L 3 R 185/06

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 39 R 2463/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 3 R 185/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 18. September 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghettoarbeitszeiten von Juli 1941 bis März 1944 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten streitig.

Die am XX.XXXXXXX 1927 in V./Ukraine geborene Klägerin ist jüdischer Abstammung. Sie lebt in den Vereinigten Staaten von Amerika und besitzt die amerikanische Staatsangehörigkeit. In ihrem am 19. September 2000 gestellten Antrag nach dem Härtefonds der Claims Conference hatte sie wörtlich angegeben: "Als die Deutschen nach Penkovka kamen, wurden wir (meine Mutter und ich) in der Kommune versteckt. Wir wurden in Kellern und unter dem Dach versteckt und ein kleines Kind brachte uns Brot, Wasser und manchmal eine Kartoffel. So blieben wir während der ganzen Besetzung von Juli 1941 bis März 1944. Dann wurden wir von der russischen Armee befreit." In ihrem weiteren Antrag vom 25. Juni 2001 gab die Klägerin an, dass sie während der Besatzung gezwungen worden sei, viel zu arbeiten. Sie habe Straßen gekehrt, Schnee gefegt, Toiletten gesäubert, Tabakblätter, Gemüse, Früchte und anderes gesammelt. Dieser Antrag wurde von der Claims Conference mit Bescheid vom 30. Dezember 2003 mit der Begründung abgelehnt, dass das geschilderte Verfolgungsschicksal in wesentlichen Punkten von den Angaben im Antrag nach dem Härtefond abweichen würde und mangels Nachweise nicht als bewiesen angesehen werden könne.

Am 17. Juni 2003 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Altersrente. Dabei gab sie an, sich von Juli 1941 bis März 1944 in den Ghettos Penkivka und Shargorod/Ukraine aufgehalten und durch die Vermittlung des Judenrates landwirtschaftliche Arbeiten sowie Straßenreinigungsarbeiten verrichtet zu haben. Die Tätigkeiten sei mit Gutscheinen des Judenrates entlohnt worden. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 24. Juli 2003 mit der Begründung ab, dass die angegebenen Beschäftigungsorte nicht als Ghettos ausgewiesen seien. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 23. August 2005 zurückgewiesen. Der Ort Penkovka habe sich in Transnistrien und damit nicht in einem vom Deutschen Reich besetzten oder eingegliederten Gebiet befunden, so dass das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungszeiten in einem Ghetto (ZRBG) keine Anwendung finde.

Mit ihrer gegen diese Entscheidung erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt und sich zur Begründung auf die eingereichte eidesstattliche Zeugenaussage der Zeugin S. B. Z. vom 11. August 2003 berufen, in welcher angegeben wird, die Klägerin habe in der Kolchose während der Zeit von September 1941 bis Februar 1944 verschiedene Tätigkeiten wie Kehren der Straße und Schneeräumen verrichten müssen und dafür Nahrungsmittel (man gab uns etwas zu essen) erhalten. Auf Nachfrage des Sozialgerichts bezüglich der widersprüchlichen Angaben gegenüber der Claims Conference hat die Klägerin erklärt, ihre Angaben wiesen keine Widersprüche auf. Sie habe die gesamte Zeit in dem Ghetto Penkovka gelebt und sei gezwungen worden, auf den Kollektivhöfen zu arbeiten. Während der Pogrome habe sie sich in Kellern versteckt. Das Sozialgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 18. September 2006 mit im Wesentlichen der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin eine aus eigenem Willensentschluss aufgenommene Arbeit gegen Entgelt in einem Ghetto nicht glaubhaft gemacht habe.

