L 5 KR 3777/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 KR 139/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KR 3777/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts R. vom 22. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die grundsätzliche Möglichkeit der Erbringung einer dauerhaften ambulanten, häuslichen psychiatrischen Krankenpflege.

Der 1950 geborene Kläger leidet unter einem Residualsyndrom bei einer schizophrenen Psychose. Seit 1994 lebt er in einer eigenen Wohnung und arbeitet in einer Werkstätte für Behinderte (WfB). Seit Oktober 2002 wurden von der Beklagten häusliche Krankenpflegeeinsätze eines Sonderpflegedienstes übernommen.

Am 30. September 2005 verordnete Dr. B. (Fachkrankenhaus für Psychiatrie und Psychotherapie R., Psychiatrische Institutsambulanz) weiterhin tägliche häusliche Krankenpflege für die Zeit vom 1. Oktober 2005 bis 31. Dezember 2005. Zur Begründung gab er an, diese sei zur Vermittlung von Informationen zur Erarbeitung krankheitsangemessener Sicht- und Verhaltensweisen mit dem Ziel der Patienten-Compliance und der Eingabe und/oder Überwachung von überwachungspflichtigen/-notwendigen krankheitsspezifischen Medikamenten erforderlich. Die häusliche Krankenpflege diene der Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung (Bl.1/2 Verwaltungsakte - VA -).

Mit Bescheid vom 6. Oktober 2005 (Bl. 5 VA) bewilligte die Beklagte häusliche Krankenpflege bis zum 31. Oktober 2005. Hierbei wurde u. a. noch ausgeführt, sofern die häusliche Krankenpflege länger notwendig sei, würden Angaben über den Behandlungsplan und die Fähigkeitsstörungen des Klägers benötigt. In einem Schreiben vom 12. Oktober 2005 führte daraufhin Dr. B. aus, der Kläger sei auf die Hilfe des Sonderpflegedienstes in der bisherigen Form angewiesen, sie sei durch keine andere Maßnahme ersetzbar und auch nicht in ihrem Umfang minderbar. Er legte hierzu einen Pflegebericht des Sonderpflegedienstes vor. Als Pflegeziele werden darin angegeben:

"Der fürsorgliche Kontakt stützt die minimal erhaltenen Fertigkeiten im Alltag von H.S ... Die regelmäßige Medikamentengabe laut ÄVB ist innerhalb des ersten Pflegezieles tragfähig und wird kontinuierlich auf Gleichmaß und Abweichung bezogen erfasst."

Ferner wurden in diesem Bereich Probleme in der persönlichen Hygiene und der Wohnraumhygiene sowie bei der Regelmäßigkeit der Medikamenteneinnahme angesprochen.

In dem daraufhin von der Beklagten beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) eingeholten Gutachten vom 19. Oktober 2005 führte Dr. W. aus, die seit Juli 2005 gültigen Richtlinien würden nur noch eine häusliche Krankenpflege für maximal vier Monate erlauben. Eine Medikamentengabe sei nicht erforderlich. Eine ausschleichende Pflege sei anzuraten (Bl. 9 VA).

Mit weiterem Bescheid vom 20. Oktober 2005 (Bl. 12 VA) bewilligte die Beklagte daraufhin bis zum 4. November 2005 täglich häusliche Krankenpflege, bis 18. November 2005 dreimal wöchentliche häusliche Krankenpflege, bis 9. Dezember 2005 einmal wöchentliche Krankenpflege. Für den Zeitraum danach wurde keine häusliche Krankenpflege mehr bewilligt.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und machte geltend, mit Medikamenten nicht allein umgehen zu können. Der tägliche Kontakt mit Menschen sei wegen seiner Erkrankung nötig. In einer daraufhin von der Beklagten eingeholten weiteren Stellungnahme des MDK verwies Dr. Wö. in seiner Stellungnahme vom 3. November 2005 auf die gesetzlichen Vorgaben und Richtlinien. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2005 (Bl. 16 VA) wies die Beklagte daraufhin den Widerspruch zurück. Die häusliche psychiatrische Pflege sei nicht auf Dauer ausgerichtet. Es solle lediglich eine akutbehandlungsbedürftige Phase begleitet werden. Hierfür sei ein Zeitraum von maximal vier Monaten ausreichend.

