L 24 KR 149/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 86 KR 979/02-84-82
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 KR 149/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. Juni 2005 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sowie des Beschwerdeverfahrens beim Bundessozialgericht nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Versorgung mit Poly-Milchsäure (Poly-Laktat) in Form des Medizinproduktes "New Fill" (jetzt "Sculptan").

Der 1953 geborene Kläger, der bei der Beklagten versichert ist, leidet an einer HIV Infektion. Im Rahmen dieser Erkrankung ist es zu einem Schwund des Bindegewebes im Wangenbereich gekommen.

Im Januar 2002 beantragte er die Gewährung von Injektionen von Poly-Milchsäure für ca. 4 Sitzungen bei Kosten von 200 Euro pro Sitzung (inklusive Material- und Medikamentenkosten). Dadurch solle geschwundenes Gewebe im Gesicht unterspritzt bzw. aufgefüllt werden, um eine Verletzungshäufigkeit beim Essen und der Körperpflege zu minimieren.

Die Beklagte holte die Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) des Dr. Arztes H vom 29. Januar 2002 ein.

Mit Bescheid vom 04. Februar 2002 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Eingriffe zur Formveränderung des äußeren Erscheinungsbildes seien zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nur zugelassen, wenn es sich um Korrekturen zur Verbesserung oder Wiederherstellung der Funktion oder zur Beseitigung von Entstellungen handele.

Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, es bestünden erhebliche Funktionsbeeinträchtigungen, denn es komme zu ständigen Verletzungen des Wangenfleisches beim Essen, einem gestörten Abfluss des Speichels mit ständigen Entzündungen der Ohrspeicheldrüsen, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18. April 2002 zurück: Die Unterspritzung mit Poly-Milchsäure stelle keine Vertragsleistung zur Krankenbehandlung dar. Es handele sich um eine kosmetisch orientierte Behandlung zum Auffüllen des Unterhautfettgewebes im Bereich des Gesichtes mit dem Ziel der Glättung der Haut bzw. der Beseitigung von Falten.

Dagegen hat der Kläger am 22. April 2002 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben und sein Begehren weiterverfolgt.

Er hat vorgetragen, wegen zu geringer Durchmischung mit Speichel habe er ständig Magenschmerzen und Durchfall. Das Verschwinden des subkutanen Fettgewebes stelle als Lipodystrophie ein eigenständiges Krankheitsbild dar, das unabhängig von der Ursache einer HIV-Infektion zu behandeln sei. Es sei die Einholung einer Stellungnahme seiner behandelnden Ärztin und eines Gutachtens nötig.

Die Beklagte ist der Auffassung gewesen, dass die zur Gewebeaugmentation injizierten Präparate keine zugelassenen und verordnungsfähigen Arzneimittel seien. Es liege außerdem kein positives Votum des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vor, wobei ein solches aufgrund der Datenlage auch nicht zu erwarten sei. Bei der Unterspritzung des Wangenbindegewebes handele es sich zudem nicht um eine medizinisch notwendige und kausale Therapie zur Sicherstellung der antiretroviralen Therapie. Im Vordergrund stehe vielmehr der optische Ausgleich von Folgen der Lipoatrophie. Zur Behandlung von Verletzungen des Wangenfleisches und von Entzündungen der Ohrspeicheldrüse stünden andere Methoden zur Verfügung.

Die Beklagte hat die Grundsatzstellungnahme des MDK Bayern vom 09. Juli 2002 zur Gewebeaugmentation bei Lipoatrophie im Wangenbereich unter antiretroviraler Therapie vorgelegt. Das Sozialgericht hat die Befundberichte der Ärztin für Innere Medizin Dr. L- vom 24. Juni 2003 und 16. Oktober 2003 sowie die Auskünfte des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 26. November 2003 und des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 22. Dezember 2003 eingeholt.

Der Kläger hat seine Auffassung bestätigt gesehen und darauf hingewiesen, dass selbst nach der Grundsatzstellungnahme des MDK Bayern Poly-Milchsäure seit 20 Jahren wegen der ausgesprochen guten Verträglichkeit in der Medizin, z. B. als selbstauflösende chirurgische Fäden oder als Trägersubstanzen für Medikamente und Impfstoffe, Verwendung finde.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass nach Aussage der behandelnden Ärztin für die entzündlichen Veränderungen infolge Bissverletzungen andere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden. Die Tatsache, dass es sich bei den entsprechenden Antiseptika bzw. Mund-Therapeutika nicht um verordnungsfähige Arzneimittel handele, könne nicht zur Folge haben, dass anstelle dessen die Kosten für das Produkt New-Fill zu übernehmen seien.

Nach entsprechender Anhörung hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 23. Juni 2005 die Klage abgewiesen: Bei der Behandlung mit New-Fill (Poly-L-Milchsäure) zum Ausgleich von fehlendem Wangengewebe nach HIV-Therapie handele es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode. Sie gehöre nicht zum Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenkassen, denn sie habe weder Eingang in den einheitlichen Bewertungsmaßstab für Ärzte (EBM) gefunden, noch im Positiv-Katalog der BUB-Richtlinien. Zudem folge aus der Auskunft des damaligen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, dass hinreichende Langzeitstudien, die die Wirksamkeit der Methode nachwiesen, weiterhin fehlten. Die fehlende Anerkennung der Therapie beruhe nicht auf einem so genannten Systemversagen, denn ausreichende wissenschaftliche Studien über diese Behandlungsmethode lägen bislang nicht vor.

Gegen den ihm am 01. Juli 2005 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 25. Juli 2005 eingelegte Berufung des Klägers.

Er verweist darauf, dass die Ermittlungen des Sozialgerichts bereits mehr als 18 Monate alt seien. Zwischenzeitlich lägen weitere Erkenntnisse und Studien über die Wirksamkeit vor. Eine weitere Sachaufklärung auch zu den Funktionsbeeinträchtigungen und zu den Behandlungsmöglichkeiten sei geboten.

Der Senat hat die Auskünfte des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 04. November 2005 und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 15. November 2005 eingeholt.

Mit Urteil vom 31. Januar 2006 hat der Senat die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin zurückgewiesen.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Beschluss vom 14. Dezember 2006 das Urteil des Senats aufgehoben sowie die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an den Senat zurückverwiesen: Der Senat habe den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt, weil nach den Umständen des Falles davon ausgegangen werden müsse, dass dem Kläger eine Mitteilung des Senats über die am 31. Januar 2006 anberaumte mündliche Verhandlung, auf die hin das angefochtene Urteil ergangen sei, nicht zugegangen sei.

