Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
23
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 23 (9) AS 30/07
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 B 97/08 NZB
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, den Klägern ab dem 1.12.2006 bis zum 30.5.2007 Kosten der Unterkunft in Höhe von zusätzlich 95,- EUR monatlich (insgesamt 505,- EUR monatlich) zu bewilligen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat den Klägern zwei Drittel ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Kosten der Unterkunft der Kläger im Rahmen des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II.
Der am 00.00.1944 geborene Kläger zu 1. und die am 00.00.1950 geborene Klägerin zu 2. sind miteinander verheiratet; der am 00.00.1989 geborene Kläger zu 3. ist ihr Sohn. Die Kläger beziehen seit Mai 2005 bei der Beklagten Leistungen nach dem SGB II.
Am 16.4.2005 bezogen die Kläger eine 93 qm große Wohnung im Iweg x in C. Die Wohnung liegt im vierten Obergeschoss und wurde im Zeitraum 1970/1977 erstmals bezugsfertig. Die monatliche Kaltmiete beträgt 440,- EUR. Hinzu kommen Nebenkosten von 115,- EUR monatlich.
Bei einer Vorsprache am 6.5.2005 wies die Beklagte den Kläger zu 1. darauf hin, dass die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch seien. Der Kläger zu 1. gab an, ihm sei bereits bei der zuvor für ihn zuständigen ARGE I gesagt worden, dass die Gesamtfläche seiner zukünftigen Wohnung maximal 75 qm betragen dürfe. Unangemessene Kosten müsse er selbst tragen. Mit Schreiben vom 15.2.2006 wies die Beklagte den Kläger zu 1. darauf hin, dass die Obergrenze für die angemessenen Kosten der Unterkunft (Kaltmiete plus Nebenkosten) in seinem konkreten Fall bei 410,- EUR monatlich liege. Die tatsächlichen Kosten würden nur noch bis zum 31.8.2006 als angemessene Kosten anerkannt.
Ab Mai 2005 bewilligte die Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 1.299,- EUR monatlich und berücksichtigte Unterkunftskosten in Höhe von 555,- EUR (440,- EUR Kaltmiete plus 115,- EUR Nebenkosten). Ab März 2006 betrug die Gesamtleistung 1.352,30 EUR bei unveränderten Unterkunftskosten.
Mit Bescheid vom 24.11.2006 bewilligte die Beklagte für den Zeitraum Dezember 2006 bis Mai 2007 nur noch Leistungen in Höhe von 1.207,30 EUR monatlich und berücksichtigte dabei nur noch 410,- EUR Miete einschließlich Nebenkosten.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 29.11.2006 Widerspruch und warf der Beklagten "Psychospiele" vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.1.2007 wies der Kreis N den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass nach einer "Übergangsfrist" von über neun Monaten die unangemessenen Kosten der Unterkunft nicht mehr übernommen werden könnten. Die Kläger hätten keinerlei Nachweise über Wohnungsbemühungen beigebracht.
Am 5.2.2007 haben die Kläger Klage erhoben. Sie tragen vor: Die Praxis der Beklagten, zur Bestimmung der Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft auf kreiseinheitliche Obergrenzen zurückzugreifen, stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Danach sei als Vergleichsmaßstab auf die Miete am konkreten Wohnort zurückzugreifen. Das Mietpreisniveau in C liege über dem durchschnittlichen Mietpreisniveau des Kreises N. Zudem sei das Aufforderungsschreiben zur Kostensenkung nicht hinreichend konkret genug, weil die in Betracht kommende Wohnungsgröße nicht angegeben sei. Die Angabe der Preisobergrenze genüge nicht. Der Vermieter sei vorübergehend bereit, die Miete um 150,- EUR monatlich zu senken. Der Kläger zu 1. sei nach fünf Herzinfarkten und zwei Schlaganfällen nicht mehr in der Lage Treppen zu steigen.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kreises N vom 26.1.2007 zu verurteilen, den Klägern Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von 555,- EUR monatlich (440,- EUR Miete plus 115,- EUR Nebenkosten) zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und vertritt die Auffassung, dass die kreiseinheitliche Obergrenze der angemessenen Unterkunftskosten für einen Dreipersonenhaushalt von 410,- EUR korrekt sei. Die Kläger seien auch ordnungsgemäß darauf hingewiesen worden, dass sie zu Bemühungen über eine Kostensenkung verpflichtet seien. Derartige Bemühungen hätten sie nicht nachgewiesen.
