L 3 U 308/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 25 U 271/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 308/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozi-algerichts Berlin vom 15. November 2007 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Berlin zurückverwiesen. Die Entscheidung über die Kosten des Klage- und Berufungsverfah-rens bleibt der endgültigen Entscheidung in der Hauptsache vorbe-halten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Gewährung einer Verletztenrente.

Der 1945 geborene Kläger ist seit August 1992 bei der B AG in B als Gabelstapler-fahrer beschäftigt. Während dieser Tätigkeit erlitt er insgesamt fünf aktenkundige Ar-beitsunfälle.

Der erste Arbeitsunfall ereignete sich am 03. November 1993, als er beim Herunter-steigen von dem Gabelstapler wegrutschte und sich den rechten vorderen Fuß stieß. Dabei zog er sich eine knöcherne Aussprengung der Basis des Endglieds der ersten Zehe rechts sowie eine Fraktur des Grundglieds der vierten Zehe rechts zu (Durch-gangsarztbericht von Dr. L vom 03. November 1993). Arbeitsfähigkeit bestand ab dem 20. Dezember 1993. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wurde mit 0 v. H. ein-geschätzt (Mitteilung des D-Arztes L vom 30. Dezember 1993).

Am 26. September 1994 stieß sich der Kläger beim Raufklettern am Gabelstapler den Kopf. Er zog sich dabei eine Schädelprellung, eine 5 mm große Platzwunde occipital sowie eine leichte HWS-Stauchung zu, weswegen Arbeitsunfähigkeit bis einschließ-lich 13. November 1994 bestand. Auch hier wurde die MdE mit 0 v. H. eingeschätzt (Mitteilung des D-Arztes Dr. L vom 06. Dezember 1994).

Am 17. Oktober 2000 trat der Kläger beim Absteigen von einem Gabelstapler mit dem linken Fuß in eine Einstiegsstufe und kippte dabei nach hinten. Mit Bescheid vom 08. Mai 2002 (Widerspruchsbescheid vom 04. September 2002) lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente wegen dieses Arbeitsunfalls ab, da die Erwerbsfähigkeit nicht in rentenberechtigendem Grade über das Ende des Anspruchs auf Verletzten-geld hinaus gemindert sei. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe vom 18. Oktober 2000 bis zum 13. Juli 2001 bestanden. Die MdE werde mit 10 v. H. eingeschätzt. Als Unfallfolgen erkannte die Beklagte neuralgieforme Schmerzen bei Neurombildung im Versorgungsgebiet des Nervus peroneus superficialis linker Fuß nach traumatischer Schädigung an. Die Arthritis des linken Großzehengrundgelenks sowie des linken Mit-telfußes bzw. der Fußwurzel, ein Verschleißleiden der Wirbelsäule und der Gelenke mit Halswirbelsäulen-, Lendenwirbelsäulen- und Schulterarmsyndrom links, eine be-handlungsbedürftige Depression, eine Angina pectoris, Herzrhythmusstörungen, der Bluthochdruck sowie eine bronchiale Hyperreagibilität seien unfallfremde Leiden. Die Entscheidung beruhte auf dem Gutachten der Chirurgen Prof. Dr. E/Dr. H vom 26. Oktober 2001 und der ergänzenden Stellungnahme vom 15. März 2002, dem radiolo-gischen Zusatzgutachten von Dr. M vom 03. Dezember 2001 und dem neurologischen Zusatzgutachten von Prof. Dr. H/Dr. D vom 25. Februar 2002. Die Chirurgen stellten fest, bei dem Ereignis am 17. Oktober 2000 sei es durch eine Überstreckung des lin-ken Fußes zu einer Zerrung des linken Sprunggelenks sowie des linken Vor- und Mit-telfußes gekommen. Knöcherne Unfallfolgen hätten ausgeschlossen werden können. Die im Rahmen des Unfalls erlittene Distorsion des Sprunggelenks und des Fußes heile in der Regel nach sechs Wochen folgenlos aus. Gleiches gelte für eine Läsion des fibulotalaren Bandapparats. In Einzelfällen – wie hier - sei eine ärztliche Behand-lungsbedürftigkeit und Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit auch bis zu 12 Wochen nach dem Ereignis notwendig. Die über den Zeitraum von 12 Wochen hinausgehende Beschwerdesymptomatik sei jedoch als Ausdruck einer unfallunabhängig bestehen-den Arthritis des Großzehengrundgelenks sowie der Fußwurzel anzusehen, wobei neben einer anlagebedingten Komponente auch eine ebenfalls unfallunabhängig be-stehende erhebliche Fußfehlform beider Füße anzunehmen sei. Die Beschwerden im Bereich der Hände sowie der Handgelenke seien nicht auf das Unfallereignis vom 17. Oktober 2000 zurückzuführen. Im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung am 16. Oktober 2001 hätten Folgen des versicherten Ereignisses vom 17. Oktober 2000 nicht mehr festgestellt werden können. Die bereits genannten Verletzungen seien als fol-genlos ausgeheilt anzusehen. Es bestünden weder eine MdE noch sonstige Ein-schränkungen der wettbewerbsfähigen Einsetzbarkeit des Klägers in seinem ange-stammten Beruf als Gabelstaplerfahrer. Nach dem radiologischen Gutachten vom 03. Dezember 2001 fanden sich keine sicheren, auf den Unfall vom 17. Oktober 2000 zu-rückzuführenden Residuen. Es lägen altersentsprechende geringgradige degenerative Veränderungen vor ohne morphologisch fassbaren entzündlichen Prozess. Bei der neurologischen Begutachtung konnten die Gutachter zwar keinen Hinweis für ein traumatisches Karpaltunnelsyndrom finden, jedoch seien die neuralgieformen Schmerzen im Innervationsgebiet des Nervus peronaeus superficialis links nach trau-matischer Läsion im Rahmen der Fußdistorsion Folge des Unfalls vom 17. Oktober 2000. Die MdE sei mit 10 v. H. zu veranschlagen. Es handele sich nicht um einen Dauerzustand. Gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten erhob der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Berlin, die unter dem Aktenzeichen S 25 U 642/02 geführt wurde. Das Sozialgericht veranlasste eine Begutachtung durch den Orthopäden Dr. E vom 05. Juli 2003, der feststellte, durch den Unfall vom 17. Oktober 2000 sei es nachweislich zu einer Verletzung des Ligamentum fibulotalare anterius gekommen. Diese Verletzung sei jedoch folgenlos ausgeheilt, wie die MRT-Untersuchung nachweise. Bei der mehr-fachen klinischen Untersuchung habe außerdem keine Bandinstabilität nachgewiesen werden können. Die Beschwerden durch eine Neurombildung nach einer Läsion des Ramus superficialis des Nervus peronaeus sei bei Mitverletzung des Vor- und Mittel-fußes durchaus möglich, wobei die zeitliche Verzögerung durch die Ausbildung eines Neuroms bedingt sei. Die bei der jetzigen Untersuchung angegebene Beschwerde-symptomatik und die festgestellte Funktionseinschränkung hätten sich auch durch Zusatzuntersuchungen nicht objektivieren lassen. Der Verdacht auf eine entzündliche Komponente im Sinne einer aktivierten posttraumatischen Arthrose habe mit dem Szintigramm beider Füße eindeutig nicht bestätigt werden können. Röntgenologisch seien auch kein verminderter Kalksalzgehalt oder Veränderungen entsprechend einer Algodystrophie – Morbus Sudeck – festzustellen gewesen. Im Gegensatz zu dem vor-liegenden Gutachten aus Oktober 2001 sei als Zeichen einer länger anhaltenden Min-derbelastung des linken Beins eine Minderung des Muskelmantels des Oberschenkels im Vergleich zur rechten Seite festgestellt worden. Eine unfallbedingte MdE könne aufgrund der folgenlos verheilten Verletzung des Ligamentum fibulotalare anterius nicht angenommen werden, die Gefühlsstörungen bei Neurinom des Ramus superfici-ales des Nervus peronaeus sei aber mit einer MdE von 10 v. H. einzuschätzen. Der Kläger nahm daraufhin die Klage mit Schriftsatz vom 31. Juli 2003 zurück.

