S 14 (23) AS 11/06

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 14 (23) AS 11/06
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 09.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.08.2006 verurteilt, dem Kläger ab 01.04.2007 einen Zuschuss zu den Kosten seiner Kranken- und Pflegeversicherung nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob der Kläger und die Zeugin M eine eheähnliche Lebensgemeinschaft darstellen und ob deshalb auf den Bedarf des Klägers Einkommen der Zeugin M angerechnet werden kann.

Der am 00.00.1955 geborene Kläger ist belgischer Staatsangehöriger. Er ist seit längerem arbeitslos und seit 2000 von seiner damaligen Ehefrau, von der er seit 1997 getrennt lebte, geschieden. Seit 2000 lebt er in einer Wohnung mit der am 13.06.1954 geborenen Zeugin M. In der Folge eines im Jahr 2000 erlittenen Unfalles erkrankte die Zeugin M schwer. Bei ihr ist die Pflegestufe 1 und seit dem 18.04.2002 ein Grad der Behinderung von 90 anerkannt. Nachteilsausgleiche nach dem Schwerbehindertenrecht sind nicht anerkannt. Beim Kläger ist wegen einer Funktionseinschränkung der linken unteren Gliedmaße ein Grad der Behinderung von 30 anerkannt. Die von dem Kläger und der Zeugin M gemeinsam bewohnte 59 m² große Wohnung war von der Zeugin M bereits 1991 angemietet worden. 2006 zahlte sie eine monatliche Miete einschließlich aller Neben- und Heizkosten in Höhe von 325,95 EUR. Ab dem 01.12.2006 betrug die monatliche Miete 359,89 EUR und ab dem 01.12.2007 382,32 EUR. Die Zeugin M bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, deren monatliche Höhe zwischen 1.106,35 EUR im Jahr 2005 und 1.092,99 EUR im Juli 2007 pendelte. Seit Juli 2007 beläuft sich der monatliche Zahlbetrag auf 1.098,85 EUR. Der Kläger bezog bis zum 25.02.2006 Arbeitslosengeld. Er verfügt über eine Lebensversicherung bei der Allianz Versicherung, deren Rückkaufswert 2006 knapp unter 2.000,00 EUR betrug. Er zahlte 2006 für eine Kfz-Haftpflichtversicherung einen halbjährlichen Beitrag von 177,87 EUR.

Die Zeugin M hat für ihre Wohnung eine Hausratversicherung bei der Gothaer Allgemeine Versicherungs AG abgeschlossen. Ausweislich der Versicherungspolice handelt es sich um eine Familienversicherung. Die Zeugin M verfügt außerdem über eine Privathaftpflichtversicherung. Bei dieser erstmalig am 22.12.2006 beantragten Versicherung handelt es sich um eine Haftpflichtversicherung für "Singles". Für das Konto des Klägers bei der Sparkasse E existieren keine Vollmachten für dritte Personen. Für das Konto der Zeugin M bei der Sparkasse Aachen existiert eine Vollmacht für den Kläger.

Am 06.02.2006 beantragte der Kläger erstmals Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende. Er selber gab unter der Rubrik persönliche Verhältnisse mit schwarzem Kugelschreiber an, dass er alleinstehend und geschieden sei. Mit grünem Filzstift trug der damalige Sachbearbeiter später auch die Zeugin M und das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft seit 2000 ein. Laut einer Niederschrift der Beklagten vom 02.03.2006 waren an diesem Tage sowohl der Kläger als auch die Zeugin M vorstellig geworden. Der Kläger erklärte demnach, dass er mit der Zeugin M zusammen wirtschafte und auch deren Pflege sicherstelle. Beide stellten eine nichteheliche Lebensgemeinschaft dar. Die Verhandlungsniederschrift wurde von dem Kläger und der Zeugin M unterschrieben. Laut einem Aktenvermerk vom gleichen Tage erklärte der Kläger, dass er und die Zeugin M wie ein "Ehepaar, nur ohne Trauschein" lebten. Anfang 2006 hätten beide einen gemeinsamen Urlaub in der Türkei gemacht. Am 17.02.2006 bescheinigte der Vermieter der Zeugin M dem Kläger "wunschgemäß", dass dieser seit 2000 mit der Zeugin M in Wohngemeinschaft lebe.

