L 12 RA 115/04

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 16 RA 1431/02
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 12 RA 115/04
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. Oktober 2004 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Der 1940 geborene Kläger war seit 1970 zunächst als Rechtsanwalt tätig. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft wurde am 9. Juli 1982 durch den Berliner Senator für Justiz zurückgenommen. Der Ehrengerichtshof für Rechtsanwälte und der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigten diese Entscheidung. Der BGH stellte in seinem Beschluss vom 15. Juli 1985 darauf ab, dass der Kläger wegen einer krankhaft-querulatorischen psychischen Verfassung unfähig sei, den Beruf des Rechtsanwaltes ordnungsgemäß auszuüben.

Unter Hinweis auf die Entscheidung des BGH beantragte der Kläger am 17. September 1985 die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag zunächst ab, nachdem der Kläger bei den mit der Erstellung medizinischer Gutachten beauftragten Sachverständigen nicht erschienen war (Bescheid v. 11. Juli 1986, Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 1986). Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht ab (Urteil v. 20. September 1988). Vor dem LSG Berlin verglichen sich die Beteiligten am 17. Januar 1991 dahingehend, dass dem Kläger vom 1. September 1988 an Berufsunfähigkeitsrente zu gewähren sei. Vorangegangen war ein von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. G am 26. April 1990 nach Aktenlage erstattetes Gutachten, in dem ausgeführt war, dass dem Kläger die Fähigkeit fehle, sich in ein Angestelltenverhältnis gleich welcher Art zu integrieren. Er sei zu konsequenter beruflicher Tätigkeit nicht in der Lage. Durch Rentenbescheid vom 14. Februar 1991 bewilligte die Beklagte Rente wegen Berufsunfähigkeit ab dem 1. September 1988.

Die Beklagte gewährte dem Kläger vom 20. November 1997 bis zum 11. Dezember 1997 stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Nach dem Rehabilitationsentlassungsbericht vom 5. Januar 1998 bestand für die Tätigkeit als Rechtsanwalt sowie für mittelschwere körperliche Tätigkeiten ein vollschichtiges Leistungsvermögen.

Am 18. Februar 1999 beantragte der Kläger unter Hinweis auf eine Verschlechterung seines Gallen- und Leberleidens die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Er sei arbeitsuchend gemeldet, aber bisher nicht vermittelt worden. Den Rentenantrag lehnte die Beklagte zunächst wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht durch Bescheid vom 4. August 1999 ab, nachdem der Kläger Vordrucke nicht ausgefüllt hatte. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch. Mit Formantrag vom 7. Juli 2000 beantragte der Kläger vorgezogene Altersrente und gab an, eine selbständige Erwerbstätigkeit auszuüben. Es sei – wie schon im Jahre 1998 – das Entstehen eines Verlustes zu erwarten, der dann mit den Einnahmen der Ehefrau steuerlich verrechnet werde. Er legte einen Steuerbescheid vor, der für ihn im Jahre 1998 Verluste in Höhe von 1.957,- DM auswies und erklärte, im laufenden Jahr höhere Verluste zu erwarten. Die Beklagte gewährte ihm durch Bescheid vom 25. September 2000 Altersrente für Schwerbehinderte, Berufsunfähige oder Erwerbsunfähige ab dem 1. Juni 2000 (nach Vollendung des 60. Lebensjahres).

Mit Schreiben vom 1. Juli 2001 übersandte der Kläger dann der Beklagten die ausgefüllten Vordrucke für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit und erklärte, weder abhängig beschäftigt noch selbständig tätig zu sein, Unterlagen dazu würden bereits vorliegen. Er weigerte sich, einen Befundbericht zu veranlassen - sofern die Beklagte nicht die Kosten für die Krankenbehandlung übernehme - oder seine behandelnden Ärzte zu benennen und von der Schweigepflicht zu entbinden. Zur Untersuchung bei den von der Beklagten beauftragten Sachverständigen erschien er nicht. Daraufhin wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 4. August 1999 durch Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2002 zurück. Der angefochtene Bescheid erweise sich als rechtmäßig. Nach den vorliegenden ärztlichen Unterlagen, insbesondere dem Entlassungsbericht der Rehabilitationsklinik, könne der Kläger noch vollschichtig Tätigkeiten verrichten, die seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprächen.