Am 17. Dezember 2002 erlitt der Kläger einen weiteren Unfall, als er auf dem Weg zum Umkleideraum auf einem glatten Gehweg ausrutschte und auf die rechte Hand und auf das rechte Knie fiel. Röntgenologisch wurde zunächst eine Fraktur im Bereich der rechten Hand ausgeschlossen. Der Durchgangsarzt Dr. T stellte eine Handge-lenksdistorsion rechts sowie eine Schienbeinkopfprellung rechts fest (Durchgangs-arztbericht vom 19. Dezember 2002). Demgegenüber diagnostizierte der Facharzt für Orthopädie Dr. M in seinem H-Arzt-Bericht vom 20. Januar 2003 eine Fraktur des Os naviculare (Kahnbein) des rechten Handgelenks. Eine MRT-Untersuchung der rechten Hand am 24. Januar 2003 ergab ein etwa 7 mm großes Ganglion bzw. eine Zyste im Os capitatum im mittleren und distalen Drittel in der rechten Hand, einen kleinen Fa-serriss des Discus triangularis und einen Erguss im rechten Handgelenk. Eine Navicu-larfraktur sei nicht nachgewiesen. Es bestehe auch kein Hinweis auf eine Weichteil-verletzung oder eine Bandruptur. Gleichzeitig bestätigte Dr. M in einem weiteren Zwi-schenbericht vom 17. März 2003 eine durch MRT nachgewiesene Infraktion des Os scaphoideum (unvollständige Fraktur des Kahnbeins). In dem Bericht von Dr. E/H von der Unfallbehandlungsstelle der Berufsgenossenschaften B e. V. (UBS B) vom 25. März 2003 wurde auf die Diskrepanz der Befunde hingewiesen. Auf den letzten Rönt-genbildern vom 06. März 2003 sei jedenfalls kein Hinweis auf eine fehlende knöcher-ne Heilung einer Kahnbeinfraktur zu entdecken. Nach siebenwöchiger Gipsruhigstel-lung, die leider unnötigerweise die Grundgelenke der Langfinger sowie das Endgelenk des Daumens mit eingeschlossen habe, sei jetzt eine intensivere Übungsbehandlung aufgrund der schlechten Bewegungsausmaße notwendig. Der Kläger stellte sich am 21. Juli 2003 in der handchirurgisch-durchgangsärztlichen Sprechstunde der UBS B vor. Dort wurde ein Funktionsdefizit im Bereich des rechten Handgelenks nach konservativer Behandlung einer Handgelenksdistorsion mit TFCC-Läsion diagnostiziert. Bei der klinischen Untersuchung der rechten Hand seien Durch-blutung, Sensibilität und Motorik intakt gewesen. Die Beugung des Daumens sei bei einer noch geringgradig vorhandenen Schwellung geringgradig eingeschränkt, die Streckung aller Langfinger sei vollständig. Bei der Langfingerbeugung zeige sich ein noch inkompletter Faustschluss im Bereich des Zeige- und Mittelfingers mit einem Fingerkuppenhohlhandabstand von jeweils einem Zentimeter. Die grobe Kraft der rechten Hand erscheine im Seitenvergleich noch geringgradig vermindert. Die Hand-gelenksbeweglichkeit sei bei Dorsalextension und Palmarflexion endgradig schmerz-haft. Es bestehe ein diskreter Druckschmerz über dem TFCC, jedoch keine Schmerz-progression bei Unterarmdrehbewegung gegen Widerstand. Die Krankengymnastik und die Ergotherapie seien weiterzuführen. Mit Schreiben vom 21. Oktober 2003 teilte der den Kläger seit dem 02. Mai 2003 behandelnde Chirurg Dr. G mit, der Kläger sei ab dem 21. August 2003 arbeitsfähig, er sei am 05. September 2003 aus der ambu-lanten Behandlung entlassen worden. Die MdE betrage nach vorläufiger Schätzung über die 26. Woche nach dem Unfall hinaus 10 v. H.

