S 10 EG 476/02

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG Augsburg (FSB)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
10
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 10 EG 476/02
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 9 EG 232/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Leistungen nach dem Bayer. Landeserziehungsgeldgesetz (BayLErzGG) für ihr am 1992 geborenes Kind S.

Mit Bescheid vom 01.12.1993 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.05.1994 ist bereits Landeserziehungsgeld rechtsverbindlich abgelehnt worden. - Die Klage S 10 Eg 18/94 ist mit Schriftsatz der ehemaligen Bevollmächtigten der Klägerin vom 13.02.1995 zurückgenommen worden.

Die Klägerin hat erneut mit Antrag vom 31.01.2002 Landeserziehungsgeld beantragt.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg vom 06.05.2002 ist ausgeführt worden, dass nach Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BayLErzGG 1995 nur Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union (EU) oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Landeserziehungsgeld erhalten könnten. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (Urteil vom 04.05.1999 - C-262/96) könnten auch bestimmte andere Staatsangehörige Landeserziehungsgeld erhalten, wenn es sich um Ansprüche handele, die Leistungszeiträume ab dem 04.05.1999 beträfen. Ansprüche auf Leistungen für Zeiträume vor Erlass dieses Urteils könnten daher nicht geltend gemacht werden. - Der Antrag beträfe einen Zeitraum, der vor dieser Zeitgrenze liege. Das Kind S. sei am 31.05.1992 geboren; der Leistungszeitraum würde spätestens am 30.05.1994 enden. Damit sei die Zahlung von Landeserziehungsgeld nicht möglich. - Dementsprechend sei eine Zugunstenentscheidung im Sinne von § 44 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren (SGB X) ausgeschlossen.

Der Widerspruch vom 06.06.2002 gegen den Bescheid des Amtes für Versorgung und Familienförderung Augsburg vom 06.05.2002 ist mit Widerspruchsbescheid des Bayerischen Landesamtes für Versorgung und Familienförderung vom 18.11.2002 zurückgewiesen worden.

Die hiergegen gerichtete Klageschrift vom 17.12.2002 ging am selben Tag im Sozialgericht Augsburg ein. - Zur Begründung hoben die Bevollmächtigten der Klägerin hervor, dass für diese bereits am 20.09.1993 eine Einbürgerungszusicherung bestanden und sie die deutsche Staatsangehörigkeit am 19.12.1994 erhalten habe. Nachdem die Klägerin seit 1976 ihre Arbeitsleistung in der Bundesrepublik Deutschland erbracht und die entsprechenden Sozialleistungen und Steuern gezahlt habe, halte sie die vorliegende Ablehnung ihres Antrages für unbillig.

Vonseiten des Gerichts wurden die Erziehungsgeld-Akten des Beklagten und die Streitakten S 10 Eg 18/94 beigezogen.

Im Folgenden regte das Sozialgericht Augsburg mit Nachricht vom 07.02.2003 an, die Klage innerhalb von zwei Monaten nach Zugang dieser Nachricht zurückzunehmen. Andernfalls müsste ein klageabweisender Gerichtsbescheid im Sinne von § 105 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergehen, d.h. eine Entscheidung im vereinfachten schriftlichen Verfahren.

Die Bevollmächtigten der Klägerin hielten mit Schriftsatz vom 24.03.2003 an dem Klagebegehren fest und erklärten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im Wege eines Gerichtsbescheides.

Das Sozialgericht Augsburg machte die Bevollmächtigten der Klägerin mit Nachricht vom 08.11.2004 ergänzend auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18.02.2004 - B 10 EG 10/03 R aufmerksam und fragte erneut an, ob die Klage zur Vermeidung eines klageabweisenden Gerichtsbescheides im Sinne von § 105 SGG zurückgenommen werde.

Die Bevollmächtigten der Klägerin hielten mit Schreiben vom 05.01.2005 unverändert an der Klage fest.

Das Klagebegehren ergibt sich aus der Klageschrift vom 17.12.2002. Streitig ist die Gewährung von Erziehungsgeld nach dem BayLErzGG für das Kind der Klägerin S., geboren am 31.05.1992.

Der Beklagte hat bereits mit Nachricht vom 30.01.2003 beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten und den der beigezogenen Erziehungsgeld-Akten des Beklagten Bezug genommen, ebenso auf die Streitakten S 10 Eg 18/94.

Entscheidungsgründe:

Die zum örtlich und sachlich zuständigen Sozialgericht Augsburg form- und fristgerecht erhobene Klage ist gemäß §§ 51 ff des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässig. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist gemäß Art. 6 Abs. 1 Nr. 6 des Bayerischen Landeserziehungsgeldgesetzes (BayLErzGG) in Verbindung mit § 13 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG) eröffnet.

Die Klage erweist sich jedoch als unbegründet. Der Klägerin steht kein Landeserziehungsgeld für ihr Kind S., geboren am 31.05.1992, zu.

Vorab wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 136 Abs. 3 SGG auf die Gründe des Widerspruchsbescheides vom 18.11.2002 Bezug genommen.

Ergänzend ist darauf aufmerksam zu machen, dass das Landeserziehungsgeld gemäß Art. 3 Abs. 2 BayLErzGG auf schriftlichen Antrag gewährt wird, rückwirkend höchstens für sechs Monate vor Antragstellung. Der am 31.01.2002 eingegangene Antrag auf Landeserziehungsgeld reicht somit auch nicht weit genug zurück.

Weiterhin hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit dem "Sürül"-Urteil vom 04.05.1999 - C-262/96 entschieden:

1. Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 des Assoziationsrates vom 19.09.1980 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften auf die türkischen Arbeitnehmer und auf deren Familienangehörige verbietet es einem Mitgliedstaat, den Anspruch eines türkischen Staatsangehörigen, für den dieser Beschluss gilt und dem er den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet ge- stattet hat, der jedoch dort nur eine zu einem bestimmten Zweck erteilte, befristete Aufenthaltsbewilligung besitzt, auf Kindergeld für sein Kind, das in diesem Mitgliedstaat mit ihm zusammenwohnt, vom Besitz einer Aufenthaltsberechti- gung oder Aufenthaltserlaubnis abhängig zu machen, während Inländer insoweit nur ihren Wohnsitz in diesem Mitgliedstaat haben müssen.

2. Die unmittelbare Wirkung des Art. 3 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 3/80 kann nicht zur Begründung von Ansprüchen auf Lei- stungen für Zeiten vor Erlass des vorliegenden Urteils gel- tend gemacht werden, soweit die Betroffenen nicht vor diesem Zeitpunkt gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwerti- gen Rechtsbehelf eingelegt haben.

Hierbei hat sich der EuGH von dem Gedanken leiten lassen, dass es zwingende Erwägungen der Rechtssicherheit ausschließen, Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des vorliegenden Urteils abschließend geregelt waren, in einer Situation wieder in Frage zu stellen, in der dies die Finanzierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten rückwirkend erschüttern würde. Allerdings ist eine Ausnahme von dieser Beschränkung der Wirkung des vorliegenden Urteils zugunsten derjenigen vorzusehen, die vor seinem Erlass gerichtlich Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt haben, da sonst der gerichtliche Schutz der Rechte, die die Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht herleiten, in nicht gerechtfertigter Weise eingeschränkt würde. - Ein solcher Fall ist hier jedoch nicht gegeben. - Der EuGH hat vielmehr Verfahren im Auge gehabt, die wie das mit Urteil des BSG vom 29.01.2002 - B 10 EG 2/01 R entschiedene über Jahre hinweg anhängig gewesen sind.

Ergänzend hierzu hat das BSG mit Urteil vom 18.02.2004 - B 10 EG 10/03 R (Presse-Mitteilung des BSG Nr. 4/04 vom 19.02.2004) in dem ähnlich gelagerten Fall die Revision der dortigen Klägerin zurückgewiesen: Nach dem Urteil des EuGH vom 04.05.1999 könne sich die Klägerin auf die unmittelbare Anwendung des Diskriminierungsverbots in Art. 3 Abs. 1 des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 3/80 nicht berufen, weil sie Landeserziehungsgeld für Zeiten vor dem Erlass dieser Entscheidung begehre, aber erst lange danach einen Leistungsantrag gestellt habe. Nach den Umständen des vorliegenden Falles sei sie auch nicht so zu behandeln, als hätte sie dies rechtzeitig getan. Ohne eine - ihr verwehrte - Berufung auf das Diskriminierungsverbot könne sie insbesondere nicht geltend machen, sie sei damals von dem Beklagten falsch beraten worden.

Zum Dritten hat das BSG mit Urteil vom 27.05.2004 - B 10 EG 11/03 R ausgeführt, dass auch die Grundsätze des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches oder die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 des Sozialgesetzbuches - Verwaltungsverfahren (SGB X) keine Nachbewilligung von Landeserziehungsgeld in Fällen wie dem vorliegenden ermöglichen würden. - Im Übrigen stellt ein Zugunsten-Verfahren im Sinne von § 44 SGB X keinen "gleichwertigen Rechtsbehelf" im Sinne des vorstehend auszugsweise zitierten Urteils des EuGH vom 04.05.1999 - C-262/96 dar. - Weiterhin reicht die in § 44 Abs. 4 SGB X normierte Rückwirkungsfrist von vier Jahren hier nur bis zum 01.01.1998 zurück.

Die mit Schriftsatz der Bevollmächtigten der Klägerin vom 17.12.2002 vorgetragenen Gründe überzeugen im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangenen höchstrichterlichen Entscheidungen des Bundessozialgerichts nicht mehr. - Insoweit ist nicht auf die Einbürgerungszusicherung vom 20.09.1993 abzustellen, sondern auf den Erhalt der deutschen Staatsangehörigkeit am 19.12.1994. Der mögliche Leistungszeitraum hat jedoch bereits am 30.05.1994 geendet.

Aus allen vorstehend genannten Gründen ist die Klage daher abzuweisen gewesen. Das Gericht ist gemäß § 105 Abs. 1 SGG auch befugt gewesen, ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid zu entscheiden. Die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Der Sachverhalt ist geklärt. Die Beteiligten sind vorab mit Nachrichten des Gerichts vom 07.02.2003 und 08.11.2004 gehört worden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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