L 5 KR 374/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 R 8004/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 KR 374/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14. August 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin macht geltend, sie sei im Rahmen eines Familienbetriebs als abhängig Beschäftigte geführt worden, tatsächlich aber als weisungsbefugte Arbeitgeberin tätig gewesen.

Die 1969 geborene und zuletzt bei den Beklagten krankenversicherte Klägerin durchlief bis Sommer 1988 erfolgreich eine Ausbildung zur Fachverkäuferin im Metzgerhandwerk. In diesem Beruf war sie beschäftigt bei der Metzgerei B. , deren Inhaber der (Erb-)Onkel des heutigen Betriebsinhabers war. 1992 heiratete die Klägerin den heutigen Betriebsinhaber. Aus der Ehe hervorgegangen sind die beiden Kinder W. (geboren 1994) und K. (geboren 1999), für welche die Klägerin Leistungen nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz bezogen hat. Im Jahre 1993 wurde der Betriebsübergang vom (Erb-)Onkel auf den heutigen Betriebsinhaber und Ehemann der Klägerin vollzogen. Diese blieb in der Folgezeit als Arbeitnehmerin im Verkauf gemeldet und wurde so steuerlich und beitragsrechtlich behandelt.

Mit Schreiben vom 01.03.2005 machte die Klägerin geltend, sie sei seit 01.01.1993 als mitarbeitende Ehegattin im Betrieb der Beigeladenen zu 1) tätig, sei jedoch faktisch gleichberechtigt mit ihrem Ehemann dort tätig und weder hinsichtlich Zeit noch hinsichtlich Art und Ort der Tätigkeit weisungsgebunden. Sie verfüge über Bank- und Handlungsvollmachten und sei aufgrund einer Darlehenshingabe als Arbeitgeberin anzusehen. Aufgrund ihrer Fachkompetenz habe sie die Leitung der Metzgerei inne, während sich der Inhaber, ihr Ehemann im Wesentlichen nur um den Schlacht- und Verarbeitungsbetrieb im Sinne der handwerklichen Tätigkeit kümmere.

Mit Bescheid vom 05.07.2006/Widerspruchsbescheid vom 20.06.2006 stellte die Beklagte zu 1) fest, die Klägerin sei vom 01.01.1993 bis 31.07.2003 versicherungspflichtig als abhängig Beschäftigte tätig gewesen. Die inhaltlich gleiche Entscheidung traf die Beklagte zu 2) mit Bescheid vom 02.06.2006/Wider-spruchsbescheid vom 09.11.2006 für die Zeit vom 01.08.2003 bis 31.12.2005. Die Entscheidungen wurden im Wesentlichen damit begründet, dass die Verkaufstätigkeit der Klägerin mit der Leitung des Unternehmens nicht zu verwechseln sei und die Klägerin laufend Bezüge erhalten habe, welche beitragsrechtlich und steuerrechtlich als Betriebsausgabe behandelt und verbucht worden seien. Die Klägerin sei in den Betriebsablauf der Beigeladenen zu 1) integriert gewesen und habe Tätigkeiten ausgeübt, die andernfalls eine fremde Arbeitskraft hätte tätigen müssen. Dem gegenüber trete eine Darlehensgewährung vom 24.05.2002 sowie ein ehebedingtes Mitspracherecht zurück.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Regensburg (SG) hat die Klägerin die Aufhebung dieser Entscheidungen beantragt sowie die Feststellung, im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) von 1993 bis 2005 nicht der Sozialversicherungspflicht zu unterliegen. Entscheidend für die Beurteilung der Sozialversicherungspflicht seien die tatsächlichen Verhältnisse, für welche die steuerrechtliche Beurteilung nicht vorgreiflich sei. Faktisch sei die Klägerin ausschließlich mit dem kaufmännischen und unternehmenstechnischen Bereich befasst gewesen, sie habe den Verkauf getätigt, Büfetts kalkuliert, organisiert und durchgeführt sowie die nötigen Bestellungen selbständig durchgeführt und abgewickelt. Der Betriebsinhaber, ihr Ehemann, habe demgegenüber nur handwerkliche Tätigkeiten erbracht. Sie habe ein Unternehmerrisiko mitgetragen, weil sie Darlehen für die Beigeladene zu 1) mitunterzeichnet habe.

