L 1 B 7/08 AS

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
1
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 11 AS 109/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 1 B 7/08 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 28. Dezember 2007 geändert: Dem Kläger wird für das Klageverfahren ab dem 26. März 2008 Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt und Rechtsanwältin L aus I beigeordnet. Der Kläger hat monatliche Raten in Höhe von 60,00 Euro an die Landeskasse zu leisten, zu zahlen erstmals für den Monat September 2008 und fällig jeweils am Ersten des Folgemonats. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht (SG) mit Beschluss vom 06. Februar 2008 nicht abgeholfen hat, ist begründet.

Die Beschwerde ist zulässig, obwohl Beschwerden gegen die Ablehnung von PKH gem. § 172 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Fassung (n.F.) des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGG-Änderungsgesetz) vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444, 447) seit dem 01. April 2008 nicht mehr statthaft sind, wenn das Gericht - wie hier - ausschließlich die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH verneint. Denn nach den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts begründet die Einlegung eines ursprünglich statthaften und zulässigen Rechtsmittels eine schutzwürdige verfahrensrechtliche Position, die der Gesetzgeber aus Gründen des Vertrauensschutzes (Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes [GG] i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip [Art. 20 Abs. 3 GG]) durch eine nachträgliche Verschärfung von Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht mehr rückwirkend beseitigen kann (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 07. Juli 1992, Az.: 2 BvR 1631/90, Az.: 2 BVR 1728/90, BVerfGE 87 S. 48, 63 ff.; Senatsbeschluss vom 11. April 2008, Az.: L 1 B 33/07 AL).

Die Beschwerde ist auch begründet.

Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) erhalten Beteiligte auf Antrag PKH, wenn sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen können, die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Der Kläger hat glaubhaft gemacht, dass er die Kosten der Prozessführung nur in Raten aufbringen kann. Dabei ist unerheblich, dass er die erforderlichen Erklärungen (zum Fehlen einer Rechtschutzversicherung) und die notwendigen Belege (Übergangsgeldbescheid, aktuelle Kontoauszüge) erst im Beschwerdeverfahren abgegeben bzw. vorgelegt hat, nachdem ihm das SG erfolglos eine Frist gesetzt und PKH nach Fristablauf gem. § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO zutreffend abgelehnt hatte. Denn diese richterliche Frist ist keine Ausschlussfrist (Verwaltungsgerichtshof [VGH] Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. Januar 2008, Az.: 11 S 2916/07; Fischer in: Musielak, ZPO, 6. Aufl. 2008, § 118 Rn. 10; Philippi in: Zöller, Kommentar zur ZPO, 26. Aufl. 2008, § 118 Rn. 17a; Reichold in: Thomas/Putzo, 28. Aufl. 2007, § 118 Rn. 10). Die Regelung in § 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO verdrängt auch nicht die allgemeinen Vorschriften des § 202 SGG i.V.m. § 571 Abs. 2 Satz 1 ZPO, wonach die Beschwerde auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel gestützt werden kann (Oberlandesgericht [OLG] Koblenz, Beschluss vom 19. Juni 1989, Az.: 11 WF 679/89, FamRZ 1990 S. 537, 538; OLG Brandenburg, Beschlüsse vom 17. März 1998, Az.: 10 W 45/97, FamRZ 1998 S. 1521, 1522 und vom 29. Januar 2001, Az.: 10 WF 3/01, FamRZ 2002 S. 1419, 1420; Landesarbeitsgericht [LAG] Köln, Beschluss vom 18. Januar 1990, Az.: 10 Ta 303/89; JurBüro 1990 S. 510; Bork in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2002, § 127 Rn. 24; Reichold, a.a.O.; Schneider, MDR 1989 S. 513, 514; a.A. LAG Nürnberg, Beschluss vom 15. April 2003, Az.: 6 Ta 134/02; LAG Hamm, Beschluss vom 04. August 2005, Az.: 4 Ta 434/05). Denn dem Hilfebedürftigen kann PKH schlechterdings nicht mit der Begründung versagt werden, er sei zwar ausweislich seiner Belege hilfebedürftig, bekomme aber gleichwohl keine PKH, weil er vorinstanzlich keine Belege vorgelegt habe. Diese Argumentation wäre mit den verfassungsrechtlichen Geboten des effektiven Rechtschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG) und der Rechtschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) unvereinbar, wonach Bemittelte und Unbemittelte bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend gleichzustellen sind (vgl. dazu zuletzt: BVerfG, Kammerbeschluss vom 19. Februar 2008, Az.: 1 BvR 1807/07, NJW 2008 S. 1060, 1061).