Hiergegen hat der Kläger durch seine Bevollmächtigte am 13. Januar 2006 Klage vor dem Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Sie hat zum einen das Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren wiederholt und ergänzend vorgetragen, in der Vergangenheit sei es schon einmal zu einem Medikamentenmissbrauch gekommen. Vom SG Düsseldorf sei in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren in einem gleichgelagerten Fall eine zusprechende Entscheidung getroffen worden. Ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege setze nicht zwingend die Möglichkeit der Verbesserung des Gesundheitszustandes voraus. Es reiche aus, wenn ohne die Pflege eine Verschlechterung drohe. In begründeten Ausnahmefällen müsse von der Richtlinie abgewichen werden können. Andernfalls könne der Kläger sonst nicht mehr weiter alleine wohnen. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG ist ergänzend vorgetragen worden, die seit Januar 2006 nicht mehr erfolgte häusliche Krankenpflege habe zu einer erhöhten Stresssituation beim Kläger geführt und er sei deswegen zum Teil inkontinent geworden. Auch seien Tabletten nicht immer vollständig genommen worden. Die Betreuungsmöglichkeiten im Rahmen des ambulant betreuten Wohnens würden nicht ausreichen. Es drohe eine Verwahrlosung.

Die Beklagte ist dem entgegen getreten und hat auf die gesetzliche Regelung zur häuslichen Krankenpflege und die hierzu ergangenen Richtlinien verwiesen. Der MDK gehe davon aus, dass die Pflege ausgeschlichen werden könne. Sie hat ferner noch in der mündlichen Verhandlung vor dem SG darauf verwiesen, die Sonderpflegedienste gebe es nur in den Landkreisen Reutlingen und Stuttgart. Wäre eine Medikamentengabe erforderlich, könnte eine häusliche Krankenpflege dauerhaft bewilligt werden. Die Beklagte hat auch vorgetragen, einen prophylaktischen Charakter der Krankenpflege würden die Richtlinien nicht vorsehen.

Das SG hat im Übrigen schriftlich Dr. B. als sachverständigen Zeugen befragt. Dieser hat in seiner Auskunft vom 27. Februar 2006 (Bl. 26 SG-Akte) u. a. mitgeteilt, dass die letzte stationäre Behandlung des Klägers wegen akuter psychotischer Störungen mehr als zehn Jahre zurückliege. Seit dieser Zeit leide der Kläger unter einem therapieresistenten Residuum mit ausgeprägten Verwahrlosungstendenzen, Antriebsmangel etc ... Der Kläger würde sich selbst überlassen zunehmend seine Struktur verlieren. Durch den beharrlichen Einsatz des psychiatrischen Sonderpflegedienstes sei es zu einer relativen Stabilität gekommen, die jedoch weit davon entfernt sei, selbsttragend zu sein.

Mit Urteil vom 22. Juni 2006 hat das SG der Klage stattgegeben, den Bescheid vom 20. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2006 aufgehoben und festgestellt, dass nach jeweiliger ärztlicher Verordnung die Gewährung dauerhafter häuslicher psychiatrischer Krankenpflege möglich sei. Das SG hat ausgeführt, dass nach den gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) ergangenen Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von "häuslicher Krankenpflege" (Krankenpflege-RL) unter Nr. 27 a die psychiatrische Krankenpflege genannt sei und bezüglich dieser als Dauer und Häufigkeit der Maßnahme bis zu vier Monaten und bis zu vierzehn Einheiten pro Woche (abnehmende Frequenz) angegeben seien. Auf der anderen Seite sei aber § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V (der die häusliche Krankenpflege regele) nicht zu entnehmen, dass häusliche Krankenpflege bei einem chronischen Krankheitsbild, bei dem eine Besserung nicht erreicht werden könne, generell nicht in Betracht komme. Im Übrigen sei auch den Richtlinien selbst zu entnehmen, dass hinsichtlich der Dauer der Verordnung und der Häufigkeit dies nur als Empfehlung für den Regelfall erfolge. Daher verstoße es nach Auffassung des SG nicht gegen die neu gefassten Richtlinien, wenn - bei entsprechender ärztlicher Verordnung - häusliche Krankenpflege für einen Zeitraum von mehr als vier Monaten wiederholt verordnet werde, weil ein chronisches Krankheitsbild vorliege, bei dem ohne die häusliche Krankenpflege Verschlechterung drohe und im Übrigen die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Hiervon gehe das SG entsprechend der Bewilligungspraxis der Beklagten seit Oktober 2002 bis Ende 2005 aus. Auch habe Dr. B. nachvollziehbar dargelegt, dass angesichts des Gesundheitszustandes des Klägers insbesondere die Medikamentengabe einer ständigen Überwachung bedürfe und es hier dauerhaft darum gehe, durch den beharrlichen Einsatz des Sonderpflegedienstes zu einer relativen Stabilität zu kommen.