Im Erörterungstermin am 7.3.2008 haben die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Leistungsakte der Beklagten (1 Hefter) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Die Kläger erfüllen – als Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 2 und 3 SGB II –
unstreitig die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19 ff. SGB II. Ebenfalls unstreitig sind die für den streitbefangenen Zeitraum ab dem 1.12.2006 gewährten Regelleistungen (§ 20 SGB II) sowie die Leistungen für Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.
Die Kläger haben auch Anspruch auf höhere Leistungen für ihre Unterkunft. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger belaufen sich auf 555,- EUR monatlich (440,- EUR Kaltmiete plus 115,- EUR Nebenkosten).
Die Beklagte ist nicht verpflichtet, diese tatsächlichen Kosten gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zu übernehmen. Nach dieser Vorschrift sind Unterkunftskosten auch dann in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen, wenn sie unangemessen sind, solange es der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. In Anwendung dieser Vorschrift hatte die Beklagte die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger für ihre Unterkunft von Mai 2005 bis November 2006, mithin erheblich länger als sechs Monate akzeptiert. Eine weitere Berücksichtigung kam nicht in Betracht, nachdem die Beklagte die Kläger spätestens mit Schreiben vom 15.2.2006 wirksam aufgefordert hatte, die Kosten für die Unterkunft zu senken. Diese Kostensenkungsaufforderung hat eine allgemeine Aufklärungs- und Warnfunktion; eine gesetzliche Grundlage besteht nicht. Die Angabe des angemessenen Mietpreises ist regelmäßig ausreichend (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R -, FEVS 58, 248, Rn 29). Das Schreiben vom 15.2.2006 genügt diesen Anforderungen.
Die Kläger haben jedoch Anspruch auf Übernahme von 505,- EUR monatlich. Für den Zeitraum ab dem 1.12.2006 müssen sich die Kläger nicht auf die von der Beklagten herangezogene Obergrenze von 410,- EUR monatlich verweisen lassen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der die Kammer folgt, ist die Angemessenheit der Wohnungskosten in mehreren Schritten zu prüfen. Zunächst ist die Größe der Wohnung zu bestimmen. Hierbei ist die für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau anerkannte Wohnraumgröße zugrunde zu legen. Sie beträgt für einen Dreipersonenhaushalt 75 m² (vgl. nur Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 Rdnr. 43). Danach ist die Wohnung der Kläger mit 93 m² zu groß. Maßgebend für die Angemessenheit der Unterkunft ist allerdings nach der sogenannten Produkttheorie die Miete als Produkt aus
Wohnfläche und Wohnstandard (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 10/06 R –, FEVS 58, 248, Rdnr. 24), so dass es auf die Größe der Wohnung allein nicht ankommt. Zudem ist bei nicht angemessenen Unterkunftskosten in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen der Angemessenheit liegt (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 10/06 R –, FEVS 58, 248, Rdnr. 25).
Als weiterer Faktor ist der Wohnungsstandard zu berücksichtigen. Danach sind die Aufwendungen für eine Wohnung angemessen, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist. Als räumlicher Vergleichsmaßstab ist in erster Linie der Wohnort des Hilfebedürftigen maßgebend. Ein Umzug in einen anderen Wohnort, der mit einer Aufgabe des sozialen Umfeldes verbunden wäre, kann in der Regel nicht verlangt werden. Allerdings muss sich der räumliche Vergleichsmaßstab nicht strikt am kommunalverfassungsrechtlichen Begriff der Gemeinde orientieren. Im ländlichen Raum kann es geboten sein, größere Gebiete zusammenzufassen, während in größeren Städten eine Unterteilung in mehrere kleinere Vergleichsgebiete geboten sein kann. Schließlich müssen die Kläger an ihrem Wohnort tatsächlich die konkrete Möglichkeit haben, eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung konkret auf dem Wohnungsmarkt anmieten zu können (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R -, FEVS 58, 271, Rn. 19 – 22).
