L 2 U 370/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 41 U 754/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 370/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. März 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKV) und die Gewährung einer Rente.

Der 1962 geborene Kläger beantragte am 22.10.2002 die Gewährung einer Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit der Lendenwirbelsäule. Er habe von 1979 bis 1981 eine Lehre als Baumaschinist absolviert und sei dann als Baggerfahrer, Raupenfahrer, Transportarbeiter, Autokranfahrer, Stellmacher, Lkw-Fahrer und zuletzt von 1991 bis 2002 als selbstständiger Unternehmer, Spediteur, mit dem Transport von Antiquitäten und Möbeln beschäftigt gewesen. Seit 1995 habe er Rückenbeschwerden.

Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. B. attestierte dem Kläger am 27. Januar 2002 und 21. November 2002 rezidivierende Lumboischialgie bei Spondylolisthesis, NPP L5/S1 und Spondylarthrose. Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) vom 5. Mai 1995 zeigte eine Retrolisthese von LWK5 gegenüber SWK1 und eine Bandscheibenvorwölbung. Im Kernspintomogramm vom 22. Februar 2001 zeigte sich zusätzlich eine deutliche Höhenminderung im Zwischenwirbelraum LWK5/SWK1 und eine Osteochondrose. Der Orthopäde Dr. M. erklärte am 13. November 2002, sichere sensomotorische Störungen bestünden nicht, der Lasègue sei negativ. Vom 20. Juni bis 18. Juli 2002 wurde der Kläger während eines Heilverfahrens stationär behandelt. Bei der Aufnahmeuntersuchung klagte er über Schmerzausstrahlungen in die Beine. Es bestanden keine sensomotorischen Defizite der unteren Extremitäten.

Der beratende Arzt der Beklagten, der Chirurg Dr. B. , erklärte in der Stellungnahme vom 31. Dezember 2002, im Hinblick auf das Fehlen belastungsadaptiver degenerativer Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule oberhalb L5 sei eine berufsbedingte Verursachung der Bandscheibenerkrankung im Sinne der BK-Nr. 2108 oder 2110 nicht wahrscheinlich.

Der Gewerbearzt Dr.V. stimmte dieser Beurteilung zu. Es ergäben sich deutliche Hinweise für ein anlagebedingtes Schadensbild. Als konkurrierende Ursachen zeigten sich Hinweise auf einen Morbus Scheuermann, ein Wirbelgleiten, das zu einer vermehrten Beanspruchung der Bandscheibe bei L5/S1 führe, sowie eine Hüftgelenksdysplasie und arthrotische Veränderungen.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 06.02.2003 die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 und 2110 der Anlage zur BKV ab. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 2003 zurück.

Im Klageverfahren zog das Sozialgericht München Berichte der behandelnden Ärzte Dr. M. und Dr. B. bei und ernannte den Orthopäden Dr. F. zum ärztlichen Sachverständigen.