Die Beklagte hat gegen das ihr mit Empfangsbekenntnis am 14. Juli 2006 zugestellte Urteil am 27. Juli 2006 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht die Beklagte geltend, die seit 1. Juli 2005 gültigen Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege legten die Voraussetzungen zur Verordnung häuslicher psychiatrischer Krankenpflege fest. Danach könne häusliche psychiatrische Krankenpflege nur verordnet werden, sofern der Versicherte über eine ausreichende Behandlungsfähigkeit verfüge, um im Pflegeprozess die vorliegenden Fähigkeitsstörungen positiv beeinflussen zu können und zu erwarten sei, dass das mit der Behandlung verfolgte Therapieziel vom Versicherten manifest umgesetzt werden könne. Diese Voraussetzung schließe eine dauerhafte Verordnung häuslicher psychiatrischer Krankenpflege aus. Die verbindlichen Richtlinien würden einen Gesamtzeitraum von bis zu vier Monaten bei abnehmender Frequenz der Hausbesuche vorsehen. Zwar könne in begründeten Einzelfällen von dieser Maßgabe abgewichen werden. Dies bedeute jedoch nur, dass der Zeitraum von vier Monaten in Einzelfällen verlängert werden könne. Bestehen bleibe jedoch, dass aufgrund der grundsätzlichen Voraussetzungen der häuslichen psychiatrischen Krankenpflege eine dauerhafte Verordnung häuslicher psychiatrischer Krankenpflege bei gleich bleibender Frequenz ausgeschlossen sei. Im Übrigen habe auch der MDK die Auffassung vertreten, dass die bisher erfolgte Krankenpflege ausreichend sein müsse. In der Konsequenz werde hier aber beantragt, dass der Kläger auf Dauer und kontinuierlich, letztendlich ein Leben lang, Unterstützung durch den Sonderpflegedienst im Rahmen der häuslichen psychiatrischen Krankenpflege erhalten solle. Dies würden jedoch die Richtlinien zur häuslichen Krankenpflege nicht vorsehen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Kläger seit 17. Januar 2005 Leistungen der Psychiatrischen Institutsambulanz erhalte. Das Leistungsangebot der Institutsambulanz habe im Sinne einer Komplexleistung das gesamte Spektrum psychisch-psychotherapeutischer Diagnostik und Therapie entsprechend dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu umfassen. Die Leistung der psychiatrischen Institutsambulanz könne nach Auffassung der Beklagten im Gegensatz zur Leistung der häuslichen psychiatrischen Krankenpflege für einen längeren Zeitraum erbracht werden. Von Seiten der Beklagten werde daher die Auffassung vertreten, dass die Leistung der psychiatrischen Institutsambulanz u. a. dazu diene, den Gesundheitszustand zu stabilisieren ohne ein konkretes Therapieziel zu verfolgen. Diese Leistungen könnten daher beim Kläger für einen längeren Zeitraum erfolgen. In Krisensituationen sollte dann häusliche psychiatrische Krankenpflege für einen abgegrenzten Zeitraum durchgeführt werden, damit eine Stabilität wieder erreicht werde. Sofern dies vom erkennenden Senat nicht geteilt werde, nehme man die Berufung insoweit zurück, dass häusliche psychiatrische Krankenpflege zur Sicherung der ärztlichen Behandlung einmal täglich nach Vorlage ärztlicher Verordnungen zukünftig dauerhaft gewährt werde, sofern dann allerdings die Leistungen der psychiatrischen Institutsambulanz entfallen würde. Eine dauerhafte Parallelleistung der psychiatrischen Institutsambulanz und häuslicher psychiatrischer Krankenpflege sei für die Beklagte nicht nachvollziehbar. Es seien u. a. Leistungen der Anleitung und der Koordination und psychiatrisch-therapeutische Gespräche in dem komplexen Therapieangebot der psychiatrischen Institutsambulanz enthalten. Ziel einer Behandlung an einer psychiatrischen Institutsambulanz seien die Vermeidung von Krankenhausbehandlung und die Stabilisierung der sozialen Integration des Kranken durch Optimierung der Behandlungsabläufe. Neben der psychiatrischen Institutsambulanz sollten keine zusätzlichen Angebote im Sinne von Doppelstrukturen aufgebaut werden. Auch erhalte hier die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie R. für die Leistungen der psychiatrischen Institutsambulanz eine Pauschalvergütung je Fall und Quartal. Damit seien sämtliche Aufwendungen abgegolten, die sich aus der beratenden, therapeutischen und pflegerischen Tätigkeit einschließlich notwendiger Großgeräteleistungen, Hausbesuche und therapeutischer Hilfeleistungen ergeben würden. Die Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie rechne auch seit dem 17. Januar 2005 bezüglich des Klägers die Pauschalvergütung ab. Daher gehe man davon aus, dass er auch alle oben beschriebenen Leistungen erhalte.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 22. Juni 2006 aufzuheben und die Klage des Klägers abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Die Klägerbevollmächtigte trägt ergänzend vor, beim Kläger liege sehr wohl ein begründeter Fall im Sinne der in der Krankenpflege-RL ausgeführten Umstände vor, bei dem von der Dauer von vier Monaten abgewichen werden könne. So habe der behandelnde Arzt Dr. B. ausgeführt, dass angesichts des Gesundheitszustandes des Klägers insbesondere die Medikamentengabe einer ständigen Überwachung bedürfe und es hier dauerhaft darum gehe, durch den beharrlichen Einsatz des Sonderpflegedienstes zu einer relativen Stabilität zu kommen. Es verstoße auch nicht gegen die Richtlinien, wenn häusliche Krankenpflege für einen Zeitraum von mehr als vier Monaten wiederholt verordnet werde, weil ein chronisches Krankheitsbild vorliege, bei dem ohne die häusliche Krankenpflege eine Verschlechterung drohe und im Übrigen die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt seien. Der Kläger sei schon seit 1979 psychisch krank und habe schon viele Klinikaufenthalte hinter sich. Er könne nur deshalb in einer eigenen Wohnung leben, wenn er ambulante Unterstützung bekomme. So komme er schon mit den verordneten Medikamenten nicht zurecht und könne damit nicht umgehen. Es sei für ihn auch wichtig, einen täglichen Kontakt zu einer Person mit psychiatrischer Ausbildung zu haben, damit er mit dieser durchsprechen könne, wie er seinen Tag strukturiere. Würde die Aufsicht durch den Sonderpflegedienst nicht mehr stattfinden, würde eine wesentliche Verschlechterung eintreten. Es wäre zu befürchten, dass er entweder in einer betreuten Wohngruppe oder in einer psychiatrischen Einrichtung untergebracht werden müsste. Die häusliche psychiatrische Krankenpflege, die momentan in Vorleistung von der Bruderhaus-Diakonie einmal am Tag, siebenmal die Woche erbracht werde, diene zur Strukturierung des Tagesablaufes und zur Unterstützung, zusätzlich aber auch zur täglichen Aussprache. Es handele sich hier in R. auch um einen Spezialfall, da Modellcharakter gegeben sei. Die psychiatrische Institutsambulanz und die häusliche psychiatrische Krankenpflege würde auch von zwei verschiedenen Trägern durchgeführt werden.