Mit Bescheid vom 09.03.2006 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab. Es sei von einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zwischen ihm und der Zeugin M auszugehen. Sein Bedarf belaufe sich auf einen Regelleistungsanteil von 311,00 EUR sowie einen hälftigen Anteil an den Unterkunftskosten, zusammen 473,96 EUR. Dem müsse ein entsprechender Anteil an dem zu berücksichtigendem Einkommen der Frau M gegenübergestellt werden. Dieser Einkommensanteil übersteige den Bedarf des Klägers.

Am 29.03.2006 legte der Kläger Widerspruch ein. Zwischen ihm und der Zeugin M bestehe lediglich eine Wohngemeinschaft. Er hätte die Niederschrift und den durch den Sachbearbeiter abgeänderten Antrag nur deshalb unterschrieben, da der Sachbearbeiter ihm für diesen Fall in Aussicht gestellt habe, dass er dann Wohngeld bekomme. Er pflege die Zeugin M und übernehme auch den kompletten Haushalt. Beide lebten in einer Wohngemeinschaft, um die Kosten der Miete so gering wie möglich zu halten. Bei der Berechnung der Beklagten sei ein behinderungsbedingter Mehrbedarf der Zeugin M zu berücksichtigen. Es bestünden keine gemeinsamen Konten. Beide schliefen in getrennten Betten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.08.2006 zurück. Von einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft könne insbesondere deshalb ausgegangen werden, da der Kläger und die Zeugin M bereits seit sechs Jahren zusammen lebten und der Kläger die Zeugin M pflege. Am 28.08.2006 ging bei der Beklagten ein anonymes Schreiben ein, in dem die Behauptung aufgestellt wurde, der Kläger sei der Lebensgefährte von Frau M und lebe mit dieser seit ca. 10 Jahren zusammen.

Am 05.09.2006 hat der Kläger Klage erhoben.

Seit dem 01.04.2007 ist der Kläger wieder kranken- und pflegeversichert. Der monatliche Beitrag beläuft sich auf 129,30 EUR.

Der Kläger trägt vor, dass er nicht über das Einkommen von Frau M verfügen könne. Anlässlich der Vorsprache im Februar 2006 sei ihm als Belgier nicht klar gewesen, was eine nichteheähnliche Lebensgemeinschaft sei. Er habe diesen Begriff vielmehr dahingehend verstanden, dass es sich dabei um eine Gemeinschaft handele, die eben nicht mit einer Ehe vergleichbar sei. Die Vollmacht für das Konto der Zeugin M habe er nur für den Fall, dass diese ins Krankenhaus müsse. Es sei fraglich, ob angesichts des Gesundheitszustandes der Zeugin M überhaupt von einer gegenseitigen Not- und Einstandsgemeinschaft ausgegangen werden könne. Es habe im Übrigen nie eine intime Beziehung zwischen ihm und der Zeugin M bestanden. Bis zum Ende seines Arbeitslosengeldbezuges habe er im Gegenzug dafür, dass die Zeugin M die Miete gezahlt habe, die Lebensmittel eingekauft. Die GEZ-Gebühren für die Wohnung zahle er. Die Kosten des Urlaubs in der Türkei habe er sich mit der Zeugin M geteilt. Er habe seinen damaligen Anteil von einer vorherigen Abfindung bestritten. Als Begünstigte im Todesfall seien in seiner Lebensversicherung seine Töchter eingetragen. Er gehe für die Zukunft davon aus, dass er und die Zeugin M zusammen wohnen bleiben würden. Er könne sich nicht vorstellen, dass er aufgrund seiner finanziellen und körperlichen Verfassung mit einer anderen Frau zusammenkommen werde. Die aufgrund der neuen Gesetzeslage seit dem 01.04.2007 anfallenden Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge habe er nicht zahlen können.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.03.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.08.2006 zu verurteilen, ihm SGB II-Leistungen ab 06.02.2006 nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren,

hilfsweise ab dem 01.04.2007 einen Zuschuss nach § 26 Abs. 3 SGB II zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.

