L 12 B 1113/07 KA ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 38 KA 5168/07 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 12 B 1113/07 KA ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers und Beschwerdeführers wird in Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts München vom 22.11.2007 angeordnet, dass die Zulassung des Antragstellers bis 30.01.2009 fortwirkt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsteller 1/5, der Antragsgegner 4/5.

Gründe:

I.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer streitet gegen die Beendigung seiner Zulassung als Vertragszahnarzt mit dem 30.09.2007 wegen der Vollendung des 68. Lebensjahres.

Mit Beschluss vom 12.09.2007 (ausgefertigt am 07.11.2007) lehnte der Zulassungsausschuss für Zahnärzte Südbayern einen Antrag des Beschwerdeführers vom 26.04.2007 auf Verlängerung der Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung über den 30.09.2007 hinaus ab. Außerdem stellte der Zulassungsausschuss mit Beschluss vom 17.10.2007 fest, dass die Zulassung des Antragstellers und Beschwerdeführers mit dem 30.09.2007 ende.

In der Begründung des Beschlusses vom 12.09.2007 führte der Zulassungsausschuss aus, der Antragsteller habe vorgetragen, die Feststellung, dass seine Zulassung infolge des Erreichens der Altersgrenze mit dem 30.09.2007 ende, bedeute nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 22.11.2005 ("Mangold"), dass darin eine nicht zulässige Diskriminierung wegen des Alters liege; vor diesem Hintergrund müsse die Regelung des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V unangewendet bleiben. Neben der Problematik einer unzulässigen Diskriminierung wegen des Alters habe der Antragsteller noch geltend gemacht, es lägen in seinem Falle persönliche Härten vor; sowohl seine Ehefrau als auch seine Tochter seien schwer erkrankt; beide bedürften Therapien, für die der Antragsteller privat aufkommen müsse. Von seiner Altersversorgung könne er dies nicht bestreiten. Er selbst fühle sich völlig gesund und könne seinen Beruf noch voll ausüben. Die Zulassung des Antragstellers und Beschwerdeführers habe aber - so die Begründung des Beschlusses weiter - kraft Gesetzes mit Ablauf des Quartals geendet, in dem dieser sein 68. Lebensjahr vollendet habe. Ein Ausnahmetatbestand im Sinne einer Unterversorgung gemäß § 95 Abs. 7 Satz 7 SGB V liege nicht vor; für den Planungsbereich, in welchem sich die Praxis des Antragstellers befinde, sei durch den Landesausschuss keine Unterversorgung im Sinne von § 100 Abs. 1 SGB V festgestellt worden; angesichts eines Versorgungsgrades von deutlich über 100 % sei eine solche Feststellung auch in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Auch das zwischenzeitlich in Kraft getretene allgemeine Gleichbehandlungsgesetz habe den Gesetzgeber nicht veranlasst, am Kern der Regelung des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V Änderungen vorzunehmen. Auch das Bayerische Landessozialgericht (19.07.2006 - L 12 KA 9/06) habe die Altersgrenze von 68 Jahren trotz des Betroffenseins von Grundrechten (Art. 12 und 14 GG) durch besonders wichtige Gründe des Gemeinwohls als gerechtfertigt angesehen. Insbesondere sei danach auch zu berücksichtigen, dass das allgemeine Diskriminierungsverbot wegen des Alters im Sinne der EU-Richtlinie 2000/78 vom 27.08.2000 nicht verletzt sei, weil dieses nur im Anwendungsbereich von Gemeinschaftsrecht, nicht aber dann, wenn wie hier eine Diskriminierung in einem System der der gesetzlichen Krankenversicherung allein auf innerstaatlicher Rechtsgrundlage erfolge, gelten könne. Die Altersgrenze des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V beruhe nicht auf europäischem Recht und könne daher nicht gemeinschaftsrechtliche Grundsätze verletzen. Die in der "Mangold"-Entscheidung des EuGH zugrunde gelegte Annahme, dass bereits das primäre Gemeinschaftsrecht und nicht erst die Antidiskriminierungsrichtlinie 2000/78 eine solche Altersgrenze verbieten würden, könne auf den vorliegenden Fall nicht übertragen werden. Mit einer solchen Interpretation würden im Übrigen auch alle europarechtlichen Umsetzungsfristen ins Leere laufen. Schließlich müsse darauf hingewiesen werden, dass auch die Richtlinie 2000/78 vom 27.08.2000 eine Differenzierung zulasse, wenn diese durch sachliche Gründe gerechtfertigt sei. Solche Gründe lägen hier vor, wie bereits das Bundesverfassungsgericht mehrfach ausgeführt habe.