Der Kläger trägt vor: Durch den Schwund des Wangengewebes komme es zwangsläufig zu häufigen Verletzungen des Wangenfleisches mit Infektionen. Die weitere Folge sei ein gleichzeitig zu geringer Speichelabfluss, wodurch es u. a. laufend zu Ohrspeicheldrüsenentzündungen und infolge zu geringer Speicheldurchmischung der Nahrung zu Verdauungsproblemen mit der entscheidenden Folge einer Wirksamkeitsminderung der lebensverlängernden HIV-Kombinationsmedikamententherapie komme. Das Unterlassen der Behebung des Schwundes des Wangengewebes wirke mortalitätsfördernd. Der grundgesetzlich geschützte Anspruch auf Wahrung der körperlichen Unversehrtheit im Rahmen des Status als Pflichtmitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung könne aufgrund der spezifischen Erkrankungssituation nur dadurch verwirklicht werden, dass die vom Kläger begehrte Injektionsbehandlung nicht vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkasse ausgeschlossen werde. Die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) insoweit genannten Voraussetzungen seien erfüllt. Der Kläger leide an einer regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung und ihm werde eine Krankenbehandlung mit Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung verweigert. Dabei könne es keinen Unterschied machen, dass die begehrte Injektionstherapie der Behebung des Wangenschwundes und selbst nicht unmittelbar der Einwirkung auf die HIV-Erkrankung diene. Bei Unterlassen der Behandlung bestehe ein gesteigertes Risiko auf einen vorzeitigen Tod.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 23. Juni 2005 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2002 zu verurteilen, dem Kläger Krankenbehandlung mit New-Fill (jetzt Sculptan) - Poly-Milchsäure zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat Beweis erhoben durch das schriftliche Sachverständigengutachten des Facharztes für Innere Medizin Dr. T vom 05. Oktober 2007 nebst ergänzender Stellungnahme vom 13. November 2007.

Der Kläger weist darauf hin, dass der Sachverständige entscheidend ausgeführt habe, dass das durch den Wangenfettschwund entstellte Äußere zu schweren psychischen Auswirkungen mit Depressionen, verbunden mit sozialem Rückzug, geführt habe. Damit lebe der Kläger mit der ständigen konkreten Gefahr, durch ein psychoreaktives Fehlverhalten ein Therapieversagen herbeizuführen. Zur psychischen Verfassung sei ggf. ein ergänzendes psychiatrisches Gutachten einzuholen. Im Übrigen sei der Kläger nicht richtig verstanden worden. Nicht allein der Speichelmangel, sondern die gestörte Nahrungsaufnahme infolge der regelmäßigen Verletzung des Wangenfleisches stelle das Problem dar. Außerdem werde auf eine neue Statistik des Robert-Koch-Institutes, publiziert im Tagesspiegel vom 23. November 2007, hingewiesen, nach der AIDS-Patienten infolge Wirkstoffresistenzen "vorfristig" verstorben seien, obwohl sie sich in lebensverlängernder Therapie befunden hätten. Schließlich seien vom Hersteller der entsprechenden Medikamente die Einnahmevorschriften 2003 geändert worden, wonach diese Medikamente zu einer Mahlzeit regelmäßig einzunehmen seien. Hintergrund seien empirische Untersuchungsergebnisse, dass bei Medikamenteneinnahme nicht zu einer Mahlzeit sich Wirkstoffresistenzen gezeigt hätten. Der Kläger hat die Packungsbeilagen zu den Arzneimitteln Viread und Kaletra vorgelegt.

Der Senat hat den Sachverständigen Dr. T ergänzend gehört (Stellungnahme vom 11. März 2008).

Der Kläger führt dazu aus: Dr. L - könne bekunden, dass ihm infolge der regelmäßigen Verletzungen der Wangeninnenwände sein Vermögen zur Nahrungsaufnahme und Vermengung der gleichzeitig eingenommenen Medikamente nicht konstant und in der notwendigen Intensität gewährleistet sei, so dass die Wirkstoffresorption mit erheblichen Resistenzrisiken verbunden sei. Er sei damit der ständigen Gefahr der Wirksamkeitsresistenz ausgesetzt. Dass sich bei ihm aufgrund seines regelwidrigen Wangenzustandes die Resistenzgefahr bereits mehrfach verwirklicht habe, werde dadurch deutlich, dass er schon sechsmal die Medikamentenzusammensetzung habe wechseln müssen und derzeit mit einer siebten und letztmaligen Medikamentenkomposition im Rahmen der Kombinationstherapie behandelt werde. Der Sachverständige Dr. T vernachlässige aus welchen Gründen auch immer, dass eben durch den Wangenzustand des Klägers eine ausreichende Resorption der Medikation nicht gewährleistet sei. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird u. a. auf Blatt 34 bis 49, 58 bis 59 und 77 bis 78 der Gerichtsakten verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten (), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 04. Februar 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. April 2002 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Versorgung mit dem Medizinprodukt New-Fill (jetzt Sculptan) mit dem Stoff Poly-Milchsäure. Das Medizinprodukt ist nicht apothekenpflichtig und gehört deswegen nicht zu den Leistungen der Krankenversicherung.

Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit (§§ 27 bis 52 SGB V). Anspruch auf Krankenbehandlung besteht nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Sie umfasst u. a. die ärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V) und die Versorgung mit Arznei- und Verbandmittel (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V).

Die ärztliche Behandlung umfasst die Tätigkeit des Arztes, die zur Verhütung, zur Früherkennung und Behandlung von Krankheiten nach den Regeln der ärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist (§ 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V).

Nach § 31 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind, und auf Versorgung mit Verbandmitteln, Harn- und Blutteststreifen. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB VI festzulegen, in welchen medizinisch notwendigen Fällen Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementärdiäten und Sondennahrung ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen werden. Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nr. 1 oder Nr. 2 des Medizinproduktegesetzes (MPG) zur Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt und apothekenpflichtig sind und die bei Anwendung der am 31. Dezember 1994 geltenden Fassung des § 2 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) Arzneimittel gewesen wären, sind in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen; die §§ 33 a und 35 SGB V finden insoweit keine Anwendung.

Ob eine Leistungspflicht der Beklagten besteht, bestimmt sich nicht allein nach § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Die begehrte Therapie erfordert zwar auch das Tätigwerden eines Arztes, denn das Medizinprodukt soll mittels Injektion im Wangenbereich unter die Haut eingebracht werden. Das Handeln des Arztes gewährleistet hierbei ein sachgerechtes Vorgehen. Wesentlicher Bestandteil dieser Therapie ist jedoch das Medizinprodukt, das in seiner Bedeutung somit nicht hinter dem Tätigwerden des Arztes zurücktritt. Der eigentliche Therapieerfolg soll durch die Wirkungsweise des Medizinproduktes erreicht werden. Das ärztliche Handeln beschränkt sich demgegenüber auf das zielgerichtete Einbringen zur Entfaltung dieser Wirkung. Dies schließt es aus, die begehrte Therapie einheitlich als ärztliche Leistung einzuordnen (vgl. Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, SGB V, 44. Ergänzungslieferung, Höfler, § 31 Rdnr. 17).

Der Anspruch des Klägers hängt somit davon ab, ob die Voraussetzungen des § 31 Abs. 1 SGB V erfüllt sind.

Der Arzneimittelbegriff des § 31 Abs. 1 SGB V ist grundsätzlich am Behandlungszweck des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V orientiert. Arzneimittel sind somit Substanzen, deren bestimmungsgemäße Wirkung darin liegt, Krankheitszustände zu heilen, zu bessern oder zu erkennen. Diesem Zweck entsprechend sind solche Präparate ausgeschlossen, die nicht der Einwirkung auf eine Krankheit, sondern dem allgemeinen Lebensbedarf dienen. Ob ein Behandlungszweck im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V erreicht werden soll, richtet sich nach dem konkreten Verwendungszweck des einzusetzenden Mittels (Kasseler Kommentar, a. a. O., § 31 Rdnrn. 6 und 7).