Dagegen richtet sich die am 21. Februar 2002 eingegangene Klage, mit der zunächst geltend gemacht worden ist, dass die Beklagte, soweit sie sich auf den Bericht der Kurklinik vom 5. Januar 1998 berufe, offenbar die Arbeitswilligkeit des Klägers mit seiner Arbeitsfähigkeit verwechsele. Auf Anfrage des Sozialgerichts hat der Kläger weder behandelnde Ärzte benannt, noch deren Entbindung von der Schweigepflicht erklärt. Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 29. Oktober 2004 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente für die Zeit von Februar 1999 bis Mai 2000 habe. Für das Vorliegen von Erwerbsunfähigkeit komme es nicht auf den bisherigen Beruf, sondern auf den allgemeinen Arbeitsmarkt an. Nur wenn ein Versicherter nicht mehr vollschichtig tätig sein könne, sei auf die jeweilige Arbeitsmarktsituation abzustellen. Ohne Rücksicht auf eine Restleistungsfähigkeit werde ein Versicherter als erwerbsunfähig behandelt, wenn ihm weder Rentenversicherungsträger noch Arbeitsverwaltung innerhalb eines Jahres nach Stellung des Rentenantrages einen geeigneten Teilzeitarbeitsplatz nachweisen konnten. Weiter liege Erwerbsunfähigkeit wegen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes vor, wenn trotz grundsätzlich bestehender vollschichtiger Leistungsfähigkeit nicht unter betriebsüblichen Bedingungen gearbeitet werden könne oder die Wegefähigkeit fehle. Das Gericht habe sich aber nicht davon überzeugen können, dass die Voraussetzungen der Erwerbsunfähigkeit bei dem Kläger gegeben seien. Er habe nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen jedenfalls Ende des Jahres 1997 noch vollschichtig leichte körperliche Tätigkeiten verrichten können. Dies ergebe sich aus dem Rehabilitationsentlassungsbericht vom 5. Januar 1998. Weitere medizinische Ermittlungen seien nicht möglich gewesen, da der Kläger die Befragung seiner behandelnden Ärzte oder eine gutachterliche Untersuchung verweigert habe.

Gegen den ihm am 19. November 2004 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 25. November 2004 eingegangene Berufung des Klägers. Der Kläger ist der Auffassung, dass sich der geltend gemachte Anspruch aus dem gerichtlichen Vergleich ergebe, der Grundlage für die Gewährung der Rente wegen Berufsunfähigkeit gewesen sei. Die dem Vergleich zugrunde liegende Erwartung, dass er – der Kläger – noch anderweitig Arbeit finden könne, habe sich als fehlerhaft herausgestellt, vielmehr habe sich der gesamte Arbeitsmarkt als verschlossen erwiesen. Der Verwaltungsakt sei schon deswegen aufzuheben, weil die Beklagte durch unvollständige und daher unwahre Angaben den Widerspruchsausschuss und das Gericht getäuscht habe. Dass er in dem streitigen Zeitraum keiner selbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen sei, ergebe sich daraus, dass er von der Arbeitsverwaltung die Vermittlung in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis verlangt habe.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 29. Oktober 2004 sowie den Bescheid der Beklagten vom 4. August 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Februar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für die Zeit von Februar 1999 bis Juni 2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Nachdem der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2007 seine behandelnden Ärzte K und T von der Schweigepflicht entbunden hat, hat der Senat dort Befundberichte eingeholt. Auf Nachfrage des Senats nach einer selbständigen Erwerbstätigkeit in der Zeit von Februar 1999 bis Juni 2000 hat der Kläger angegeben, dass er keine Lehrtätigkeit ausgeübt habe. Er sei in eigener Sache als Rechtslehrer vor dem SG und LSG Berlin aufgetreten. Er sei für das "Institut für die Erstellung unabhängiger Rechtsgutachten" tätig gewesen, Auskünfte über seine Tätigkeit und das Institut dürfe er nach vertraglicher Vereinbarung nicht erteilen. Die Vorlage von Steuerbescheiden für die Jahre 1999 und 2000 sei nicht möglich, weil diese bereits vernichtet seien. Das Einverständnis mit einer Anfrage des Senats beim Finanzamt werde nicht erteilt, weil er zusammen mit seiner Ehefrau veranlagt worden sei, die eine Entbindung vom Steuergeheimnis ablehne. Das gelte auch für eine Anfrage, die sich auf seine eigenen Einkünfte beschränke. Im Übrigen seien seine Ausgaben stets höher gewesen als die Einnahmen.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte aus dem Verfahren S 3 An 3214/86 – L 10 An 92/88 und die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts erweist sich jedenfalls im Ergebnis als zutreffend. Mit Recht hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit abgelehnt.

Maßgebend für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ist § 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung, die hier nach § 300 Abs. 2 SGB VI wegen des am 18. Februar 1999 gestellten Rentenantrags noch anwendbar ist. Demnach muss Erwerbsunfähigkeit gegeben sein, die vorliegt, wenn der Versicherte wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das monatlich 630 Deutsche Mark übersteigt. Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine selbständige Tätigkeit ausübt oder eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann, dabei sind die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt nicht zu berücksichtigen.