Der Kläger, der weiter über Beschwerden klagte, stellte sich am 20. April 2004 erneut in der handchirurgisch-durchgangsärztlichen Sprechstunde der UBS B vor. Diese wer-tete eine MRT-Untersuchung des rechten Handgelenks am 25. Februar 2004 aus, die eine alte TFCC-Läsion und ein Karpaltunnelsyndrom ergeben habe. Ein posttraumati-sches Karpaltunnelsyndrom sei nicht auszuschließen, da nach Angaben des Klägers die Beschwerden mit der Gipsbehandlung begonnen hätten, auch befundmäßig seien zumindest Missempfindungen im Bereich des Daumens nach der Gipsabnahme do-kumentiert. Damit dürfte die lange Gipsbehandlung eine wesentliche Teilursache für das jetzt klinisch deutliche Karpaltunnelsyndrom darstellen. Auch die Neurologin und Psychiaterin J-W diagnostizierte in ihrem Bericht vom 11. Mai 2004 ein Karpaltunnel-syndrom rechts. Es bestünden Parästhesien im Versorgungsbereich des Nervus me-dianus rechts, aber keine Paresen. Der Muskeleigenreflex sei seitengleich. Am 27. Mai 2004 erfolgte eine operative Retinaculumspaltung wegen posttraumati-schem Karpaltunnelsyndrom (Zwischenbericht von Dr. G vom 20. August 2004). Der Kläger war ab dem 07. Juli 2004 wieder arbeitsfähig. Dr. G schätzte die MdE nunmehr mit 0 v. H. ein (Bericht vom 11. August 2004). Am 04. November 2004 berichtete Dr. G außerdem von einer Normalisierung der Nervenleitgeschwindigkeit, das posttrau-matische Karpaltunnelsyndrom rechts liege nicht mehr vor. Der Kläger klage aber wei-terhin über belastungsabhängige Hand- und Handgelenksschmerzen rechts, die wahrscheinlich den Veränderungen im Discus- und Handwurzelbereich zugeordnet werden müssten.

Am 28. Januar 2005 erlitt der Kläger einen fünften Unfall, als er bei Glatteis im Be-triebshof ausrutschte und auf den Rücken fiel. Der Durchgangsarzt Dr. L diagnostizier-te eine Prellung der Brust- und Lendenwirbelsäule, eine Distorsion des linken Handge-lenks, eine Prellung des linken Ellenbogens und eine Distorsion des rechten oberen Sprunggelenks. Der Kläger war bis zum 13. März 2005 arbeitsunfähig (Bericht der UBS B vom 18. März 2005).

Im Auftrag der Beklagten erstattete Dr. M, Chefarzt der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des P Krankenhauses L, am 25. Mai 2005 ein Gutachten, in dem er einen Einriss im TFCC des rechten Handgelenks, eine Kniegelenksprellung rechts, eine Prellung/Distorsion des linken Handgelenks und eine LWS-Prellung diag-nostizierte. Der Einriss im TFCC des rechten Handgelenks sei mit Wahrscheinlichkeit auf das Un-fallereignis vom 17. Dezember 2002 zurückzuführen. Auch die Entwicklung eines posttraumatischen Karpaltunnelsyndroms am rechten Handgelenk, das durch die Kar-paltunnelspaltung komplett beseitigt worden sei, sei dem Ereignis vom 17. Dezember 2002 zuzurechnen. Alle weiteren vom Kläger vorgebrachten Beschwerden seien kei-nem der beiden Unfallereignisse zuzuordnen. Insbesondere der Innenmeniskushinter-hornschaden im Bereich des rechten Kniegelenks sei sicher degenerativer und nicht traumatischer Natur. Des Weiteren seien die vom Kläger vorgebrachten Wirbelsäu-lenbeschwerden und auch die Beschwerden im Bereich des linken Handgelenks nicht durch objektivierbare Traumafolgen einem der beiden Unfallereignisse zuzuordnen. Die MdE wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Dezember 2002 sei mit 20 v. H. zu bewerten. Der Unfall vom 28. Januar 2005 habe zu keiner rentenberechtigenden MdE geführt. Aufgrund des erheblichen nicht objektivierbaren Beschwerdebildes des Klägers, welches für eine mangelnde Krankheits- bzw. Lebenssituationsverarbeitung spreche, halte er eine psychiatrisch-psychologische Begutachtung und eventuelle Be-handlung für erforderlich.

Daraufhin teilte die Beklagte dem Kläger zunächst mit Schreiben vom 23. Juni 2005 mit, er habe die ihm wegen des Unfalls vom 28. Januar 2005 zustehenden Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung erhalten. Nach dem ärztlichen Gutachten von Dr. M habe unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit und Behandlungsbedürftigkeit für die Zeit vom 28. Januar bis zum 14. März 2005 bestanden. Die Verletzungsfolgen seien voll-ständig ausgeheilt, eine unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit bestehe somit nicht mehr.

