Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 6 KR 38/07
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Eine Überschreitung der Altersgrenze des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V ist bei Absolventen des Zweiten Bildungswegs nicht nur dann gerechtfertigt, wenn in der Zeit zwischen etwa der Vollendung des 20. Lebensjahres und dem Beginn des Zweiten Bildungswegs sowie zwischen dem Abitur im Zweiten Bildungsweg und dem Beginn des Studiums im Wesentlichen durchgehend Hinderungsgründe vorgelegen haben (entgegen Bundessozialgericht, Urteil vom 23. Juni 1994 – 12 RK 71/93).
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheids vom 21.12.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.04.2007 verpflichtet, ihre Bescheide vom 10.10.2007 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin in der Zeit vom 01.10.2006 bis zum 31.12.2006 versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung der Studenten war.
Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Eintritt einer pflichtigen Mitgliedschaft der Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung in der Zeit von Oktober bis Dezember 2006 und die damit verbundenen beitragsrechtlichen Konsequenzen.
Die 1976 geborene Klägerin war bereits in der Zeit bis zum 30. September 2006 bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am 1. Oktober 2006 nahm sie ein Lehramtsstudium an der RY.Universität A-Stadt auf. Im streitgegenständlichen Zeitraum war sie dort dauerhaft als ordentliche Studierende immatrikuliert. Am 4. Oktober 2006 reichte die Klägerin bei der Beklagten einen ausgefüllten Fragebogen zur Klärung ihres Versicherungsverhältnisses nebst einer gültigen Studienbescheinigung sowie eine Einkommenserklärung ein. Zur Prüfung der Voraussetzungen der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) gab sie zugleich an, am 30. Juni 2006 am Abendgymnasium A Stadt die allgemeine Hochschulreife erworben zu haben. Die dortigen Aufnahmevoraussetzungen habe sie durch eine im Juni 2000 abgeschlossene Berufsausbildung als Bürokauffrau erfüllt.
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2006 stellte die Beklagte fest, die Klägerin sei bei ihr freiwillig versichert. Die Krankenversicherungsbeiträge für die Zeit ab 1. Oktober 2006 seien nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage zu berechnen. Dies führe zu einem monatlichen Krankenversicherungsbeitrag von 112,70 Euro. Die Pflegekasse der Beklagten erließ unter dem gleichen Datum einen entsprechenden Bescheid, wonach der Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung monatlich 15,92 Euro betragen sollte. Mit Bescheid vom 28. November 2006 mahnte die Beklagte die ausstehenden Beiträge für Oktober 2006 an.
Am 5. Dezember 2006 stellte die Klägerin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Beklagte, der vor dem Sozialgericht Marburg unter dem Aktenzeichen S 6 KR 138/06 ER anhängig war. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin unter dem 21. Dezember 2006 mit, die von ihr begehrte Pflichtversicherung in der KVdS komme mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht in Betracht. Die Klägerin habe bei Studienbeginn bereits das 30. Lebensjahr vollendet. Eine Verlängerung des maßgebenden Zeitraums scheide angesichts des bisherigen Ausbildungsverlaufs aus. Die Tatsache, dass die Klägerin ihren gerichtlichen Eilantrag gleichwohl aufrechterhielt, fasste die Beklagte als Widerspruch gegen ihren Bescheid vom 21. Dezember 2006 auf. In der Folgezeit führte sie weitere Ermittlungen zum beruflichen Werdegang der Klägerin durch. Mit Bescheid des Amts für Ausbildungsförderung des Studentenwerks A-Stadt vom 29. Dezember 2006 wurden der Klägerin dem Grunde nach Leistungen nach dem BAföG zuerkannt. Zwar habe die Klägerin ihr Studium erst nach Vollendung des 30. Lebensjahres aufgenommen; dies sei jedoch unverzüglich nach dem Erwerb der Zugangsvoraussetzungen am Abendgymnasium A-Stadt geschehen. Das gerichtliche Eilverfahren endete durch Zurücknahme des Antrags aufgrund der Zusage der Beklagten, einstweilen auf die Durchsetzung ihrer Beitragsforderung zu verzichten.