In der noch ergänzend vom Senat eingeholten Auskunft vom 13. Juni 2006 gibt Dr. B. an, zum Zeitpunkt der Klageerhebung sei für den Kläger eine Unterbringung in einer betreuten Wohngruppe nicht in Frage gekommen. Der Kläger habe lange in betreuten Wohngruppen gelebt und sich erfolgreich verselbstständigt. Das Zusammenleben mit anderen psychisch Kranken sei belastend und für den Kläger bedeutete das selbstständige Wohnen eine erhebliche Verbesserung seiner Lebensqualität. Rückblickend (seit 1981 kenne Dr. B. den Kläger) sei festzustellen, dass der Kläger sich in dieser Wohnform deutlich stabilisiert habe und wesentlich seltener in der stationären Psychiatrie zur Krisenintervention habe aufgenommen werden müssen als in der Zeit davor, in der er noch in einer betreuten Wohngruppe gelebt habe. Die Psychiatrische Institutsambulanz sei im Übrigen nach dem geltenden Honorierungssystem (270 EUR pro Quartal) nicht so ausgestattet, dass sie die Aufgaben einer häuslichen Krankenpflege (täglich eine Aussprache, Strukturierung des Tages und Überwachung der Medikamenteneinnahme) sowie noch eine fortlaufende ärztliche Behandlung übernehmen könne.