Die Beklagte hat außerdem eine schriftliche Stellungnahme des für den Kläger zuständigen Sachbearbeiters K vorgelegt. Darin erklärte der Sachbearbeiter unter anderem, dass er während der Vorsprache des Klägers nicht den Eindruck gehabt habe, dass dieser nicht verstanden habe, was mit dem Begriff nichteheähnliche Lebensgemeinschaft gemeint gewesen sei. Der Kläger habe im Rahmen der Vorsprache wörtlich geäußert, dass er mit der Zeugin M zusammenlebe wie Eheleute.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin M. Insofern wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 22.08.2007 und 14.01.2008 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, deren jeweiliger wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist überwiegend unbegründet. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nur insofern im Sinne von § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, als ihm damit ein Zuschuss nach § 26 Abs. 3 SGB II verwehrt wird. Nur insofern sind die Bescheide rechtswidrig.

Der Kläger hat (lediglich) einen Anspruch auf Leistungen nach § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Danach übernimmt die Bundesagentur auf Antrag im erforderlichen Umfange die Aufwendungen für die angemessene Kranken- und Pflegeversicherung, soweit Personen allein durch diese Aufwendungen hilfebedürftig würden. Ohne Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungskosten ist der Kläger nicht hilfebedürftig.

Hilfebedürftig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 ist bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB II in der bis zum 31.07.2006 gültigen Fassung gehörte zur Bedarfsgemeinschaft als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen auch diejenige Person, die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in eheähnlicher Lebensgemeinschaft lebte. Seit dem 01.08.2006 gehört gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II zur Bedarfsgemeinschaft als Partner des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Person, die mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Gemäß dem ebenfalls zum 01.08.2006 eingeführten § 7 Abs. 3a SGB II wird ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, vermutet, wenn zwei Partner 1. länger als ein Jahr zusammenleben, 2. gemeinsam mit einem Kind zusammenleben, 3. Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder 4. befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

Ausweislich der Gesetzesbegründung zur Neufassung von § 7 Abs. 3 und § 7 Abs. 3a SGB II ging es zum einen darum, eine Ungleichbehandlung im Verhältnis verschieden- und gleichgeschlechtlicher Partner zu verhindern. Zum anderen ging es darum, die zuvor von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien für das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zu kodifizieren. Darüber hinaus wurde mit § 7 Abs. 3a SGB II im Ergebnis eine Beweislastumkehr zum Nachteil des Hilfebedürftigen im Hinblick auf das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft eingeführt (vgl. die ausführliche Gesetzesbegründung, BT-Drs. 16/1410, Seite 19). In der Sache hat sich nach Auffassung der Kammer an der Definition einer "eheähnlichen Lebensgemeinschaft" nichts geändert. Entscheidend ist demnach weiterhin, dass eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft besteht, die voraussetzt, dass die Bindungen der Partner so eng sind, dass von ihnen ein gegenseitiges Einstehen in Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann. Sie muss auf Dauer angelegt sein und darf daneben keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art zulassen. Sie muss über eine Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen (vgl. Brühl/Schoch, in: LPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 7 Rdnr. 68).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass zwischen dem Kläger und der Zeugin M im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum eine eheähnliche Lebensgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3b SGB II in der bis zum 31.07.2006 gültigen Fassung und auch eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II i.V.m. § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II in der ab dem 01.08.2006 gültigen Fassung bestand.

Dabei ließ die Kammer das in der Verwaltungsakte befindliche anonyme Schreiben vom 28.08.2006 außer Betracht, da dessen Wahrheitsgehalt nicht durch eine zeugenschaftliche Vernehmung des Verfassers überprüft werden konnte.

