S 14 KR 239/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Regensburg (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 14 KR 239/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
I. Die Klage gegen Bescheid vom 06.04.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.06.2005 wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Behandlungspflege in Form des An- bzw. Ausziehens von Kompressionsstrümpfen und von Medikamentenabgabe.

Die am 10.11.1915 geborene Klägerin bezieht seit August 2001 Leistungen nach der Pflegestufe I bei der Beigeladenen. Als Behandlungspflege im Rahmen der Zuständigkeit der Beklagten ist u.a. festgehalten eine einmalige tägliche Medikamentenabgabe bzw. das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen. Mit Verordnung des Dr. vom 23.03.2005 wurde für die Zeit vom 01.04. bis 30.06.2005 eine einmal tägliche Medikamentenabgabe und ein zweimaliges An- bzw. Ausziehen von Kompressionsverbänden verordnet. Mit Bescheid vom 06.04.2005 führte die Beklagte aus, dass die tägliche Medikamentenabgabe nur noch bis 30.04.2005 möglich sei und ab 01.05.2005 die Medikamentenabgabe durch die Familienangehörigen, die im gleichen Haus wohnen, überwacht werden könne, wobei die Medikamentenbox von der Beklagten zur Verfügung gestellt werden würde. Zudem sei das zweimalige Wechseln der Kompressionsstrümpfe nur noch bis 30.04.2005 möglich, ab diesem Zeitraum bis zum streitgegenständlichen Ablauf des Zeitraums am 30.06.2005 werde nur noch das einmal tägliche Anlegen von Kompressionsverbänden genehmigt. Dagegen legte die Klägerin am 17.05.2005 Widerspruch ein mit der Begründung, dass sie in ihrem Haushalt alleine lebe und ihre Angehörigen berufstätig seien, es somit nicht möglich sei, ihr die Strümpfe an- bzw. auszuziehen. Bei der Bereitstellung der Medikamente sei eine Kontrolle bzw. Überwachung erforderlich. In der Aufzeichnung bezüglich des Hausbesuches am 23.05.2005 ist durch den Pflegeberater dargetan, dass das Ausziehen der Kompressionsstrümpfe der Sohn bzw. die Tochter übernehmen könne. Die Klägerin besitze eine eigene Wohnung im Haus des berenteten Sohnes, sie sitze meist im Stuhl, das Gehen wäre mit einem Rollator möglich; des Weiteren sei sie mit einem Babyphon mit der Wohnung des Sohnes verbunden. Die (2 km entfernt wohnende) Tochter komme meistens in der Früh zum Waschen und zum Frühstück herrichten. Das Abendessen werde ebenfalls von der Tochter zubereitet, die Klägerin werde dann von der Tochter ausgezogen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2005 wurde das Ansinnen der Klägerin zurückgewiesen. Zwar wurde zugestanden, dass sowohl das An- bzw. Ausziehen von Kompressionsstrümpfen sowie die Medikamentenabgabe zur Behandlungspflege gehören würden. Ein Leistungsausschluss bestehe aber dann, wenn eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang pflegen und versorgen könne. Es bestehe eine Unterstützungspflicht der Angehörigen. Der streitige Teil der Grundpflege werde seit Jahren von den nicht berufstätigen Angehörigen übernommen. Nachvollziehbare Gründe für eine berechtigte Weigerung könnten deshalb nicht vorgebracht werden. Des Weiteren sei nach Auffassung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) das An- bzw. Ausziehen von Kompressionsstrümpfen ohnehin nicht medizinisch indiziert.

Dagegen legte die Klägerin am 05.07.2005 Klage zum Sozialgericht Regensburg ein. Es wurde darauf hingewiesen, dass der 63-jährige Sohn sowie seine Schwester und seine Ehefrau diese streitgegenständlichen Tätigkeiten nicht mehr übernehmen könnten. Der Sohn sei durch private außerplanmäßige Tätigkeiten häufig unterwegs, seine Ehefrau sei nachmittags noch berufstätig, die Tochter der Klägerin sei ebenso berufstätig und wohne 2 km entfernt. Die Klägerin sei deshalb auf den abendlichen Pflegedienst angewiesen. Mit Beschluss vom 21. Juli 2005 hat das Gericht die Pflegekasse bei der AOK Bayern zum Rechtsstreit beigeladen. Mit Schreiben vom 28.07.2005 wurde gerichtlicherseits darauf hingewiesen, dass ein Gerichtsbescheid ergehen könne.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Beklagtenakte sowie die Gerichtsakte.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte gemäß § 105 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Angelegenheit keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind dazu gehört worden. Das Gericht macht ebenso von der Vorschrift des § 136 Abs.3 SGG Gebrauch, wonach von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen werden kann, weil es der Begründung des Widerspruchsbescheides folgt. In diesem Widerspruchsbescheid hat die Beklagte zu Recht ausgeführt, dass zwar die Medikamentenabgabe bzw. das An- und Ausziehen von Kompressionsstrümpfen unter die Behandlungspflege des § 37 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) im Rahmen der häuslichen Krankenpflege fällt (§ 92 Abs.1 Nr.6, Abs.7 SGB V i.V.m. den Richtlinien über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege, zuletzt geändert am 15.02.2005) und BSG vom 17.03.2005 - B 3 KR 9/04 R). In Streit steht somit nur der § 37 Abs.3 SGB V, wonach der Anspruch auf diese häusliche Krankenpflege nur dann besteht, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht versorgen kann. Das Gericht sieht hier keine Möglichkeit, inwieweit der im gleichen Haus lebende Sohn bzw. die Schwiegertochter diese Arbeiten nicht mehr vollbringen könnten, nachdem in den vergangenen Jahren diese Tätigkeiten auch ausgeführt worden sind. Nicht herangezogen werden kann im Rahmen des § 37 Abs.3 SGB V die 2 km entfernt wohnende Tochter der Klägerin, da insoweit kein Haushalt mit der Klägerin besteht. Das Gericht sieht jedoch keinen Anlass, im vorliegenden Fall nicht von einem gemeinschaftlichen Haushalt auszugehen. Zwar wohnen die Klägerin bzw. ihr Sohn mit seiner Ehefrau in getrennten Räumen, diese sind jedoch ohne weiteres jederzeit leicht zu erreichen, so dass kein Hinderungsgrund dafür besteht, diesen Teil der Behandlungspflege mit zu übernehmen. Bezüglich des Sohnes der Klägerin besteht ohnehin auch eine bürgerlich rechtliche Pflicht gemäß §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), da er als in gerader Linie von der Klägerin abstammend auch dieser zum Unterhalt verpflichtet ist. Dieser Unterhalt kann nicht nur durch Geldleistungen, sondern auch in Form von Naturalleistungen zu erbringen sein.