Das Bundessozialgericht geht weiter davon aus, dass die Grundsicherungsträger und die Gerichte daher nicht umhin kommen, jeweils die konkreten örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt zu ermitteln und zu berücksichtigen. Bei Fehlen entsprechender Mietspiegel oder Mietdatenbanken werde der Grundsicherungsträger zu erwägen haben, für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich eigene grundsicherungsrelevante Mietspiegel oder Tabellen zu erstellen. Nur soweit Erkenntnismöglichkeiten im lokalen Bereich nicht weiter führten, könne ein Rückgriff auf die Tabelle zu § 8 WoGG in Betracht kommen (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R -, FEVS 58, 271, Rn. 23). Daraus folgt, dass der zuständige Grundsicherungsträger ein schlüssiges Konzept entwickeln muss, das von den Gerichten nicht mehr im vollen Umfang überprüft wird; es ist nur eine Schlüssigkeitsprüfung erforderlich. Fehlt ein solches Konzept, muss die Behörde "nachlegen." Das Gericht muss ein solches Konzept nicht selbst voll ausermitteln (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 45 c).
Es kann – auch unter Berücksichtigung des in § 103 SGG normierten Untersuchungsgrundsatzes – nicht Aufgabe des Gerichts sein, für die Entscheidung eines Einzelfalles – und für bereits abgelaufene Zeiträume – ein Gesamtkonzept für die Angemessenheit der Unterkunftskosten aufzustellen. Es ist Aufgabe des Gerichts, Entscheidungen der Behörde zu überprüfen, nicht jedoch die Grundlagen dieser Entscheidungen selbst zu schaffen. Ein qualifizierter Mietspiegel i.S.d. § 558 d BGB erfordert u.a. eine repräsentative Datenerhebung und eine wissenschaftlich anerkannte Auswertungsmethode. Dies kann jedenfalls ein nur mit Einzelfällen befasstes Gericht mit einem vertretbaren Aufwand nicht leisten (in diesem Sinne kritisch auch Frank, in: Hohm (Herausgeber), Gemeinschaftskommentar zum SGB II, Stand März 2007, § 22 Rdnr. 27.2 m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen durfte die Beklagte nicht auf eine kreiseinheitliche Obergrenze von 410,- EUR (einschließlich Nebenkosten) zurückgreifen. Für C existiert kein aktueller Mietspiegel. Ein Konzept der Beklagten, das den vorstehend dargestellten Anforderungen des Bundessozialgerichts entspricht und insbesondere den Aspekt des "sozialen Umfeldes" berücksichtigt, liegt nicht vor. Vielmehr wird auf Obergrenzen abgestellt, die einheitlich für den gesamten Kreis N gelten. Im Hinblick darauf, dass den Klägern eine Aufgabe ihres sozialen Umfeldes nicht zumutbar ist, dürfte als räumlicher Vergleichsmaßstab auf das Stadtgebiet C abzustellen sein. Hier kommt noch hinzu, dass der Kläger zu 3. ein Gymnasium in I besucht, sodass eine Verweisung der Kläger auf entfernt liegende Städte und Gemeinden wie R, M, E oder L ersichtlich von vornherein ausscheidet. Dem tragen die kreiseinheitlich geltenden Mietobergrenzen nicht Rechnung.
Da es nicht Aufgabe des Gerichts sein kann, ein Konzept für die Angemessenheit der Unterkunftskosten für den Zeitraum Dezember 2006 bis Mai 2007 selbst zu entwickeln, führen Erkenntnismöglichkeiten im lokalen Bereich nicht weiter. Das Gericht greift daher für diesen Einzelfall auf die Tabelle zu § 8 WoGG zurück. Unbilligkeiten der Pauschalierung, die zu einem Zuschlag zugunsten des Leistungsempfängers führen könnten (angedeutet von BSG, Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 18/06 R -, FEVS 58, 271, Rn. 23) sind nicht ersichtlich. Da die Stadt C als Gemeinde mit Mieten der Stufe III einzustufen ist (Anlage zu § 1 Abs. 4 der Wohngeldverordnung) und die Wohnung der Kläger zwischen 1966 und 1991 bezugsfertig geworden ist, ergibt sich eine Miethöhe von monatlich 390,- EUR. Hinzu kommen 115,- EUR Nebenkosten, die – wie von der Beklagten auch vor dem 1.12.2006 praktiziert – in voller Höhe zu übernehmen sind (vgl. etwa LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 4.10.2006 – L 3 ER 148/06 AS -).