Das SGB V kennt damit einen eigenen Begriff des Arzneimittels und verwendet nicht unmittelbar den des AMG. Soweit allerdings die jeweiligen Besonderheiten des AMG nicht entgegenstehen, kann auf die Begriffsbestimmungen des AMG zurückgegriffen werden. Soweit die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AMG erfüllt sind, sieht die Rechtsprechung die entsprechenden Stoffe und Zubereitungen zugleich als Arzneimittel im Sinne des § 31 Abs. 1 SGB V an, wenn jedenfalls der Einsatz dieser Mittel dem Behandlungszweck des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V dient (vgl. Kasseler Kommentar, a. a. O., § 31 SGB V Rdnr. 9). Nach § 2 Abs. 1 AMG sind Arzneimittel Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen (oder tierischen) Körper 1. Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen, 2. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen, 3. vom menschlichen (oder tierischen) Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen, 4. Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen oder 5. die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen.

Aufgrund des zum 01. Januar 1995 in Kraft getretenen MPG müssen allerdings Arzneimittel im Sinne des AMG von Medizinprodukten im Sinne des MPG abgegrenzt werden. Dies folgt bereits aus § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG, wonach Arzneimittel nicht Medizinprodukte und Zubehör für Medizinprodukte im Sinne des § 3 MPG sind, es sei denn, es handelt sich um Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG. Die Begriffsbestimmung des Medizinproduktes unterscheidet sich von seiner Zweckrichtung dabei nicht grundsätzlich von der des AMG. Nach § 3 Nr. 1 MPG sind Medizinprodukte alle einzeln oder miteinander verbundenen verwendeten Instrumente, Apparate, Einrichtungen, Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen oder andere Gegenstände einschließlich der für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinproduktes eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke a) der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten, b) der Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen, c) der Untersuchung, der Ersetzung oder der Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs oder d) der Empfängnisregelung zu dienen bestimmt sind. Die Abgrenzung gegenüber einem Arzneimittel nach dem AMG erfolgt dadurch, dass - wie § 3 Nr. 1 MPG darüber hinaus anordnet - , deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismen erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann. Davon ausgenommen bleiben jedoch auch bei Erfüllung dieser Definition eines Medizinproduktes Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG (§ 2 Abs. 4 Nr. 1 MPG).

Die auf der Grundlage europäischen Rechts herbeigeführte Unterscheidung zwischen Arzneimittel (mit der vor allem pharmakologischen Wirkungsweise) und Medizinprodukten (mit vorwiegend physikalischer Wirkungsweise) sollte jedoch zu keiner Änderung des von § 31 Abs. 1 SGB V verwendeten Arzneimittelbegriffes führen. Sind die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 AMG gegeben, können daher auch Medizinprodukte im Sinne des MPG Arzneimittel nach § 31 SGB V sein. Dies gilt ebenso für die in § 31 Abs. 1 Satz 3 SGB V genannten arzneimittelähnlichen Stoffe und Zubereitungen, auch wenn diese Regelung erst mit Wirkung ab 01. Januar 2002 durch Gesetz vom 13. Dezember 2001 (BGBl I 2001, 3586) in das SGB V eingefügt wurde. Der Gesetzgeber wollte damit lediglich klarstellen, dass auf diese Produkte ebenfalls ein Leistungsanspruch nach § 31 Abs. 1 SGB V besteht (vgl. Kasseler Kommentar, a. a. O., § 31 SGB V Rdnrn. 13, 14, 23).

Das Präparat New-Fill (jetzt Sculptan) mit dem Inhaltsstoff Poly-Milchsäure ist wegen dieses Stoffes und seiner Anwendungsbestimmung im menschlichen Körper ein Medizinprodukt nach § 3 Nr. 1 c MPG, welches bei Anwendung der am 31. Dezember 1994 geltenden Fassung des § 2 Abs. 1 AMG Arzneimittel gewesen wäre. Ob es zugleich schon Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelbegriffs des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist, kann hierbei daher dahinstehen.

Wie der Grundsatzstellungnahme des MDK Bayern vom 09. Juli 2002 zu entnehmen ist, dient die Therapie mit New-Fill (Sculptan) der Augmentationsbehandlung im Wangenbereich, also der Vergrößerung bzw. Vermehrung der Haut. Zu diesem Zweck erfolgt die Injizierung in die entsprechende Körperregion. Der eigentliche Effekt der Poly-Milchsäure besteht danach aber nicht in einer mechanischen Auffüllung des Gewebes, sondern einer Kollagenneubildung. Die Hautdicke nimmt um 5 bis 6 mm zu und gleicht so einen Verlust aus. Dabei wird die Poly-Milchsäure zu Milchsäure aufgelöst und über den Laktat- und Pyruvarzyklus abgebaut. Durch die langsame Erodierung und komplette Assimilierung der Poly-Milchsäure-Polymere wird die Kollagenneubildung angeregt.

Ähnliches geht aus der Produktinformation dieses Medizinproduktes, das der Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 26. November 2003 beigefügt gewesen ist, hervor. Danach ist New-Fill ein Hautimplantat in Form eines sterilen, pyrogenfreien Gels, das mit Wasser für Injektionszwecke aus einer sterilen Trockensubstanz rekonstituiert wird. Dieses Gel enthält Mikrokügelchen von Poly-L-Milchsäure, einer kristallinen Form der P.L.A. (Polylactic-Acid). Es handelt sich um ein synthetisches Polymer, das biokompatibel, biologisch abbaubar sowie immunologisch neutral ist und keinerlei Toxizität aufweist. New-Fill wird subkutan oder intradermal implantiert. Die enge Kornverteilung der Mikrokügelchen von Poly-L-Milchsäure, eine langsame Abbaukinetik und eine für subkutane Injektionen geeignete Viskosität verleihen New-Fill mechanische Qualitäten sowie eine verlängerte Resorptionszeit, die für ein Auffüllen von eingesunkenen Hautzonen mit diesem Implantat geeignet sind. Nach dieser Produktinformation enthält die Trockensubstanz jedes Fläschchen 0,150 g Poly-L-Milchsäure, 0,090 g Natrium-Camellose und 0,1275 g Mannit pyrogenfrei.

Daraus wird deutlich, dass es sich um einen Stoff handelt, deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im menschlichen Körper weder durch pharmakologisch oder immunologisch wirkende Mittel noch durch Metabolismen erreicht wird. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat dementsprechend in seiner Auskunft vom 26. November 2003 auch mitgeteilt, dass es sich bei dem Präparat New-Fill nicht um ein Arzneimittel, sondern um ein zertifiziertes Medizinprodukt nach § 3 Nr. 1 c MPG handelt.

Dieses Medizinprodukt wäre am 31. Dezember 1994 ein Arzneimittel gewesen, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in der Auskunft vom 15. November 2005 dargelegt hat.

§ 2 Abs. 1 AMG hatte in der am 31. Dezember 1994 geltenden Fassung keinen anderen Wortlaut als in der jetzt maßgebenden Fassung.

