L 17 U 381/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 U 8/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 381/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.10.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob im Rahmen des § 44 Sozialgesetzbuch (SGB) X der Arbeitsunfall vom 11.12.1972 der Zuständigkeit der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft (LBG) unterliegt und die dem Kläger gewährte Verletztenrente nach einem anderem Jahresarbeitsverdienst (JAV) zu berechnen ist.

Der 1939 geborene Kläger erlitt am 11.12.1972 einen Arbeitsunfall im Betrieb seines Arbeitgebers, der Geflügelzucht W. GmbH & Co. KG, Geflügelschlächterei. Zu diesem Zeitpunkt war der Arbeitgeber im Kataster der LBG Oberfranken und Mittelfranken als landwirtschaftliches Lohnunternehmen aufgenommen. Die Ehefrau des Klägers, A. W., war Kommanditistin dieser Gesellschaft und landwirtschaftliche Unternehmerin, der Kläger zum Unfallzeitpunkt als technischer Betriebsleiter Ehegatte einer landwirtschaftlichen Unternehmerin.

Mit Bescheiden vom 25.07.1974 und 14.10.1974 sprach die LBG dem Kläger eine Teilrente nach einer MdE von 30 vH zu. Sie legte einen JAV von 7.200,00 DM zugrunde.

Die LBG gab das Unternehmen wegen Betriebserweiterung am 01.01.1975 an die Beklagte ab.

Mit Urteil vom 13.05.1977 wies das Sozialgericht Nürnberg (SG) die Klage gegen die Bescheide vom 25.07. und 14.10.1974 zurück. Zur Begründung führte es aus, dass die Ehefrau des Klägers im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls landwirtschaftliche Unternehmerin gewesen sei. Der Kläger, der mit ihr in gültiger Ehe lebte, sei zum Unfallzeitpunkt also Ehegatte eines landwirtschaftlichen Unternehmers gewesen. Danach sei bei der Berechnung der Verletztenrente zu Recht die Vorschrift des § 780 Abs 1 Reichsversicherungsordnung (RVO; JAV für landwirtschaftliche Unternehmer und ihre Ehegatten) angewandt und der sog. durchschnittliche JAV von 7.200,00 DM zugrunde gelegt worden.

Das Bayer. Landessozialgericht (BayLSG) wies mit Urteil vom 27.01.1978 die Berufung des Klägers zurück. Es führte aus, für die Folgen des Unfalls des Klägers vom 11.12.1972 sei allein die LBG zuständig. Die Geflügelzüchterei W. sei im Zeitpunkt des Unfalls noch als landwirtschaftliches Unternehmen anzusehen gewesen. Dem Kläger stehe gegen die LBG daher keine nach dem tatsächlichen JAV zu begründende Verletztenrente zu.

Der Kläger beantragte am 05.03.1998 bei der Beklagten, den Bescheid vom 14.10.1974 in einen Bescheid der Beklagten (Fleischerei-BG) zu ändern mit der Maßgabe, dass eine korrekte beitragsmäßige Berechnung vorzunehmen sei. Er sei zur Zeit des Arbeitsunfalles als Arbeitnehmer und niemals in der Landwirtschaft beschäftigt gewesen. Es sei daher nicht möglich gewesen, damals einen Arbeitnehmerehegattenvertrag zugrunde zu legen. Deshalb könne er auch nicht nach dem JAV eines landwirtschaftlichen Arbeitnehmerehegatten verberentet werden.

Mit Bescheid vom 28.05.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.11.1998 lehnte die Beklagte den Antrag auf Überprüfung und Rücknahme der rechtskräftigen Bescheide vom 25.07. und 14.10.1974 ab. Sie führte aus, durch das Urteil des BayLSG vom 27.01.1978 sei sowohl die Zuständigkeit der LBG als auch die JAV-Festsetzung nach § 780 Abs 1 RVO bestätigt worden.

Hiergegen hat der Kläger Klage erhoben und sich gegen die Zuordnung zur LBG und gegen die Heranziehung eines durchschnittlichen JAV gewandt. Er sei bei dem versicherten Betrieb versicherungspflichtig als Prokurist beschäftigt gewesen. Die Tätigkeit eines mithelfenden Familienangehörigen habe er nicht ausgeübt.