Die Kläger haben hingegen keinen Anspruch auf Übernahme der gesamten tatsächlichen Unterkunftskosten i.H.v. 555,- EUR monatlich. Allerdings können die Aufwendungen für die tatsächlich gemietete Unterkunft als konkret angemessen anzusehen sein. Das setzt jedoch voraus, dass den Klägern im streitbefangenem Zeitraum von Dezember 2006 bis Mai 2007 eine konkrete Unterkunftsalternative nicht zur Verfügung gestanden hat (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 18/06 R –, FEVS 58, 271, Rdnr. 22). Das ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Die Beklagte hat mehrfach auf in C angebotene Wohnungen hingewiesen (Leistungsakte Blatt 236, 242, 248, 251). Den Akten ist nicht zu entnehmen, dass die Kläger sich nach der am 15.2.2006 ergangenen Kostensenkungsaufforderung durch die Beklagte um eine andere Wohnung bemüht haben. Auch die Widerspruchsbegründung enthält keinen solchen Hinweis. Daraus ergibt sich jedenfalls die Möglichkeit, eine abstrakt als angemessen angesehene Wohnung auf dem Wohnungsmarkt anzumieten.
Es wäre Sache der Kläger gewesen nachzuweisen, dass sie keine dieser Wohnungen anmieten konnten, oder dass diese Wohnungen unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes des Klägers zu 1. nicht zumutbar waren. Es bedarf keiner Entscheidung, welche Anforderungen an diesbezügliche Aktivitäten der Kläger zu stellen sind, denn Bemühungen der Kläger um die Anmietung einer anderen Wohnung sind weder aktenkundig noch konkret vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Kosten der Unterkunft der Kläger im Rahmen des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II.
Der am 00.00.1944 geborene Kläger zu 1. und die am 00.00.1950 geborene Klägerin zu 2. sind miteinander verheiratet; der am 00.00.1989 geborene Kläger zu 3. ist ihr Sohn. Die Kläger beziehen seit Mai 2005 bei der Beklagten Leistungen nach dem SGB II.
Am 16.4.2005 bezogen die Kläger eine 93 qm große Wohnung im Iweg x in C. Die Wohnung liegt im vierten Obergeschoss und wurde im Zeitraum 1970/1977 erstmals bezugsfertig. Die monatliche Kaltmiete beträgt 440,- EUR. Hinzu kommen Nebenkosten von 115,- EUR monatlich.
Bei einer Vorsprache am 6.5.2005 wies die Beklagte den Kläger zu 1. darauf hin, dass die Kosten der Unterkunft unangemessen hoch seien. Der Kläger zu 1. gab an, ihm sei bereits bei der zuvor für ihn zuständigen ARGE I gesagt worden, dass die Gesamtfläche seiner zukünftigen Wohnung maximal 75 qm betragen dürfe. Unangemessene Kosten müsse er selbst tragen. Mit Schreiben vom 15.2.2006 wies die Beklagte den Kläger zu 1. darauf hin, dass die Obergrenze für die angemessenen Kosten der Unterkunft (Kaltmiete plus Nebenkosten) in seinem konkreten Fall bei 410,- EUR monatlich liege. Die tatsächlichen Kosten würden nur noch bis zum 31.8.2006 als angemessene Kosten anerkannt.
Ab Mai 2005 bewilligte die Beklagte den Klägern Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 1.299,- EUR monatlich und berücksichtigte Unterkunftskosten in Höhe von 555,- EUR (440,- EUR Kaltmiete plus 115,- EUR Nebenkosten). Ab März 2006 betrug die Gesamtleistung 1.352,30 EUR bei unveränderten Unterkunftskosten.
