L 7 AY 2732/08 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 10 AY 610/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 AY 2732/08 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Auch eine längere Strafhaft kann eine nachhaltige Unterbrechung des 48-Monatszeitraums des § 2 Abs. 1 AsylbLG bewirken im Hinblick auf die der Vorschrift auch innewohnende Integrationskomponente mit der Folge, dass eine neue Vorbezugszeit erst mit Wiedereinsetzen des Leistungsbezugs zu laufen beginnt.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 28. April 2008 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde ist gem. § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Abs. 2 S. 2). Der Antrag nach § 86b Abs. 2 SGG ist schon vor Klageerhebung zulässig (Abs. 4).

Vorliegend kommt für das Begehren auf höhere Leistungen nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweilige Anordnung verlangt grundsätzlich die – summarische – Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. FEVS 57, 72 und 57, 164). Die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)); dabei sind die insoweit zu stellenden Anforderungen um so niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen – insbesondere mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz – wiegen (ständige Senatsrechtssprechung; vgl. schon Beschluss vom 15. Juni 2005 – L 7 SO 1594/05 ER-B – (juris) unter Verweis auf Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NVwZ 1997, 479, NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Klärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (Senatsbeschlüsse vom 13. Oktober 2005 – L 7 SO 3804/05 ER-B – und vom 16. September 2007 – L 7 AS 4008/07 ER-B – beide (juris) unter Hinweis auf BVerfG NVwZ 2005, 927; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG, 8. Aufl., § 86b Rdnr. 29a). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. FEVS 57, 72 und 57, 164; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O. Rdnr. 42). Hiervon ausgehend hat das Sozialgericht Mannheim (SG) den Antrag des Antragstellers auf Gewährung der - nach bestandskräftiger Ablehnung der Leistungen für die Wohnung in der B.str. in Mannheim durch Bescheid vom 15. August 2006 - im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens allein streitigen sog. Analogleistungen nach § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) i. V. m. dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) zu Recht abgelehnt.

Der Antragsteller gehört als Inhaber einer Duldung nach § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die zuletzt bis zum 21. Januar 2009 verlängert worden ist, zum Kreis der in § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG genannten Leistungsberechtigten. Allerdings erfüllt er auch nach Auffassung des erkennenden Senats bei summarischer Prüfung nicht die Voraussetzungen für die Gewährung von Analogleistungen. Gemäß § 2 Abs. 1 AsylbLG in der seit dem 28. August 2007 geltenden Fassung ist abweichend von den §§ 3 bis 7 AsylbLG das SGB XII auf diejenigen Leistungsberechtigten entsprechend anzuwenden, die über eine Dauer von insgesamt 48 Monaten Leistungen nach § 3 AsylbLG erhalten haben und die Dauer des Aufenthaltes nicht rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben.

Unter rechtsmissbräuchlicher Selbstbeeinflussung der Aufenthaltsdauer i.S. des § 2 Abs. 1 AsylbLG ist eine von der Rechtsordnung missbilligte, subjektiv vorwerfbare und zur Aufenthaltsverlängerung führende Nutzung der Rechtsposition zu verstehen, die ein Ausländer durch vorübergehende Aussetzung der Abschiebung (Duldung) erlangt hat (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 8. Februar 2007 - B 9b AY 1/06 R - FEVS 58, 337; Urteil des Senats vom 22. November 2007 - L 7 AY 4504/06 - (juris)). Darunter fällt auch der Verbleib eines Ausländers in Deutschland, dem es möglich und zumutbar wäre, auszureisen (BSG, a.a.O.; vgl. auch Beschluss des Senats vom 14. September 2007 - L 7 AY 3868/07 ER-B). Eine Beeinflussung der Aufenthaltsdauer liegt allerdings nicht vor, wenn der Ausländer auch ohne das vorwerfbare Verhalten (z. B. die Vernichtung von Pässen) in der gesamten Zeit nicht hätte abgeschoben werden können (BSG, Urteil vom 19. Juni 2008 - B 8/9b AY 1/07 R -, bislang nur als Terminbericht Nr. 30/08 vorliegend).

