L 16 AS 118/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 9 AS 546/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 118/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Die Berufung der Kläger wird als unzulässig verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte den Klägern deren außergerichtlichen Kosten im Widerspruchsverfahren dem Grunde nach zu erstatten hat.

Die 1965 geborene Klägerin zu 1, bosnische Staatsangehörige und alleinerziehend, lebt mit ihren Kindern J. (geb. 1996), N. (geb. 1997), B. (geb. 1999) - deutsche Staatsangehörige - sowie ihrem in Bosnien im Jahr 1988 geborenen Kind A.- Kläger zu 2 bis 5 - in einem gemeinsamen Haushalt. Sie bezog bis Dezember 2004 Sozialhilfe. Ab 01.01.2005 gewährte die Beklagte ihr und ihren Kindern B., N. und J. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Da A.die Kinderpflegeschule besuchte und Leistungen nach dem BAFöG bezog (so von der Klägerin zu 1 angegeben in ihren Anträgen sowie in dem Fortzahlungsantrag vom 23.11.2005), war diese nicht in die Bedarfsgemeinschaft aufgenommen. Als Einkommen wurden die Unterhaltszahlungen an die 3 Kinder sowie das für diese bezahlte Kindergeld berücksichtigt.

Die Beklagte nahm ihren Bescheid vom 25.11.2005, mit dem sie für den Zeitraum von Januar bis Juni 2006 Arbeitslosengeld II in Höhe von monatlich EUR 599,45 bewilligt hatte, mit Bescheid vom 25.01.2006 zurück und reduzierte den monatlichen Zahlbetrag auf EUR 461,25 mit der Begründung, dass der für B. gezahlte erhöhte Unterhaltsvorschuss und das Einkommen der Klägerin zu 1 aus Erwerbstätigkeit anzurechnen seien.

Der vom Prozessbevollmächtigten der Kläger dagegen erhobene Widerspruch vom 09.02.2006 wurde entgegen dessen Ankündigung und trotz Mahnungen der Beklagten nicht begründet.

Da am 27.03.2006 bei der Beklagten der BAFöG-Änderungsbescheid vom 26.01.2006, wonach der Klägerin zu 5 wegen Schulaustrittes ab Dezember 2005 bis Juli 2006 keine Ausbildungsförderung zustand, einging, hob die Beklagte mit Bescheid vom 05.04.2006 den angefochtenen Bescheid vom 25.01.2006 nach § 45 SGB X (richtigerweise § 44 SGB X) auf und erhöhte den Zahlbetrag (Januar: EUR 733,30; Februar bis März: EUR 828,50; April: EUR 731,74; Mai: EUR 605,14 und Juni: EUR 573,99). Denn die Klägerin zu 5 sei ab Dezember 2005 in die Bedarfsgemeinschaft aufzunehmen, weil sie keine Ausbildungsförderung mehr erhalte. Dieser Bescheid sei gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.

Die Beklagte hob mit weiterem Bescheid vom 05.05.2006 die bisher in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen insoweit auf, als der Zahlbetrag für die im Mai und Juni 2006 zustehenden Leistungen auf EUR 376,85 bzw. EUR 322,84 zu reduzieren sei, weil die Klägerin zu 5 wegen ihrer Volljährigkeit ab 07.05.2006 nicht mehr in der Bedarfsgemeinschaft zu berücksichtigen und ein Einkommen der Klägerin zu 1 aus Erwerbstätigkeit in Höhe von EUR 233,61 monatlich anzurechnen sei. Dieser Bescheid sei ebenfalls gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahrens.

Der Widerspruch wurde nach Aktenlage mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2006 als unbegründet zurückgewiesen, weil Anhaltspunkte für eine falsche Entscheidung weder von den Klägern genannt worden noch aus den Unterlagen ersichtlich seien. Die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen seien nach § 63 SGB X nicht zu erstatten.

Zur Begründung der dagegen erhobenen Klage trugen die Kläger nach zahlreichen Mahnungen vor, dass dieser Widerspruchsbescheid kraft Gesetzes nicht hätte erlassen werden dürfen und daher keine Kostenentscheidung hätte ergehen dürfen. Sie beantragten daher die Aufhebung dieses Widerspruchsbescheides. Im Erörterungstermin vom 15.02.2007 führte der Prozessbevollmächtigte der Kläger aus, dass dem Anliegen der Kläger durch die Abhilfebescheide Rechnung getragen worden sei und die Kläger durch den Widerspruchsbescheid formell beschwert seien. Sie seien auch sachlich insoweit beschwert, als der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen worden sei.