Mit Bescheid vom 24.11.2006 bewilligte die Beklagte für den Zeitraum Dezember 2006 bis Mai 2007 nur noch Leistungen in Höhe von 1.207,30 EUR monatlich und berücksichtigte dabei nur noch 410,- EUR Miete einschließlich Nebenkosten.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 29.11.2006 Widerspruch und warf der Beklagten "Psychospiele" vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.1.2007 wies der Kreis N den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass nach einer "Übergangsfrist" von über neun Monaten die unangemessenen Kosten der Unterkunft nicht mehr übernommen werden könnten. Die Kläger hätten keinerlei Nachweise über Wohnungsbemühungen beigebracht.
Am 5.2.2007 haben die Kläger Klage erhoben. Sie tragen vor: Die Praxis der Beklagten, zur Bestimmung der Angemessenheit der Kosten für die Unterkunft auf kreiseinheitliche Obergrenzen zurückzugreifen, stehe im Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Danach sei als Vergleichsmaßstab auf die Miete am konkreten Wohnort zurückzugreifen. Das Mietpreisniveau in C liege über dem durchschnittlichen Mietpreisniveau des Kreises N. Zudem sei das Aufforderungsschreiben zur Kostensenkung nicht hinreichend konkret genug, weil die in Betracht kommende Wohnungsgröße nicht angegeben sei. Die Angabe der Preisobergrenze genüge nicht. Der Vermieter sei vorübergehend bereit, die Miete um 150,- EUR monatlich zu senken. Der Kläger zu 1. sei nach fünf Herzinfarkten und zwei Schlaganfällen nicht mehr in der Lage Treppen zu steigen.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 24.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Kreises N vom 26.1.2007 zu verurteilen, den Klägern Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von 555,- EUR monatlich (440,- EUR Miete plus 115,- EUR Nebenkosten) zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide und vertritt die Auffassung, dass die kreiseinheitliche Obergrenze der angemessenen Unterkunftskosten für einen Dreipersonenhaushalt von 410,- EUR korrekt sei. Die Kläger seien auch ordnungsgemäß darauf hingewiesen worden, dass sie zu Bemühungen über eine Kostensenkung verpflichtet seien. Derartige Bemühungen hätten sie nicht nachgewiesen.
Im Erörterungstermin am 7.3.2008 haben die Beteiligten auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Leistungsakte der Beklagten (1 Hefter) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
Die Klage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Die Kläger erfüllen – als Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 2 und 3 SGB II –
unstreitig die Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach §§ 19 ff. SGB II. Ebenfalls unstreitig sind die für den streitbefangenen Zeitraum ab dem 1.12.2006 gewährten Regelleistungen (§ 20 SGB II) sowie die Leistungen für Heizung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II.
Die Kläger haben auch Anspruch auf höhere Leistungen für ihre Unterkunft. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger belaufen sich auf 555,- EUR monatlich (440,- EUR Kaltmiete plus 115,- EUR Nebenkosten).
Die Beklagte ist nicht verpflichtet, diese tatsächlichen Kosten gemäß § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II zu übernehmen. Nach dieser Vorschrift sind Unterkunftskosten auch dann in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen, wenn sie unangemessen sind, solange es der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. In Anwendung dieser Vorschrift hatte die Beklagte die tatsächlichen Aufwendungen der Kläger für ihre Unterkunft von Mai 2005 bis November 2006, mithin erheblich länger als sechs Monate akzeptiert. Eine weitere Berücksichtigung kam nicht in Betracht, nachdem die Beklagte die Kläger spätestens mit Schreiben vom 15.2.2006 wirksam aufgefordert hatte, die Kosten für die Unterkunft zu senken. Diese Kostensenkungsaufforderung hat eine allgemeine Aufklärungs- und Warnfunktion; eine gesetzliche Grundlage besteht nicht. Die Angabe des angemessenen Mietpreises ist regelmäßig ausreichend (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R -, FEVS 58, 248, Rn 29). Das Schreiben vom 15.2.2006 genügt diesen Anforderungen.