Aufgrund einer Kündigung der Klägerin vom 24. Oktober 2006 endete das Versicherungsverhältnis zwischen den Beteiligten mit Ablauf des 31. Dezember 2006. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2007 wurde der Widerspruch von der Beklagten, die ihre Rechtsauffassung bestätigte, als unbegründet zurückgewiesen. Allein die Tatsache, dass die Klägerin ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg erworben hat, rechtfertige kein Abweichen von der gesetzlichen Altersgrenze. Dafür sei es vielmehr erforderlich, dass zwischen dem 20. und dem 30. Lebensjahr durchgehend Hinderungsgründe für die Aufnahme des Studiums vorgelegen hätten. Dies sei angesichts der jahrelangen Berufstätigkeit bzw. Arbeitslosigkeit der Klägerin aber nicht der Fall.
Am 10. Mai 2007 hat die Klägerin dagegen Klage zum Sozialgericht Marburg erhoben.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. April 2007 zu verpflichten, ihre Bescheide vom 10. Oktober 2007 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin in der Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Dezember 2006 versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung der Studenten war.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Auf Aufforderung des Gerichts hat die Klägerin im Klageverfahren einen Lebenslauf vorgelegt (Bl. 11 d.A.), der wegen der Einzelheiten ihres Werdegangs in Bezug genommen wird. Das Gericht hat die Akte des vor dem Sozialgericht Marburg unter dem Aktenzeichen S 6 KR 138/06 ER geführten Eilverfahrens beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des jeweiligen weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte insgesamt. Ferner wird auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten und die beigezogene Gerichtsakte des Verfahrens der Beteiligten unter dem Aktenzeichen S 6 KR 138/06 ER verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 8. Juli 2008 durch Urteil entscheiden, obwohl die Beklagte in diesem Termin nicht vertreten worden ist. Denn die Beklagte ist ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses ordnungsgemäß zu diesem Termin zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Mit der Ladungsverfügung ist die Beklagte auch darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle ihres Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. April 2007 war aufzuheben, da er rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Aufhebung der sie belastenden Bescheide der Beklagten vom 10. Oktober 2006 und Feststellung, dass sie in der Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Dezember 2006 versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung der Studenten war.
Anspruchsgrundlage für die Rücknahme der Bescheide vom 10. Oktober 2007 ist § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb zu Unrecht Sozialleistungen nicht erbracht oder Beiträge erhoben worden sind. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Dabei hat die Beklagte bei Erlass ihres Bescheids vom 21. Dezember 2006 bereits verkannt, dass es sich bei dem seinerzeit abgelehnten Antrag der Klägerin, der in der Einreichung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht erblickt worden ist, nicht um einen Erstfeststellungsantrag bezüglich der Pflichtversicherung handelt, sondern um einen Überprüfungsantrag nach § 44 Abs. 1 SGB X. Denn die Beklagte hatte bereits zuvor abschließend über die Frage der von der Klägerin begehrten Pflichtversicherung entschieden. Insoweit heißt es in dem bestandskräftig gewordenen Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2006: "Sie sind freiwillig versichert". Damit ist zugleich konkludent die Feststellung einer Pflichtversicherung abgelehnt worden, da eine freiwillige Versicherung nicht in Betracht kommt, soweit bereits ein Pflichtversicherungsverhältnis besteht. Die von der Klägerin bereits auf dem Weg des gerichtlichen Eilverfahrens angestrebte Korrektur dieses rechtswidrigen Bescheids hat die Beklagte sinngemäß mit ihrem Bescheid vom 21. Dezember 2006 abgelehnt. Insoweit hat die Klägerin schließlich auch erfolglos das erforderliche Widerspruchsverfahren durchgeführt.