Im Gutachten vom 7. Mai 2005 führte Dr. F. aus, für einen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit spreche, dass der Bandscheibenverschleiß das altersdurchschnittlich zu erwartende Ausmaß überschreite und dass der zeitliche Zusammenhang mit der Tätigkeit gegeben sei. Aber der morphologischen Strukturveränderung, nämlich der stärkeren Einengung der letzten Lendenbandscheibe mit daraus resultierender Rückwärtsverschiebung des 5. Lendenwirbelkörpers, könne eine klinische Symptomatologie, nämlich eine Nervenwurzelschädigung oder -irritation, nicht zugeordnet werden. Sensomotorische Defizite hätten weder Dr. M. in den Berichten vom 13. November 2002 und 20. November 2003 noch die Ärzte während des Heilverfahrens vom 20. Juni bis 18. Juli 2002 beschrieben. Eine Nervenwurzelirritation oder -läsion existiere nicht. Insofern sei ein Befund, der mit der erforderlichen Sicherheit eine bandscheibenbedingte Erkrankung nachweisen könne, nicht festzustellen. Ein belastungsadaptives Schadensbild sei nicht gegeben, denn die Lendenwirbelsäule sei nicht in von oben nach unten zunehmender Intensität verschleißgeschädigt. Auch fänden sich am dorsolumbalen Übergang keine Randspornbildungen, während an der Brustwirbelsäule ansonsten sogar mehr Bandscheiben von Einengungen betroffen seien als an der Lendenwirbelsäule. Auch fehle ein mehrsegmentaler Verschleiß, da ausschließlich im letzten Segment der Lendenwirbelsäule ein eindeutiger Bandscheibenschaden festzustellen sei. Von einer berufsbedingten Erkrankung könne daher nicht ausgegangen werden, zumal konkurrierende Verursachungsmöglichkeiten festzustellen seien, nämlich eine Scheuermann-Erkrankung, also eine Wachstumsstörung, sowie Anzeichen für eine Schwäche des mesenchymalen Bindegewebes, nämlich ausgeprägte Krampfadernzeichen, Hüftarthrose und Fußdeformitäten. Dass an beruflich nicht exponierten Wirbelsäulenabschnitten stärkere degenerative Veränderungen als an der Lendenwirbelsäule vorhanden seien, zeige, dass die Verschleißerscheinungen auf innerlicher Ursache beruhten. Die entscheidenden medizinischen Voraussetzungen zur Annahme einer Berufskrankheit nach Ziff. 2108 und 2110 seien nicht gegeben.

Der auf Antrag des Klägers gemäß §109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr. S. führte im Gutachten vom 24. November 2005 aus, ein belastungskonformes Schadensbild bestehe im Hinblick darauf, dass lediglich im Segment L5/S1 eine deutliche Bandscheibendegeneration vorliege, nicht. Es sprächen aber gewichtige Gründe dafür, dass die Erkrankung beruflich bedingt sei. So seien zwar nicht im Segment TH12/LWK1 Degenerationen vorhanden, aber darüber. Es sei nicht sicher, ob dies nicht doch ein belastungsadaptives Schadensbild darstelle. Ein Morbus Scheuermann im engeren Sinne sei nicht festzustellen. Die Krampfadern seien nicht so ausgeprägt, dass sie erwähnt werden müssten und die leichte Fehlstatik der Lendenwirbelsäule sei keine deutlich konkurrierende Tatsache, ebenso wenig wie die Hüftdysplasie und die leichten Senk-Spreizfüße. Insofern sei eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Sinne der Nr. 2108 der Anlage zur BKV anzunehmen, die mit einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 v.H. zu entschädigen sei.

Die Beklagte übersandte eine gutachtliche Stellungnahme des Chirurgen M. vom 28. Februar 2006, in der ausgeführt wurde, die Veränderungen im mittleren Brustwirbelsäulenabschnitt seien kein Hinweis für eine belastungsbedingte Schädigung anderer Wirbelsäulenabschnitte. Ein monosegmentaler Verschleißschaden, wie er beim Kläger vorliege, unterscheide sich nicht von den Bandscheibenschäden in der Normalbevölkerung und könne nicht als belastungskonform bezeichnet werden.

Das Sozialgericht München wies die Klage mit Urteil vom 28. März 2007 ab.