Mit Urteil vom 14.08.2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Gesamtbild der Tätigkeit der Klägerin im fraglichen Zeitraum spreche unzweifelhaft für ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis. Nach Übergabe des Betriebs vom Erbonkel an den jetzigen Inhaber Anfang 1993 hätten die Eheleute die bisherigen Unternehmersstrukturen bewusst übernommen, ohne eine Mitunternehmerschaft der Klägerin zu begründen. Die Metzgerei sei wie bisher unter der Entscheidungsbefugnis des Inhabers weitergeführt worden. Die erteilte Handlungsvollmacht entspreche den Regelungen des Handelgesetzbuches und beweise, dass die Klägerin nicht Mitunternehmerin gewesen sei, sondern vom Unternehmer Vollmacht für gewisse Tätigkeiten erhalten habe. Aus den beigezogenen Erziehungsgeldakten sei zu entnehmen, dass die Klägerin dort selbst angegeben habe, sie sei als Verkaufskraft abhängig beschäftigt. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht behauptete Bezahlung widerspreche der, welche in der Erziehungsgeldakte angegeben sei. Zugleich hat das Sozialgericht der Klägerin Verschuldenskosten in Höhe von 500,- EUR auferlegt, weil sie trotz unzweifelhafter Hinweise des Gerichts an der aussichtslosen Klage festgehalten habe.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt, sich gegen die Missbrauchsgebühr verwahrt und eine unzutreffende Sachverhaltswürdigung gerügt. Nach der Betriebsübernahme 1993 habe sich der Ehemann der Klägerin und Betriebsinhaber ausschließlich um die Produktion gekümmert, während der Klägerin die Verantwortung im Verkauf und Einkauf, in Kalkulation und im kaufmännischen Bereich übertragen worden sei. Der Familienbetrieb sei gemeinsam und arbeitsteilig geführt worden, die relevanten Unternehmensentscheidungen hätten die Eheleute stets gemeinsam und nur einvernehmlich getroffen. Die Renovierung des Schlachthauses in Höhe von DM 60.000,00 habe die Klägerin aus Umschuldungen in der Folgezeit mit einem Darlehen vom 25.05.2002 mitfinanziert, was eine Tragung des Unternehmensrisikos dokumentiere. Die durchschnittlich beschäftigten fünf Mitarbeiter, davon drei Verkaufskräfte, habe ausschließlich die Klägerin angelernt und angewiesen. Das ortsübliche Entgelt von 1.040,- EUR monatlich habe dem Einsatz der Klägerin rund um die Uhr nicht entsprochen. Die Klägerin müsse deshalb als Unternehmerin und deshalb als nicht versicherungspflichtig angesehen werden.

Die Beklagten haben eine Unternehmereigenschaft der Klägerin bestritten und im Wesentlichen vorgetragen, tatsächlich sei sie als Verkäuferin tätig gewesen, wie es im fraglichen Zeitraum auch steuerlich und beitragsrechtlich gehandhabt worden sei.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 14.08.2007 sowie den Bescheid der Beklagten zu 1) vom 05.07.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.10.2006 sowie den Bescheid der Beklagten zu 2) vom 02.06.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.11.2006 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Beigeladene zu 1) in der Zeit vom 01.01.1993 bis 31.12.2005 nicht der Versicherungspflicht zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterlag, hilfsweise, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg in Ziffer III. aufzuheben und weiter hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2008 waren die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Erziehungsgeldakten des Amtes für Versorgung und Familienförderung. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge wird zur Ergänzung des Tatbestandes Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG), jedoch unbegründet. Die Klägerin war im streitigen Zeitraum als Metzgereifachverkäuferin abhängig beschäftigt.