Die Beklagte hat bei Erlass ihres Bescheids vom 10. Oktober 2007 das Recht unrichtig angewandt, da sie zu Unrecht davon ausgegangen ist, die Klägerin sei freiwillig und nicht pflichtversichert. Tatsächlich lagen jedoch die Voraussetzungen für eine (vorrangige) Pflichtversicherung der Klägerin im Rahmen der KVdS im streitgegenständlichen Zeitraum vor. Dies ergibt sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Nach dieser Regelung sind Studenten bis zum Abschluss des 14. Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres versicherungspflichtig, die an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eingeschrieben sind, (unabhängig davon, ob sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, wenn für sie auf Grund über- oder zwischenstaatlichen Rechts kein Anspruch auf Sachleistung besteht); Studenten nach Abschluss des 14. Fachsemesters oder nach Vollendung des 30. Lebensjahres sind nur versicherungspflichtig, wenn die Art der Ausbildung oder familiäre sowie persönliche Gründe, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungswegs, die Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fachstudienzeit rechtfertigen.
Zwar hatte die Klägerin, die seinerzeit an einer staatlichen Hochschule eingeschrieben war, im streitgegenständlichen Zeitraum (sowie bei Aufnahme ihres Studiums) die Altersgrenze von 30 Jahren bereits überschritten. Dies ist jedoch im vorliegenden Fall durch persönliche Gründe gerechtfertigt. Insoweit folgt die Kammer nicht der von der Beklagten ihrer Entscheidung zugrundegelegten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 23. Juni 1994 – 12 RK 71/93. In dieser Entscheidung hat das Bundessozialgericht die These aufgestellt, bei Absolventen des Zweiten Bildungsweges, die diesen so spät beschritten haben, dass sie erst nach Vollendung des 30. Lebensjahres mit dem Studium beginnen konnten, sei die Überschreitung der Altersgrenze in der Regel nicht mehr gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V gerechtfertigt. Dies setze vielmehr voraus, dass bei der betreffenden Person in der Zeit zwischen etwa der Vollendung des 20. Lebensjahres und dem Beginn des Zweiten Bildungswegs sowie zwischen dem Abitur im Zweiten Bildungsweg und dem Beginn des Studiums im Wesentlichen durchgehend Hinderungsgründe vorgelegen haben. Diese enge Auslegung des Ausnahmetatbestand im § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V vermag indes nicht zu überzeugen (ablehnend auch Gerlach, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 5 Rdnr. 377, Stand XI/04). Denn ein solches Verständnis der Norm wird der besonderen Bedeutung nicht gerecht, die der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen für ein Studium in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungswegs im Gesetzeswortlaut erfahren hat (vgl. auch Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 23.01.2007 - S 40 KR 179/05). Diese (auch im vorliegenden Fall gegebene) Konstellation hat der Gesetzgeber gerade als Regelbeispiel für eine Rechtfertigung des Überschreitens der Altersgrenze hervorgehoben. Wollte man der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folgen, würde dieser Regelungszweck jedoch verfehlt. Denn der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen für ein Studium auf dem Zweiten Bildungsweg (einschließlich einer möglicherweise dafür erforderlichen vorangegangenen Berufsausbildung) vermag in aller Regel den vom Bundessozialgericht für maßgeblich gehaltenen Zehn-Jahres-Zeitraum nicht auszufüllen. Dies bedeutet dann aber, dass entgegen der Intention des Gesetzgebers auch bei Absolventen des Zweiten Bildungswegs eine Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fachstudienzeit in der Regel gerade nicht gerechtfertigt wäre. Vielmehr müssten andere (in der Art der Ausbildung begründete, familiäre oder sonstige persönliche) Gründe hinzutreten, die durchgängig einen früheren Studienbeginn verhindert hätten. Ein derartig strenges Kausalitätserfordernis ist der gesetzlichen Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V jedoch nach Ansicht der Kammer nicht zu entnehmen.