Die Kläger haben jedoch Anspruch auf Übernahme von 505,- EUR monatlich. Für den Zeitraum ab dem 1.12.2006 müssen sich die Kläger nicht auf die von der Beklagten herangezogene Obergrenze von 410,- EUR monatlich verweisen lassen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der die Kammer folgt, ist die Angemessenheit der Wohnungskosten in mehreren Schritten zu prüfen. Zunächst ist die Größe der Wohnung zu bestimmen. Hierbei ist die für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau anerkannte Wohnraumgröße zugrunde zu legen. Sie beträgt für einen Dreipersonenhaushalt 75 m² (vgl. nur Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 Rdnr. 43). Danach ist die Wohnung der Kläger mit 93 m² zu groß. Maßgebend für die Angemessenheit der Unterkunft ist allerdings nach der sogenannten Produkttheorie die Miete als Produkt aus
Wohnfläche und Wohnstandard (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 10/06 R –, FEVS 58, 248, Rdnr. 24), so dass es auf die Größe der Wohnung allein nicht ankommt. Zudem ist bei nicht angemessenen Unterkunftskosten in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen der Angemessenheit liegt (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 10/06 R –, FEVS 58, 248, Rdnr. 25).
Als weiterer Faktor ist der Wohnungsstandard zu berücksichtigen. Danach sind die Aufwendungen für eine Wohnung angemessen, wenn diese nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen gehobenen Wohnstandard aufweist. Als räumlicher Vergleichsmaßstab ist in erster Linie der Wohnort des Hilfebedürftigen maßgebend. Ein Umzug in einen anderen Wohnort, der mit einer Aufgabe des sozialen Umfeldes verbunden wäre, kann in der Regel nicht verlangt werden. Allerdings muss sich der räumliche Vergleichsmaßstab nicht strikt am kommunalverfassungsrechtlichen Begriff der Gemeinde orientieren. Im ländlichen Raum kann es geboten sein, größere Gebiete zusammenzufassen, während in größeren Städten eine Unterteilung in mehrere kleinere Vergleichsgebiete geboten sein kann. Schließlich müssen die Kläger an ihrem Wohnort tatsächlich die konkrete Möglichkeit haben, eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung konkret auf dem Wohnungsmarkt anmieten zu können (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R -, FEVS 58, 271, Rn. 19 – 22).
Das Bundessozialgericht geht weiter davon aus, dass die Grundsicherungsträger und die Gerichte daher nicht umhin kommen, jeweils die konkreten örtlichen Gegebenheiten auf dem Wohnungsmarkt zu ermitteln und zu berücksichtigen. Bei Fehlen entsprechender Mietspiegel oder Mietdatenbanken werde der Grundsicherungsträger zu erwägen haben, für den jeweiligen Zuständigkeitsbereich eigene grundsicherungsrelevante Mietspiegel oder Tabellen zu erstellen. Nur soweit Erkenntnismöglichkeiten im lokalen Bereich nicht weiter führten, könne ein Rückgriff auf die Tabelle zu § 8 WoGG in Betracht kommen (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R -, FEVS 58, 271, Rn. 23). Daraus folgt, dass der zuständige Grundsicherungsträger ein schlüssiges Konzept entwickeln muss, das von den Gerichten nicht mehr im vollen Umfang überprüft wird; es ist nur eine Schlüssigkeitsprüfung erforderlich. Fehlt ein solches Konzept, muss die Behörde "nachlegen." Das Gericht muss ein solches Konzept nicht selbst voll ausermitteln (vgl. Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 45 c).
Es kann – auch unter Berücksichtigung des in § 103 SGG normierten Untersuchungsgrundsatzes – nicht Aufgabe des Gerichts sein, für die Entscheidung eines Einzelfalles – und für bereits abgelaufene Zeiträume – ein Gesamtkonzept für die Angemessenheit der Unterkunftskosten aufzustellen. Es ist Aufgabe des Gerichts, Entscheidungen der Behörde zu überprüfen, nicht jedoch die Grundlagen dieser Entscheidungen selbst zu schaffen. Ein qualifizierter Mietspiegel i.S.d. § 558 d BGB erfordert u.a. eine repräsentative Datenerhebung und eine wissenschaftlich anerkannte Auswertungsmethode. Dies kann jedenfalls ein nur mit Einzelfällen befasstes Gericht mit einem vertretbaren Aufwand nicht leisten (in diesem Sinne kritisch auch Frank, in: Hohm (Herausgeber), Gemeinschaftskommentar zum SGB II, Stand März 2007, § 22 Rdnr. 27.2 m.w.N.).