Bei der Bemessung der monatlichen Ratenzahlungen ist der Senat gem. § 115 Abs. 1 Satz 1 ZPO von folgendem Einkommen ausgegangen:
Übergangsgeld der DRV Westfalen 1.260,60 EUR

Davon sind abzuziehen:

Freibetrag für Erwerbstätige, § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 b) ZPO i.V.m. Nr. 1 der Prozesskostenhilfebekanntmachung 2008 (PKHB 2000) 176,00 EUR

Grundfreibetrag, § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 a) ZPO i.V.m. Nr. 2 PKHB 2000 386,00 EUR

Kosten der Unterkunft und Heizung, § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 ZPO 500,00 EUR

Einzusetzendes Einkommen 198,60 EUR

Nach der Tabelle des § 115 Abs. 2 ZPO sind bei einem einzusetzendem Einkommen bis zu 200,00 EUR monatliche Raten von 60,00 EUR zu entrichten.

Diese Selbstbeteiligung setzt das Gericht mit der Bewilligung der PKH fest (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 120 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Monatsraten sind an die Landeskasse zu zahlen (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 120 Abs. 2, 1. Teilsatz ZPO).

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet auch hinreichende Aussicht auf Erfolg, weil der Kläger in der Hauptsache möglicherweise obsiegen wird. Hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht vor allem dann, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt oder von Amts wegen weitere Ermittlungen durchzuführen sind (§ 103 SGG), bevor die streiterheblichen Fragen abschließend entschieden werden können (BVerfG, Beschluss vom 13. März 1990, Az: 2 BvR 94/88, NJW 1991 S. 413, 414f.; Kammerbeschlüsse vom 10. Dezember 2001, Az: 1 BvR 1803/97, NJW-RR 2002 S. 665, 666, vom 20. Februar 2002, Az: 1 BvR 1450/00, NJW-RR 2002 S. 1069, 1070 und vom 19. Februar 2008, Az.: 1 BvR 1807/07, NJW 2008 S. 1060, 1061; Landessozialgericht [LSG] Nordrhein-Westfalen [NRW], Beschlüsse vom 09. Mai 2005, Az: L 17 B 11/05 U und vom 08. August 2006, L 17 U 96/06). Tat- und Rechtsfragen, die nicht eindeutig beantwortet werden können, müssen im Hauptsacheverfahren geklärt werden (BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10. August 2001, Az: 2 BvR 569/01, DVBl. 2001 S. 1748, 1749 f. und vom 19. Februar 2008, a.a.O.).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt, weil im Hauptsacheverfahren weiterer Ermittlungsbedarf besteht: Das SG wird zu prüfen haben, ob die (Kalt-)Miete in Höhe von 265,00 EUR angemessen war (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II), ob im fraglichen Zeitraum auf dem örtlichen Wohnungsmarkt kostengünstigerer Wohnraum zur Verfügung stand, wann dem Bf. die Kostensenkungsaufforderung nachweislich zugegangen ist (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II) und ob ihm ein Umzug angesichts seiner gesundheitlichen Situation (Bandscheibenvorfall, schubweiser Verlauf einer rheumatischen Erkrankung, Hüftbeschwerden, psychische Probleme) zumutbar gewesen ist.

Anhaltspunkte für eine mutwillige Prozessführung liegen nicht vor.

Die Bewilligung erfolgt ab dem 26. März 2008, weil der PKH-Antrag und die erforderlichen Belege erst an diesem Tag komplett vorlagen. Dem Kläger ist Rechtsanwältin L gem. § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 121 Abs. 2 ZPO antragsgemäß beizuordnen, weil die Vertretung durch eine Rechtsanwältin aufgrund der komplexen Zusammenhänge notwendig erscheint.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

Der Beschluss ist gem. § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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