Für die hier vertretene, weitere Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V spricht zudem noch ein weiterer Gesichtspunkt. Die im vorliegenden Fall entscheidungserhebliche Altersgrenze ist vom Gesetzgeber eingeführt worden, um die missbräuchliche Inanspruchnahme des kostengünstigen Krankenversicherungsschutzes für Studenten zu verhindern. Sie ist der Regelung des § 10 Abs. 3 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) nachgebildet. Zwar ist ein Gleichlauf beider Rechtskreise mangels gleichlautender Tatbestandsvoraussetzungen nicht zwingend angestrebt worden. Gleichwohl stellt es aber ein gewichtiges Indiz dar, dass der Klägerin Leistungen nach dem BAföG zuerkannt worden sind. Insoweit hat das zuständige Amt für Ausbildungsförderung des Studentenwerks A-Stadt in seinem Bescheid vom 29. Dezember 2006 ausgeführt, die Klägerin habe ihr Studium zwar erst nach Vollendung des 30. Lebensjahres, jedoch unverzüglich nach dem Erwerb der Zugangsvoraussetzungen am Abendgymnasium A-Stadt aufgenommen. In einem solchen Fall kann der Gesetzeszweck der Altersbeschränkung in § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V nicht erreicht werden, da keine missbräuchliche Inanspruchnahme des Versicherungspflichttatbestands gegeben ist.
Ist nach alledem davon auszugehen, dass zur Erfüllung der Ausnahmevorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V nicht durchgängig Hinderungsgründe die Aufnahme eines Studiums unmöglich gemacht haben müssen, so ist im vorliegenden Fall der Erwerb des Abiturs auf dem Zweiten Bildungsweg für den Studienbeginn nach Vollendung des 30. Lebensjahres ursächlich geworden. Denn die Klägerin hat in ihrem dem Gericht unter dem 10. Juli 2007 übersandten Lebenslauf dargelegt, dass sie in der Zeit vom 1. Februar 2004 bis zum 21. Juni 2006 die Allgemeine Hochschulreife am Abendgymnasium der AR Schule A-Stadt erworben hat. Voraussetzung dafür war eine abgeschlossene Berufsausbildung, die die Klägerin vom 1. August 1998 bis zum 13. Juni 2000 bei der Deutschen Blindenstudienanstalt e. V. A-Stadt absolviert hat. Welche dieser Zeiten eine Verlängerung der Altersgrenze um welche Zeiträume rechtfertigen, kann im vorliegenden Fall unentschieden bleiben. Nach Ansicht der Kammer ist zumindest der Zeitraum zu berücksichtigen, der unmittelbar auf den Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife auf dem Zweiten Bildungsweg entfällt. Schon dies reicht aus, um den hier streitgegenständlichen Zeitraum, der noch vor der Vollendung des 31. Lebensjahres der Klägerin liegt, vollständig abzudecken. Insofern kann dahinstehen, ob alle Zeiten, die für den Erwerb des Abiturs erforderlich waren, anzurechnen sind, oder ob gar ein pauschaler Zeitraum von 10 Jahren nach Erlangung der Hochschulreife auf dem Zweiten Bildungsweg anzusetzen ist, wie es die Spitzenverbände der Krankenkassen früher empfohlen haben (siehe zu dieser Diskussion Gerlach, a. a. O.).
Im Übrigen ist der Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2007 bereits deshalb rechtswidrig, weil die Klägerin eine freiwillige Versicherung bei der Beklagten in keinem Fall begründet hat. Insoweit fehlt es an einem Beitritt gemäß § 9 SGB V. Eine solche öffentlich-rechtliche Willenserklärung, die gemäß § 188 Abs. 3 SGB V schriftlich zu erklären ist, hat die Klägerin ausweislich der Verwaltungsakte der Beklagten nicht abgegeben.
Auf Grund ihrer unrichtigen Rechtsanwendung in dem Bescheid vom 10. Oktober 2007 hat die Beklagte zu Unrecht Beiträge erhoben. Die Klägerin war nicht verpflichtet, gemäß § 250 Abs. 2 SGB V Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung zu tragen, da ein solches Versicherungsverhältnis nach dem oben Gesagten nicht zustandegekommen ist. Demzufolge durfte die Beklagte gegenüber der Klägerin keine Beiträge festsetzen, die über den nach § 245 SGB V maßgebenden Beitragssatz für Studenten hinausgingen. Da dies jedoch in den Bescheiden der Beklagten vom 10. Oktober 2007 erfolgt ist, sind diese, auch nach dem sie zwischenzeitlich unanfechtbar geworden sind, gemäß § 44 Abs. 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ein Ermessensspielraum steht der Beklagten insoweit nicht zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über den Eintritt einer pflichtigen Mitgliedschaft der Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung in der Zeit von Oktober bis Dezember 2006 und die damit verbundenen beitragsrechtlichen Konsequenzen.