Mit Schriftsatz vom 24.09.2007, eingegangen am 25.09.2007, reichte der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 12.09.2007 Widerspruch ein und beantragte, den zugrunde liegenden Beschluss des Zulassungsausschusses aufzuheben, den Antragsteller über den 30.09.2007 hinaus zuzulassen und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs festzustellen. Zur Begründung wies er erneut und unter Hinweis auf einschlägige Arztberichte auf die schweren Erkrankungen (morbus Parkinson und multiple Sklerose)der Ehefrau und der Tochter des Beschwerdeführers hin und auf die sich daraus ergebende Notwendigkeit, dass der Beschwerdeführer weiterhin Einnahmen aus seiner beruflichen Tätigkeit erziele, um die erforderliche Pflege zu finanzieren. Zur Rechtslage sei zu sagen, dass zwar das Bundesverfassungsgericht an seiner bisherigen Praxis festgehalten habe und derartige Verfassungsbeschwerden nicht mehr zur Entscheidung angenommen habe; es habe dabei genügen lassen, dass die generelle Lebenserfahrung ergebe, dass bei älteren Bürgern die Leistungsfähigkeit abnehme und dass deshalb aus verfassungsrechtlicher Sicht eine hinreichende Rechtfertigung der Regelungen über Altersgrenzen gegeben sei. Das Bundesverfassungsgericht habe aber auch deutlich gemacht, dass einschlägige europarechtliche Fragestellungen Sache der Fachgerichtsbarkeiten seien. Bekanntlich sei die Richtlinie 2000/78 EG zur Schaffung altersdiskriminierungsfreier Verhältnisse in Beschäftigung und Beruf im Jahre 2000 erlassen und durch Inkraftsetzen des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zum 16.08.2006 in innerstaatliches deutsches Recht umgesetzt worden. Im Revisionsverfahren zu der Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts (19.07.2006 - L 12 KA 9/06) habe das Bundessozialgericht überprüft, wie weit der Prüfungsmaßstab in der Entscheidung des EuGH ("Mangold", 22.11.2005) reiche. Dort würden zwingende Gründe des Allgemeinwohlinteresses gefordert zur Rechtfertigung von Eingriffen in individuelle Rechte. Solche zwingenden Gründe des Allgemeinwohlinteresses lägen hier aber nicht vor. Eine gesetzliche Regelung wie in § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V, die dazu führe, dass 68-jährigen Ärzten ihre über Jahrzehnte aufgebaute Praxis in ihrer Substanz in Gestalt des Patientenstammes genommen werde, sei ein massiver Eingriff auch in verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen, der zudem ohne Entschädigung erfolge. Dies könne weder einer europarechtlichen noch einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten. Die bisher vorliegende, dem entgegenstehende Rechtsprechung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit und auch des Bundesverfassungsgerichts erstaune vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Grundrechte gerade die Freiheit des einzelnen garantieren sollten. Wie wichtig das Recht auf Beschäftigung als Konsequenz namentlich aus Art. 1 GG sei, ergebe sich bereits aus der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahre 1985, mit welcher der Beschäftigungsanspruch eines Arbeitnehmers aus seinem Arbeitsverhältnis bejaht worden sei. Der Arbeitnehmer solle danach nicht Objekt des Handelns des Arbeitgebers sein, sondern Träger eines Anspruchs auf Beschäftigung. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 81, 21 und 132, 181) sei zudem ein Eingriff in die Berufsausübung von selbständig Tätigen bei Vorhandensein eines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs ein Eingriff in der Qualität einer Enteignung. Das Bundessozialgericht gehe offenbar von einem fundamental anderen Staatsverständnis aus, in welchem nämlich etwa der Entzug einer Anwaltspraxis mit der Mutmaßung gerechtfertigt werden könne, dass man Kosten einsparen könne, wenn man Ältere von der Berufsausübung ausschließe.

