstrengungen fortbewegen könnte, wie die in der Verwaltungsvorschrift genannten Personen (vgl. BSG, Urteil vom 10.12.2002, a. a. O.). Dies ist aber nicht der Fall:
Unstreitig ist, dass bei der Klägerin eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vorliegt, weshalb ihr bereits das Merkzeichen "G" zuerkannt worden ist.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist die für die Zuerkennung des Merkzeichens aG geforderte große körperliche Anstrengung dann gegeben, wenn eine Limitierung der Wegstrecke auf 30 m darauf beruht, dass bereits nach dieser kurzen Wegstrecke der behinderte Mensch erschöpft ist und er neue Kräfte sammeln muss, bevor er weitergehen kann (BSG, Urteil vom 29.03.2007 - B 9a SB 1/06 R - in Juris). Anhaltspunkte für eine derartige Einschränkung der Klägerin liegen nicht vor. So hat der behandelnde Arzt Eberhardt in seiner sachverständigen Zeugenaussage angegeben, die Klägerin habe zwar Schmerzen beim Gehen und Stehen sowie beim Tragen von Lasten, es läge jedoch keine der für die Zuerkennung des Merkzeichens aG aufgezählte oder vergleichbare gesundheitliche Beeinträchtigung vor. Auch der behandelnde Orthopäde Dr. R. hat in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 03.07.2007 ausgeführt, die Erkrankungen der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet rechtfertigten nicht die Zuerkennung des Merkzeichens aG.
Soweit demgegenüber Dr. M. mitgeteilt hat, die Klägerin könne sich nur wenige Meter mit Krücken fortbewegen, steht dem die eigene Angabe der Klägerin entgegen, wonach sie mit Hilfe eines Rollators den Weg von 1000 bis 1500 m zur Bus- bzw. Straßenbahnhaltestelle zurücklegt.
Der Auskunft von Dr. Z., Dialysezentrum Heidelberg, kann zudem entnommen werden, dass die Klägerin regelmäßig ihren Ehemann zur dort stattfindenden Dialyse-Behandlung begleitet. Zwar wird in dem Bericht angegeben, die Klägerin könne nur kurze Strecken unter starken Schmerzen ohne Unterstützung gehen, längere Gehstrecken seien ihr auch in Begleitung nicht möglich, jedoch werden keine Ausführungen über die der Klägerin noch zumutbaren und möglichen Gehstrecken gemacht. Zudem wird ausgeführt, die Ursachen der Gehbehinderung lägen nicht im internistischen Bereich, so dass sich die Beurteilung durch Dr. Z. auf fachfremde Befunde stützt.
Schließlich ergibt auch das von der Klägerin vorgelegte Schreiben der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie H. vom 17.07.2007 keine andere Beurteilung. Darin wird die Diagnose einer Depression mit Somatisierungsstörung genannt. In der Anamnese werden keine Einschränkungen des Gehvermögens geltend gemacht. Im neurologischen Befund vom 17.07.2007 wird hinsichtlich der Motorik vielmehr angegeben, bezüglich des Gangbildes bestehe ein Schonhinken, Zehen- und Fersenstand seien unauffällig. In der zusammenfassenden Beurteilung wird ausgeführt, nach den vorliegenden Unterlagen bestünden auch mehrere somatische Erkrankungen, die geklagten Symptome ließen jedoch auf eine im Vordergrund stehende depressive Symptomatik schließen. Anhaltspunkte auf eine für die Zuerkennung des Merkzeichens aG ausreichende Einschränkung der Gehfähigkeit lassen sich diesem Arztbericht nicht entnehmen.
Für eine Verschlechterung im Gesundheitszustand der Klägerin liegen keine Anhaltspunkte vor. Soweit sich die Klägerin hierzu auf einen Arztbrief des Radiologen Dr. Ricken vom 29.9.2005 bezieht, ist dem entgegenzuhalten, dass dieser Befund bei den aktuellen Stellungnahmen bereits berücksichtigt worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 177 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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