§ 31 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB V macht den Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln und Medizinprodukten von der Apothekenpflichtigkeit abhängig. Die Apothekenpflichtigkeit von Medizinprodukten richtet sich dabei nicht danach, ob das Medizinprodukt als Arzneimittel nach § 2 Abs. 1 AMG in der am 31. Dezember 1994 geltenden Fassung nach gegenwärtiger Rechtslage apothekenpflichtig "wäre", sondern - so der Wortlaut des § 31 Abs. 1 Satz 3 SGB V - ob die entsprechenden Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen als Medizinprodukte apothekenpflichtig "sind". Trotz der eingangs dargelegten grundsätzlichen Gleichstellung auch der apothekenähnlichen Medizinprodukte mit Arzneimitteln nach dem AMG beurteilt sich die Apothekenpflichtigkeit allein nach den für Medizinprodukte geltenden Regelungen.

Nichts anderes gilt, wenn das jeweilige Präparat zugleich schon den Arzneimittelbegriff des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V erfüllt. Ob Apothekenpflicht besteht, bestimmt nämlich nicht das SGB V selbst, da insoweit an den Regelungen des Rechts angeknüpft wird, welches Apothekenpflicht (oder Apothekenfreiheit) anordnet, also am AMG (§§ 43 ff. AMG) und am MPG (§ 11 Abs. 3, § 37 Abs. 3 MPG). Soweit danach das jeweilige Präparat ein Medizinprodukt ist, richtet sich die Apothekenpflicht auch eines solchen Arzneimittels im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V wegen der Spezialregelung in § 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG, § 2 Abs. 1 und 2, § 3 (insbesondere Nr. 1) und § 2 Abs. 4 Nr. 1 MPG ausschließlich nach den Vorschriften des MPG. Lediglich solche Präparate, die den Begriff des Medizinprodukts erfüllen, aber dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen (oder tierischen) Körper die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG), unterfallen gleichwohl dem AMG (§ 2 Abs. 3 Nr. 7 AMG, § 2 Abs. 4 Nr. 1 MPG) mit der Rechtsfolge, dass sich die Apothekenpflicht ebenfalls nach diesem Gesetz richtet. Das Medizinprodukt New-Fill (Sculptan) dient letztgenanntem Zweck jedoch nicht.

Nach § 1 Abs. 1 Verordnung über Vertriebswege für Medizinprodukte (MPVertrV) dürfen Medizinprodukte, die nach den Vorschriften des MPG in den Verkehr gebracht werden und 1. nach der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Medizinprodukten vom 17. Dezember 1997 in der jeweils geltenden Fassung verschreibungspflichtig sind oder 2. in der Anlage aufgeführt sind, berufs- oder gewerbsmäßig nur in Apotheken in den Verkehr gebracht werden (apothekenpflichtige Medizinprodukte).

In der Anlage zu § 1 Abs. 1 Nr. 2 MPVertrV werden aufgeführt 1. Hämodialysekonzentrate und 2. Medizinprodukte im Sinne von § 3 Nr. 2 MPG, soweit der Stoff nach der Verordnung über apothekenpflichtige und frei verkäufliche Arzneimittel in der jeweils geltenden Fassung apothekenpflichtig ist, wobei Pflaster und Brandbinden, soweit sie nicht der Verordnung über die Verschreibungspflicht von Medizinprodukten unterliegen, ausgenommen sind.

Nach § 3 Nr. 2 MPG sind Medizinprodukte auch Produkte nach § 3 Nr. 1 MPG, die einen Stoff oder eine Zubereitung aus Stoffen enthalten oder auf die solche aufgetragen sind, die bei gesonderter Verwendung als Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG angesehen werden können und die in Ergänzung zu den Funktionen des Produkts eine Wirkung auf den menschlichen Körper entfalten können.

Die Voraussetzungen auch der Ziffer 2 der Anlage zu § 1 Abs. 1 Nr. 2 MPVertrV liegen nicht vor, denn das Medizinprodukt New-Fill (Sculptan) enthält keinen weiteren Stoff, der bei gesonderter Verwendung als Arzneimittel angesehen werden könnte. Bei den in der Produktinformation des Präparates New-Fill genannten weiteren Bestandteilen der Trockensubstanz (Natrium-Carmellose und Mannit pyrogenfrei) handelt es sich ausschließlich um neutrale Hilfsstoffe. Weder der Produktinformation noch der Grundsatzstellungnahme des MDK Bayern vom 09. Juli 2002 ist zu entnehmen, dass diese Bestandteile dazu bestimmt wären, einem der in § 2 Abs. 1 AMG genannten Zwecke zu dienen. Nichts anderes resultiert aus der Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 26. November 2003, denn die Zertifizierung des Präparates New-Fill erfolgte danach nach § 3 Nr. 1 Buchstabe c MPG.

Die Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 1 MPVertrV liegt ebenfalls nicht vor.

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Verordnung über die Verschreibungspflicht von Medizinprodukten (MPVerschrV) dürfen Medizinprodukte, 1. die in der Anlage dieser Verordnung aufgeführt sind oder 2. die Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen enthalten, die der Verschreibungspflicht nach der Verordnung über verschreibungspflichtige Arzneimittel und nach der Verordnung über die automatische Verschreibungspflicht in den jeweils geltenden Fassungen unterliegen, oder auf die solche Stoffe aufgetragen sind, nur bei Vorliegen einer ärztlichen oder zahnärztlichen Verschreibung an andere Personen als Ärzte oder Zahnärzte abgegeben werden (verschreibungspflichtige Medizinprodukte).

Die Anlage zu § 1 Abs. 1 Nr. 1 MPVerschrV benennt 1. Intrauterinpessare - zur Empfängnisverhütung - 2. Epidermisschicht der Haut vom Schwein - zur Anwendung als biologischer Verband - und 3. oral zu applizierende Sättigungspräparate auf Cellulosebasis mit definiert vorgegebener Geometrie - zur Behandlung des Übergewichts und zur Gewichtskontrolle.

Nach § 1 Abs. 1 Verordnung über verschreibungspflichtige Arzneimittel, die aufgrund § 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AMG ergangen ist, dürfen Arzneimittel, a) die in der Anlage zu dieser Verordnung bestimmte Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen sind oder b) die Zubereitungen aus den in der Anlage bestimmten Stoffen oder Zubereitungen aus Stoffen sind oder c) denen die unter a) und b) genannten Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen zugesetzt sind, nur nach Vorlage einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Verschreibung abgegeben werden (verschreibungspflichtige Arzneimittel). Die Anlage zu dieser Verordnung nennt eine Vielzahl verschreibungspflichtiger Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen. Poly-Milchsäure bzw. Poly-Laktat (Polylactic-Acid) wird dort jedoch nicht aufgeführt.

Nach § 1 Verordnung über die automatische Verschreibungspflicht sind die in dieser Anlage zu dieser Verordnung bezeichneten Stoffe und Zubereitungen Stoffe oder Zubereitungen in der medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannter Wirksamkeit im Sinne des § 49 Abs. 1 AMG, die Kraft dieser gesetzlichen Regelung nur nach Vorlage einer ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Verschreibung an Verbraucher abgegeben werden dürfen. Auch in diesen Anlagen werden Poly-Milchsäure bzw. Poly-Laktat (Polylactic-Acid) nicht genannt.