Mit Bescheid vom 06. Oktober 2005 lehnte die Beklagte außerdem die Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Dezember 2002 ab, da eine MdE in messbarem Grade nicht vorliege. Als Folgen des Arbeitsunfalls wurden anerkannt: Belastungsbeschwerden am rechten Handgelenk nach Prellung mit Läsion des Discus triangularis, folgenlos ausgeheilte Kniegelenksprellung rechts. Zwar schätze Dr. M in seinem Gutachten vom 25. Mai 2005 die MdE auf 20 v. H. auf Dauer ein. Dieser Einschätzung könne jedoch nicht gefolgt werden, da sie nicht den in der gesetzlichen Unfallversicherung allgemein gültigen Richtwerten entspreche und von ihm nicht nachvollziehbar begründet worden sei. Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch machte der Kläger geltend, die Funktion seiner Handgelenke sei durch die beiden Arbeitsunfälle extrem beeinträchtigt. Eine Belastung sei in keiner Weise möglich. Jeder Bewegungsversuch sei mit sehr starken Schmerzen verbunden. Um eine kleine Chance der Bewegungsmöglichkeit erreichen zu können, erhalte er bis zum heutigen Zeitpunkt physiotherapeutische Unterstützung. Dr. L unterstützte in seinem Zwischenbericht vom 16. Februar 2006 den Widerspruch des Klägers im Hinblick auf die bei allen fachärztlichen Untersuchungen seit 2002 be-schriebenen funktionellen Defizite. Mit Widerspruchsbescheid vom 04. April 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Es sei nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht worden, dass die bestehen-den Beschwerden an der rechten Hand Folge des Unfalls vom 17. Dezember 2002 seien. Auch in Verbindung mit anderen Unfällen könne eine andere Einschätzung der MdE nicht erfolgen, weil jeder Versicherungsfall zunächst für sich zu werten sei und so genannte Stütztatbestände erst bei einer eigenständigen MdE-Bewertung von min-destens 10 v. H. vorlägen.

Dagegen hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er u. a. bemängelt hat, dass die Beklagte entgegen der Empfehlung des von ihr beauftragten Gutachters Dr. M keine psychiatrische Begutachtung veranlasst habe. Eine abschlie-ßende medizinische Aufklärung durch die Beklagte habe nicht stattgefunden. Der Klä-ger hat eine 3-Phasen-Skelett-Szintigraphie der Hände vom 08. Februar 2007 mit der Beurteilung einer aktivierten Arthrose mit mäßiger Weichteilbegleitreaktion und den Bericht über eine MRT des rechten Knies am 26. Januar 2007 mit der Beurteilung ei-ner Chondropathie Grad 2 femoropatellar und femorotibial sowie einer Innen- und Au-ßenmeniskopathie Grad 2 und einem Reizerguss vorgelegt.

Dann hat das Sozialgericht Dr. W, Chefarzt der Chirurgischen Abteilung Bereich Hand- und Fußchirurgie des Krankenhauses W, mit der Untersuchung und Begutach-tung des Klägers beauftragt. In seinem handchirurgischen Gutachten vom 18. Juli 2007 hat der Sachverständige festgestellt, auf den Arbeitsunfall vom 17. Dezember 2002 seien eine Einschränkung der Beweglichkeit in allen Gelenken des rechten Arms und der Finger der rechten Hand, eine Verschmächtigung des Muskelweichteilmantels am rechten Arm/Mittelhand, eine Minderung der Kraft der rechten Hand und des rech-ten Daumens, eine Behinderung der primären Greifformen der rechten Hand und die beschriebene röntgenologisch angedeutete Kalksalzminderung am Skelett der rechten Hand zurückzuführen. Das operierte Karpaltunnelsyndrom an der rechten Hand halte er für unfallfremd. Typisch sei nämlich ein beidseitiges Auftreten des Karpaltunnel-syndroms. Das sei bei dem Kläger der Fall gewesen, denn im Jahr 2004 sei bei ihm ein Karpaltunnelsyndrom auch an der linken Hand operiert worden. Die Folgen des Unfalls vom 17. Dezember 2002 seien im Wesentlichen in der Bewegungseinschrän-kung für die Unterarmdrehfähigkeit und für das rechte Handgelenk und für die Finger der rechten Hand zu sehen. Die Unfallfolgen seien im Wesentlichen mit einem körper-fernen Speichenbruch zu vergleichen, da auch dieser in aller Regel eine Bewegungs-einschränkung im Handgelenk in allen Ebenen sowie in den Fingergelenken habe. Die MdE sei daher ab dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit, dem 21. August 2003, mit 10 v. H. zu bewerten.

Ein vom Gericht mit Schreiben vom 16. Oktober 2007 vorgeschlagener Vergleich un-ter Berücksichtigung eines Stützrententatbestands wegen der Folgen des Arbeitsun-falls vom 17. Oktober 2000 ist nicht zustande gekommen.

Durch Gerichtsbescheid vom 15. November 2007 hat das Sozialgericht daraufhin die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente, da die Folgen des Unfalls vom 17. Dezember 2002 nur eine MdE von 10 v. H. rechtfertigten. Dies ergebe sich überzeugend aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. W. Dieser habe ausgeführt, dass die im Wesentlichen in der Bewegungseinschränkung für die Unterarmdrehfähigkeit und für das rechte Handgelenk sowie für die Finger der rechten Hand bestehenden Unfallfol-gen mit denen zu vergleichen seien, die ein Verletzter nach einem körperfernen Spei-chenbruch erleide. Bei einem derartigen Verletzungsbild trete in aller Regel eine Be-wegungseinschränkung im Handgelenk in allen Ebenen sowie in den Fingergelenken auf. Nach den Angaben in der medizinischen Fachliteratur werde ein körperferner Speichenbruch mit geringfügiger Fehlstellung und Einschränkung der Handgelenks-bewegungen um insgesamt 40° mit einer MdE von 10 v. H. bewertet. Eine höhere Bewertung der MdE komme in aller Regel nur bei einem körperfernen Speichenbruch mit erheblicher Fehlstellung und Einschränkung der Handgelenksbewegungen um insgesamt 80° und mehr in Betracht. Bei dem Kläger lägen die durch den Sachver-ständigen Dr. W erhobenen Messwerten zwischen den beiden o. g. Beispielen von 40° und 60°. Im Vergleich zur linken Hand sei bei ihm eine Minderung der Gesamtbe-weglichkeit im rechten Handgelenk von 60° gegeben. Im Zusammenhang mit der fest-gestellten, auffällig schlechten Beweglichkeit der Langfingergrundgelenke und der Langfingermittelgelenke habe Dr. W ausgeführt, dass der Kläger bei der Ermittlung dieser Werte immer wieder gegengespannt habe, so dass die Exaktheit der festge-stellten Werte für die Bewegungsausmaße angezweifelt werden müsse. Seine Ein-schätzung diesbezüglich stütze der Sachverständige auf eine, wenn auch geringe, Beschwielung sowie Beschmutzungsspuren im Hautfaltenrelief der rechten Hand, die in aller Regel für eine deutliche Benutzung der Hand sprächen. Aufgrund dieses letzt-genannten Umstandes schließe der Sachverständige nachvollziehbar auf eine MdE von 10 v. H. trotz einer Einschränkung in der Gesamtbeweglichkeit der rechten Hand im Vergleich zur linken von 60°. Die durch Dr. M in seinem Gutachten vom 25. Mai 2005 dokumentierten Messwerte zweifle der gerichtliche Sachverständige an. Zur Begründung führe er überzeugend aus, dass Dr. M auch erhebliche Bewegungsdefizite im Bereich der nicht durch das Unfallereignis vom 17. Dezember 2002 betroffenen linken Hand beschreibe, so dass an den Angaben und der positiven Mitarbeit des Klägers gezweifelt werden müsse. Zwar gebe der Kläger einen Wegeunfall am 28. Januar 2005 an, bei diesem sei es jedoch lediglich zu einer Distorsion des linken Handgelenks gekommen, die sich auf die Bewegungsausmaße der linken Hand nach Ablauf von vier Monaten nicht mehr ausgewirkt haben dürfte. Ein Anlass, ein psychiatrisches Zusatzgutachten einzuholen, werde nicht gesehen. Weder lägen konkrete Anhaltspunkte vor, noch erscheine es nachvollziehbar, dass die Folgen des Unfalls vom 17. Dezember 2002 zu einem Be-schwerdebild des Klägers auf psychiatrischem Gebiet geführt hätten.

Es sei auch nicht ersichtlich, dass bei dem Kläger ein Stützrententatbestand gegeben sei, so dass eine MdE von nur 10 v. H. unter dem Gesichtspunkt der Rentenberechti-gung nicht berücksichtigt werden könne. Zwar gehe die Beklagte wegen der Folgen eines weiteren Arbeitsunfalls vom 17. Oktober 2000, der zu einem Beschwerdebild im linken Fuß des Klägers geführt habe, von einer MdE von 10 v. H. aus. Diese Ein-schätzung sei indes nicht in einem Verwaltungsakt förmlich festgestellt, sondern nur zur Begründung dafür herangezogen worden, dass eine MdE in rentenberechtigender Höhe wegen der Folgen des Unfalls vom 17. Oktober 2000 nicht gegeben sei. Der Kammer sei es daher vorliegend verwehrt, einen entsprechenden Stützrententatbe-stand zugrunde zu legen. Überdies sei auch nicht geklärt, inwieweit Folgen des weite-ren Arbeitsunfalls vom 17. Oktober 2000 auch noch heute bzw. nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nach dem streitgegenständlichen Unfall vom 17. Dezember 2002 vor-lägen.

Der Gerichtsbescheid wurde am 15. November 2007 gefertigt und am 19. November 2007 von der Geschäftsstelle des Sozialgerichts abgesandt. Am selben Tag ist auch der ergänzende Schriftsatz des Klägers vom 16. November 2007 eingegangen, mit dem er die Gewährung einer Rente aufgrund eines Stützrententatbestands wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Oktober 2000 begehrt hat.

Mit der gegen den Gerichtsbescheid eingelegten Berufung hat der Kläger geltend ge-macht, die Ausführungen des Sachverständigen Dr. W seien insoweit anzuzweifeln, als dieser einerseits aufgrund seiner Untersuchung des rechten Handgelenks eine wesentliche Minderung der Gesamtbeweglichkeit gegenüber dem linken festgestellt habe, andererseits wegen einer Beschwielung der rechten Hand sowie Beschmut-zungsspuren meine, die von ihm selbst festgestellten Werte in Zweifel ziehen zu kön-nen. Der Sachverständige habe ihn nicht dazu befragt, wie es zu der Beschwielung der Hand und den Beschmutzungsspuren gekommen sei. Entgegen der Auffassung des Dr. W sei vorliegend der objektive Befund der verminderten Gesamtbeweglichkeit des rechten Handgelenks beachtlich. Wieso Beschmutzungsspuren im Hautrelief für eine deutliche Benutzung der rechten Hand sprechen sollten, erläutere der Sachver-ständige nicht. Er mache auch keinerlei Aussagen zu dem genauen Umfang der Beschwielung. Es sei zu rügen, dass das Sozialgericht das Vorliegen eines Stützren-tentatbestandes verneint habe. Das Sozialgericht habe in diesem Zusammenhang mit gerichtlichem Schreiben vom 16. Oktober 2007 zutreffend darauf hingewiesen, dass wegen der Folgen des weiteren Arbeitsunfalls vom 17. Oktober 2000 seitens der Be-klagten mit Bescheid vom 08. Mai 2002 festgestellt worden sei, bei ihm bestehe eine MdE von 10 v. H. Die Folgen dieses Unfalls seien bei ihm immer noch vorhanden und minderten weiter seine Erwerbsfähigkeit.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15. November 2007 auf-zuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Sozialgericht Berlin zurückzuverweisen, hilfsweise, die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 06. Oktober 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. April 2006 zu verur-teilen, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Dezember 2002 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v. H. ab dem 21. August 2003 zu gewähren, hilfsweise, ihm wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Dezember 2002 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v. H. ab dem 21. August 2003 und wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Okto-ber 2000 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v. H. ab dem 17. Dezember 2002 zu gewähren.

die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger übersehe, dass die insgesamt vorgefundene Minderung des Bewegungsausmaßes nicht vollständig als Unfallfolge zu werten sei und somit objektiv auch kein Befund vorliege, der eine rentenberechtigende MdE be-dingen könne. Aus welchem Grunde dem Gutachten des Dr. M nicht gefolgt werden könne, sei bereits im Widerspruchsbescheid vom 04. April 2006 ausgeführt worden. Bezüglich der Frage eines Stützrententatbestandes vermöge die Argumentation des Klägers ebenfalls nicht zu überzeugen. Das Ausmaß der MdE zum Unfall vom 17. Ok-tober 2000 sei seinerzeit nicht feststellungsbedürftig gewesen, weil ein Rentenan-spruch nicht gegeben gewesen sei. Dies folge aus der Rechtsprechung des Bundes-sozialgerichts. Zudem sei gar nicht bekannt, ob dieser Unfall für die Zeit nach dem Ende der durch den Unfall vom 17. Dezember 2002 bedingten Arbeitsunfähigkeit ü-berhaupt eine messbare und damit als Stützrententatbestand in Betracht kommende MdE bedinge.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und im Sinne der Aufhe-bung und Zurückverweisung der Sache an das Sozialgericht begründet.

Streitgegenstand des Verfahrens ist die Gewährung einer Verletztenrente.

Nach seinem Vorbringen knüpft der Kläger die Gewährung der Rente vorrangig an die Folgen des am 17. Dezember 2002 erlittenen und von der Beklagten anerkannten Ar-beitsunfalls an.

Nach § 56 Abs. 1 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Nach § 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII richtet sich die MdE nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens erge-benden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbsle-bens. Das die gesetzliche Unfallversicherung beherrschende Prinzip der abstrakten Schadensbemessung besagt, dass die Entschädigung nach dem Unterschied der auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens bestehenden Erwerbsmöglichkeiten vor und nach dem Arbeitsunfall zu bemessen ist (vgl. BSGE 31, 158; SozR 2200 § 581 Nr. 6). Es kommt hierbei nicht maßgeblich darauf an, in welchem Umfang der Verletzte in der Ausübung der bisherigen versicherten Tätigkeit beeinträchtigt ist. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten durch die Unfallfolgen eingeschränkt werden, liegt in erster Linie auf ärztlich-wissenschaftlichem Gebiet. Da-bei sind bei der Beurteilung der MdE auch die von der Rechtsprechung sowie von dem unfallversicherungsrechtlichen und unfallmedizinischen Schrifttum herausgear-beiteten allgemeinen Erfahrungssätze zu beachten, die zwar nicht im Einzelfall bin-dend sind, aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden (vgl. Bundessozialgericht - BSG –, Urteil vom 23. April 1987 – 2 RU 42/86 - m. w. N., zitiert nach juris). Bei der Bildung der MdE sind alle Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen, die mit Wahrscheinlich-keit in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Versicherungsfall stehen. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, wenn nach vernünftiger Abwägung aller Umstände den für den Zusammenhang sprechenden Faktoren ein deutliches Über-gewicht zukommt, so dass darauf die richterliche Überzeugung gestützt werden kann (BSGE 45, 285, 286).

Ein Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v. H. wegen der mit dem Bescheid vom 06. Oktober 2005 als Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Dezember 2002 anerkannten Belastungsbeschwerden am rechten Handgelenk lässt sich zur Überzeugung des Senats weder aus dem im Ver-waltungsverfahren eingeholten Gutachten von Dr. M vom 25. Mai 2005 noch aus dem von Dr. W im Klageverfahren erstatteten Sachverständigengutachten vom 18. Juli 2007 herleiten. Dies hat das Sozialgericht unter Bezugnahme auf die unfallmedizini-sche Literatur ausführlich und zutreffend dargelegt. Es hat dabei berücksichtigt, dass die eingeschränkten Bewegungsausmaße wegen des erheblichen Gegenspannens durch den Kläger nicht vollständig erklärbar sind und ist der Bewertung der MdE durch den Sachverständigen, der die Verhaltensweise des Klägers erkannt hat, gefolgt. Der Senat hat keine Bedenken, den erstinstanzlichen Gründen insoweit zu folgen, und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe der Entscheidung (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG -).

Eine Verletztenrente kann außerdem dann zu gewähren sein, wenn ein sog. Stützren-tentatbestand in Betracht kommt. Nach § 56 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB VII wird für einen Arbeitsunfall (Versicherungsfall), der für sich genommen keinen Rentenanspruch aus-löst, weil er eine MdE von wenigstens 20 v. H. nicht bedingt, gleichwohl eine Verletz-tenrente gewährt, wenn ein weiterer Versicherungsfall hinzukommt und durch das Zu-sammenwirken der Verletzungsfolgen aus beiden Unfällen die Erwerbsfähigkeit des Klägers in einem rentenberechtigenden Ausmaß von wenigstens 20 v. H. gemindert wird. Nicht berücksichtigt werden lediglich solche Versicherungsfälle, deren Folgen eine MdE von weniger als 10 v. H. hervorrufen.

Ob hier die Voraussetzungen des vom Kläger hilfsweise geltend gemachten Stützren-tentatbestands wegen der mit bindendem Bescheid vom 08. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04. September 2002 anerkannten Folgen des be-reits zuvor am 17. Oktober 2000 erlittenen Arbeitsunfalls erfüllt sind, wird jedoch das Sozialgericht zu prüfen haben, das bisher keine Entscheidung dazu getroffen hat. Der Senat macht vorliegend von der Möglichkeit Gebrauch, das Verfahren gemäß §§ 105 Abs. 1 S. 3, 159 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG zur erneuten Entscheidung an das Sozial-gericht zurückzuverweisen.

Nach § 159 Abs. 1 Nr. 1 SGG kann das Landessozialgericht die angefochtene Ent-scheidung durch Urteil aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverwei-sen, wenn dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in vollem Umfang in der Sache selbst zu entscheiden.

Das Sozialgericht hat zwar in dem angefochtenen Gerichtsbescheid auf einen evtl. gegebenen Stützrententatbestand hingewiesen, es hat sich allerdings nicht mit dem Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen befasst und demzufolge keine Entschei-dung in der Sache getroffen. Vielmehr hat es die Auffassung vertreten, darüber in der Sache gar nicht entscheiden zu dürfen, weil die Beklagte in dem Bescheid vom 08. Mai 2002 eine MdE von mindestens 10 v. H. nicht bindend festgestellt habe.

Es ist dem Sozialgericht zwar darin zu folgen, dass die Höhe der MdE in dem Be-scheid vom 08. Mai 2002 nicht Teil eines Verfügungssatzes, sondern lediglich ein Be-gründungselement für die Entscheidung ist, dem Kläger wegen der Folgen des Ar-beitsunfalls vom 17. Oktober 2000 keine Verletztenrente zu gewähren. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, der auch der Senat folgt, nehmen die bei einer ablehnenden Entscheidung über die Gewährung einer Verletztenrente in der Begründung des Ablehnungsbescheids aufgenommenen Ausführungen zu der nicht rentenberechtigenden Höhe der MdE an der Bindungswirkung dieses Bescheids re-gelmäßig nicht teil. Denn Feststellungen zur Höhe der MdE sind in einem Bescheid über die Ablehnung der Verletztenrente nicht veranlasst. Das BSG hat den Unfallver-sicherungsträgern sogar die Berechtigung abgesprochen, von sich aus eine derartige Entscheidung in einem Verfügungssatz zu treffen, weil sich die Feststellung eines be-stimmten unter 20 v. H. liegenden Grades der MdE zum Nachteil des Versicherten auswirken könnte und deshalb ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung unzu-lässig ist. Nur dann, wenn eine Verletztenrente zuerkannt wird, muss der zuständige Unfallversicherungsträger über die MdE verbindlich entscheiden, weil die Höhe der MdE gemäß § 56 Abs. 3 SGB VII neben dem Jahresarbeitsverdienst für die Höhe des Rentenanspruchs maßgeblich ist (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 – B 2 U 36/03 R –, zitiert nach juris; BSG in SozR 2200 § 581 Nrn. 1 und 17; BSG in SozSich 1985, S. 287).

Das Fehlen einer bindenden Verwaltungsentscheidung zur Höhe der MdE wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Oktober 2000 hätte allerdings das Sozialgericht nicht daran hindern dürfen, die Höhe der MdE selbst festzustellen. Die von ihm hierzu vertretene Auffassung steht nämlich im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des BSG.

Danach ist zu beachten, dass Gegenstand eines Streits über die Gewährung von Stützrenten aus zwei Arbeitsunfällen jeweils mit einer MdE unter 20 v. H. nicht jeweils die Gewährung einer Teilrente allein sein kann, sondern den Gegenstand des Streits bilden letztlich beide Stützrenten, da beide Renten hinsichtlich der Feststellung der MdE untrennbar miteinander verbunden sind. So ist bei der Prüfung, ob die Folgen des in Betracht kommenden anderen Arbeitsunfalls die Erwerbsfähigkeit um wenigs-tens 10 v. H. mindern, nicht der Vomhundertsatz einer früheren Feststellung, sondern der zur Zeit des Beginns der Verletztenrente noch bestehende Grad der MdE zugrun-de zu legen (BSG in SozR Nr. 5 zu § 581 RVO; BSG in SozR 2200 § 581 Nr. 15). Da-durch ist gewährleistet, dass für die Gewährung der kleinen Renten die MdE für beide Arbeitsunfälle in einer Entscheidung festgestellt wird. Die Einheitlichkeit der Entschei-dung über die MdE aus beiden für die Gewährung kleiner Renten in Betracht kom-menden Arbeitsunfälle zeigt sich auch darin, dass diese Rente wegen der Folgen aus einem der beiden Arbeitsunfälle auch mit der Begründung abgelehnt werden darf, es könne dahin stehen, ob die durch sie bedingte MdE wenigstens 10 v. H. betrage, da jedenfalls die aus dem anderen Arbeitsunfall diesen Grad nicht erreiche. Die Verurteilung zur Gewährung der Verletztenrente nach einer MdE von 10 v. H. für die Folgen des einen Arbeitsunfalls darf deshalb nur zusammen mit der Entscheidung ergehen, dass zu diesem Zeitpunkt die MdE aus dem anderen Arbeitsunfall ebenfalls mindestens 10 v. H. beträgt. Es handelt sich bei der jeweils zugleich zu treffenden Feststellung der MdE aus dem anderen Arbeitsunfall nicht nur um eine materiell-rechtliche Vorfrage, die in einem späteren anderen Verfahren abweichend entschie-den werden könnte. Die Entscheidung, dass die MdE wegen der Folgen der beiden Arbeitsunfälle jeweils 10 v. H. beträgt und deshalb Rente zur Entschädigung des Ar-beitsunfalls zu gewähren ist, gehört vielmehr zu dem sich aus den festgestellten Tat-sachen und der angewandten Rechtsnorm ergebenden Subsumtionsschluss als Gan-zes (so BSG, Urteil vom 28. Februar 1986 – 2 RU 23/84 – m. w. N., zitiert nach juris).

Zum Beginn der stützenden Rente aus dem früheren Versicherungsfall ist zu berück-sichtigen, dass diese mit dem Tag des späteren Stützrentenfalls beginnt, falls dieser eine MdE von wenigstens 10 v. H. über die 26. Woche hinaus bedingt. Die in der Re-gel zunächst gegebene Arbeitsunfähigkeit infolge des späteren Stützrentenfalls steht dabei einer MdE gleich (BSG in SozR Nr. 11 zu § 581 RVO).

Für die Verfahrensweise folgt daraus, dass der Beklagten, die hier der für beide Ar-beitsunfälle zuständige Unfallversicherungsträger ist, Gelegenheit zur Entscheidung über die Gewährung einer Verletztenrente und damit die Höhe der MdE wegen der ab dem 17. Dezember 2002 noch bestehenden Unfallfolgen aus dem Arbeitsunfall vom 17. Oktober 2000 zu geben ist. Es steht im Ermessen des Gerichts, das Verfahren dafür gemäß § 114 SGG auszusetzen. Die Entscheidung der Beklagten wird gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Verfahrens (BSG, Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 21/06 R - in SozR 4-1300 § 48 Nr. 11; BSG in SozR 2200 § 581 Nr. 20).

Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG vor, denn das Verfahren leidet an einem wesentlichen Mangel, da das Sozialgericht den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt hat.

Das Sozialgericht hatte zunächst die Beteiligten mit gerichtlichem Schreiben vom 12. September 2007 zum Erlass eines Gerichtsbescheids gemäß § 105 SGG angehört. In einem weiteren Schreiben vom 16. Oktober 2007 hat es auf einen Stützrententatbe-stand wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 17. Oktober 2000 hingewiesen und einen entsprechenden Vergleichsvorschlag zur Beendigung des Verfahrens gemacht und den Beteiligten eine Frist zur Stellungnahme von vier Wochen gesetzt. Das Schreiben hat mit dem Hinweis geendet, dass weiterhin eine Entscheidung durch Ge-richtsbescheid vorgesehen sei, falls der Vergleich nicht zustande komme. Der Kläger ist aufgefordert worden, im Hinblick auf einen eventuellen Stützrententatbestand einen Hilfsantrag zu stellen. Das Schreiben ist dem Kläger am 23. Oktober 2007 zugestellt worden. Mit Schreiben vom 16. November 2007, das am 19. November 2007 bei dem Sozialgericht eingegangen ist, hat der Kläger den Hinweis des Sozialgerichts aufge-nommen und einen entsprechend geänderten Antrag gestellt. Dieser Schriftsatz konn-te aber nicht mehr berücksichtigt werden, weil das Sozialgericht bereits am 15. No-vember 2007 den Gerichtsbescheid erlassen hat, der am 19. November 2007 von der Geschäftsstelle zur Post gegeben worden ist. Das Sozialgericht hat mit dem Schreiben vom 16. Oktober 2007 den Anschein er-weckt, es komme eine Rentengewährung auf der Grundlage eines Stützrententatbe-stands in Betracht und es werde, sofern der Vergleich nicht zustande kommen sollte, die tatbestandlichen Voraussetzungen hierfür prüfen. Davon ist es jedoch im ange-fochtenen Gerichtsbescheid abgerückt, ohne den Beteiligten zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu der von ihm dann (fehlerhaft) vertretenen Auffassung, an einer ma-teriell-rechtlichen Prüfung des Stützrententatbestandes (Feststellung der MdE) gehin-dert zu sein, zu geben. Die Entscheidung des Sozialgerichts kann daher – insbeson-dere aus der Sicht des Klägers – nur als Überraschungsentscheidung gewertet wer-den. Außerdem hat das Sozialgericht entschieden, ohne den Ablauf der von ihm ge-setzten Vierwochenfrist abzuwarten. Diese endete für den Kläger, dem das Schreiben vom 16. Oktober 2007 am 23. Oktober 2007 zugestellt worden war, erst am 20. No-vember 2007. Es ist nicht auszuschließen, dass das Gericht bei Berücksichtigung des innerhalb der Vierwochenfrist eingegangenen Schriftsatzes vom 16. November 2007 anders entschieden und insbesondere das für den Stützrententatbestand vorgesehe-ne Verfahren eingehalten hätte. Der Verfahrensmangel ist deshalb als wesentlich zu beurteilen.

Der Senat verweist den Rechtsstreit in Ausübung des ihm in § 159 Abs. 1 SGG einge-räumten Ermessens zur Durchführung der erforderlichen Ermittlungen an das Sozial-gericht zurück. Wegen des vorliegenden Verfahrensfehlers ist ohnehin streitig, ob dem Rechtsmittelgericht neben einer Zurückverweisung überhaupt die Möglichkeit bleibt, im Wege des so genannten Heraufholens von Prozessresten über den vom Sozialge-richt übergangenen Anspruch in der Sache zu entscheiden (vgl. nur Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 125 RdNr. 3a m. w. N.), was schon für sich genommen für eine Zurückverweisung spricht. Zwar ist auch die Beru-fungsinstanz im sozialgerichtlichen Verfahren als vollständige zweite Tatsachenin-stanz ausgestaltet. Im Zweifel ist deshalb die Entscheidung des Landessozialgerichts, den Rechtsstreit selbst zu entscheiden, im Interesse einer zügigen Erledigung des Verfahrens vorzugswürdig (vgl. BSG, Beschlüsse vom 16. Dezember 2003 - B 13 RJ 194/03 B – und vom 14. Februar 2006 - B 9a SB 22/05 B –, zitiert nach juris). Der Se-nat handhabt die Zurückverweisung deshalb zurückhaltend und führt noch fehlende Ermittlungen in aller Regel selbst durch. In die Ermessensentscheidung ist jedoch auch einzubeziehen, dass die Beteiligten nach dem SGG das Recht auf zwei vollstän-dige Tatsacheninstanzen haben. Hat das Sozialgericht, wie hier, zu einem Stützren-tentatbestand überhaupt keine eigenen Ermittlungen durchgeführt und sich mit dem maßgeblichem Begehren des Klägers in der Sache nicht auseinander gesetzt, würde den Beteiligten faktisch eine volle Instanz genommen, sofern das Berufungsgericht den Sachverhalt seinerseits vollständig aufklären würde. Dem Gesichtspunkt der Pro-zessökonomie trägt der Senat hier durch eine zügige Zurückverweisung des Rechts-streits Rechnung.

Die Kostenentscheidung bleibt der abschließenden Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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