Streitgegenstand sind die Bescheide/Widerspruchsbescheide der Beklagten zu 1) und 2), in welchen abstrakt festgestellt wurde, dass die Klägerin von 1993 bis 2005 versicherungspflichtig in der Sozialversicherung für die Beigeladene zu 1) tätig gewesen ist. Diese Entscheidungen sind zu Recht ergangen, wie das Sozialgericht im angefochtenen Urteil vom 14.08.2007 zutreffend festgestellt hat.

Gegen Arbeitsentgelt beschäftigte Personen sind kranken-, pflege-, renten- und arbeitslosenversicherungs- und beitragspflichtig gemäß §§ 5 Abs.1 Nr.1 SGB V, 20 Abs.1 Satz 3 Nr.1 SGB XI, Satz 1 Nr.1 SGB VI, 25 Abs.1 Satz 1 SGB III. Das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses richtet sich nach § 7 Abs.1 Satz 1 SGB IV. Beschäftigung ist danach eine nicht selbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, welches gekennzeichnet ist durch Weisungen hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung sowie durch eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmensrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte und durch eine Unternehmenschance bestimmt. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben letztere den Ausschlag (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG Urteil vom 12.02.2004 - B 12 KR 26/02 R m.w.N.).

In Würdigung des Vorbringens der Beteiligten und der beigezogenen Akten ergibt sich bei Anwendung dieser Grundsätze zur Überzeugung des Senats, dass die Klägerin im fraglichen Zeitraum vom 01.01.1993 bis 31.12.2005 abhängig Beschäftigte der Beigeladenen zu 1) war. Diese Feststellung durften die Beklagten als Einzugsstellen gemäß § 28h Abs.2 SGB IV im vorliegenden streitigen Falle treffen. Der Senat hat für den zu entscheidenden Fall keine Bedenken, dass die Beklagten als Einzugsstellen über die Versicherungspflicht der Klägerin entschieden haben, um so das eigentliche Interesse der Klage, nämlich die Beitragsrüccerstattung für den fraglichen Zeitraum vorzubereiten. Denn weder § 7a SGB IV noch § 28h Abs.2 SGB IV noch eine anderweitige Vorschrift eröffnen der Klägerin ein vernünftiges Verfahren, die Versicherungspflicht zu klären.

Die Abwägung der Gesamtumstände des Falles der Klägerin ergibt zunächst, dass diese in ihrem Lehrberuf bei der Beigeladenen zu 1) abhängig beschäftigt war. Dies ist für die Zeit, in welchem der Onkel ihres Ehemannes Betriebsinhaber war, nicht streitig. An dieser Einordnung hat sich durch den Betriebsübergang zum 01.01.1993 nichts geändert. Obwohl der Übergang der Betriebsinhaberschaft eine deutliche Zäsur und eine erhebliche Betriebsumstrukturierung darstellte, haben die Klägerin und ihr Ehemann sich nicht veranlasst gesehen, eine Änderung der Arbeitsstrukturen vorzunehmen. Die Klägerin wurde auch nach dem Betriebsübergang nicht als Mitunternehmerin geführt, sie blieb vielmehr als Verkäuferin beitragspflichtig bei der Einzugsstelle gemeldet. Ihre Entgelte wurden der Lohnsteuer unterworfen und als Betriebsausgabe geltend gemacht. Neue Aufgaben- und Tätigkeitsbereiche wurden der Klägerin nicht zugewiesen, eine entsprechende Vereinbarung, die wegen ihrer Tragweite in irgendeiner Form Niederschlag hätte finden müssen, findet sich weder in den Akten noch ist sie sonst ersichtlich.