Ob das Medizinprodukt New-Fill (Sculptan) auch wegen § 6 MPVerschrV nicht verschreibungspflichtig ist, kann dahinstehen. Danach sind Medizinprodukte von der Verschreibungspflicht ausgenommen, soweit sie der Zweckbestimmung nach nur von einem Arzt oder Zahnarzt angewendet werden können.

Das Medizinprodukt New-Fill (Sculptan) ist nach alledem nicht apothekenpflichtig, wie auch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in seiner Auskunft vom 15. November 2005 mitgeteilt hat.

Es zählt als nicht apothekenpflichtiges Medizinprodukt damit nicht zu den Präparaten, die nach § 31 Abs. 1 Satz 3 SGB V oder nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V zum Leistungskatalog der Krankenversicherung gehören.

Dieses Präparat rechnet auch nicht zu den in § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB V genannten Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysate, Elementardiäten und Sondennahrung, die ausnahmsweise in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen sind. Bei diesen Mitteln handelt es sich um Nahrungsmittel (vgl. Kasseler Kommentar, a. a. O., § 31 SGB V Rdnr. 21).

Das Medizinprodukt New-Fill (Sculptan) ist auch kein Hilfsmittel.

Nach § 33 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind. Es muss sich somit um (bewegliche) Sachen handeln (vgl. Kasseler Kommentar, a. a. O., § 33 SGB V Rdnrn. 5 und 5 a). Ob das begehrte Medizinprodukt im weiteren Sinne als Hilfsmittel angesehen werden kann, kann dahinstehen. Wegen seiner Zweckbestimmung, der Einbringung in den menschlichen Körper, verliert es jedenfalls die rechtliche Eigenschaft als Sache, so dass deswegen kein Hilfsmittel vorliegt (vgl. BSG - Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 28/02 R).

Zählt das begehrte Medizinprodukt nicht zum Leistungskatalog der Krankenversicherung, kann der Kläger eine entsprechende Versorgung nicht verlangen. Ein ärztliches Tätigwerden ohne Verwendung dieses Medizinproduktes ist nicht indiziert.

Ein so genanntes Systemversagen kann bei einer solchen Rechtslage dem Grunde nach nicht vorliegen.

Nach § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten; dabei ist den besonderen Erfordernissen Behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen und psychisch Kranker Rechnung zu tragen, vor allem bei den Leistungen zur Belastungserprobung und Arbeitstherapie; er kann dabei die Erbringung und Verordnung von Leistungen oder Maßnahmen einschränken oder ausschließen, wenn nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit oder die Wirtschaftlichkeit nicht nachgewiesen sind. Er soll nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1, 5 und 6 SGB V insbesondere Richtlinien beschließen über die ärztliche Behandlung, die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und die Verordnung von Arznei-, Verband- und Hilfsmitteln. Näheres zu den Richtlinien wird bezüglich der Arzneimittel in § 92 Abs. 2 und § 93 Abs. 1 SGB V geregelt.

Bezüglich neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ordnet § 135 Abs. 1 SGB V an, dass solche in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden dürfen, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V Empfehlungen u. a. über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu Lasten der Krankenkassen erbrachte Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung abgegeben hat.

Die Feststellung, dass eine ambulante vertragsärztliche Behandlung dem geforderten Versorgungsstandard entspricht, obliegt nach dem Gesetz somit nicht der einzelnen Krankenkasse und - vom Sonderfall eines Systemversagens abgesehen - auch nicht den Gerichten, sondern dem Gemeinsamen Bundesausschuss. Durch seine Empfehlungen über die Anerkennung einer neuen Behandlungsmethode wird nach der ständigen Rechtsprechung des BSG der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich festgelegt (BSG, Urteil vom 19. Februar 2002 - B 1 KR 16/00 R, abgedruckt in SozR 3-2500 § 92 Nr. 12).

Ausnahmsweise gilt dann etwas anderes, wenn ein Systemmangel vorliegt, wenn also die Entscheidung des Bundesausschusses trotz Erfüllung der für die Überprüfung einer neuen Behandlungsmethode notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen unterblieben oder verzögert worden wäre (BSG, Urteil vom 19. Februar 2002 - B 1 KR 16/00 R). Wird die Einleitung oder die Durchführung des Verfahrens willkürlich oder aus sachfremden Erwägungen blockiert oder verzögert und kann deshalb eine für die Behandlung benötigte neue Therapie nicht eingesetzt werden, widerspricht das dem Auftrag des Gesetzes (BSG, Urteil vom 28. März 2000 - B 1 KR 11/98 R, abgedruckt in SozR 3-2500 § 135 Nr. 14, Urteil vom 16. September 1997 - 1 RK 28/95, abgedruckt in SozR 3-2500 § 135 Nr. 4). Kriterien für eine solche rechtswidrige Untätigkeit sind hierbei jedoch weder das Ausmaß der Verbreitung einer Behandlungsmethode noch positive Erfahrungen mit ihr (BSG, Urteil vom 19. Februar 2002 - B 1 KR 16/00 R).

Einen Systemmangel kann es bei vorliegendem Sachverhalt aus Rechtsgründen nicht geben.

Der Gemeinsame Bundesausschuss ist weder nach § 31 Abs. 1 SGB V noch nach § 33 Abs. 1 SGB V befugt, in entsprechenden Richtlinien vom Gesetz ausgeschlossene Medizinprodukte oder Arzneimittel oder sonstige Präparate, die vom Hilfsmittelbegriff des § 33 Abs. 1 SGB V nicht erfasst sind, gleichwohl als zu Lasten der Krankenversicherung verordnungsfähig zu bestimmen. Fehlt ihm diese Kompetenz, schließt dies einen Systemmangel wegen eines unterbliebenen oder verzögerten Tätigwerdens aus. Arzneimittel, Medizinprodukte oder andere Sachleistungen, die nicht zum Leistungskatalog der Krankenversicherung gehören, können und dürfen vom Gemeinsamen Bundesausschuss auch nicht im Rahmen der Beurteilung einer neuen Behandlungsmethode der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung berücksichtigt und zugelassen werden. Bei einer solchen Rechtslage ist das Unterbleiben oder die Verzögerung einer entsprechenden positiven Entscheidung auf Zulassung, weil dies gesetzeskonform ist, nicht rechtswidrig und vermag somit einen Systemmangel nicht zu begründen.

Dies hat, soweit bestimmte Präparate und Mittel nicht zum Leistungskatalog der Krankenversicherung gehören, zugleich Auswirkungen auf die ärztliche Behandlung und die hierbei anzuwendenden Therapien.

Unabhängig davon ist vorliegend schon nicht ersichtlich, worin die neue Behandlungsmethode zu sehen ist. Behandlungsmethoden sind Maßnahmen, die bei einem bestimmten Krankheitsbild systematisch angewandt werden, also leistungsübergreifende methodische Konzepte, die auf bestimmtes diagnostisches oder therapeutisches Ziel ausgerichtet sind (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 27/02 R). Zur Behandlungsmethode gehören hierbei alle Behandlungsvorgänge, die nach dem zugrunde liegenden Behandlungskonzept zur Krankheitsbehandlung erforderlich sind, also sowohl ärztliche Dienstleistungen, als auch die für die Therapie benötigten Arznei- (Sach-)Leistungen. Zu den Behandlungsmethoden gehören nicht einzelne ärztliche Maßnahmen oder Verrichtungen, denen keine auf einem bestimmten theoretisch-wissenschaftlichen Konzept fußende Vorgehensweise bei der Behandlung einer Krankheit zugrunde liegt (BSG, Urteil vom 28. März 2000 - B 1 KR 11/98 R).

Das Vorgehen des Arztes beschränkt sich im vorliegenden Sachverhalt in der (sachgerechten) Verabreichung des Medizinproduktes mittels Injektion in der Erwartung, dass es im Körper die erwünschte Wirkung entfaltet. Diese Handhabung und der damit verbundene Zweck sind jedoch nicht neu, denn diese Injektionstherapie unterscheidet sich nicht von anderen Injektionstherapien beispielsweise mit Arzneimitteln.

Jedoch selbst wenn unterstellt würde, die Injektionstherapie mit dem Medizinprodukt New-Fill (Sculptan) sei neu, könnte und dürfte sie nicht vom Gemeinsamen Bundesausschuss in einer entsprechenden Richtlinie empfohlen und zugelassen werden. Dies ergibt sich daraus, dass ihre Anwendung maßgeblich vom Einsatz eines vom Gesetz ausgeschlossenen Medizinproduktes abhängig wäre. Für die Zulassung neuer Behandlungsmethoden, die nur unter Verletzung von Vorschriften des SGB V realisiert werden können, fehlt dem Gemeinsamen Bundesausschuss die rechtliche Befugnis.

Dem steht nicht entgegen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss für alle Arten von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und damit auch für neuartige Arzneitherapien zuständig ist (BSG, Urteil vom 28. März 2000 - B 1 KR 11/98 R, abgedruckt in SozR 3-2500 § 135 Nr. 14), was faktisch nur für Rezepturarzneimittel relevant ist, bei denen das eingesetzte Medikament keiner arzneimittelrechtlichen Zulassung bedarf, denn anderenfalls bliebe die Qualitätsprüfung bei neuen Behandlungsmethoden mit Rezepturarzneimitteln lückenhaft und die gesetzliche Regelung liefe teilweise leer (BSG, Urteil vom 23. Juli 1998, B 1 KR 19/96 R, abgedruckt in SozR 3-2500 § 31 Nr. 5; Urteil vom 28. März 2000 - B 1 KR 11/98 R, abgedruckt in SozR 3-2500 § 135 Nr. 14, Urteil vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 27/02 R; vgl. auch Kasseler Kommentar, a. a. O., 33. Ergänzungslieferung, Hess, § 135 SGB V Rdnr. 4). Die Überprüfung neuer Arzneimitteltherapien mit dem Ziel ihrer Zulassung setzt nämlich nach der genannten Rechtsprechung unabdingbar voraus, dass es sich überhaupt um eine Sachleistung handelt, auf die dem Grunde nach, also nach der Vorschrift des § 31 Abs. 1 SGB V, ein Anspruch besteht.

Einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG), wonach jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit hat, vermag der Senat aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht zu erkennen.

Vorliegend bedarf es keiner am Maßstab dieser Grundrechtsnorm i. V. m. dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip orientierten verfassungskonformen Auslegung des § 31 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB V nach Maßgabe der Rechtsprechung des BVerfG (Beschluss vom 06. Dezember 2005 - 1 BvR 347/98, abgedruckt in BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 5). Nach dieser Rechtsprechung können die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in besonders gelagerten Fällen die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichten. Dies gilt insbesondere in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung, denn das Leben stellt einen Höchstwert innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung dar. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber durch die Anordnung einer Zwangsmitgliedschaft und Beitragspflicht in einem öffentlich-rechtlichen Verband der Sozialversicherung - wie hier der Krankenversicherung - die allgemeine Betätigungsfreiheit des Einzelnen durch Einschränkung ihrer wirtschaftlichen Voraussetzungen nicht unerheblich einengt. Dadurch wird das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG berührt, denn die Freiheit zur Auswahl unter insbesondere Arzneimitteln, die dem Versicherten als Sachleistung zur Verfügung gestellt werden, wird eingeschränkt. In der gesetzlichen Krankenversicherung sind abhängig Beschäftigte, mit mittleren und niedrigen Einkommen sowie Rentner pflichtversichert. Sie erfasst mithin Personengruppen, die wegen ihrer niedrigen Einkünfte eines Schutzes für den Fall der Krankheit bedürfen, der durch Zwang zur Eigenvorsorge erreicht werden soll. Das Gesetz geht hierbei davon aus, dass diesen Versicherten regelmäßig erhebliche finanzielle Mittel für eine zusätzliche selbständige Vorsorge im Krankheitsfall und insbesondere für die Beschaffung von notwendigen Leistungen der Krankenbehandlung außerhalb des Leistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung nicht zur Verfügung stehen. Es bedarf daher einer besonderen Rechtfertigung vor Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Sozialstaatsprinzip, wenn diesen Versicherten Leistungen für die Behandlung insbesondere einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung durch gesetzliche Bestimmungen oder durch deren fachgerichtliche Auslegung und Anwendung vorenthalten werden. An einer solchen fehlt es jedoch in den Fällen einer lebensbedrohlich oder vorhersehbar tödlich verlaufenden Krankheit, für die eine dem allgemein anerkannten medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode nicht existiert, der behandelnde Arzt jedoch eine Methode zur Anwendung bringt, die nach seiner Einschätzung im Einzelfall den Krankheitsverlauf positiv zugunsten des Versicherten beeinflusst. Dabei muss es allerdings für die vom Versicherten gewählte Behandlungsmethode ernsthafte Hinweise auf eine nicht ganz fern liegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf allgemein und im konkreten Einzelfall geben (so Beschluss des BVerfG vom 06. Dezember 2005, a. a. O.). Soweit die genannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, besteht auch nach der Rechtsprechung des BVerfG kein Anspruch. Versicherte können nicht alles von der gesetzlichen Krankenversicherung beanspruchen, was ihrer Ansicht nach oder objektiv der Behandlung einer Krankheit dient. Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (BVerfG, Beschluss vom 06. Dezember 2005, a. a. O.; Beschluss vom 05. März 1997 - 1 BvR 1071/95, abgedruckt in NJW 1997, 3085).