Man dürfe auch nicht außer Acht lassen, dass die Begründung in den einschlägigen Nichtannahmeentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, nämlich dass Ärzte ab einem bestimmten Alter generell eine Gesundheitsgefährdung ihrer Patienten darstellten, in sich schon deshalb nicht schlüssig sei, weil sich die Konsequenzen dieser Feststellung zwangsläufig nur auf Kassenpatienten, nicht aber auf Privatpatienten beziehen könnten. Dass damit - die Richtigkeit des Arguments unterstellt - Privatpatienten massiv diskriminiert würden, sei ohnehin außerhalb des Blickfelds geblieben. Auch der Zulassungsausschuss habe im Übrigen das anzuwendende Europarecht zu berücksichtigen; dies bedeute, dass auch der Zulassungsausschuss von einer Unanwendbarkeit des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V vor dem Hintergrund des europarechtlichen Verbots der Diskriminierung wegen des Alters auszugehen habe.

Mit Beschluss vom 07.11.2007 wies der Berufungsausschuss den Widerspruch gegen den Bescheid vom 12.09.2007 als unbegründet zurück. Der angefochtene Bescheid des Zulassungsausschusses entspreche der Rechtslage, er verstoße weder gegen das Grundgesetz noch gegen Vorschriften des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes noch gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht. Zur Begründung heißt es dort, das Bundesverfassungsgericht habe bereits früher entschieden, dass die Altersgrenze für die Beendigung der Zulassung in § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V verfassungsgemäß sei (31.01.1998 - 1 BvR 2167/93; 04.10.2001 - 1 BvR 1435/01; 07.08.2007 - 1 BvR 1941/07). Danach werde die Altersgrenze den Anforderungen, die Art. 12 Abs. 1 GG an subjektive Zulassungsbeschränkungen stelle, gerecht. Insbesondere diene diese Altersgrenze einem besonders wichtigen Gemeinschaftsgut und sei zur Sicherung dieses Zieles geeignet, erforderlich und auch in ihrer generalisierten Form zumutbar. Mit dem Schutz der Versicherten vor den Gefährdungen durch ältere, nicht mehr voll leistungsfähige Ärzte diene die Altersgrenze einem besonders wichtigen Gemeinwohlbelang und sei durch diesen gerechtfertigt. Es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die in ständiger Rechtsprechung zu den Altersgrenzen vertretene Annahme, nach allgemeiner Lebenserfahrung werde die Gefahr der Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter größer, nicht mehr zutreffen könnte. Aus der mit Wirkung zum 01.01.2007 durch das Vertragsarztänderungsgesetz vom 22.12.2006 eingefügten Ausnahmebestimmung des § 95 Abs. 7 Satz 8 SGB V, wonach im Falle der in einem bestimmten Gebiet eines Zulassungsbezirks festgestellten Unterversorgung die Altersgrenze nicht mehr gelte, könne nicht gefolgert werden, der Gesetzgeber selbst gehe nun nicht mehr von einer reduzierten Leistungsfähigkeit älterer Ärzte aus. Vielmehr solle diese Änderung nur zur Abmilderung regionaler Versorgungsprobleme beitragen. Der Gesetzgeber habe demnach lediglich für Ausnahmefälle der Sicherstellung der medizinischen Versorgung den Vorrang vor dem Schutz der Patienten vor der Gefahr einer geminderten Leistungsfähigkeit älterer Ärzte eingeräumt (BVerfG 07.08.2007 - 1 BvR 1941/07). Da schon das Gemeinwohlziel des Gesundheitsschutzes der Patienten als solches die Altersgrenze für Vertragsärzte rechtfertige, habe sich somit auch durch den Wegfall der Zulassungsbeschränkungen für Vertragszahnärzte zum 01.04.2007 keine Änderung der Rechtslage ergeben (BVerfG a.a.O.). Schließlich stehe § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V als innerstaatliche Norm des einfachen Rechts auch nicht in Widerspruch zu einer vorrangigen Bestimmung des Europäischen Gemeinschaftsrechts. Zunächst bestünden bereits erhebliche Bedenken, ob die Festsetzung eines Endes der vertragszahnärztlichen Tätigkeit gemäß § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V überhaupt in den Anwendungsbereich der genannten Richtlinie falle. Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie sei nämlich der Geltungsbereich der Richtlinie auf Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen beschränkt. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (16.10.2007 - C-411/05) finde diese Richtlinie keine Anwendung auf die Sozialversicherungs- und Sozialschutzsysteme, deren Leistungen nicht als Arbeitsentgelt im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie anzusehen seien. Ähnliche Bedenken hinsichtlich des Begriffs des Arbeitsentgelts bestünden im Falle von Honoraransprüchen der Vertragszahnärzte. Es dürfe nämlich nicht übersehen werden, dass die Zahnärzte mit der Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Versorgung an einem von anderen finanzierten System, letztlich an einem öffentlich-rechtlichen System der Gesundheitsvorsorge partizipierten. Insoweit handle es sich gerade nicht um das klassische Arbeitsentgelt, das dem Arbeitnehmer im Rahmen eines von ihm abgeschlossenen Arbeitsvertrages gegenüber seinem Arbeitgeber zustehe. Aber auch wenn man die genannte Richtlinie auf den Fall des Widerspruchführers anwenden wollte, so stehe doch aufgrund der ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (16.10.2007 - C-411/05) fest, dass § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V nicht gegen Europarecht verstoße. Denn nach dem Inhalt der genannten Richtlinie seien Ungleichbehandlungen wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen seien und im Rahmen nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, insbesondere durch ein solches aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt oder beruflichen Bildung gerechtfertigt werden könnten und wenn die angewandten Mittel in Bezug auf dieses Ziel angemessen und erforderlich seien. Das hier maßgebende legitime Ziel sei der Schutz der Versicherten vor den Gefährdungen durch ältere und nicht mehr voll leistungsfähige Zahnärzte. Bei der Auswahl der dazu eingesetzten Mittel stehe den Mitgliedstaaten ein weiter Ermessensspielraum zu; dies gelte insbesondere für die Entscheidung, die Lebensarbeitszeit von Arbeitnehmern zu verlängern oder deren früheren Eintritt in den Ruhestand vorzusehen. Trotz des Wegfalles der Zulassungsbeschränkungen im zahnärztlichen Bereich lasse sich die Altersgrenze des § 95 Abs. 7 Satz 3 weiterhin als Mittel arbeitsmarktpolitischer Verteilungsgerechtigkeit zwischen jüngeren und älteren Ärzten rechtfertigen. Denn es sei zu berücksichtigen, dass die Zahnärzte durch die Teilnahme an der vertragszahnärztlichen Tätigkeit Honoraransprüche erhielten, die ihre berufliche Existenz weitgehend garantierten. Deshalb sei es sachlich gerechtfertigt, wenn der Gesetzgeber deren Teilnahme am Versorgungssystem ein zeitliches Ende setze und damit die Chancen der jüngeren Zahnärzte, ihrerseits ihr Einkommen in diesem Versorgungssystem zu erzielen, verbessere.