Bezüglich der Medikamentenabgabe ist für das Gericht ohnehin fraglich, ob nicht die Klägerin aufgrund der Feststellungen des MDK die Medikamente selber einnehmen kann. Eine Bereitstellung der Medikamentenbox wird von der Beklagten sichergestellt. Die Beklagte beruft sich auch zu Recht auf die Entscheidung des BSG vom 30.03.2000 (Az.: B 3 KR 23/99 R) zur Behandlungssicherungspflege; insoweit hat das BSG nochmals den Vorrang der Eigenhilfe vor der Inanspruchnahme der Hilfe durch die Solidargemeinschaft festgestellt. Eine Verweigerung der Pflegepersonen bezüglich der Behandlungspflege würde nur aus nachvollziehbaren Gründen stattfinden können. Das Gericht sieht in dem klägerischen Betreiben vom 05.07.2005 keine solchen nachvollziehbaren Gründe. Denn es handelt sich hier nicht um Tätigkeiten bei der Behandlungssicherungspflege, die schwierig durchzuführen sind und einen großen Zeitaufwand erfordern würden (wie z.B. Verabreichung von Injektionen). Nachdem die Medikamentenabgabe ohnehin keine Schwierigkeiten bereitet, verbleibt es im Wesentlichen beim An- bzw. Ausziehen von Kompressionsstrümpfen. Hier wurde für den Zeitraum ab 01.05.2005 die einmal tägliche Gabe von Kompressionsverbänden, die laut dem MDK ausreichend sind, übernommen. Soweit hier übergegangen worden ist vom Wechseln der Kompressionsstrümpfe auf Kompressionsverbände, hat dies nachvollziehbare medizinische Gründe, wie der MDK zur Überzeugung des Gerichts dargelegt hat. Soweit nunmehr überhaupt noch Tätigkeiten der streitgegenständlichen Art für die Angehörigen der Klägerin verbleiben, ist anzumerken, dass die Schwiegertochter nur nachmittags berufstätig ist und nicht vormittags bzw. am Abend. Der berentete Sohn kann, auch wenn er viele außerplanmäßige Tätigkeiten vollzieht (wobei zu überlegen wäre, inwieweit hier durch den Rentenversicherungsträger die Auswirkung auf die gewährte Rente zu prüfen wäre), ebenso Hilfestellung leisten. Für eine Medikamentenabgabe bzw. das Anlegen eines Kompressionsverbandes bleibt auch bei einem schwer beschäftigten Rentner noch Zeit. Das Gericht sieht durchaus, dass die streitgegenständlichen Tätigkeiten leicht vom ambulanten Pflegedienst übernommen werden könnten. Dies ist jedoch nicht der Sinn und Zweck des Krankenversicherungsrechts, da weiterhin familienrechtlichen Verpflichtungen der Vorrang zu gewähren ist und erst bei Fehlen solcher die Versichertengemeinschaft in Anspruch genommen werden kann. Beim Zuschnitt der Situation zwischen dem Sohn und seiner Ehefrau zur Klägerin und dem nicht so schwerwiegenden Pflegebedarf der Klägerin selbst kann durchaus die häusliche Krankenpflege insoweit als Eigenhilfe durchgeführt werden. Nach Auffassung des Gerichts müssen die Pflegepersonen nicht unbedingt die gleiche Etage des Hauses bewohnen, um einen vom Gesetz geforderten Haushalt zu gewährleisten. Die Pflegepersonen können leicht zu den Zimmern der Klägerin vordringen bzw. auch hauswirtschaftlich Tätigkeiten für die Klägerin unter einem Dach vollbringen, wie sie es bisher schon praktiziert haben.

Nach alldem besteht für den streitgegenständlichen Zeitraum bis 30.06.2005 kein Freistellungsanspruch (§ 13 Abs.3 SGB V) der Klägerin gegenüber der Beklagten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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