Die 1976 geborene Klägerin war bereits in der Zeit bis zum 30. September 2006 bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am 1. Oktober 2006 nahm sie ein Lehramtsstudium an der RY.Universität A-Stadt auf. Im streitgegenständlichen Zeitraum war sie dort dauerhaft als ordentliche Studierende immatrikuliert. Am 4. Oktober 2006 reichte die Klägerin bei der Beklagten einen ausgefüllten Fragebogen zur Klärung ihres Versicherungsverhältnisses nebst einer gültigen Studienbescheinigung sowie eine Einkommenserklärung ein. Zur Prüfung der Voraussetzungen der Krankenversicherung der Studenten (KVdS) gab sie zugleich an, am 30. Juni 2006 am Abendgymnasium A Stadt die allgemeine Hochschulreife erworben zu haben. Die dortigen Aufnahmevoraussetzungen habe sie durch eine im Juni 2000 abgeschlossene Berufsausbildung als Bürokauffrau erfüllt.
Mit Bescheid vom 10. Oktober 2006 stellte die Beklagte fest, die Klägerin sei bei ihr freiwillig versichert. Die Krankenversicherungsbeiträge für die Zeit ab 1. Oktober 2006 seien nach der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage zu berechnen. Dies führe zu einem monatlichen Krankenversicherungsbeitrag von 112,70 Euro. Die Pflegekasse der Beklagten erließ unter dem gleichen Datum einen entsprechenden Bescheid, wonach der Beitrag zur sozialen Pflegeversicherung monatlich 15,92 Euro betragen sollte. Mit Bescheid vom 28. November 2006 mahnte die Beklagte die ausstehenden Beiträge für Oktober 2006 an.
Am 5. Dezember 2006 stellte die Klägerin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Beklagte, der vor dem Sozialgericht Marburg unter dem Aktenzeichen S 6 KR 138/06 ER anhängig war. Daraufhin teilte die Beklagte der Klägerin unter dem 21. Dezember 2006 mit, die von ihr begehrte Pflichtversicherung in der KVdS komme mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht in Betracht. Die Klägerin habe bei Studienbeginn bereits das 30. Lebensjahr vollendet. Eine Verlängerung des maßgebenden Zeitraums scheide angesichts des bisherigen Ausbildungsverlaufs aus. Die Tatsache, dass die Klägerin ihren gerichtlichen Eilantrag gleichwohl aufrechterhielt, fasste die Beklagte als Widerspruch gegen ihren Bescheid vom 21. Dezember 2006 auf. In der Folgezeit führte sie weitere Ermittlungen zum beruflichen Werdegang der Klägerin durch. Mit Bescheid des Amts für Ausbildungsförderung des Studentenwerks A-Stadt vom 29. Dezember 2006 wurden der Klägerin dem Grunde nach Leistungen nach dem BAföG zuerkannt. Zwar habe die Klägerin ihr Studium erst nach Vollendung des 30. Lebensjahres aufgenommen; dies sei jedoch unverzüglich nach dem Erwerb der Zugangsvoraussetzungen am Abendgymnasium A-Stadt geschehen. Das gerichtliche Eilverfahren endete durch Zurücknahme des Antrags aufgrund der Zusage der Beklagten, einstweilen auf die Durchsetzung ihrer Beitragsforderung zu verzichten.
Aufgrund einer Kündigung der Klägerin vom 24. Oktober 2006 endete das Versicherungsverhältnis zwischen den Beteiligten mit Ablauf des 31. Dezember 2006. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2007 wurde der Widerspruch von der Beklagten, die ihre Rechtsauffassung bestätigte, als unbegründet zurückgewiesen. Allein die Tatsache, dass die Klägerin ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg erworben hat, rechtfertige kein Abweichen von der gesetzlichen Altersgrenze. Dafür sei es vielmehr erforderlich, dass zwischen dem 20. und dem 30. Lebensjahr durchgehend Hinderungsgründe für die Aufnahme des Studiums vorgelegen hätten. Dies sei angesichts der jahrelangen Berufstätigkeit bzw. Arbeitslosigkeit der Klägerin aber nicht der Fall.