Die am 18. Oktober 2007 eingelegte Berufung begründete der Kläger im Schriftsatz vom 31. Januar 2008: das Urteil sei schon deshalb falsch, weil es auf der Annahme basiere, monosegmentale Erkrankungen der Wirbelsäule schlössen die Annahme einer Berufskrankheit 2108 aus. Dies widerspreche der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen. Daher sei die Revision zuzulassen. Die Beschwerden des Klägers hätten im Übrigen ab etwa 1994 immer mehr zugenommen; wie, wenn nicht durch die Belastungsfaktoren der Tätigkeit, könne es zu dem fast völligen Aufbrauchen der Bandscheibe gekommen sein? Dr.F. Argumentation sei einseitig. Mit einer Scheuermann-Erkrankung könne die extreme Veränderung an einem Bandscheibenabschnitt nicht erklärt werden. Dr.F. habe die CT- und Kernspin-Aufnahmen nicht berücksichtigt. Die Stellungnahme des medizinischen Beraters der Beklagten sei widersprüchlich. Der Kläger übersandte eine Stellungnahme des Dr.S. vom 3. Mai 2006, in der Dr.S. ausführte, die Chondrose, die beim Kläger im Alter von 33 Jahren festgestellt worden sei, sei altersuntypisch. Eine leichtgradige Skoliose, die der Beratungsarzt Meyer-Clement erwähne, sei nicht als Prädisposition für einen Bandscheibenschaden anzusehen. Ein Morbus Scheuermann sei beim Kläger "eher sowohl im Deckplattenbereich als auch im Zwischenwirbelbereich als auch im Vorderkanten nicht wahrscheinlich". Es liege eine gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor, die Exposition sei ausreichend gewesen und es bestehe eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der Erkrankung. Die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit seien trotz der schwierigen Konstellation eher zu bejahen als zu verneinen.

Der Kläger stellt den Antrag, das Urteil des Sozialgerichts München vom 28. März 2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Februar 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 2003 festzustellen, dass eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung besteht und ihm Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. zu gewähren; hilfsweise beantragt er, die Belastungsdosis während der Berufstätigkeit zu ermitteln, weiter hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Gemäß § 9 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) gilt als Arbeitsunfall auch eine Berufskrankheit. Maßgeblich ist seit 01.12.1997 die Berufskrankheitenverordnung vom 31. Oktober 1997. Als Berufskrankheit kommen grundsätzlich nur solche Erkrankungen in Betracht, die von der Bundesregierung als Berufskrankheit bezeichnet und in die Berufskrankheitenverordnung aufgenommen worden sind (Listenprinzip). Die Krankheit muss durch eine versicherte Tätigkeit verursacht oder wesentlich verschlimmert worden sein, d.h., die Gefährdung durch schädigende Einwirkungen muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein und die Einwirkung muss die Krankheit verursacht haben (vergleiche Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 9 SGB VII Rn. 3). Die rechtserheblichen Tatsachen müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen (vergleiche BSGE 45,285).

Um einen Zusammenhang zwischen bandscheibenbedingter Erkrankungen der Lendenwirbelsäule und Berufsbelastung herstellen zu können, muss der Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung geführt werden, die bildtechnisch nachweisbaren Veränderungen müssen das altersdurchschnittlich zu erwartende Ausmaß überschreiten, der zeitliche Zusammenhang muss gesichert sein und konkurrierende Verursachungsmöglichkeiten anlagebedingter, statischer, entzündlicher oder unfallbedingter Genese müssen ausgeschlossen sein.

Beim Kläger liegt, wie Dr. F. erläutert, eine Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Nachgewiesen ist ein morphologisches Substrat in Form von degenerativen Veränderungen, nämlich Verschleißschäden der letzten Lendenbandscheibe mit einer stärkeren Einengung und daraus resultierender Rückwärtsverschiebung des fünften Lendenwirbelkörpers. Verbunden ist diese Bandscheibendegeneration mit einer Bandscheibenvorwölbung. Diesen morphologischen Strukturveränderungen ist aber keine klinische Symptomatologie im Sinne einer Nervenwurzelschädigung oder -irritation zuzuordnen. Zwar war bei der Untersuchung durch Dr. F. , wie auch schon früher, ein positiver Lasègue festzustellen. Es bestanden aber deutliche Diskrepanzen zwischen dem Nervendehnschmerz bei 60° und dem möglichen Langsitz bis 90°. Die Prüfung des Nervendehnschmerzes, also der Möglichkeit, die Beine gestreckt von der Unterlage anzuheben, hängt sehr stark von der Kooperationsfähigkeit während der Untersuchung ab. Aus diesem Grund ist, wie Dr. F. betont, eine Prüfung des Langsitzes zur Feststellung einer Nervenwurzelirritation obligatorisch. Der Langsitz war bei der Untersuchung durch Dr. F. ohne Schmerzäußerungen uneingeschränkt möglich. Im Übrigen wurden auch bei früheren Untersuchungen, so von Dr. M. und den Ärzten der Reha-Klinik, sensomotorische Defizite ausdrücklich nicht festgestellt. Ein Befund, der mit der erforderlichen Sicherheit eine bandscheibenbedingte Erkrankung nachweisen könnte, nämlich eine klinische Symptomatologie als Folge der morphologischen Strukturveränderungen, ist also nicht gegeben. Damit kann eine Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage zur BKV nicht anerkannt werden.