Erhebliche Bedeutung maß die Kammer dagegen der Tatsache bei, dass der Kläger und die Zeugin M bereits seit 2000 und damit zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits seit sechs Jahren zusammenlebten. Gemäß § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II in der seit dem 01.08.2006 gültigen Fassung besteht bereits bei Zusammenleben von mehr als einem Jahr eine Vermutung für das Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Entscheidend ist für die Kammer aber die Tatsache, dass der Kläger die Zeugin M unstreitig seit deren Unfall im Jahr 2000 umfassend pflegt und versorgt. Bereits nach eigenem Vortrag des Klägers übernimmt dieser den kompletten Haushalt. Darüber hinaus stellt er die Pflege der Zeugin M sicher. Das Bundesverwaltungsgericht – BVerwG – hat bereits mit Urteil vom 20.11.1984 (5 C 17/84, juris) ausgeführt, dass eine Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zwischen einem Mann und einer Frau, die nicht Ehegatten sind, auch dann eine eheähnliche Gemeinschaft im Sinne des § 122 Satz 1 BSHG darstellt, wenn der eine Partner pflegebedürftig im Sinne des § 69 Abs. 3 Satz 1 BSHG ist, der andere Partner die erforderliche häusliche Wartung und Pflege übernimmt und diese Umstände das Zusammenleben der Partner prägen. Die Kammer geht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass die Pflege der Zeugin M durch den Kläger deren Zusammenleben in ebendiesem Sinne prägt. Mit der Übernahme des Haushalts und der Pflege der Zeugin M steht der Kläger insofern im umfassendsten Sinne für die Zeugin M ein. Nach dem Vortrag des Klägers und der übereinstimmenden Aussage der Zeugin M gehen beide davon aus, dass diese Form des Zusammenlebens dauerhaft fortbestehen wird.

Nach Auffassung der Kammer lässt diese Form des Zusammenlebens zwischen dem Kläger und der Zeugin M auch keine weitere Lebensgemeinschaft gleicher Art daneben zulässt. Zwar hat der Kläger selber im Erörterungstermin vom 22.08.2007 vorgetragen, dass er davon ausgehe, dass er auch dann die Zeugin M weiter pflegen werde, wenn diese eine neue Beziehung eingehe. Er hat jedoch gleichzeitig ausgeführt, dass er vom Eintreten eines solchen Falles nicht ausgehe. Zudem hat die Zeugin M im gleichen Termin ausgesagt, dass der Kläger ausziehen müsse, wenn sie einen anderen Mann kennenlernen und mit diesem eine Beziehung eingehen würde. Die Kammer schenkt dieser Aussage auch vor dem Hintergrund der vergleichsweise beengten Wohnverhältnisse des Klägers und der Zeugin M mehr Glauben als dem Vortrag des Klägers.

Dass neben der Wohn- auch eine Wirtschaftsgemeinschaft besteht, steht außer Frage. Bereits zu der Zeit, als der Kläger über eigene Einnahmen verfügte, wurden nicht alle Kosten zwischen dem Kläger und der Zeugin M streng geteilt. Vielmehr übernahm sie die Miete, während der Kläger die Kosten des Haushaltes, insbesondere in Form von Einkäufen bestritt. Die Zeugin M übernahm mit ihrer als Familienversicherung bezeichneten Hausratversicherung auch den Versicherungsschutz für den Hausrat des Klägers. Die GEZ-Gebühren wiederum zahlte der Kläger.

Das umfassende Einstehen des Klägers für die Zeugin M wird im Übrigen auch dadurch belegt, dass diese für ihn eine Kontovollmacht ausgestellt hat, die es dem Kläger nach seinem Vortrag ermöglichen soll, in Notfällen wie Krankenhausaufenthalten alles Notwendige für die Klägerin zu regeln.

Die Kammer hält es demgegenüber für ausgesprochen bedenklich, wenn von Klägerseite vorgetragen wird, ein gegenseitiges füreinander Einstehen könne schon aufgrund der gesundheitlichen Verfassung der Zeugin M nicht angenommen werden. Zwar ist es zutreffend, dass die Annahme einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft eine tatsächlich gelebte Partnerschaft voraussetzt. Daran fehlt es, wenn sich einer der Partner zum Beispiel infolge einer Demenzerkrankung in einem Pflegeheim befindet und der andere Partner jede Unterstützung verweigert (vgl. Sozialgericht - SG - Reutlingen, Beschluss vom 08.11.2006, S 12 SO 3629/06 ER, ZfF 1/2008, Seite 16 ff.). Der vorliegende Fall ist mit diesem soeben beschriebenen aber nicht vergleichbar. Daran ändert auch der bei der Zeugin M anerkannte Grad der Behinderung von 90 und die ebenfalls anerkannte Pflegestufe 1 nichts. Auch wenn die Zeugin M in ihrer Vernehmung in beiden Terminen durchaus den Eindruck hinterließ, dass sich die bei ihr bestehenden Behinderungen auch auf ihre geistige Leistungsfähigkeit auswirken, so hatte die Kammer keinen Zweifel daran, dass der Zeugin M die Art und Weise ihres Zusammenlebens mit dem Kläger bewusst und es in dieser Form auch von ihr gewollt war. Ihr Einstehen für den Kläger wird im Übrigen nicht zuletzt dadurch dadurch belegt, dass sie nach dem Auslaufen des Arbeitslosengeldbezuges des Klägers dessen Lebensunterhalt ohne Weiteres mit ihrer Rente sichergestellt hat.

Der vorliegende Fall ist nach Auffassung der Kammer insofern auch nicht vergleichbar mit demjenigen, der dem Urteil des Landessozialgericht - LSG - Berlin-Brandenburg vom 05.12.2006 (L 10 AS 1404/05, juris) zugrunde lag. Zwar lebte auch dort der Kläger mit einer pflegebedürftigen Person zusammen. Die durch den dortigen Kläger erbrachten Unterstützungsleistungen erreichten aber bei Weitem nicht den vom Kläger im vorliegenden Fall erbrachten Pflegeaufwand. So ging es dort "lediglich" um "persönliche Hilfestellungen bei aufwendigeren Verrichtungen einschließlich gelegentlicher Transportdienste und ... stärkerem Engagement bei der Haushaltsführung" (Rdnr. 34). Es fehlte dort zudem an weiteren Hinweistatsachen wie dem Bestehen von Bankvollmachten (vgl. Rdnr. 37).

Die demgegenüber für das Bestehen einer bloßen Wohngemeinschaft sprechenden Hinweistatsachen sind von deutlich geringerem Gewicht und können in der Gesamtschau die für das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft sprechenden Hinweistatsachen nicht aufwiegen. So ist beispielsweise der Abschluss einer "Single"-Haftpflichtversicherung durch die Zeugin M insofern von geringem Aussagewert, als sie den entsprechenden Antrag erst am 22.12.2006 und damit erst nach Anhängigkeit des vorliegenden Klageverfahrens stellte. Von ebenso geringem Aussagewert ist die Bestätigung des Vermieters, die Zeugin M und der Kläger lebten in einer Wohngemeinschaft. Denn es heißt in dieser Bescheinigung wörtlich, dass diese "wunschgemäß" erfolge. Auch die Tatsache, dass der Kläger offenbar als seine Adresse immer den Zusatz "bei M" angegeben hat, ist nur von untergeordneter Bedeutung. Ob der Kläger und die Zeugin M tatsächlich nie eine intime Beziehung miteinander hatten, wie von diesen übereinstimmend vorgetragen bzw. ausgesagt wurde, kann hier dahinstehen. Denn auch wenn das Bestehen einer intimen Beziehung eine Hinweistatsache für das Bestehen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft sein kann, so ist jene doch keine Voraussetzung für diese (vgl. Sächsisches LSG, Beschluss vom 13.09.2007, L 2 B 312/07 AS ER, juris, 3. Leitsatz; Bayerisches LSG, Urteil vom 11.07.2006, L 11 AS 5/06, juris, Rdnr. 40 m.w.N.; LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rdnr. 29; SG Detmold, Beschluss vom 31.01.2007, S 21 AS 300/06 ER). Dahinstehen kann auch, ob der Kläger und die Zeugin M sich tatsächlich, wie vom Kläger im Termin vom 14.01.2008 vorgetragen, die Kosten des Urlaubs in der Türkei 2005 geteilt haben. Die Zeugin M sagte jedenfalls aus, dass der Kläger die Reise "komplett" bezahlt habe.

Die Kammer kann schließlich dahinstehen lassen, ob der Kläger bzw. die Zeugin M sich anlässlich ihrer Vorsprache bei der Beklagten am 02.03.2006 tatsächlich nicht über die Bedeutung des Begriffes der nichtehelichen Lebensgemeinschaft im Klaren waren und ob der Kläger tatsächlich den Antrag nur unterschrieben hat, weil ihm von Seiten des damals zuständigen Sachbearbeiters K für diesen Fall die Zahlung von Wohngeld in Aussicht gestellt worden war. Allerdings hält die Kammer den Vortrag des Klägers zumindest insofern für zweifelhaft, als der Sachbearbeiter K noch am gleichen Tag vermerkte, dass der Kläger ausdrücklich gesagt habe, dass er mit der Zeugin M wie ein Ehepaar zusammenlebe, nur ohne Trauschein.