Mit Bescheid vom 28.09.1999 hat die Beklagte die Rentenanpassung vom 01.07.1998 und 1999 nach SGB VII vorgenommen.

Mit Urteil vom 15.10.2001 hat das SG Nürnberg die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass bei der Erteilung der Bescheide vom 25.07. und 14.10.1974 weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden sei, der sich als unrichtig erweise. Dies ergebe sich aus den Urteilen des SG Nürnberg vom 13.05.1977 und des BayLSG vom 27.01.1978. Das erneute Vorbringen des Klägers zeige keine Gesichtspunkte auf, aus denen eine Unrichtigkeit der Bescheide von 1974 folgen könnte. Nach den damals vorliegenden Betriebsverhältnissen, die Grundlage der Urteile waren, sei die Geflügelzucht W. GmbH & Co. KG rechtmäßig in das Mitgliederverzeichnis der LBG aufgenommen worden. Auch der errechnete JAV sei nicht zu beanstanden.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung zum BayLSG eingelegt und sinngemäß beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 15.10.2001 sowie den Bescheid vom 28.05.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.11.1998, den Bescheid vom 28.09.1999 sowie die Bescheide vom 25.07.1974 und 14.10.1974 aufzuheben.

Die Beklagte hat beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 15.10.2001 als unbegründet zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden.

Ergänzend wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme der rechtskräftigen Bescheide vom 25.07.und 14.10.1974 nach § 44 SGB X, da die Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Die Berufung ist nach § 153 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) aus den Gründen des angefochtenen Urteils als unbegründet zurückzuweisen.

Ergänzend ist auszuführen, dass die Geflügezucht W. GmbH & Co. KG zutreffend in das Mitgliederverzeichnis der LBG Oberfranken und Mittelfranken aufgenommen worden war. Dieser Unfallversicherungsträger war zum Unfallzeitpunkt für die Entschädigung und somit auch Feststellung des JAV nach den dort geltenden Rechtsnormen zuständig. Der errechnete JAV war nicht zu beanstanden. Insoweit ist auf das Urteil des SG Nürnberg vom 13.05.1977 und des BayLSG vom 27.01.1978 zu verweisen.

Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Beklagte dem Kläger keine höhere Verletztenrente zu gewähren hat. Zu Recht hat die Beklagte bei der Berechnung der Verletztenrente als maßgebenden JAV den gemäß den §§ 780 f RVO festgesetzten zugrunde gelegt. Eine Berechnung der Rente gemäß § 581 Abs 1 RVO kommt nicht zum Tragen.

Nach § 780 Abs 1 RVO wurden für landwirtschaftliche Unternehmer und ihre Ehegatten als JAV Durchschnittssätze festgestellt. Diese Voraussetzungen treffen für den Kläger zu.

Der Kläger war im Unfallzeitpunkt (1972) im Unternehmen der Ehefrau, einem landwirtschaftlichen Lohnunternehmen i.S. des § 776 Abs 1 Nr 2 RVO, beschäftigt. Die Unternehmerin - die Ehefrau des Klägers - war landwirtschaftliche Unternehmerin und kraft Gesetzes Mitglied der Beklagten, der damaligen LBG.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in seinen Urteilen vom 18.10.1994 -2 RU 5/94- und 08.12.1994 -2 RU 29/93- dazu ausführlich Stellung genommen. Danach stellen die §§ 780 f RVO Sondervorschriften für die landwirtschaftliche Unfallversicherung dar. Sie schließen eine Anwendung der allgemeinen Vorschriften über den JAV (§§ 571 f RVO) zwingend aus, wenn JAV-Durchschnittssätze festgesetzt worden sind. Dies war hier der Fall, da der Kläger Ehegatte einer landwirtschaftlichen Unternehmerin war und seinen Arbeitsunfall in deren landwirtschaftlichem Unternehmen erlitten hat. Danach gelten für seine Unfallentschädigung als JAV gemäß § 780 Abs 1 RVO die nach den §§ 581 f RVO festgesetzten durchschnittlichen JAVe. Dass zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau ein Arbeitsvertrag bestand, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Das Gesetz schließt in gleicher Weise wie für den landwirtschaftlichen Unternehmer auch für dessen Ehegatten die §§ 571 f RVO aus, wenn beide in dem landwirtschaftlichen Unternehmen zusammenarbeiten. Auf die Rechtsgrundlage der Zusammenarbeit kommt es dabei nicht an.