Die Klägerbevollmächtigte teilt in der mündlichen Verhandlung ferner noch mit, dass der Kläger seit dem 2. Juni 2008 im Seniorenzentrum Stadtmitte in R. lebe und jetzt ein Pflegefall sei. Das "Bruderhaus" habe in der Zeit seit Dezember 2005, mit Ausnahme eines Krankenhausaufenthaltes vom 21. Dezember bis 31. Dezember 2007, die Krankenpflege erbracht, die Zahlungen allerdings gestundet. Die Klägerbevollmächtigte geht davon aus, dass das Bruderhaus die Leistungen vom Kläger jedoch einfordern werde, auch wenn sie nach derzeitigem Stand nicht realisierbar seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund nach § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung (a.F.) ist nicht gegeben. Im Ergebnis wird hier die Gewährung einer Leistung für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr, nämlich die dauerhafte Gewährung häuslicher psychiatrischer Krankenpflege begehrt. Im Übrigen wäre hier auch der Beschwerdewert von 500 EUR überschritten.

II.

Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet. Das SG hat zu Recht die Beklagte zur Gewährung häuslicher psychiatrischer Krankenpflege auf Dauer nach jeweiliger ärztlicher Verordnung verpflichtet.

1. Das SG hat zunächst auch zutreffend als richtige Klageart die kombinierte Anfechtungs-/Feststellungsklage gemäß den §§ 54 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG angenommen. Denn im Streit steht die Frage, ob - bei entsprechender ärztlicher Verordnung - auch dem Grunde nach eine dauerhafte Bewilligung von häuslicher Krankenpflege möglich ist. Zwar befindet sich der Kläger zwischenzeitlich als Pflegefall (seit 2. Juni 2008) in einem Pflegeheim, sodass für die Zukunft die Gewährung von häuslicher psychiatrischer Krankenpflege nicht mehr im Streit steht. Für den in der Vergangenheit liegenden Zeitraum seit Dezember 2005 bis Juni 2008 verbleibt aber auch im Hinblick auf die im Raum stehenden Forderungen des "Bruderhauses" ein Feststellungsinteresse des Klägers, dass über die streitige Ablehnung mit Bescheid vom 20. Oktober 2005 weiterhin Anspruch auf häusliche psychiatrische Krankenpflege bestanden habe.

2. Gemäß § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Zieles der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (Satz 1).

Der Gemeinsame Bundesausschuss legt gemäß § 37 Abs. 6 Satz 1 SGB V in Richtlinien nach § 93 fest, an welchen Orten und in welchen Fällen Leistungen nach den Absätzen 1 und 2 auch außerhalb des Haushalts und der Familie des Versicherten erbracht werden können. Er bestimmt darüber hinaus das Nähere über Art und Inhalt der verrichtungsbezogenen, krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen nach Abs. 2 Satz 1 (Satz 2).

Der Gemeinsame Bundesausschuss beschließt gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; dabei ist den besonderen Erfordernissen der Versorgung Behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen und psychisch kranker Menschen Rechnung zu tragen, vor allem bei den Leistungen zur Leistungserprobung und Arbeitstherapie; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen einschließlich Arzneimitteln oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach allgemein anerkanntem Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind sowie wenn insbesondere ein Arzneimittel unzweckmäßig oder eine andere, wirtschaftlichere Behandlungsmöglichkeit mit vergleichbarem diagnostischen oder therapeutischen Nutzen verfügbar ist. Er soll u. a. gemäß Satz 2 Nr. 6 Richtlinien beschließen über die Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmittel, Krankenbehandlung, häuslicher Krankenpflege und Soziotherapie. Gemäß § 92 Abs. 7 Satz 1 sind in den Richtlinien nach Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 insbesondere zu regeln

1. die Verordnung der häuslichen Krankenpflege und deren ärztliche Zielsetzung, 2. Inhalt und Umfang der Zusammenarbeit des verordnenden Vertragsarztes mit dem jeweiligen Leistungserbringer und dem Krankenhaus, 3. die Voraussetzungen für die Verordnung häuslicher Krankenpflege und für die Mitgabe von Arzneimitteln im Krankenhaus im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt.