Mit Schriftsatz vom 26.10.2007 hat der Antragsteller und Beschwerdeführer gegen den Beschluss vom 17.10.2007 ebenfalls Widerspruch eingelegt; das Ergebnis dieses Verfahrens liegt hier bislang nicht vor.

Mit Schriftsatz vom 26.10.2007 an das Sozialgericht München hat der Antragsteller und Beschwerdeführer den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

Zur Begründung hat er ausgeführt, in dem Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.08.2007 (1 BvR 1941/07) sei die Rechtmäßigkeit der Altersgrenzenregelung des SGB V gar nicht geprüft worden; das Bundesverfassungsgericht habe sich in diesem Beschluss vielmehr für unzuständig erklärt und darauf hingewiesen, dass die Frage einer Konformität der Regelung im Kassenarztrecht mit den europarechtlichen Vorgaben Sache der Fachgerichte sei. Die Entscheidung des EuGH vom 16.10.2007 präjudiziere zudem den vorliegenden Fall in keiner Weise; der dortige Fall und der Fall des Antragstellers könnten nicht gleichgesetzt werden; der Antragsteller und Beschwerdeführer sei kein Arbeitnehmer, sondern selbständig tätig und nehme sein Recht am eingerichteten und ausgeübten Praxisbetrieb wahr. Im Gegensatz zu dem Antragteller und Beschwerdeführer habe der von der Entscheidung des EuGH vom 16.10.2007 betroffene Arbeitnehmer keine Investitionen getroffen, keinen Betrieb aufgebaut und nicht das damit verbundene Risiko getragen; er habe auch nicht teilgenommen an einem Markt in Gestalt der medizinischen Versorgung der in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten, und er habe einen aus Pflichtbeiträgen gespeisten gesetzlichen Rentenanspruch erworben.

Der Antragsteller und Beschwerdeführer beantragt, im Wege einstweiligen Rechtsschutzes festzustellen, dass seine Widersprüche gegen die zugrunde liegenden Beschlüsse vom 12.09.2007 bzw. 17.10.2007 aufschiebende Wirkung entfalten, sowie hilfsweise, anzuordnen, dass der Antragsteller und Beschwerdeführer zumindest bis zur Entscheidung in der Hauptsache durch die I. Instanz zugelassen bleibe.

Der Beschwerdegegner widersetzt sich dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung.

Mit Beschluss vom 22.11.2007 hat das Sozialgericht München die Anträge des Beschwerdeführers zurückgewiesen. Eine aufschiebende Wirkung der Widersprüche des Beschwerdeführers könne nicht angenommen werden; die gesetzliche Altersgrenze sei nicht zu beanstanden. Im Einzelnen wird auf die Gründe des genannten Beschlusses Bezug genommen.

Zur Ergänzung der Sachdarstellung wird auf die vorliegenden Akten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist im Ergebnis im Wesentlichen begründet.

Soweit der Beschwerdeführer beantragt, die aufschiebende Wirkung seiner Rechtsbehelfe festzustellen, ist sein Antrag zwar unzulässig. Denn es mangelt ihm am Feststellungsinteresse. Dieses wäre nur dann gegeben, wenn eine solche Feststellung bereits ausreichen würde, die Wirkung der umstrittenen Zulassungsbeendigung aufzuschieben. Davon kann hier indes nicht ausgegangen werden.

Dessen ungeachtet ist aber die Beschwerde erfolgreich, soweit er mit seinem hilfsweise gestellten Antrag im Wege einer Entscheidung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG den Weiterbestand seiner Zulassung verfolgt. Denn die Voraussetzungen für eine auf diese Bestimmung gestützte Anordnung sind gegeben. Nach dieser Bestimmung kann das Gericht der Hauptsache eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt werden könnte.

Das Gericht der Hauptsache ist das Sozialgericht (Satz 3 a.a.O.), über dessen Beschluss hier im Beschwerdeverfahren (§§ 172 ff. SGG) zu entscheiden ist.

Was einen i.S.d. § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG erforderlichen Verfügungsanspruch angeht, so ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die Zulassung als Vertragsarzt erlangt und inne hatte. Ihr Erlöschen beruht hier auf der Bestimmung des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V. Deren Wirksamkeit steht hier im Streit. Maßgebende Frage im Rahmen der Prüfung eines etwaigen Verfügungsanspruchs ist somit, inwieweit vom Bestehen übergeordneter Rechtsnormen ausgegangen werden kann, welche die Wirksamkeit dieser Grenze des § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V in Frage stellen.

Als solche Rechtsnormen kommen sowohl die Vorschrift des Art. 12 Abs. 1 GG als auch das europarechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in Betracht.

Gegenüber den Argumenten aus Art. 12 GG beruhte die Rechtsprechung über die Wirksamkeit der in § 95 Abs. 7 Satz 3 SGB V geregelten Altersgrenze von 68 Jahren im Wesentlichen auf dem Gedanken, Ärzte, die ein höheres Alter erreicht hätten, seien nicht mehr ausreichend leistungsfähig und stellten daher eine Gefährdung der Volksgesundheit dar (vgl. BVerfG 31.03.1998, 1 BvR 2167 und 2198/93). Im Rahmen eines Rechtsstreits über den einstweiligen Rechtsschutz muss insoweit nun aber auch mit ins Kalkül gezogen werden, dass der Gesetzgeber diesen Gedanken in mehreren Schritten selbst in nicht unerheblichem Umfang relativiert hat. So hat er in Fällen, in denen der Vertragsarzt noch nicht zwanzig Jahre über diese Zulassung verfügt hat, diesem einen Anspruch auf eine entsprechende Verlängerung zugebilligt (§ 95 Abs. 7 Satz 4 SGB V). Damit sollte berücksichtigt werden, dass der Vertragsarzt zumindest so lange tätig sein können soll, wie er benötigt, um für sich eine angemessene Altersversorgung aufzubauen. Der Gesetzgeber hat damit versucht, dem Widerspruch zwischen einer allgemeinen Gesundheitsgefährdung und den subjektiven (Grund-)Rechten des Arztes (Art. 12, 14 GG) Rechnung zu tragen.

