L 29 B 575/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 102 AS 31826/07 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 B 575/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. Februar 2008 aufgehoben. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt G M bewilligt. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine höhere Leistung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) unter Berücksichtigung seiner tatsächlichen Kosten der Unterkunft.

Der geborene Antragsteller mietete zum 1. November 1999 in der P, B eine Einzimmerwohnung mit einer Wohnfläche von 35 m² an. Die Gesamtmiete (inklusive Heizkosten- und Betriebskostenvorauszahlung) betrug in dieser Wohnung seit 2004 monatlich 240,31EUR. Seit Januar 2005 erhält der Antragsteller von dem Antragsgegner Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 8. Mai 2007 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller für den Zeitraum von Juni 2007 bis November 2007 Leistungen in Höhe von monatlich 576,31 EUR unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft (KdU) in Höhe von 231,31 EUR.

Am 15. Juni 2007 sprach der Antragsteller bei dem Antragsgegner mit dem Anliegen vor, eine Zustimmung zu einem Umzug in eine Wohnung in der Z in B zu erhalten. Ein Umzug sei notwendig, da die Wohnung in der P unbewohnbar sei. Zum Nachweis legte er Fotokopien von Fotos vor, auf denen Schäden an Wänden und Decken zu erkennen waren. Auf der Fotokopie ist ferner von dem Antragsteller handschriftlich vermerkt: "Das ist der Grund warum ich ausziehen will. Der Vermieter macht nichts seit 1,5 Jahren." Zudem legte der Antragsteller eine Fotokopie seines Kündigungsschreibens der Wohnung vom 14. Juni 2007 zum 30. Juni 2007 vor. In diesem Schreiben heißt es: "diese Wohnung ist nicht mehr bewohnbar. Es ist nicht zumutbar (Pilze und andere Sachen im Mauerwerk)". Der Antragsgegner lehnte die begehrte Zusicherung mündlich ab und verwies den Antragsteller an den Vermieter.

Am 18. Juni 2007 sprach der Antragsteller erneut vergeblich mit dem Anliegen vor, eine Zustimmung zu einem Umzug zu erhalten.

Mit Mietvertrag vom 21. August 2007 mietete der Antragsteller schließlich ohne Zustimmung des Antragsgegners zum 1. September 2007 neuen Wohnraum in der K, B (1 Zimmer, 38 m²) zu einer Bruttowarmmiete von 360,00 EUR.

Der Antragsgegner bewilligte dem Antragsteller daraufhin mit Bescheid vom 23. August 2007 für den Monat Juni 2007 Leistungen in Höhe von 546,31 EUR und für die Monate Juli bis einschließlich November 2007 monatlich 578,31 EUR. Hierbei berücksichtigte er Kosten der Unterkunft in Höhe von 231,31 EUR und führte aus, dass die Kosten der Unterkunft nur in Höhe der alten Mietkosten übernommen würden, da der Antragsteller ohne vorherige Zustimmung des Jobcenters umgezogen sei. Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2007 zurückgewiesen wurde.

Am 6. Dezember 2007 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Berlin gegen diese Entscheidung Klage erhoben und im Wege einer einstweiligen Anordnung beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, Arbeitslosengeld II in ungekürzter Höhe zu zahlen. Der Umzug sei erforderlich gewesen. Die Wohnung in der P sei bereits bei seinem Einzug im November 1999 in einem schlechten Zustand (Schimmelbefall etc.) gewesen. Ihm sei allerdings versprochen worden, die Wohnung zu sanieren, was jedoch nicht geschehen sei. Auch nach dem Verkauf des Hauses im Mai 2007 an die A W sei nichts geschehen; es sei lediglich mit Schreiben vom 5. September 2007 von der Wohnungsgesellschaft eine Renovierung angekündigt worden. Er sei im Juni von einem Bekannten in dessen Wohnung aufgenommen worden.

Zum Nachweis für den Zustand der Wohnung legte der Antragsteller 6 Fotos vor, die an verschiedenen Stellen (insbesondere Wand hinterm Sofa, Zimmerdecke über der Dusche und am Abwasserrohr neben dem WC) Schäden bzw. Verunreinigungen erkennen lassen.

Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 21. Februar 2008 den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum 1. Februar 2008 bis Mai 2008 zusätzliche Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II in Höhe von monatlich 122,16 EUR zu gewähren. Zwar sei ein Anordnungsgrund für den Zeitraum vor dem 1. Februar 2008 nicht gegeben; ab dem 1. Februar 2008 seien jedoch sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Umzug sei aufgrund starken Schimmelbefalls der Wohnung erforderlich gewesen. Das Abwarten der Mängelbeseitigung sei dem Antragsteller nicht zuzumuten gewesen.

Gegen diesen dem Antragsgegner am 26. Februar 2008 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 11. März 2008 Beschwerde eingelegt. Das Sozialgericht Berlin hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

In dem Beschwerdeverfahren, in dem sich der Antragsteller anwaltlich vertreten lässt, hat er schriftlich am 31. März 2008 erklärt:

" Ich habe meine vorherige Wohnung in der P nach meiner Erinnerung im Jahre 1999 bezogen. Zu diesem Zeitpunkt war die Wohnung mangelfrei. In keinem Fall gab es eine Schimmelbildung. Erst im Laufe des Bewohnens stellte sich heraus, dass augenscheinlich in der Wand ein Abwasserrohr gebrochen war. Dies machte sich immer dann bemerkbar, wenn die darüber liegenden Mieter augenscheinlich Abwasser in das Abwassersystem eingaben. Dann erfolgte ein entsprechender Feuchtigkeitsaustritt in den Wänden der von mir bewohnten Wohnung. Aufgrund der Tatsache, dass die Vermieterseite trotz vielfacher Beschwerden keine Abhilfe schaffen konnte, hatte sich in relativ kurzer Zeit ein erheblicher Schimmelbefall gebildet. Es handelte sich um schwarzen Schimmel. Ich habe auch jedes Mal bemerkt, dass ich Atembeschwerden bekam, insbesondere wenn ich mich in den entsprechenden Räumen aufhielt."

Mit Schriftsatz vom 1. April 2008 (Eingang beim Landessozialgericht am 3. April 2008) hat der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren beantragt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet. Das Sozialgericht Berlin hat zu Unrecht dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz teilweise stattgegeben.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den so genannten Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den so genannten Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz SGG , § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung ZPO ). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Auch im Beschwerdeverfahren sind die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebend (OVG Hamburg, NVwZ 1990, 975).

Danach scheitert die begehrte einstweilige Anordnung bereits daran, dass ein Anordnungsgrund vom Antragsteller nicht glaubhaft gemacht wurde.

Selbst wenn aufgrund der vorgelegten Fotos davon ausgegangen würde, dass sich die Wohnung in der P in einem schlechten Zustand befand, folgt hieraus nicht unmittelbar ein Anordnungsgrund.

Eine Eilbedürftigkeit für einstweilige Zahlungen der tatsächlichen KdU und damit ein Anordnungsgrund ist nur dann anzunehmen, wenn aus der nicht vollständigen Übernahme der KdU resultierende wesentliche Nachteile im Sinne des § 86b Abs. 2 S. 2 SGG konkret absehbar sind. Dies ist jedoch vom Antragsteller weder dargetan noch ersichtlich. Es ist nicht einmal vorgetragen, dass er die Mietzahlungen nur in verminderter Höhe geleistet hat. Umso weniger sind Konsequenzen (beispielsweise bevorstehende Räumung der Wohnung), die aus Mietrückständen resultieren könnten, ersichtlich. Danach sind Umstände, die eine unverzügliche Zahlung von KdU in tatsächlicher Höhe als geboten erscheinen lassen, nicht glaubhaft gemacht.

Darüber hinaus ist nach Ansicht des Senats auch ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht.

Grundsätzlich ist vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft von dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlichen zuständigen kommunalen Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einzuholen (§ 22 Abs. 2 S. 1 SGB II). Der kommunale Träger ist nur zu Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind; der für den Ort der neuen Unterkunft örtlich zuständige kommunale Träger ist zu beteiligen (§ 20 Abs. 2 S. 2 SGB II).

Eine solche Zusicherung für den Umzug in die Kstraße wurde von dem Antragsteller nicht einmal beantragt. Er hat bei dem Antragsgegner vielmehr einen Antrag für einen Umzug in die Z Straße gestellt; vom Antragsgegner wurde auch hierzu eine Zusicherung nicht erteilt.

Vorliegend erscheint es dem Senat darüber hinaus insgesamt als zweifelhaft, ob überhaupt ein Umzug erforderlich war und eine Zusicherung zu erteilen gewesen wäre.

Zum einen bewohnte der Antragsteller diese Wohnung schon seit 1999 und damit vor der Antragstellung seit rund 8 Jahren, wobei die Wohnung nach dem eigenen Vorbringen des Antragstellers bereits seit Mietbeginn mit Schimmel befallen gewesen sein soll. Noch am 6. Dezember 2007 hat der Antragsteller nämlich zur Begründung seiner Klage und seines Antrages auf einstweiligen Rechtsschutzes schriftlich vorgetragen, dass die Wohnung in der Papierstraße 12 bereits bei seinem "Einzug im November 1999 in einem schlechten Zustand (Schimmelbefall etc.)" war und eine Sanierung versprochen wurde. Im Verwaltungsverfahren erklärte er ferner schriftlich: "Der Vermieter macht nichts seit 1,5 Jahren." Hat der Antragsteller sich jedoch seit Jahren in dieser Wohnung aufgehalten ohne gesundheitliche Probleme geltend zu machen, so hält es der Senat nicht für überwiegend wahrscheinlich und damit glaubhaft gemacht, dass nunmehr erhebliche gesundheitliche Probleme aufgetreten sind und einen unverzüglichen Umzug erforderlich gemacht haben. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller durch den Wohnungszustand bedingte gesundheitliche Auswirkungen nur diffus behauptet hat, ohne sie beispielsweise durch ein ärztliches Attest zu belegen.

Die erst im Beschwerdeverfahren vom Antragsteller erfolgte schriftliche Erklärung vom 31. März 2008, die Schäden seien im Laufe der Mietzeit aufgrund eines gebrochenen Abwasserrohres entstanden, kann nicht zu einer anderen Überzeugung führen. Sie steht im Widerspruch zu den eigenen vorherigen Angaben und erfolgte erst nach den Hinweisen des Antragsgegners zu der Eilbedürftigkeit. Zudem lässt sie sich mit den vorgelegten Fotos kaum in Einklang bringen. Dort sind Schäden in verschiedenen Räumen (Wohnraum und Bad) an verschiedenen Stellen (Wänden und Decken) zu erkennen, die als alleinige Ursache einen Rohrbruch nicht als wahrscheinlich erscheinen lassen.

Im Übrigen hat der Antragsteller ebenfalls selbst vorgetragen, dass die A W nach dem Erwerb des Hauses im Mai 2007 im September 2007 eine Sanierung schriftlich angekündigt hat. Nach der Sanierung und damit der Behebung der Mietmängel war die Möglichkeit eines dauerhaften Verbleibs in der Wohnung absehbar. Für einen Übergangszeitraum wäre es dem Antragsteller wohl auch möglich gewesen, vorübergehend bei einem Bekannten zu wohnen. Nach seiner Klagebegründung wurde er im Juni 2007 in die Wohnung des Bekannten aufgenommen. Allerdings wartete der Antragsteller die Sanierung nicht mehr ab, sondern kündigte vielmehr ohne Zustimmung des Antragsgegners zuvor seine Wohnung und schloss den Mietvertrag für die neue Wohnung.

Nach alldem erschließt sich für den Senat die Notwendigkeit eines sofortigen Umzuges nicht.

Dem Antragsteller war für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seine Bevollmächtigten zu bewilligen, weil der Antragsgegner das Rechtsmittel eingelegt hat und im Rahmen der Entscheidung über Prozesskostenhilfe die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im höheren Rechtszug nicht zu prüfen sind (§ 73a SGG in Verbindung mit § 119 Abs. 1 S. 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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