In den auf dieser Grundlage ergangenen Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von "häuslicher Krankenpflege" nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und Abs. 7 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (Krankenpflege-RL) zunächst unter IV. "Dauer der Verordnung häusliche Krankenpflege" (Nr. 18) bestimmt, dass ein Anspruch des Versicherten auf Krankenhausvermeidungspflege bis zu vier Wochen bestehe. In begründeten Ausnahmefällen kann nach dieser Regelung der Vertragsarzt Krankenhausvermeidungspflege über diesen Zeitraum hinaus verordnen. Dies bedarf der Bewilligung durch die Krankenkassen nach Feststellung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung, dass die längere Dauer der häuslichen Krankenpflege zur Vermeidung von Krankenhausbehandlung erforderlich ist. Des Weiteren enthält die Krankenpflege-RL eine Anlage mit einem Verzeichnis verordnungsfähiger Maßnahmen der häuslichen Krankenpflege. Darin ist unter Nr. 27 a die psychiatrische Krankenpflege genannt. In der Leistungsbeschreibung werden genannt:

- erarbeiten der Pflegeakzeptanz (Beziehungsaufbau) - durchführen von Maßnahmen zur Bewältigung von Krisensituationen - entwickeln kompensatorischer Hilfen bei krankheitsbedingten Fähigkeitsstörungen.

Hinsichtlich der Dauer und Häufigkeit der Maßnahme werden bis zu vier Monaten und bis zu vierzehn Einheiten pro Woche (abnehmende Frequenz) angegeben.

In den Vorbemerkungen der Anlage zur Krankenpflege-RL wird u. a. noch ausgeführt:

Im folgenden Verzeichnis werden bei behandlungspflegerischen Leistungen soweit möglich Aussagen zur Dauer der Verordnung und zur Häufigkeit der Verrichtungen angegeben. Dies sind Empfehlungen für den Regelfall, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann.

Auf der Grundlage der oben dargestellten Regelungen ist zunächst festzustellen, dass dem Wortlaut des § 37 Abs.2 Satz 1 SGB V an keiner Stelle entnommen werden kann, dass häusliche Krankenpflege bei einem chronischen Krankheitsbild, bei dem eine Besserung nicht erreicht werden kann, grundsätzlich nicht in Betracht kommt.

Generell ist zwar, wie bereits IV. (Nr. 18) der Krankenpflege-RL zu entnehmen ist, die häusliche Krankenpflege von der Dauer her auf vier Wochen begrenzt. In der Anlage und dem dortigen Verzeichnis ist unter Nr. 27 a hinsichtlich der häuslichen psychiatrischen Krankenpflege in Abweichung hierzu eine Dauer von bis zu vier Monaten genannt. Die Richtlinien sind auch gemäß § 91 Abs. 9 SGB V u. a. für die Krankenkassen verbindlich. Aber schon aus IV. (Nr. 18) der Krankenpflege-RL ergibt sich in begründeten Ausnahmefällen die Möglichkeit der Verlängerung der Krankenhausvermeidungspflege nach Feststellung durch den MDK. Und der Vorbemerkung zur Anlage zur Krankenpflege-RL ist ebenfalls zu entnehmen, dass die Aussagen hinsichtlich der Dauer der Verordnung und der Häufigkeit nur als Empfehlung für den Regelfall erfolgt sind, von denen in begründeten Fällen abgewichen werden kann. Insgesamt bleibt damit im Hinblick auf die Grundregel für häusliche Krankenpflege unter IV. der Krankenpflege-RL (Nr. 18) und die spezielle Regelung zur psychiatrischen häuslichen Krankenpflege in der Anlage zur Krankenpflege-RL unter Nr. 27a festzuhalten, dass einerseits eine häusliche (psychiatrische) Krankenpflege nicht (mehr) von der Krankenkasse zu übernehmen ist, wenn die Krankenhausvermeidungspflege ausreichend über die Psychiatrische Institutsambulanz erbracht werden bzw. wenn umgekehrt eine Krankenhausbehandlung nicht mehr vermieden werden kann.