Das Sozialgericht wies die Klage im schriftlichen Verfahren mit Urteil vom 28. Februar 2007 ab. Das Widerspruchsverfahren habe nur durch Erlass eines Widerspruchsbescheides beendet werden können. Hinsichtlich der Kostenentscheidung habe die Beklagte § 63 SGB X zutreffend angewandt. Kosten seien von der Beklagten nicht zu erstatten, weil die streitbefangenen Änderungsbescheide auf Grund der ihm Klageverfahren S 1 AS 90/06 vorgelegten Unterlagen ergangen seien. Auch habe der Prozessbevollmächtigte der Kläger weder im Widerspruchs- noch im Klageverfahren etwas zur Klärung der materiellen Rechtslage beigetragen.

Dagegen hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger am 16.04.2007 Berufung eingelegt. Eine schriftliche Begründung der Berufung ist bis zum Ende der mündlichen Verhandlung nicht vorgelegt worden.

Im Erörterungstermin vom 29.11.2007 hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger darauf verwiesen, dass der Widerspruchsbescheid nicht mehr hätte ergehen dürfen, weil die Änderungsbescheide dem Begehren der Kläger bereits voll entsprochen hätten. Er habe seinen Widerspruch telefonisch gegenüber einem Sachbearbeiter der Beklagten dahingehend spezifisiert, dass die Klägerin zu 5 nicht in der Bedarfsgemeinschaft aufgeführt worden sei. Über diese Telefonate wolle er noch Nachweise sowie einen weiteren Schriftsatz vorlegen. Die Beklagte habe die außergerichtlichen Kosten für das Widerspruchsverfahren zu erstatten. Entgegen seiner Ankündigung hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger bis zum Ende der mündlichen Verhandlung weder einen Schriftsatz noch Nachweise über die behaupteten Telefonate mit der Beklagten vorgelegt.

Die Kläger beantragen sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 28.02.2007 sowie den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 12.06.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Klägern deren außergerichtlichen Kosten im Widerspruchsverfahren in vollem Umfang zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach ihrer Ansicht habe der Widerspruch dann keinen "Erfolg" im Sinn des § 63 Abs.1 Satz 1 SGB X, wenn nach dem konkreten Sachverhalt ein anderer Umstand als der Widerspruch dem Erfolg rechtlich zuzurechnen sei. Verwiesen wird auf die Urteile des BSG vom 21.07.1992, Az. B 4 RA 20/91 und vom 18.12.2001, Az. B 12 KR 42/00, wonach ein Widerspruch dann nicht "erfolgreich" sei, wenn die abhelfende Entscheidung nicht dem Widerspruch, sondern einem anderen Umstand wie z.B. der nachträglichen Erfüllung von Mitwirkungspflichten zuzurechnen sei. Die "Abhilfeentscheidung" beruhe hier auf einer nachträglichen Erfüllung der Mitwirkungspflicht der Kläger, weil der Abbruch der Schulausbildung der Klägerin zu 5 ab Dezember 2005 nicht mitgeteilt und der BAFöG-Änderungsbescheid vom 26.01.2006 erst am 27.03.2006 vorgelegt worden sei.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie die Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist mangels Erreichen der Berufungssumme (§ 144 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG - ) und mangels Zulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Augsburg (§ 144 Abs. 2 SGG) nicht statthaft und daher als unzulässig zu verwerfen.

1. Die Berufung ist nicht bereits nach § 144 Abs.4 SGG ausgeschlossen, weil diese Vorschrift nicht den Streit um die Kosten eines isolierten Vorverfahrens erfasst (so Meyer-Ladewig § 144 Rdnr. 49 m.w.N.).

2. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt nicht EUR 500. Ziel der Berufung des Prozessbevollmächtigten der Kläger ist nach seinem Vorbringen im Erörterungstermin allein die Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten im Widerspruchsverfahren, die den Beschwerdewert von EUR 500 nicht übersteigen. Da der Prozessbevollmächtigte der Kläger die geltend gemachten außergerichtlichen Kosten trotz eines Hinweisschreibens des Senats, dass die Berufung mangels Erreichen der Berufungssumme und mangels Zulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Augsburg nicht statthaft und somit unzulässig sein dürfte, nicht beziffert hat, ist davon auszugehen, dass er als Organ der Rechtspflege nur die ihm zustehenden Kosten geltend macht.