Der Senat kann dahingestellt sein lassen, ob bei dem Kläger die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gegeben sind – wofür allerdings spricht, dass das von Prof. Dr. G erstellte Gutachten ihm wegen seiner psychischen Verfassung ("Charakterneurose mit einer Tendenz zu gestörter Erlebnisverarbeitung") die Integrationsfähigkeit gänzlich abgesprochen hat, was nur noch die Möglichkeit einer Tätigkeit zu unüblichen Arbeitsbedingungen bestehen lassen würde. Die Annahme von Erwerbsunfähigkeit scheitert jedenfalls daran, dass der Senat von einer selbständigen Erwerbstätigkeit des Klägers in dem streitigen Zeitraum ausgehen muss, was nach dem Gesetz zwingend zur Verneinung einer Erwerbsunfähigkeit führt (§ 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB VI a.F.).

Für den Ausschluss des Vorliegens von Erwerbsunfähigkeit wegen selbständiger Erwerbstätigkeit kommt es nach der Rechtsprechung des BSG weder auf den zeitlichen Umfang der Tätigkeit noch auf die Höhe der erzielten Einnahmen an (Urt. v. 12. Februar 1981 – 4 RJ 137/79 - ; Urt. v. 16. November 1993 – 4 RA 37/93 - ). Der Gesetzestext setzt nur die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit ohne irgendwelche Einschränkungen voraus. Unerheblich ist mithin der tatsächliche Arbeitsaufwand, es reicht sogar aus, wenn das Geschäft durch andere betrieben wird (BSG, Urt. v. 10. August 1982 – 4 RJ 19/81-). Auch der aus der Tätigkeit gezogene Gewinn ist kein geeigneter Maßstab, weil das Betriebsergebnis zum wesentlichen Teil von dem Unternehmerrisiko bestimmt wird. Das gilt auch dann, wenn die Tätigkeit praktisch keine Erträge abwirft. Wenn keine nennenswerten Einkünfte erzielt werden, die für die Sicherung des Lebensunterhaltes nicht ausreichen, ist es einem Versicherten ohne weiteres zuzumuten, seine bisherige selbständige Tätigkeit aufzugeben. In diesen Fällen mag nur noch der Rechtsschein einer selbständigen Erwerbstätigkeit bestehen. Der Versicherte ist gleichwohl aufgefordert, diesen Rechtsschein erst zu beseitigen, ehe ihm ein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zuerkannt werden kann (BSG, Urt. v. 12. Februar 1981 – 4 RJ 137/79 ).

Vorliegend hat der Kläger bei Beantragung der vorgezogenen Altersrente im Juli 2000 selbst angegeben, in den Jahren 1999 und 2000 noch selbständig erwerbstätig gewesen zu sein. Neben seinen Aktivitäten als Fachschriftsteller und Prozessvertreter hat er zumindest den Anschein einer selbständigen Erwerbstätigkeit dadurch aufrecht erhalten, dass er in dem streitigen Zeitraum als Direktor des Instituts für die Erstellung unabhängiger Rechtsgutachten aufgetreten ist, das im Übrigen – nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung – bis heute "pro forma" fortbestehen soll. Durch seine Weigerung, eine auf ihn beschränkte Anfrage an das Finanzamt zu gestatten und Näheres über die Organisation und den Umfang der Tätigkeit des Instituts für die Erstellung unabhängiger Rechtsgutachten mitzuteilen, hat er dem Senat weitere Ermittlungen über Tatsachen unmöglich gemacht, die den "Rechtsschein" beseitigen könnten (etwa wenn das Institut auch nicht mehr werbend aufgetreten wäre und dafür auch weder Gewinne noch Verluste gegenüber dem Finanzamt geltend gemacht wurden, so dass eine vollständige Einstellung des Geschäftsbetriebes festgestellt werden könnte). Danach muss sich der Kläger an dem von ihm selbst gesetzten Rechtsschein festhalten lassen, der für die Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit spricht. Dieser Rechtsschein wird jedenfalls nicht dadurch widerlegt, dass er sich auch um die Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung bemüht hat. Aus der Bereitschaft, sich beruflich zu verändern, folgt noch nicht, dass eine bisherige Berufstätigkeit schon aufgegeben ist.

Auch aus dem gerichtlichen Vergleich vom 17. Januar 1991 in dem Verfahren vor dem LSG Berlin L 10 An 92/88, der Grundlage für die an den Kläger gewährte Berufsunfähigkeitsrente war, ergibt sich kein Anspruch auf die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente. Der Vergleich enthält insoweit lediglich die Festlegung, dass die Beteiligten darüber einig seien, dass nach dem derzeitigen Gesundheitszustand Erwerbsunfähigkeit beim Kläger nicht bestehe. Daraus ergibt sich nicht ein Bestandteil des Vergleichs gewordene Zusicherung der Beklagten, Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren, wenn der Kläger trotz Bemühungen tatsächlich keine Arbeit finden sollte.

Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes und berücksichtigt das Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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