Gegen den ihr am 6. Oktober 2006 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 23. Oktober 2006 Berufung eingelegt. Sie könne nicht verstehen, warum man ihr keine Rente gewähre. Sie habe in der Ukraine in dem Dorf Penkowka von 1938 bis 1949 gelebt. Während des Krieges sei sie auch von 1941 bis 1944 dort gewesen. In einer Straße hätten sich vier kleine Häuschen unter einem Strohdach befunden. Dort hätten jüdische Familien gelebt. An den Türen der Häuser seien zur Kennzeichnung große sechseckige Sterne angebracht worden. Von den Nazis seien sie verspottet, geschlagen und ausgeraubt worden, so dass sie gezwungen gewesen seien, auf dem Boden zu schlafen. In dem Dorf habe es keine Behörden, sondern nur eine Kolchose gegeben. Gegen 5.00 Uhr morgens seien sie versammelt und zur Arbeit auf der Kolchose gejagt worden. Sie seien mit Peitschen gejagt worden, hätten nicht stehen bleiben oder langsamer laufen dürfen. Dann sei man halb zu Tode geschlagen worden, wie es auch ihr selbst einmal geschehen sei. Sie sei für ihr ganzes Leben dadurch zum Invaliden geworden. In der Kolchose hätten sie für ihre Arbeit ein Stück Brot, Wasser und manchmal eine Kartoffel erhalten. Als die Blutbäder begonnen hätten, hätten sie sich in Kellern und auf Dachböden versteckt. Ihnen habe eine ukrainische Frau geholfen. Einmal seien sie auch hinaus gejagt worden, um den Schnee von der Eisenbahnstrecke zu räumen. Anschließend seien fast alle erschossen worden. Wie durch ein Wunder sei sie am Leben geblieben und habe fliehen können. Sie könne nicht verstehen, dass ihre Freundin, die das gleiche Schicksal wie sie selbst erlitten habe, als Opfer des Holocausts anerkannt worden sei, sie jedoch nicht.

Die Klägerin beantragt nach dem gesamten Inhalt ihres Vorbringens, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 18. September 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr unter Anerkennung einer Ghettobeitragszeit von Juli 1941 bis März 1944 ab dem 1. Juli 1997 Regelaltersrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, das Sozialgericht habe die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Mit der Berufung sei der Aufenthalt in einem Ghetto oder der Bezug von Entgelt nicht vorgetragen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Prozessakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte trotz des Ausbleibens der Klägerin im Termin am 12. Februar 2008 aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden, weil sie in der ordnungsgemäß zugestellten Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 153 Abs. 1 iVm § 110 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung (§§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG) der Klägerin ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung, der sich der erkennende Senat in vollem Umfang anschließt und auf die er zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug nimmt (§ 153 Abs. 2 SGG), hat das Sozialgericht die Klage auf Gewährung von Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghettoarbeitszeiten von Juli 1941 bis März 1944 als glaubhaft gemachte Beitragszeiten abgewiesen. Die unterschiedlichen Darstellungen ihres Verfolgungsschicksals gegenüber der Claims Conference lassen ebenso wie die eidesstattliche Zeugenaussage der Zeugin S. B. Z. das Vorbringen der Klägerin im Rentenverfahren, sie habe durch Vermittlung des Judenrates landwirtschaftliche Arbeiten und Straßenreinigungsarbeiten verrichtet und sei dafür mit Gutscheinen entlohnt worden, nicht als glaubhaft erscheinen.

Das Vorbringen der Klägerin während des Berufungsverfahrens gebietet keine andere rechtliche Beurteilung. Die Darstellung ihres Verfolgungsschicksals in der Berufungsschrift macht vielmehr deutlich, dass sie in dem Zeitraum von 1941 bis 1944 in Penkowka sowohl auf der Kolchose als auch bei der Schneeräumung auf der Eisenbahnstrecke Zwangsarbeit leisten musste. Von einer – durch Vermittlung des Judenrates – aus eigenem Willensentschluss zu Stande gekommenen Beschäftigung kann danach ebenso wenig die Rede sein wie von einer Beschäftigung gegen Entgelt. Daran vermag auch die beschriebene, gerade das Leben erhaltende Verpflegung nichts zu ändern. Dahinstehen kann unter diesen Umständen, ob es sich überhaupt um ein Ghetto gehandelt hat und ob dieses gegebenenfalls – wegen der rumänischen Herrschaftsgewalt in Transnistrien – unter den Anwendungsbereich des ZRBG fällt.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Regelung des § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache. Der Senat hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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