Das BSG hat zwischenzeitlich in zahlreichen Entscheidungen (u. a. Urteile vom 04. April 2006 - B 1 KR 7/05 R, abgedruckt in BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 4 und B 1 KR 12/04 R, abgedruckt in BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr. 7, 26. September 2006 - B 1 KR 14/06 R, abgedruckt in SozR 4-2500 § 31 Nr. 6, 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R, abgedruckt in SozR 4-2500 § 31 Nr. 8, 27. März 2007 - B 1 KR 30/06 R, abgedruckt in Sozialgerichtsbarkeit - SGb 2007, 287 und B 1 KR 17/06 R, abgedruckt in USK 2007-25) die Rechtsprechung des BVerfG konkretisiert. Die verfassungskonforme Auslegung setzt danach u. a. voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung, insbesondere der nicht kompensierbare Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion (vgl. Urteil vom 27. März 2007 - B 1 KR 17/06 R) vorliegt. Gerechtfertigt ist in diesen Fällen eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen aber nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik gegeben ist, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird. Insoweit wird eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des so genannten Off-Label-Use formuliert ist. Ohne einschränkende Auslegung ließen sich fast beliebig bewusst vom Gesetzgeber gezogene Grenzen überschreiten. Entscheidend ist, dass das vom BVerfG herangezogene Kriterium bei weiter Auslegung sinnentleert würde, weil nahezu jede schwere Krankheit ohne therapeutische Einwirkung irgendwann auch einmal lebensbedrohende Konsequenzen nach sich zieht. Das kann aber ersichtlich nicht ausreichen, das Leistungsrecht des SGB V und die dazu ergangenen untergesetzlichen Regelungen nicht mehr als maßgebenden rechtlichen Maßstab für die Leistungsansprüche der Versicherten anzusehen (so BSG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - B 1 KR 12/06 R).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe lässt sich nicht feststellen, dass ohne Behandlung des Schwunds des Bindegewebes im Wangenbereich mittels Poly-Milchsäure ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf (oder ein nicht kompensierbarer Verlust einer vergleichbaren Körperfunktion) innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit sich zu verwirklichen droht. Dies folgt aus dem Gutachten nebst ergänzender Stellungnahmen des Sachverständigen Dr. T.

Nach diesem Sachverständigen besteht beim Kläger als lebensbedrohliche Erkrankung seit 1984 eine HIV-Infektion. Die statistische Zeitspanne vom Infektionszeitpunkt bis zum Auftreten einer AIDS-definierenden Erkrankung liegt zwischen 8 und 12 Jahren. Nach dem Auftreten von AIDS-definierenden Erkrankungen ist ohne Behandlung nach weiteren zwei Jahren mit dem Tod des Infizierten zu rechnen. Der Kläger wird seit 1997 mit einer antiretroviralen Therapie behandelt, die teils wegen Nebenwirkungen, teils wegen Resistenzentwicklung mehrfach umgestellt wurde. Für den Erfolg einer lebensverlängernden antiretroviralen Therapie ist die konsequente Einnahme der üblicherweise aus drei Substanzen bestehenden medikamentösen Kombination ausschlaggebend. Zwingend erforderlich dafür ist die stundengenaue Einnahme der Substanzen in fest einzuhaltenden Zeitabständen durch den Patienten - so genannte Adhärenz oder Compliance, die bei 95 v. H. liegen muss - um, so der Sachverständige, ein Therapieversagen oder die Entwicklung von Resistenzen zu verhindern. Darüber hinaus ist eine kontinuierliche, engmaschige Erfolgskontrolle der Therapie erforderlich. Diese erfolgt im Durchschnitt alle drei Monate durch Kontrolle der Helferzellanzahl und der Viruslast im Blut.

Bisher hat der Kläger noch keine AIDS-definierende Erkrankung erlitten. Eine akute Gefahr für das Auftreten solcher Erkrankungen hat der Sachverständige gegenwärtig nicht erkennen können, denn die Immunwerte des Klägers sind fast im Normbereich. Der Immunstatus bestimmt sich nach der Zahl der Helferzellen und der Viruslast. Die Anzahl der Helferzellen beträgt bei einem Immungesunden zwischen 650 und 1250. Eine symptomatisch eingeschränkte Immunfunktion ist ab einem Wert von 350 Helferzellen, schwerwiegende Infektionen sind bei weniger als 250 Helferzellen zu erwarten. Die Zahl der Helferzellen beim Kläger hat der Sachverständige als stabil bei 500 vorgefunden. Die Viruslast liegt bei ihm zwischen 1000 Kopien und unter der Nachweisgrenze.

Die HIV-Infektion ist damit aufgrund der antiretroviralen Therapie nicht akut lebensbedrohend. Es ist allerdings nach dem Sachverständigen Dr. T anzunehmen, dass ein Absetzen der Therapie, eine unregelmäßige Einnahme oder ein Wirkungsverlust der verwendeten Substanzen ein Absinken der Helferzellen innerhalb eines Jahres auf den Ausgangswert von 170 bei Beginn der Therapie im Jahre 1997 zur Folge hätte, womit Lebensgefahr angenommen werden muss.

Auch unter Berücksichtigung des Schwundes des Bindegewebes im Wangenbereich, einschließlich der Verletzungen der Wangenschleimhaut und eines Speichelmangels, sowie des psychischen Zustandes besteht keine akut drohende Lebensgefahr. Nach dem Sachverständigen Dr. T kann, sofern der Speichelmangel nicht zu Resorptionsstörungen und die psychischen Auswirkungen des veränderten Aussehens nicht zu einer mangelnden Compliance bei einer Einnahme der Medikamente führen, für den Kläger eine Lebenserwartung angenommen werden, die der Lebenserwartung der Normalbevölkerung entspricht.

Es gibt keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die von dem Sachverständigen genannten Folgen innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit eintreten und dadurch die o. g. Lebensgefahr begründen.

Der Sachverständige hat bei seiner Untersuchung im Bereich des Kopfes eine ausgeprägte Wangen-Lipoatrophie und eine 3 mm große Wangenschleimhautverletzung rechts sowie im Bereich der Extremitäten eine mäßige Lipoatrophie, auch eine Lipoatrophie am Gesäß, jedoch weniger imponierend als im Gesicht vorgefunden. Außerdem hat er eine mäßig ausgeprägte Lipodystrophie im Bauchbereich und im Schulterbereich befundet. Die Lipoatrophie im Gesicht und im Gesäßbereich ist nach dem Sachverständigen nicht lebensbedrohlich. Nur in sehr seltenen Fällen einer größeren Fettansammlung im Bauchbereich kann es zu lebensbedrohlichen Beeinträchtigungen der Peristaltik mit einem Darmverschluss kommen. Beim Kläger ist dies nach seiner Bewertung zum jetzigen Zeitpunkt jedoch unwahrscheinlich.

Einem Speichelmangel hat der Sachverständige Dr. T keine lebensbedrohlichen Wirkungen beigemessen, zumal ein solcher beim Kläger bisher nicht einmal belegt ist. Der Sachverständige hat allerdings eine Beeinträchtigung der Wirkstoffresorption durch einen Speichelmangel grundsätzlich für denkbar erachtet. Durch regelmäßig stattfindende Kontrollen der entsprechenden Parameter im Blut (Helferzellzahl und Viruslast) sowie durch Messung der Medikamentenspiegel im Blut ist dies messbar, wobei er zugleich darauf hingewiesen hat, dass die Ursache für nicht ausreichende Medikamentenspiegel im Blut meist multifaktoriell ist. Ein negativer Einfluss eines Speichelmangels auf eine HIV-Infektion ist nach dem Sachverständigen jedenfalls bisher weder beobachtet noch wissenschaftlich untersucht oder belegt.

Dr. T hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 11. März 2008 auf den entsprechenden Einwand und entgegen der Vermutung des Klägers ausdrücklich klargestellt, dass seine Aussagen zur Wirkstoffresorption gleichermaßen unter Berücksichtigung von Verletzungen im Mundbereich Bestand haben. Trotz wiederholt auftretender Bisswunden der Wangenschleimhaut durch eine veränderte Anatomie bewirkt dies keine Veränderung der Resorption. Zum Beleg dessen hat sich der Sachverständige auf die ausreichende Resorption der Medikamente, wie sie in der aufgezeigten Helferzellenanzahl und unbedeutenden Viruslast zum Ausdruck kommt, bezogen.

Auch ist die Einnahmekonstanz nicht gestört.

Wie der Sachverständige Dr. T in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13. November 2007 ausgeführt hat, ist beim Kläger bisher noch keine Adhärenz-Problematik aufgetreten, obgleich er durch die Veränderung seines Aussehens allerdings psychisch sehr belastet ist. Es besteht, so seine ergänzende Stellungnahme vom 13. November 2007, eine depressive Stimmungslage.

Unter Bezugnahme auf Literatur (Echavez M, Hortsmann W. Aids 2005; 15(7): 369-75 und Funk E, Brissett AE, Friedman CD, Bressler FJ. Laryngoscope.2007, Jun 29, online publiziert) hat Dr. T darauf hingewiesen, dass eine Lipoatrophie eindeutig mit einer Verminderung der Selbstwerteinschätzung und einer Zunahme der Depression zusammenhängt bzw. der Schweregrad einer Lipoatrophie mit Selbstbewusstsein, sozialem Verhalten und Adhärenz zur antiretroviralen Therapie korreliert. Damit wird sich im Falle einer schweren oder andauernden Depression die Adhärenz (Einnahmekonstanz) des Patienten zur Therapie verschlechtern und es ist bei einem nachfolgenden Abbruch der Therapie oder einer unregelmäßigen Tabletteneinnahme innerhalb eines Jahres ein Immunstatus zu erwarten, in dem Infektionen auftreten. Durch eine nicht zu beherrschende Infektion tritt dann statisch nach durchschnittlich zwei Jahren der Tod ein.

Unabhängig davon folgt aus einer schweren oder andauernden Depression grundsätzlich nicht, dass Leistungen außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung beansprucht werden können. Es besteht vielmehr Anspruch auf eine spezifische Behandlung dieser Gesundheitsstörung mit den Mitteln der Psychiatrie (vgl. BSG, Urteil vom 26. September 2006 - B 1 KR 14/06 R). Insoweit kommen, wie der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13. November 2007 dargelegt hat, Antidepressiva in Betracht, die anerkannte Wirkungen haben; der Einsatz dieser Medikamente ist nicht wegen der HIV-Infektion ausgeschlossen. Zu beachten sind lediglich, wie beim Einsatz unterschiedlicher Arzneimittel generell, mögliche Wechselwirkungen. Eine antidepressive Therapie hat Dr. T auch im Fall des Klägers bei einer schweren oder andauernden Depression als sinnvoll und möglich erachtet.

Weitere wissenschaftliche Erkenntnisse liegen nach der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Dr. T vom 11. März 2008 nicht vor. Insbesondere gibt es keine wissenschaftliche Publikation des Robert-Koch-Instituts über einen Zusammenhang zwischen einem Schwund des Bindegewebes im Wangenbereich, einem Speichelmangel oder Verletzungen im Mundbereich mit einer ungünstigen Beeinflussung einer HIV-Erkrankung. Selbst eine unmittelbare Kontaktaufnahme mit dem Robert-Koch-Institut ist diesbezüglich ergebnislos geblieben.

Eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist nicht geboten. So hat der Kläger keine Tatsachen benannt, zu denen die behandelnde Ärztin für Innere Medizin Dr. L als sachverständige Zeugin vernommen werden soll. Nach seinem Vorbringen soll diese Ärztin bekunden, dass er der ständigen Gefahr der Wirksamkeitsresistenz ausgesetzt ist und dass sich aufgrund seines regelwidrigen Wangenzustandes diese Resistenzgefahr bereits mehrfach im Wechsel der Medikamentenzusammensetzung verwirklicht habe. Dieser Vortrag zielt auf die Erhebung eines Sachverständigenbeweises, denn aus (insoweit unstreitigen) Tatsachen sollen konkrete Schlussfolgerungen gezogen werden. Zweck ist es, das vorliegende Beweisergebnis zu erschüttern, weil nach Ansicht des Klägers vom Sachverständigen Dr. T vernachlässigt worden sei, dass durch den Wangenzustand eine ausreichende Resorption der Medikation nicht gewährleistet sei. Dies ist jedoch ersichtlich unzutreffend, denn der Sachverständige hat sowohl die mögliche Gefahr erörtert als auch darauf hingewiesen, dass ein Zusammenhang zwischen Verletzungen im Mundbereich einhergehend mit einem Speichelmangel und einer nicht ausreichenden Medikamentenresorption wissenschaftlich nicht belegt ist. Unabhängig davon, dass der mehrfache Wechsel der Medikation nichts am fehlenden wissenschaftlichen Nachweis des dargelegten Zusammenhangs ändert, ist dem Sachverständigen Dr. T dieser Medikamentenwechsel bekannt gewesen. In seinem Gutachten heißt es dazu bei der Anamnese: Therapieumstellungen erfolgten teils wegen Nebenwirkungen, teils wegen Resistenzentwicklung. Bisher eingesetzte Substanzen: AZT, 3TC, ddl, d4T, CBV, EFV, Invirase mit Ritonavir als Booster. Zurzeit Therapie mit Viread, Ziagen und Lopinavir. Nach der vom Kläger vorgelegten Packungsbeilage zu Kaletra handelt es sich bei Lopinavir um den Wirkstoff dieses Arzneimittels. Es ist daher die Einholung weder einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Dr. T wegen der mehrfach erfolgten Medikamentenumstellung noch eines weiteren Sachverständigengutachtens geboten. Zudem hat der Kläger nicht aufgezeigt, dass die Ärztin für Innere Medizin Dr. L über bessere Forschungsmittel oder Erkenntnismöglichkeiten als der Sachverständige Dr. T verfügt, so dass ihre Vernehmung als Sachverständige nicht angezeigt ist.

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger wegen der Verletzungen im Mundbereich keine Mahlzeit mehr einnimmt, sind nicht ersichtlich. Dies wird selbst vom Kläger nicht behauptet. Damit ist es jedoch möglich, wie aus den vorgelegten Packungsbeilagen zu Viread und Kaletra zu entnehmen ist, dass diese Arzneimittel zu einer Mahlzeit eingenommen werden können. In der Packungsbeilage zu Viread ist zudem darauf hingewiesen, dass im Falle starker Schluckbeschwerden dieses Arzneimittel auch in Wasser aufgelöst zu sich genommen werden kann.

Fehlt es nach alledem bereits an einer notstandsähnlichen Situation, also einem mit großer Wahrscheinlichkeit voraussichtlich tödlichen Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraumes, auch wenn eine Behandlung des Schwundes des Bindegewebes im Wangenbereich mit Poly-Milchsäure unterbleibt, bedarf es keiner Entscheidung dazu, ob die anderen nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG genannten Voraussetzungen für eine verfassungskonforme Auslegung des § 31 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB V erfüllt sind.

Die Berufung muss daher erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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