Nach § 3 Abs.2 i.V.m. Abs.1 Satz 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) sind die Betragsrahmengebühren anzuwenden. Nach Teil 2 Abschnitt 4 VV Nr. 2400 beträgt die Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Betragsrahmengebühren entstehen, EUR 40 bis EUR 520 (für den durchschnittlichen Umfang der Tätigkeit eine Mittelgebühr in Höhe von EUR 280). Diese Geschäftsgebühr deckt die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts, die sich auf die in Frage stehende Angelegenheit bezieht, ab.

Auch wenn der Prozessbevollmächtigte für fünf Kläger tätig war, erhält er nach § 7 Abs.1 RVG nur einmal die Gebühr, weil er in derselben Angelegenheit für mehrere Auftraggeber tätig war. Nach VV 1008 erhöht sich der Mindest- und Höchstbetrag für jede weitere Person um 30 %. Die Erhöhungen bei Betragsrahmengebühren dürfen aber nach VV 1008 Abs. 3 das Doppelte des Mindest- und Höchstbetrages nicht übersteigen, so dass sich eine Untergrenze von EUR 80 und eine Obergrenze von EUR 1.040 ergibt.

Die Höhe der Gebühr ist gemäß § 14 RVG unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs (zeitlicher Arbeitsaufwand) und der Schwierigkeit (Intensität der Arbeit) der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers (schlechtere wirtschaftliche Verhältnisse als der Durchschnitt der Bevölkerung bedingen eine Ermäßigung der Gebühren; s. Gerold/Schmidt-Madert, 17. Auflage, § 14 RVG Rdnr. 18) nach billigen Ermessen zu bestimmen. Die Mindestgebühr kommt nur für die denkbar einfachste außergerichtliche Anwaltstätigkeit in Betracht. Da der Prozessbevollmächtigte die Kläger im Widerspruchsverfahren jeweils wegen des gleichen Gegenstandes vertrat und der Widerspruch trotz wiederholter Mahnungen durch die Beklagte vom Rechtsanwalt der Kläger nicht begründet wurde, ist mangels ersichtlichen Arbeitsaufwandes des Rechtsanwalts in quantitativer sowie in qualitativer Hinsicht (nur geringer Aufwand) und auf Grund der schlechten Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger allenfalls von einer Geschäftsgebühr in Höhe von ca. EUR 300,- auszugehen.

Daneben ist nicht VV Nr. 2401 zusätzlich anzuwenden, weil der Tätigkeit des Anwalts keine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren vorausging. Er wurde erst zur Erhebung des Widerspruchs bevollmächtigt und war nicht bereits im vorausgehenden Verwaltungsverfahren tätig.

Unter Berücksichtigung der zu erstattenden Auslagenpauschale in Höhe von EUR 20,- sowie einer Umsatzsteuer errechnet sich kein EUR 500,- überschreitender Betrag.

3. Die Berufung wurde auch nicht im angefochtenen Urteil des Sozialgerichts zugelassen. Die irrtümlich für zulassungsfreie Berufungen angeführte übliche Rechtsmittelbelehrung des Sozialgerichts Augsburg beinhaltet noch keine konkludente Zulassung der Berufung.

Das Sozialgericht hat irrtümlich angenommen, die Berufung sei ohne Zulassung statthaft, und hat deswegen die Zulassung nicht geprüft und nicht darüber entschieden. Die für zulassungsfreie Berufungen übliche Rechtsmittelbelehrung ist keine Entscheidung über die Zulassung, sondern eine falsche Belehrung (BSG NZS 1997, 388; BSGE 99, 156). Eine Auslegung oder Umdeutung der Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil die Kläger der falschen Rechtsmittelbelehrung folgend wirklich Berufung einlegen wollten (BSG SozR 1500 § 160 a Nr. 6; NZS 1997, 388; Ulmer SGb 1996, 208). Die h.M. in der Rechtsprechung (BSG NZS 1997, 388; BSGE 97, 391; 99, 157; LSG SH NZS 2002, 390) und Literatur (Krasney/Udsching VIII 43; PSW Rdnr. 284; Bernsdorff in Hennig Rdnr. 42; Ulmer SGb 1996, 208; Roos NZS 1999, 182 f.) nimmt in derartigen Fällen an, dass es bei dem Grundsatz, dass das LSG nicht über die Zulassung der Berufung entscheiden darf, bleibt, weil ihm keine Nichtzulassungsbeschwerde vorliegt.

Die Berufung war daher als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der Erwägung, dass die Berufung keinen Erfolg hatte (§ 193 SGG).

Gründe, gem. § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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