Nach diesen Grundsätzen durfte die Beklagte nicht auf eine kreiseinheitliche Obergrenze von 410,- EUR (einschließlich Nebenkosten) zurückgreifen. Für C existiert kein aktueller Mietspiegel. Ein Konzept der Beklagten, das den vorstehend dargestellten Anforderungen des Bundessozialgerichts entspricht und insbesondere den Aspekt des "sozialen Umfeldes" berücksichtigt, liegt nicht vor. Vielmehr wird auf Obergrenzen abgestellt, die einheitlich für den gesamten Kreis N gelten. Im Hinblick darauf, dass den Klägern eine Aufgabe ihres sozialen Umfeldes nicht zumutbar ist, dürfte als räumlicher Vergleichsmaßstab auf das Stadtgebiet C abzustellen sein. Hier kommt noch hinzu, dass der Kläger zu 3. ein Gymnasium in I besucht, sodass eine Verweisung der Kläger auf entfernt liegende Städte und Gemeinden wie R, M, E oder L ersichtlich von vornherein ausscheidet. Dem tragen die kreiseinheitlich geltenden Mietobergrenzen nicht Rechnung.
Da es nicht Aufgabe des Gerichts sein kann, ein Konzept für die Angemessenheit der Unterkunftskosten für den Zeitraum Dezember 2006 bis Mai 2007 selbst zu entwickeln, führen Erkenntnismöglichkeiten im lokalen Bereich nicht weiter. Das Gericht greift daher für diesen Einzelfall auf die Tabelle zu § 8 WoGG zurück. Unbilligkeiten der Pauschalierung, die zu einem Zuschlag zugunsten des Leistungsempfängers führen könnten (angedeutet von BSG, Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 18/06 R -, FEVS 58, 271, Rn. 23) sind nicht ersichtlich. Da die Stadt C als Gemeinde mit Mieten der Stufe III einzustufen ist (Anlage zu § 1 Abs. 4 der Wohngeldverordnung) und die Wohnung der Kläger zwischen 1966 und 1991 bezugsfertig geworden ist, ergibt sich eine Miethöhe von monatlich 390,- EUR. Hinzu kommen 115,- EUR Nebenkosten, die – wie von der Beklagten auch vor dem 1.12.2006 praktiziert – in voller Höhe zu übernehmen sind (vgl. etwa LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 4.10.2006 – L 3 ER 148/06 AS -).
Die Kläger haben hingegen keinen Anspruch auf Übernahme der gesamten tatsächlichen Unterkunftskosten i.H.v. 555,- EUR monatlich. Allerdings können die Aufwendungen für die tatsächlich gemietete Unterkunft als konkret angemessen anzusehen sein. Das setzt jedoch voraus, dass den Klägern im streitbefangenem Zeitraum von Dezember 2006 bis Mai 2007 eine konkrete Unterkunftsalternative nicht zur Verfügung gestanden hat (vgl. BSG, Urteil vom 7.11.2006 – B 7b AS 18/06 R –, FEVS 58, 271, Rdnr. 22). Das ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Die Beklagte hat mehrfach auf in C angebotene Wohnungen hingewiesen (Leistungsakte Blatt 236, 242, 248, 251). Den Akten ist nicht zu entnehmen, dass die Kläger sich nach der am 15.2.2006 ergangenen Kostensenkungsaufforderung durch die Beklagte um eine andere Wohnung bemüht haben. Auch die Widerspruchsbegründung enthält keinen solchen Hinweis. Daraus ergibt sich jedenfalls die Möglichkeit, eine abstrakt als angemessen angesehene Wohnung auf dem Wohnungsmarkt anzumieten.
Es wäre Sache der Kläger gewesen nachzuweisen, dass sie keine dieser Wohnungen anmieten konnten, oder dass diese Wohnungen unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes des Klägers zu 1. nicht zumutbar waren. Es bedarf keiner Entscheidung, welche Anforderungen an diesbezügliche Aktivitäten der Kläger zu stellen sind, denn Bemühungen der Kläger um die Anmietung einer anderen Wohnung sind weder aktenkundig noch konkret vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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NRW
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