Hiervon ausgehend bedarf vorliegend keiner Entscheidung, ob - worauf die Antragsgegnerin und das SG tragend abgestellt haben - der Antragsteller, ein nach seinen Angaben somalischer Staatsangehöriger, die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet nach den genannten Kriterien rechtsmissbräuchlich beeinflusst hat. Denn die Gewährung von Leistungen nach § 2 AsylbLG scheitert bei summarischer Prüfung bereits daran, dass die erforderliche Vorbezugsdauer von 48 Monaten nicht gegeben ist. Es spricht bei summarischer Prüfung einiges dafür, dass aufgrund der - mit Blick auf die Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Antragsteller erfolgten - Einstellung der Leistungsgewährung durch Bescheid vom 19. Mai 2005 (bestandskräftig) mit Wirkung zum selben Tag eine im Rahmen des § 2 AsylbLG zu berücksichtigende Unterbrechung des Leistungsbezugs eingetreten ist mit der Folge, dass die Wartezeit frühestens mit der Weiterbewilligung staatlicher Leistungen (ab dem 5. September 2006) von Neuem zu laufen begonnen konnte. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ("insgesamt 48 Monate") ist zwar grundsätzlich eine Gesamtdauer des Leistungsbezugs maßgebend; hieraus ist nicht ohne Weiteres zu ersehen, dass Unterbrechungen schädlich sind. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist jedoch eine Relativierung der Fristberechnung geboten, zumal der Wortlaut nicht so eindeutig ist, dass er einer entsprechenden Auslegung entgegen steht. Nachhaltige und tiefgreifende Unterbrechungen des Zeitraums führten bereits nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (Oberverwaltungsgericht (OVG) Niedersachsen, Beschluss vom 27. März 2001 - 12 MA 1012/01 - FEVS 52, 367) dazu, dass nach einer solchen Unterbrechung die Fristberechnung erneut zu beginnen hat. Denn insoweit kommt die Integrationskomponente, auf die auch die Begründung zum Entwurf der Vorschrift abhebt (BT-Drucks. 13/5008, S. 15; zur Neufassung s. BT-Drucks. 16/5065 S. 232; vgl. dazu auch Hohm in GK-AsylbLG, § 2 Rdnr. 33; ders. in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, 17. Auflage, SGB XII, § 2 AsylbLG Rdnr. 8), nicht mehr zum Tragen. Diese soll es nach Ablauf der Vorbezugsdauer von Leistungen in niedriger Höhe dem Leistungsberechtigten ermöglichen, sich durch öffentliche Mittel in die deutsche Gesellschaft zu integrieren. Bei nachhaltiger Unterbrechung steht der Leistungsberechtigte jedoch ebenso da wie einer, der die Leistungen noch nicht für diese Zeitdauer bezogen hat. Eine solche nachhaltige Unterbrechung haben das OVG Niedersachsen und ihm folgend die Verwaltungsgerichte Ansbach (Beschluss vom 11. November 2003 – AN 13 E 03.01779 - (juris)) und Hannover (Beschluss vom 15. Juni 2004 – 7 B 2809/04 - SAR 2004, 118) bei einem Unterbrechungszeitraum von mindestens sechs Monaten angenommen, etwa weil sich der Ausländer längere Zeit in seinem Heimatland aufgehalten und deshalb die Vorbereitung der Integration in die deutsche Gesellschaft abgebrochen hat oder wenn ein Ausländer längere Zeit "untergetaucht" ist und er so die Wartezeit, nach deren Ablauf ihm erst wegen des Integrationsbedarfs höhere Leistungen bewilligt werden dürfen, nicht erfüllt (vgl. aber Urteil des Senats vom 22. November 2007 - L 7 AY 5480/06 -, SAR 2008, 21, wonach auch ein kurzfristiger Aufenthalt in einem Drittstaat in Verbindung mit der dortigen Stellung eines Asylantrages eine nachhaltige Unterbrechung bewirken kann).