D. h. mit anderen Worten, auch die neu gefassten Richtlinien lassen es durchaus zu, wenn bei entsprechender ärztlicher Verordnung häusliche Krankenpflege für einen Zeitraum von mehr als vier Monaten wiederholt verordnet wird, weil ein chronisches Krankheitsbild vorliegt, bei dem ohne die häusliche Krankenpflege Verschlechterung droht und im Übrigen die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Zu Recht geht schon das SG auch im Hinblick auf die Bewilligungspraxis der Beklagten in der Vergangenheit in der Zeit von Oktober 2002 bis Ende 2005 hiervon aus. Der behandelnde Chefarzt der Psychiatrischen Institutsambulanz - Allgemeine Psychiatrie - der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie R. Dr. B. hat dies bereits im SG-Verfahren nachvollziehbar dargelegt, nämlich dass angesichts des Gesundheitszustandes des Klägers insbesondere die Medikamentengabe einer ständigen Überwachung bedarf und es daher dauerhaft darum gehe, durch den beharrlichen Einsatz des Sonderpflegedienstes zu einer relativen Stabilität zu kommen. Diese ist jedoch nicht selbsttragend, sodass hier eben gerade der in der Regel unterstellte Fall des "Ausschleichens" nicht möglich ist. Dr. B. hat in seiner sachverständigen Zeugenauskunft auch mitgeteilt, dass es sich um ein chronisches Stadium eines ausgeprägten schizophrenen Residuums handelt. Dieser Zustand sei durch lang andauernde, jedoch nicht unbedingt irreversibel "negative" Symptome charakterisiert. Nach der Verordnung von Dr. B. dient die Behandlungspflege der Vermittlung von Information zur Erarbeitung krankheitsangemessener Sicht- und Verhaltensweisen mit dem Ziel der Patienten-Compliance und der Überwachung von überwachungspflichtigen/-notwendigen krankheitsspezifischen Medikamenten. Damit ist der im Übrigen im Verzeichnis zu den Krankenpflege-RL wieder gegebene Leistungsinhalt der psychiatrischen Krankenpflege eingehalten.

Die Krankenkasse wird natürlich auch in einem solchen Fall in gewissen Abständen zu überprüfen haben, ob zwischenzeitlich die Psychiatrische Institutsambulanz ausreichend ist, um eine Verschlechterung des Zustandes und damit eine Krankenhausbehandlung zu vermeiden, und es folglich einer häuslichen psychiatrischen Krankenpflege nicht mehr bedarf.

Konkret liegen hier dem Senat die Auskünfte von Dr. B., zuletzt vom 13. Juni 2008, vor, ausweislich derer beim Kläger unter anderem das selbstständige Wohnen eine erhebliche Verbesserung seiner Lebensqualität bedeutete und rückblickend betrachtet ihn auch deutlich stabilisiert hat. Er musste nach Aussage von Dr. B. seitdem er nicht mehr in einer betreuten Wohngruppe lebt wesentlich seltener in der stationären Psychiatrie zur Krisenintervention aufgenommen werden. Diese Pflege vermeidet also Krankenhausbehandlung, andernfalls notwendig wäre. Demgegenüber haben sich Dr. W. vom MDK im Gutachten vom 19. Oktober 2005 bzw. Dr. Wö. in der Stellungnahme vom 3. November 2005 jeweils allein auf die in den Richtlinien vorgesehenen Höchstdauer berufen, ohne sich aber erkennbar mit der konkreten Konstellation und der Frage, ob ein begründeter Ausnahmefall vorliegt, auseinanderzusetzen. Im Hinblick darauf liegen letztlich zur Überzeugung des Senats damit die Voraussetzungen zur Annahme eines begründeten Ausnahmefalles vor, der es rechtfertigt, auch über die als Regelfall angenommene Höchstdauer von vier Monaten hinaus häusliche psychiatrische Krankenpflege dem Grunde nach für den Kläger bei entsprechender vorliegender ärztlicher Verordnung zu bewilligen.

Aus diesen Gründen ist die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr.1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved