S 19 AS 923/08

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 19 AS 923/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Es wird festgestellt, dass die Eingliederungsvereinbarung vom 28.01.2008 insoweit unwirksam ist, als darin die Verpflichtung des Klägers festgelegt wird, eine Arbeitsgelegenheit bei "JOB.IN Weilheim-Schongau" auszuüben.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Eingliederungsvereinbarung. Am 28.01.2008 unterzeichnete der Kläger eine ihm vom Beklagten unterbreitete Eingliederungsvereinbarung.

Diese Eingliederungsvereinbarung sah vor, dass der Kläger an einer Arbeitsgelegen-heit mit Mehraufwandsentschädigung durch "JOB.IN Weilheim-Schongau" teilzunehmen hätte. Zum Wesen von "JOB.IN" hieß es: "JOB.IN ist eine Koordinierungs-, Vermittlungs-, und Begleitungsstelle für Arbeitsgelegenheiten." Der Einsatz bei JOB.IN sollte am 12.02.2008 beginnen und nach sechs Monaten enden. Die Zuweisung zu geeigneten Arbeitsstellen sollte durch JOB.IN erfolgen. Die Festlegung der Einsatz-stelle sollte sich nach den Stärken, Ressourcen und festgelegten Zielen des Klägers richten. Als durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit wurden 20 Stunden festgelegt, die Verteilung der Stunden sollte der Arbeitgeber entsprechend seines Einsatzbedar-fes festlegen bzw. mit dem Kläger vereinbaren. Als Mehraufwandsentschädigung für jede geleistete und vom Arbeitgeber abgerechnete Arbeitsstunde wurden 1,25 EUR vereinbart. Diese Mehraufwandsentschädigung sollte dem Kläger von JOB.IN monat-lich nachträglich ausgezahlt werden; eine Anrechnung dieses Betrages auf die laufenden Leistungen sollte nicht erfolgen.

Bevor der Kläger die Eingliederungsvereinbarung am 28.01.2008 unterschrieb, hatte er gegenüber der Sachbearbeiterin des Beklagten darauf hingewiesen, dass er gegen die Teilnahme an der Arbeitsgelegenheit Bedenken habe, da er morgens von 04:00 Uhr bis 06:00 Uhr auf 400,00-EUR-Basis Zeitungen austrage und in den Stunden da-nach wegen möglicher Reklamationen von Kunden sich zur Verfügung halten müsse. Der Kläger bringt vor, er habe die Unterschrift nur deshalb geleistet, weil ihm die Sachbearbeiterin die Auskunft gegeben habe, dass er die Wirksamkeit der Eingliede-rungsvereinbarung gerichtlich überprüfen lassen könne.

Am 08.02.2008 legte der Kläger gegen die Eingliederungsvereinbarung Widerspruch ein mit der Begründung, dass er seine Tätigkeit als Zeitungsausträger mit der Arbeits-gelegenheit zeitlich nicht vereinbaren könne. Diesen Widerspruch verwarf der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.03.2008 als unzulässig.

Mit Bescheid vom 04.04.2008 senkte der Beklagte die Regelleistung des Klägers um 30 Prozent, also um 94,00 EUR monatlich, für den Zeitraum vom 01.05. bis zum 31.07.2008 ab, weil er entgegen der Eingliederungsvereinbarung nicht an der Arbeits-gelegenheit "JOB.IN" teilgenommen habe. Mit Bewilligungsbescheid vom selben Tag wurden die dem Kläger zustehenden Leistungen für die Zeit vom 01.03. bis zum 30.06.2008 neu festgesetzt.

Am 15.04.2008 erhob der Kläger gegen den Widerspruchsbescheid vom 14.03.2008 Klage mit dem Antrag, die Eingliederungsvereinbarung für ungültig zu erklären.

Am 18.04.2008 legte der Kläger gegen den Absenkungs- und Bewilligungsbescheid vom 04.04.2008 Widerspruch ein, den der Beklagte am 22.04.2008 als unbegründet zurückwies. Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger keine Klage erhoben.

Der Kläger beantragt,

1. den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 14.03.2008 aufzuheben und

2. festzustellen, dass die Eingliederungsvereinbarung vom 28.01.2008 insoweit unwirksam ist, als darin die Verpflichtung des Klägers festgelegt wird, eine öf-fentlich geförderte Beschäftigung bei "JOB.IN Weilheim-Schongau" auszu-üben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte bringt vor, jedenfalls nachmittags sei dem Kläger ein Einsatz bei "JOB.IN" zumutbar.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Akte des Be-klagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage war als unbegründet abzuweisen, soweit sie auf die Aufhebung des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 14.03.2008 gerichtet war. Der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 14.03.2008 war rechtmäßig. Ein Widerspruch gegen die Eingliederungsvereinbarung vom 28.01.2008 war unzulässig, da es sich dabei um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag und nicht um einen Verwaltungsakt handelte.

Soweit dagegen die Klage auf die Feststellung gerichtet war, dass die Eingliederungsver-einbarung vom 28.01.2008 insoweit unwirksam ist, als darin die Verpflichtung des Klägers festgelegt wird, eine Arbeitsgelegenheit bei "JOB.IN Weilheim-Schongau" auszuüben, war die Klage zulässig und begründet.