Am 10. Mai 2007 hat die Klägerin dagegen Klage zum Sozialgericht Marburg erhoben.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. April 2007 zu verpflichten, ihre Bescheide vom 10. Oktober 2007 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin in der Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Dezember 2006 versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung der Studenten war.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Auf Aufforderung des Gerichts hat die Klägerin im Klageverfahren einen Lebenslauf vorgelegt (Bl. 11 d.A.), der wegen der Einzelheiten ihres Werdegangs in Bezug genommen wird. Das Gericht hat die Akte des vor dem Sozialgericht Marburg unter dem Aktenzeichen S 6 KR 138/06 ER geführten Eilverfahrens beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des jeweiligen weiteren Vorbringens der Beteiligten, wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte insgesamt. Ferner wird auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten und die beigezogene Gerichtsakte des Verfahrens der Beteiligten unter dem Aktenzeichen S 6 KR 138/06 ER verwiesen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 8. Juli 2008 durch Urteil entscheiden, obwohl die Beklagte in diesem Termin nicht vertreten worden ist. Denn die Beklagte ist ausweislich ihres Empfangsbekenntnisses ordnungsgemäß zu diesem Termin zur mündlichen Verhandlung geladen worden. Mit der Ladungsverfügung ist die Beklagte auch darauf hingewiesen worden, dass auch im Falle ihres Ausbleibens Beweis erhoben, verhandelt und entschieden werden kann.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 21. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. April 2007 war aufzuheben, da er rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Aufhebung der sie belastenden Bescheide der Beklagten vom 10. Oktober 2006 und Feststellung, dass sie in der Zeit vom 1. Oktober 2006 bis zum 31. Dezember 2006 versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung der Studenten war.
Anspruchsgrundlage für die Rücknahme der Bescheide vom 10. Oktober 2007 ist § 44 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb zu Unrecht Sozialleistungen nicht erbracht oder Beiträge erhoben worden sind. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Dabei hat die Beklagte bei Erlass ihres Bescheids vom 21. Dezember 2006 bereits verkannt, dass es sich bei dem seinerzeit abgelehnten Antrag der Klägerin, der in der Einreichung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht erblickt worden ist, nicht um einen Erstfeststellungsantrag bezüglich der Pflichtversicherung handelt, sondern um einen Überprüfungsantrag nach § 44 Abs. 1 SGB X. Denn die Beklagte hatte bereits zuvor abschließend über die Frage der von der Klägerin begehrten Pflichtversicherung entschieden. Insoweit heißt es in dem bestandskräftig gewordenen Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2006: "Sie sind freiwillig versichert". Damit ist zugleich konkludent die Feststellung einer Pflichtversicherung abgelehnt worden, da eine freiwillige Versicherung nicht in Betracht kommt, soweit bereits ein Pflichtversicherungsverhältnis besteht. Die von der Klägerin bereits auf dem Weg des gerichtlichen Eilverfahrens angestrebte Korrektur dieses rechtswidrigen Bescheids hat die Beklagte sinngemäß mit ihrem Bescheid vom 21. Dezember 2006 abgelehnt. Insoweit hat die Klägerin schließlich auch erfolglos das erforderliche Widerspruchsverfahren durchgeführt.
Die Beklagte hat bei Erlass ihres Bescheids vom 10. Oktober 2007 das Recht unrichtig angewandt, da sie zu Unrecht davon ausgegangen ist, die Klägerin sei freiwillig und nicht pflichtversichert. Tatsächlich lagen jedoch die Voraussetzungen für eine (vorrangige) Pflichtversicherung der Klägerin im Rahmen der KVdS im streitgegenständlichen Zeitraum vor. Dies ergibt sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 9 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V). Nach dieser Regelung sind Studenten bis zum Abschluss des 14. Fachsemesters, längstens bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres versicherungspflichtig, die an staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschulen eingeschrieben sind, (unabhängig davon, ob sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, wenn für sie auf Grund über- oder zwischenstaatlichen Rechts kein Anspruch auf Sachleistung besteht); Studenten nach Abschluss des 14. Fachsemesters oder nach Vollendung des 30. Lebensjahres sind nur versicherungspflichtig, wenn die Art der Ausbildung oder familiäre sowie persönliche Gründe, insbesondere der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungswegs, die Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fachstudienzeit rechtfertigen.