Da es schwierig ist, die persönliche Arbeitsleistung des Ehegatten zu bewerten, der nicht nur im landwirtschaftlichen Unternehmen, sondern u.U. auch in der Haushaltung des Unternehmens arbeitet, zieht das Gesetz für die gesamte in § 776 RVO erfasste Sondergruppe landwirtschaftlicher Unternehmen Konsequenzen sowohl hinsichtlich des Unfallversicherungsschutzes des Unternehmers und seines Ehegatten als auch hinsichtlich des zur Berechnung der Geldleistung zugrunde zu legenden JAV. Schon aus dem Wortlaut des § 780 Abs 1 RVO ergibt sich, dass auch für den Ehegatten des landwirtschaftlichen Unternehmers als JAV ohne Ausnahme - wie für den Unternehmer selbst - Durchschnittssätze festgesetzt werden. Aus § 780 Abs 2 RVO folgt, dass nur bei Familienangehörigen i.S. des § 780 Abs 3 RVO, nicht aber bei dem Kläger als Ehegatten, der in einem Beschäftigungsverhältnis zum anderen Ehegatten steht, etwas anderes gelten kann. Sinn und Zweck der Regelung des § 780 Abs 1 f RVO ist es, für den Ehegatten sowohl dem Grunde nach als auch hinsichtlich der Höhe der Geldleistung einen ausreichenden Mindestunfallversicherungsschutz zu schaffen. Der Versicherungsschutz soll den besonderen Umständen entsprechen, unter denen der landwirtschaftliche Unternehmer und sein Ehegatte in dem zugrunde gelegten Typ des landwirtschaftlichen Unternehmens versicherte Tätigkeiten verrichten. Diese Arbeit ist bei beiden Eheleuten typischerweise davon geprägt, dass ihr nicht regelmäßig ein entsprechendes Arbeitseinkommen oder Arbeitsentgelt zuzuordnen ist. Dies hat der Gesetzgeber eben zum Anlass genommen, den JAV ausnahmslos nicht nach den § 571 f RVO zu berechnen, sondern als JAV Durchschnittssätze festsetzen zu lassen.

Die Regelung des § 780 Abs 1 RVO verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen Art 3 Abs 1 Grundgesetz. Die Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes verlangt den Vergleich von Lebensverhältnissen, die einander nicht in allen, sondern stets nur in einzelen Elementen gleichen. Grundsätzlich ist es Sache des Gesetzgebers, darüber zu entscheiden, welche von diesen Elementen er für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung als maßgebend ansieht. Auch bei der Feststellung der Unfallentschädigung, z.B. bei der Bestimmung des JAV zur Berechnung der Verletztenrente, hat der Gesetzgeber eine weitgehende Gestaltungsfreiheit. Von daher gesehen ist es vernünftig und nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber die Tätigkeit, auf die ein Unternehmen ganz oder teilweise ausgerichtet ist, als Grund dafür annimmt, daraus eine Gruppe zu bilden, die er als landwirtschaftliches Unternehmen im weiteren Sinne zur Durchführung der landwirtschaftlichen Unfallversicherung in vielen Punkten gleichbehandelt.

Die gegen das Urteil des BSG vom 08.12.1994 eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (1 BvR 644/95).

Daher ist festzustellen, dass die zugrunde liegenden Bescheide der LBG vom 25.07. und 14.10.1974 nicht nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X zurückgenommen werden können. Bei der Erteilung der Bescheide ist weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem Sachverhalt ausgegangen worden, der sich als unrichtig erweist.

Die Bescheide der Beklagten sowie das Urteil des SG Nürnberg vom 15.10.2001 sind daher nicht zu beanstanden. Die Berufung war als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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