Die Zulässigkeit der Feststellungsklage ergibt sich aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichts-gesetz (SGG). Danach kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbe-stehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Das berechtigte Interesse an der baldigen Fest-stellung der Unwirksamkeit der Eingliederungsvereinbarung ergibt sich aus der in § 31 SGB II festgelegten Möglichkeit der Sanktionierung von Verstößen gegen die Eingliede-rungsvereinbarung, die bei wiederholten Pflichtverletzungen bis zum vollständigen Entzug des Arbeitslosengeldes II gehen kann. Die reine Feststellungsklage war auch nicht subsidiär gegenüber einer kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage: Der Kläger war nicht darauf zu verweisen, zunächst die Feststellung der Unwirksamkeit der Vereinbarung durch feststellenden Verwaltungsakt bei dem Beklagten zu beantragen und gegen einen Ablehnungsbescheid Widerspruch und später kombinierte Anfechtungs- und Feststel-lungsklage zu erheben. Der Beklagte ist nämlich nicht befugt, die sich aus einer von ihm selbst abgeschlossenen öffentlich-rechtlichen Vereinbarung ergebenden Rechte und Pflichten durch Verwaltungsakt festzustellen. Die Handlungsform des Verwaltungsaktes ist im Vollzug der sich aus einem Verwaltungsvertrag ergebenden Rechte und Pflichten unzulässig (vgl. Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, 5. A. 2005, § 60 Rdnr. 4).

Die Vereinbarung der Verpflichtung des Klägers, an Arbeitsgelegenheiten durch "JOB.IN" teilzunehmen, war unter mehreren Gesichtspunkten rechtswidrig:

1. Obwohl der Kläger mit seiner Tätigkeit als Zeitungszusteller ein berechtigtes An-liegen vorgebracht hat, das für die Teilnahme an der Arbeitsgelegenheit von Be-lang war, hat es der Beklagte unterlassen, in irgendeiner Weise in der Eingliede-rungsvereinbarung auf diesen Belang einzugehen. Es genügt nicht als Rechtferti-gung, dass der Beklagte in einem Aktenvermerk intern niederlegt, dass ein Einsatz am Nachmittag ohne Weiteres möglich wäre. Vielmehr hätte eine solche Beschränkung auf den Nachmittag Inhalt der Eingliederungsvereinbarung werden müssen, um die Rechte des Klägers auch gegenüber dem Maßnahmeträger, der in der Eingliederungsvereinbarung die unbeschränkte Befugnis zur Arbeitszutei-lung erhalten hat, zu wahren. Dass dies nicht geschehen ist, stellt einen Verstoß gegen das in § 15 SGB II enthaltene Verhandlungsgebot dar.

2. Die Eingliederungsvereinbarung ist inhaltlich zu unbestimmt, was den Maßnahme-träger betrifft, dem ein unbeschränktes Weisungsrecht bei der Zuteilung der Auf-gaben eingeräumt wird. Der Maßnahmeträger "JOB.IN Weilheim-Schongau" wird in der Eingliederungsvereinbarung nicht weiter spezifiziert. Auf Nachfrage des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung erklärte der Bevollmächtigte des Beklagten, dass Träger der Maßnahme "JOB.IN" die ökumenische Sozialstation im Landkreis Weilheim-Schongau gGmbH in Kooperation mit dem Caritasverband für den Landkreis Weilheim-Schongau e.V. im Auftrag der Beklagten sei. Diese Trä-gerschaft hat in der Eingliederungsvereinbarung keinerlei Niederschlag gefunden. Auch lässt die Angabe des Bevollmächtigten der Beklagten immer noch nicht er-kennen, wer nun genau der Maßnahmeträger ist, die ökumenische Sozialstation gGmbH oder der Caritasverband.

3. Da für die Arbeitsgelegenheit eine zuzüglich zum Arbeitslosengeld II zu zahlende Mehraufwandsentschädigung vorgesehen ist, ist die Arbeitsgelegenheit gemäß § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II nur dann rechtmäßig, wenn es sich um im öffentlichen In-teresse liegende, zusätzliche Arbeiten handelt. Ob es sich um solche Arbeiten handelt, muss aus der Eingliederungsvereinbarung selbst ersichtlich sein. Es ist nicht zulässig, die Bestimmung der Art der Arbeiten allein dem Maßnahmeträger zu überlassen.

Der Verstoß gegen die genannten Rechtsvorschriften führt gemäß § 58 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 134 BGB zur Nichtigkeit der entsprechenden Vertragsklausel. Wegen der fehlen-den Waffengleichheit zwischen dem Kläger und dem Beklagten, der eine Weigerung, die Eingliederungsvereinbarung abzuschließen oder die darin festgelegten Pflichten zu erfül-len, mit dem Entzug des Existenzminimums ahnden kann, gebietet es der effektive Rechtsschutz des Klägers, die hier vorliegenden Rechtsverstöße als qualifizierte Rechtsverstöße (vgl. Engelmann, in: Wulffen, SGB X, 5. A. 2005, § 58 Rdnr. 6) anzusehen, die gemäß § 58 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 134 BGB zur Nichtigkeit der Vereinbarung führen (für ein vollständiges Entfallen der Wirksamkeitsvermutung nach § 58 SGB X wegen des Fehlens eines freien Aushandelns bei der Eingliederungsvereinbarung Eicher/ Spellbrink, SGB II, 2. A. 2008, § 15 Rdnr. 11).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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