Zwar hatte die Klägerin, die seinerzeit an einer staatlichen Hochschule eingeschrieben war, im streitgegenständlichen Zeitraum (sowie bei Aufnahme ihres Studiums) die Altersgrenze von 30 Jahren bereits überschritten. Dies ist jedoch im vorliegenden Fall durch persönliche Gründe gerechtfertigt. Insoweit folgt die Kammer nicht der von der Beklagten ihrer Entscheidung zugrundegelegten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in seinem Urteil vom 23. Juni 1994 – 12 RK 71/93. In dieser Entscheidung hat das Bundessozialgericht die These aufgestellt, bei Absolventen des Zweiten Bildungsweges, die diesen so spät beschritten haben, dass sie erst nach Vollendung des 30. Lebensjahres mit dem Studium beginnen konnten, sei die Überschreitung der Altersgrenze in der Regel nicht mehr gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V gerechtfertigt. Dies setze vielmehr voraus, dass bei der betreffenden Person in der Zeit zwischen etwa der Vollendung des 20. Lebensjahres und dem Beginn des Zweiten Bildungswegs sowie zwischen dem Abitur im Zweiten Bildungsweg und dem Beginn des Studiums im Wesentlichen durchgehend Hinderungsgründe vorgelegen haben. Diese enge Auslegung des Ausnahmetatbestand im § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V vermag indes nicht zu überzeugen (ablehnend auch Gerlach, in: Hauck/Noftz, SGB V, K § 5 Rdnr. 377, Stand XI/04). Denn ein solches Verständnis der Norm wird der besonderen Bedeutung nicht gerecht, die der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen für ein Studium in einer Ausbildungsstätte des Zweiten Bildungswegs im Gesetzeswortlaut erfahren hat (vgl. auch Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 23.01.2007 - S 40 KR 179/05). Diese (auch im vorliegenden Fall gegebene) Konstellation hat der Gesetzgeber gerade als Regelbeispiel für eine Rechtfertigung des Überschreitens der Altersgrenze hervorgehoben. Wollte man der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts folgen, würde dieser Regelungszweck jedoch verfehlt. Denn der Erwerb der Zugangsvoraussetzungen für ein Studium auf dem Zweiten Bildungsweg (einschließlich einer möglicherweise dafür erforderlichen vorangegangenen Berufsausbildung) vermag in aller Regel den vom Bundessozialgericht für maßgeblich gehaltenen Zehn-Jahres-Zeitraum nicht auszufüllen. Dies bedeutet dann aber, dass entgegen der Intention des Gesetzgebers auch bei Absolventen des Zweiten Bildungswegs eine Überschreitung der Altersgrenze oder eine längere Fachstudienzeit in der Regel gerade nicht gerechtfertigt wäre. Vielmehr müssten andere (in der Art der Ausbildung begründete, familiäre oder sonstige persönliche) Gründe hinzutreten, die durchgängig einen früheren Studienbeginn verhindert hätten. Ein derartig strenges Kausalitätserfordernis ist der gesetzlichen Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V jedoch nach Ansicht der Kammer nicht zu entnehmen.