Die Klägerin und die Beigeladene zu 1) haben sich in der Folgezeit auch an diese Aufgabenteilung zwischen Betriebsinhaber und Verkäuferinnentätigkeit gehalten, die Klägerin hat Leistungen der Krankenversicherung insbesondere für zwei Fälle der Mutterschaft erhalten. Sie hat auch für die beiden 1994 und 1999 geborenen Kinder Erziehungsgeld bezogen und dabei mit ihrer eigenhändigen Unterschrift nach Versicherung der Wahrheitsgemäßheit und nach Rechtsfolgenbelehrung erklärt, als Verkäuferin bei der Beigeladenen zu 1) beschäftigt zu sein. Unter Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Angaben hat die Beigeladene zu 1) auch mehrfach bestätigt, dass die Klägerin bei ihr beschäftigt ist. Dies dokumentiert auch der von der Beigeladenen zu 1) vorgelegte Einkommensteuerbescheid für 1996, welcher für den Inhaber der Beigeladenen zu 1) negative Einkünfte von rund 12.600,- DM, für die Klägerin positive Einkünfte von rund 22.350,- DM aufweist, so dass nach Verlustausgleich keine festzusetzende Einkommenssteuer verblieben war. Hieraus ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass die Klägerin und die Beigeladene zu 1) das vor dem Betriebsübergang Anfang 1993 begründete und gehandhabte Beschäftigungsverhältnis faktisch weiterbehalten haben und sich in der Aufgabenaufteilung und Betriebsverantwortung nichts Wesentliches geändert hat. Hierfür spricht auch, dass die Klägerin für sich geltend macht, sie sei Inhaberin des notwendigen kaufmännischen know how. Sie hatte also bewusst ein beitragspflichtigen Versicherungsverhältnisses aufrecht erhalten. Für den Senat ist kein Zeitpunkt ersichtlich, zu welchem die Klägerin und die Beigeladene zu 1) an dieser Aufgabenverteilung Änderungen vorgenommen haben.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass auch Anhaltspunkte vorhanden sind, die gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen. Dies sind die Mitübernahme eines gewissen Risikos dadurch, dass die Klägerin ein Unternehmensdarlehen am 25.05.2002 mitunterzeichnet hat. Zudem erscheint es glaubhaft, dass der Inhaber der Beigeladenen zu 1) der Klägerin, seiner Ehefrau, im Verkaufsbereich mehr Freiheiten zugestanden hat, als dies bei Verkaufskräften üblich ist und dass die Klägerin weit weniger als bei Arbeitnehmern üblich auf die Einhaltung der Arbeitszeit geachtet hat. Diese Gesichtspunkte erklären sich aber zum einen aus den Besonderheiten eines Ehegattenarbeitsverhältnisses, in welchem die Weisungsgebundenheit naturgemäß nicht so eng ausgestaltet ist, wie in einem Normalbeschäftigungsverhältnis. Zum anderen hat die Klägerin durch die Mitunterzeichnung des für das Unternehmen bestimmten Darlehensvertrag nicht die Stellung des Unternehmers selbst eingenommen.

In einer Gesamtwürdigung der relevanten Umstände ergibt sich somit zweifelsfrei, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum abhängig Beschäftigte der Beigeladenen zu 1) war. Die Berufung bleibt damit insoweit ohne Erfolg.

Der Senat sieht sich nicht veranlasst, die angegriffene Kostenentscheidung nach § 192 SGG, welche formell ordnungsgemäß zustande gekommen ist, inhaltlich abzuändern. Aus Sicht des Sozialgerichts war es ausgehend von den eigenhändig unterschriebenen Erklärungen der Klägerin und der Beigeladenen zu 1) im Erziehungsgeldverfahren sowie mangels anderer entgegenstehender Beweismittel durchaus zutreffend, von dem Verfolgen einer aussichtslosen Klage auszugehen. Weil auch die Höhe der verhängten Kosten keinen Bedenken begegnet, bleibt die Berufung in vollem Umfang ohne Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Klägerin genießt als Versicherte das Kostenprivileg des § 183a SGG, obgleich sie geltend macht, nicht Versicherte gewesen zu sein.

Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich, § 160 SGG.
Rechtskraft
Aus
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