Lebt der Kläger demnach mit der Zeugin M in einer Bedarfsgemeinschaft, ist auch das Einkommen der Zeugin M gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II zu berücksichtigen. Die Gegenüberstellung des Bedarfes des Klägers sowie der Zeugin M einerseits und des Einkommens der Zeugin M andererseits ergibt, dass bei Außerachtlassung der ab dem 01.04.2007 vom Kläger zu zahlenden Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge bei diesem im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum keine Hilfebedürftigkeit bestand.

Unter Berücksichtigung der seit dem 01.07.2007 erhöhten Regelsätze und der ab dem 01.12.2007 erneut erhöhten Unterkunftskosten ergibt sich ein maximaler Bedarf der Bedarfsgemeinschaft von 1.006,32 EUR (Regelleistung 624,00 EUR sowie Kosten der Unterkunft in Höhe von 382,32 EUR). Ein darüber hinaus zu berücksichtigender Mehrbedarf besteht nicht. Ein solcher käme allenfalls im Hinblick auf die Zeugin M in Betracht. Da diese nicht erwerbsfähig ist, könnten Mehrbedarfe nach § 30 SGB XII in Betracht kommen. Ein Mehrbedarf nach § 30 Abs. 4 SGB XII scheidet jedoch aus, da die Zeugin M keine Eingliederungshilfe erhält. Auch ein Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII scheidet aus, da bei der Zeugin M der Nachteilsausgleich "G" nicht festgestellt ist. Anhaltspunkte für sonstige Mehrbedarfe sind nicht gegeben.

Demgegenüber steht als Einkommen die Rente der Zeugin M, deren niedrigste monatliche Höhe bis Juli 2007 1.092,99 EUR betrug und seit Juli 2007 1.098,85 EUR beträgt. Selbst wenn hiervon sowohl die Pauschale von 30,00 EUR nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 1. Halbsatz, 2. Alternative SGB II i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeldverordnung (Alg II-V) sowie die Kfz-Haftpflichtkosten des Klägers nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 1. Halbsatz, 1. Alternative SGB II abgezogen werden würden, ergäbe sich keine Hilfebedürftigkeit (Rente minimal: 1.092,99 EUR./. 30,00 EUR./. monatliche Kfz-Haftpflichtkosten in Höhe von 29,65 EUR = 1.033,34 EUR). Insofern kann dahinstehen, ob insbesondere die Kfz-Haftpflichtkosten, die bei dem Kläger entstehen, überhaupt von dem Einkommen der Zeugin M abgesetzt werden könnten.

Da andererseits unter Berücksichtigung der Kranken- und Pflegeversicherungskosten des Klägers in Höhe von 129,30 EUR monatlich eine Hilfebedürftigkeit bestünde, ergibt sich ein Anspruch auf Übernahme desjenigen Anteils dieser Kosten, der unter Berücksichtigung des sonstigen Bedarfes das anrechenbare Einkommen übersteigt (vgl. § 26 Abs. 3 Satz 1 SGB II). Einen besonderen Antrag für diese Leistungen hält die Kammer nicht für erforderlich. Die Klage war ursprünglich darauf gerichtet, Leistungen ohne Berücksichtigung des Einkommens der Zeugin M zu erhalten. Wäre der Kläger hiermit durchgedrungen, wäre er auf Leistungen nach § 26 Abs. 3 SGB II nicht angewiesen. Es ist davon auszugehen, dass der Antrag auf Leistungen nach § 26 Abs. 3 SGB II als "Minus" in den Klageantrag enthalten war.

Die Abweisung der Klage im Übrigen ergibt sich aus den obigen Ausführungen zur Hilfebedürftigkeit.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Eine Kostentragung der Beklagten kam wegen des nur geringfügigen Obsiegens des Klägers nicht in Betracht (vgl. § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
Rechtskraft
Aus
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