Für die hier vertretene, weitere Auslegung der Ausnahmevorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V spricht zudem noch ein weiterer Gesichtspunkt. Die im vorliegenden Fall entscheidungserhebliche Altersgrenze ist vom Gesetzgeber eingeführt worden, um die missbräuchliche Inanspruchnahme des kostengünstigen Krankenversicherungsschutzes für Studenten zu verhindern. Sie ist der Regelung des § 10 Abs. 3 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) nachgebildet. Zwar ist ein Gleichlauf beider Rechtskreise mangels gleichlautender Tatbestandsvoraussetzungen nicht zwingend angestrebt worden. Gleichwohl stellt es aber ein gewichtiges Indiz dar, dass der Klägerin Leistungen nach dem BAföG zuerkannt worden sind. Insoweit hat das zuständige Amt für Ausbildungsförderung des Studentenwerks A-Stadt in seinem Bescheid vom 29. Dezember 2006 ausgeführt, die Klägerin habe ihr Studium zwar erst nach Vollendung des 30. Lebensjahres, jedoch unverzüglich nach dem Erwerb der Zugangsvoraussetzungen am Abendgymnasium A-Stadt aufgenommen. In einem solchen Fall kann der Gesetzeszweck der Altersbeschränkung in § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V nicht erreicht werden, da keine missbräuchliche Inanspruchnahme des Versicherungspflichttatbestands gegeben ist.
Ist nach alledem davon auszugehen, dass zur Erfüllung der Ausnahmevorschrift des § 5 Abs. 1 Nr. 9 SGB V nicht durchgängig Hinderungsgründe die Aufnahme eines Studiums unmöglich gemacht haben müssen, so ist im vorliegenden Fall der Erwerb des Abiturs auf dem Zweiten Bildungsweg für den Studienbeginn nach Vollendung des 30. Lebensjahres ursächlich geworden. Denn die Klägerin hat in ihrem dem Gericht unter dem 10. Juli 2007 übersandten Lebenslauf dargelegt, dass sie in der Zeit vom 1. Februar 2004 bis zum 21. Juni 2006 die Allgemeine Hochschulreife am Abendgymnasium der AR Schule A-Stadt erworben hat. Voraussetzung dafür war eine abgeschlossene Berufsausbildung, die die Klägerin vom 1. August 1998 bis zum 13. Juni 2000 bei der Deutschen Blindenstudienanstalt e. V. A-Stadt absolviert hat. Welche dieser Zeiten eine Verlängerung der Altersgrenze um welche Zeiträume rechtfertigen, kann im vorliegenden Fall unentschieden bleiben. Nach Ansicht der Kammer ist zumindest der Zeitraum zu berücksichtigen, der unmittelbar auf den Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife auf dem Zweiten Bildungsweg entfällt. Schon dies reicht aus, um den hier streitgegenständlichen Zeitraum, der noch vor der Vollendung des 31. Lebensjahres der Klägerin liegt, vollständig abzudecken. Insofern kann dahinstehen, ob alle Zeiten, die für den Erwerb des Abiturs erforderlich waren, anzurechnen sind, oder ob gar ein pauschaler Zeitraum von 10 Jahren nach Erlangung der Hochschulreife auf dem Zweiten Bildungsweg anzusetzen ist, wie es die Spitzenverbände der Krankenkassen früher empfohlen haben (siehe zu dieser Diskussion Gerlach, a. a. O.).
Im Übrigen ist der Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2007 bereits deshalb rechtswidrig, weil die Klägerin eine freiwillige Versicherung bei der Beklagten in keinem Fall begründet hat. Insoweit fehlt es an einem Beitritt gemäß § 9 SGB V. Eine solche öffentlich-rechtliche Willenserklärung, die gemäß § 188 Abs. 3 SGB V schriftlich zu erklären ist, hat die Klägerin ausweislich der Verwaltungsakte der Beklagten nicht abgegeben.
Auf Grund ihrer unrichtigen Rechtsanwendung in dem Bescheid vom 10. Oktober 2007 hat die Beklagte zu Unrecht Beiträge erhoben. Die Klägerin war nicht verpflichtet, gemäß § 250 Abs. 2 SGB V Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung zu tragen, da ein solches Versicherungsverhältnis nach dem oben Gesagten nicht zustandegekommen ist. Demzufolge durfte die Beklagte gegenüber der Klägerin keine Beiträge festsetzen, die über den nach § 245 SGB V maßgebenden Beitragssatz für Studenten hinausgingen. Da dies jedoch in den Bescheiden der Beklagten vom 10. Oktober 2007 erfolgt ist, sind diese, auch nach dem sie zwischenzeitlich unanfechtbar geworden sind, gemäß § 44 Abs. 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ein Ermessensspielraum steht der Beklagten insoweit nicht zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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