Gegen das Vorliegen einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 spricht außerdem, dass ein belastungsadaptives Schadensbild fehlt. Die Lendenwirbelsäule ist nicht in von oben nach unten zunehmender Intensität mehrsegmental verschleißgeschädigt. Es fehlen verstärkte Randspornbildungen am Übergang von der Brust- zur Lendenwirbelsäule. Auch sind konkurrierende Verursachungsmöglichkeiten nicht auszuschließen. So ist die Brustwirbelsäule stärker von degenerativen Veränderungen betroffen als die Lendenwirbelsäule. Ursächlich hierfür ist, wie Dr. F. erklärt, eine Scheuermann-Erkrankung in der Jugendzeit. Dass an beruflich nicht exponierten Wirbelsäulenabschnitten stärkere degenerative Veränderungen als an der Lendenwirbelsäule vorhanden sind, spricht dafür, dass sich die Verschleißerscheinungen aus innerlicher Ursache entwickelt haben. Die leichte Fehlstatik der Lendenwirbelsäule nach einem Knochenbruch am Unterschenkel hat die Entwicklung einer Bandscheibenprotrusion zusätzlich leichtgradig gefördert. Für eine Schwäche des mesenchymalen Bindegewebes als Ursache der Bandscheibenerkrankung sprechen die ausgeprägten Krampfadern sowie die Hüftarthrose und die Fußdeformitäten.

Nicht überzeugen konnten den Senat dagegen die Ausführungen des ärztlichen Sachverständigen Dr. S. , der einerseits einräumt, dass ein belastungsadaptives Schadensbild nicht gegeben ist, andererseits aus der Tatsache, dass zwar nicht am dorsolumbalen Übergang, aber in den darüber liegenden Wirbelsäulensegmenten Degenerationen vorhanden sind, die Frage ableitet, ob nicht doch ein belastungsadaptives Schadensbild gegeben sei. Die Bemerkung, er sei nicht sicher, ob ein belastungsadaptives Schadensbild verneint werden könne, ist keine hinreichende Begründung. Dr. S. ist zuzustimmen, dass der zeitliche Zusammenhang, den auch Dr. F. bestätigt hat, mit der Berufstätigkeit gegeben ist. Dies reicht aber für eine Anerkennung als Berufskrankheit nicht aus, zumal Nervenwurzelirritationen oder -läsionen auch von Dr. S. nicht festzustellen waren. Eine radikuläre Symptomatik hat Dr. S. - wie auch die behandelnden Ärzte - nicht festgestellt.

Selbst wenn die Tätigkeit des Klägers wirbelsäulenbelastend im Sinne der Nr. 2108 der Anlage zu Berufskrankheitenverordnung gewesen ist, fehlen doch die wesentlichen medizinischen Voraussetzungen für die Feststellung einer Berufskrankheit. Daher ist eine weitere Sachaufklärung zur Belastungsdosis im Sinne des Hilfsantrags nicht erforderlich.

Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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