Eine weitere Relativierung der Annahme, Ärzte mit einem höheren Alter als 68 seien eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit, ergibt sich nunmehr aus der Regelung, dass in unterversorgten Gebieten eine Verlängerung der Zulassung möglich ist (§§ 95 Abs. 7 Satz 8, 100 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Dies soll der Sicherstellung der Versorgung im gesetzlichen Gesundheitswesen dienen, ein Gedanke, der in einem gewissen Konflikt damit steht, dass auch die umstrittene Altersgrenze dem gleichen Ziele dienen soll (vgl. Wenner, Vertragsarztrecht nach der Gesundheitsreform, § 16 Rdnrn. 21, 23). Schließlich liegt eine Relativierung des Grundsatzes, dass Ärzte mit einem Lebensalter von mehr als 68 Jahren als nicht mehr ausreichend leistungsfähig betrachtet werden können, auch darin, dass sich diese Beschränkung allein auf Ärzte bezieht, die im Rahmen einer Zulassung als Vertragsarzt tätig werden, nicht jedoch, solange sie lediglich Privatpatienten behandeln. Die Überlegungen, mit denen diese Altersgrenze aus der Notwendigkeit des Schutzes der Bevölkerung vor insuffizienter Behandlung abgeleitet werden soll, sind daher nicht widerspruchsfrei, die Möglichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Fortbestand der Zulassung - ggf. für einen gewissen Zeitraum - ist daher ernsthaft in Betracht zu ziehen.

Als weiterer Gesichtspunkt, der die umstrittene Altersgrenze rechtfertigen soll, ist der Gedanke der "Generationengerechtigkeit" - jüngeren Ärzten soll der Zugang zur Kassenpraxis erleichtert werden - zu berücksichtigen (BSG vom 24.11.1998, SozR 3-2500 § 95 Nr. 18). Denn auch dieser Aspekt wird herangezogen, um die in der Altersgrenze zwangsläufig liegende Beschränkung der Freiheit der Berufsausübung (Art. 12 GG) zu rechtfertigen. Dem steht hier jedoch nun der Umstand entgegen, dass im Bereich der Zahnärzte Zulassungsfreiheit gilt (§ 97 Abs. 8 SGB V; allerdings BVerfG vom 07.08.2007, 1 BvR, NZS 2008, 311).

Auf der Grundlage des Art. 13 EG hat der Europäische Rat die Richtlinie vom 27.11.2000 (2000/78/EG) zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf erlassen. In dieser Richtlinie wird u.a. die Diskriminierung wegen Alters untersagt, sofern nicht bestimmte Ausnahmetatbestände erfüllt sind. Dass auch Vertragsärzte von der Richtlinie erfasst werden, steht soweit ersichtlich außer Zweifel und wird auch vom Beschwerdegegner nicht ernsthaft in Frage gestellt. Ausgehend von der Begrifflichkeit der Richtlinie ist somit die Altersgrenze für den Bestand der Zulassung von Vertragsärzten als unmittelbare Diskriminierung zu werten. Ausnahmen von der Unzulässigkeit einer Diskriminierung wegen des Alters liegen nach der Terminologie der Richtlinie dann vor (Art. 6 Abs. 1 Satz 1), wenn die Berücksichtigung von besonderen Fällen objektiv angemessen und im Rahmen nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist, worunter hier insbesondere Regelungen aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, wenn die Mittel zur Erreichung des Zieles angemessen und erforderlich sind. Auch hier erscheint die Abwendung einer Gefährdung der allgemeinen Gesundheit als legitimes Ziel in diesem Sinne. Doch auch hier ist zu berücksichtigen, dass das Gesetz (SGB V), das die Altersgrenze regelt, durch seine oben genannten Ausnahmen zum Ausdruck bringt, dass diese für dieses Ziel nicht wirklich erforderlich ist. Entsprechendes gilt für das Argument der Generationengerechtigkeit. Denn gerade der vorliegende Fall eignet sich nicht zur Untermauerung des Standpunktes, dass die umstrittene Altersgrenze erforderlich sei, die beruflichen Möglichkeiten jüngerer (Zahn-)Ärzte zu verbessern (vgl. § 97 Abs. 8 SGB V).