Den vorgenannten Konstellationen vergleichbar erscheint mit Blick auf die beschriebene Integrationskomponente der Vorbezugsdauer diejenige, in welcher ein Leistungsberechtigter sich zwar seit Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufhält - allerdings ohne eine nachhaltige Aufenthaltsverfestigung erreicht zu haben - und über einen längeren Zeitraum Leistungen nach dem AsylbLG bezogen hat, er aber durch die Begehung erheblicher Straftaten das (bisherige) Scheitern seiner Integration dokumentiert hat. So liegt der vorliegende Fall, in welchem der Antragsteller zwar seit dem Jahre 1994 im Bundesgebiet lebt - wobei der langjährige Aufenthalt im Wesentlichen auf der Feststellung von Abschiebungshindernissen in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia (Bescheid des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlingen vom 6. Mai 1994) bzw. dem Abschiebungshindernis der Passlosigkeit beruht -, er aber durch wiederholte, zum Teil massive Straffälligkeit gezeigt hat, dass eine Integration in die Lebensverhältnisse des deutschen Staates nicht gelungen ist. Der Antragsteller wurde wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zuletzt vom Amtsgericht Mannheim durch Urteil vom 19. Mai 2003 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt und befand sich - nach vorgegangener Untersuchungshaft von 28. November 2002 bis 23. März 2004 - zwischen dem 15. Dezember 2004 und dem 17. Juli 2006 in Strafhaft.

In dieser Situation erscheint es gerechtfertigt, die strafhaftbedingte Unterbrechung des Leistungsbezugs zwischen Juni 2005 und September 2006 als für die Erfüllung der Wartezeit relevante Zäsur anzusehen. Dies rechtfertigt sich auch vor dem Hintergrund der zum 28. August 2007 in Kraft getretenen Neuregelung, die mit der Einschätzung des Gesetzgebers begründet wurde, dass nach einem Voraufenthalt von vier Jahren davon ausgegangen werden könne, dass bei den Betroffenen eine Aufenthaltsperspektive entsteht, die es gebietet, Bedürfnisse anzuerkennen, die auf bessere soziale Integration gerichtet sind (BT-Drucks. 16/5065, a.a.O.). An dieser Aufenthaltsperspektive fehlt es ersichtlich beim Antragsteller, der mit bestandskräftiger Verfügung des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 24. November 2003 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wurde und (lediglich) wegen des Fortbestehens der Passlosigkeit weiterhin geduldet wird.

Dies hat bei der hier gebotenen summarischen Prüfung zur Folge, dass beim Antragsteller eine neue Vorbezugszeit frühestens mit Wiedereinsetzen des Leistungsbezuges im September 2006 in Gang gesetzt worden ist, wobei der Senat angesichts der Offenkundigkeit der seitherigen Nichterreichung der Vorbezugsdauer von 48 Monaten dahinstehen lassen kann, ob hierfür die - zeitweilig bezogenen - Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites und Drittes Buch (SGB II und III) (vgl. Senatsurteil vom 28. Juni 2007 - L 7 AY 2806/06 -; ferner OVG Bremen, Beschluss vom 19. Mai 2008 - S3 B 168/08, S3 S 169/08 - (juris) m.w.N.) bzw. die aktuellen Leistungen nach § 1a AsylbLG (vgl. Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. Februar 2008) ausreichen können (vgl. Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Februar 2008 - L 20 B 15/08 AY ER - SAR 2008, 46; Hohm in GK-AsylbLG, § 2 Rdnr. 37). Umstände, die (gleichwohl) die Leistungsgewährung im begehrten Umfang zur Sicherung der verfassungsrechtlich gebotenen Mindestsicherung als geboten erscheinen ließen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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