Etwas Gegenteiliges folgt nicht aus der Entscheidung des EuGH vom 16.10.2007 ("Palacios" C-411/05). Diese Entscheidung ergibt zwar, dass eine gesetzliche Regelung über die Zulässigkeit von Altersgrenzen in einem Tarifvertrag mit dem Verbot der Altersdiskriminierung der EU-Richtlinie 2000/78/EG vereinbar sein könne. Dies bedeutet aber nicht, dass auch gegen eine gesetzliche Reglung über eine Altersgrenze für Vertragsärzte nichts eingewandt werden könne. Es handelt sich jedoch insoweit gegenüber dem vorliegenden Fall um eine gänzlich andere Ausgangslage. Dabei braucht hier nicht auf die grundsätzliche Verschiedenheit des Arbeitsmarktes der Beschäftigten einerseits und der Arbeitsbedingungen freiberuflich tätiger Vertragsärzte andererseits eingegangen zu werden. Es darf aber nicht übersehen werden, dass tarifliche Regelungen einen gänzlich anderen Entstehungsgrund haben als gesetzliche.Tarifverträge sind Vereinbarungen zweier - oder mehrerer - im Idealfall gleichstarker Organisationen zur Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder; ihre Vereinbarungen beruhen daher zwangsläufig auf einem gegenseitigen Ausgleich von Interessen; Nachteilen, die die eine Seite auf sich nimmt, stehen daher in aller Regel gleichwertige Zugeständnisse der Gegenseite gegenüber; in diesem Sinne wäre es zwangsläufig in aller Regel unangemessen, eine isolierte Regelung aus einem derartigen Verhandlungs"paket" herauszunehmen und für unwirksam zu erklären. Akzeptiert eine Tarifvertragspartei die Einführung einer Altersgrenze, so kann damit unterstellt werden, dass dem als Zugeständnis der Gegenseite ein Äquivalent gegenüber steht. Eine so begründete Altersbegrenzung kann daher schon der Besonderheiten ihrer Entstehung wegen als objektiv angemessen und gerechtfertigt gewertet werden. Auch nach den Maßstäben des europäischen Rechts kann daher nicht davon gesprochen werden, dass der hier umstrittenen Altersgrenze die europarechtliche Gleichbehandlungsrichtlinie nicht entgegenstünde. Auch dies lässt somit ein Obsiegen in der Hauptsache als nicht fernliegend erscheinen.

Was einen Anordnungsgrund angeht, gilt Folgendes: Im Wege einer Güterabwägung ist zu prüfen wie groß der Nachteil für die Interessen des einen im Verhältnis zum Vorteil für die Interessen des anderen wäre, wenn am Ende in der einen oder anderen Richtung entschieden wird. Die Interessen des Antragstellers und Beschwerdeführers sind einfach zu bewerten: es geht bei ihm vor allem um den Fortbestand seiner Praxis. Diese ist gefährdet, wenn sie nun geschlossen oder auf die Behandlung von Privatpatienten beschränkt wird. Verliert er in der Hauptsache, hat er einen gewissen Vorteil erlangt, der sodann ein Ende findet. Obsiegt er am Ende jedoch, und ist die Praxis bereits geschlossen, so ist der dann bereits eingetretene Verlust nicht wieder gut zu machen. Was die vom Beschwerdegegner repräsentierten Interessen angeht, so handelt es sich um die Funktionsfähigkeit des gesetzlichen Gesundheitswesens bzw. um die Interessen der Konkurrenten.

Angesichts der klaren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 07.08.2007 (1 BvR 1941/01) sowie des Bundessozialgerichts vom 06.02.2008 (B 6 KA 41/06 R) sähe der Senat keinen Raum, aufgrund der Widersprüche in der Rechtfertigung der Altersgrenze nach Rechtsfolgenabwägung zu einer für den Antragsteller positiven Entscheidung zu gelangen. Indes sind dem Senat gesetzgeberische Bestrebungen bekannt geworden, die eine Abschaffung der Altersgrenze für Vertragszahnärzte umfassen (E-GKVOrgWG). Das Inkrafttreten des Gesetzes ist zum 01.01.2009 vorgesehen. Im Hinblick darauf hält der Senat es für unverhältnismäßig, wenn der Antragsteller unter Verlust des Patientenstammes seine Kassenpraxis schließen müsste, obgleich er im nächsten Jahr seine Tätigkeit fortsetzen könnte. Daher war im Rahmen der Rechtsfolgeabwägung zu entscheiden, dass die Zulassung bis zur Realisierung/Nichtrealisierung der gesetzgeberischen Absichten weiter tätig sein darf.

Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus der Entscheidung in der Sache. Gegen diesen Beschluss ist ein Rechtsmittel nicht vorgesehen (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved