L 10 AL 319/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 13 AL 327/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 319/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 11 AL 85/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.09.2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenständlich ist die Herabsetzung einer Sperrzeit von 12 auf 6 Wochen wegen des Vorliegens einer besonderen Härte nach § 144 Abs 3 Nr 2b SGB III.

Der 1953 geborene Kläger war vom 01.07.1988 bis 31.07.2005 als technischer Angestellter bei der Firma F. beschäftigt. Seit 01.09.2005 bezog er Arbeitslosengeld. Am 03.04.2006 nahm er eine Tätigkeit als Kalkulator bei der Firma L.-Elektronik auf, die er selbst durch fristlose Kündigung am 10.04.2006 wieder beendete.

Am 10.04.2006 meldete sich der Kläger erneut arbeitslos und beantragte die Weitergewährung von Arbeitslosengeld. Im Fragebogen zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma L.-Elektronik gab der Kläger an, er könne bestimmt auch als Kalkulator arbeiten. Er habe aber feststellen müssen, dass diese Tätigkeit auf rein kaufmännischer Basis abgewickelt werden würde. Dies entspräche nicht seinem Berufsbild und er habe auch keinerlei Vorkenntnisse in Kalkulation. Seine Bemühungen seien nicht zum Tragen gekommen, deshalb sei das Beschäftigungsverhältnis zum 10.04.2006 gekündigt worden. Er sei für die Tätigkeit nicht geeignet gewesen und habe sich deshalb in dieser Situation äußerst schlecht gefühlt.

Nachdem der Arbeitgeber auf Rückfrage mitgeteilt hatte, dass dieser dem Kläger nicht gekündigt habe und dieser den Kläger gerne behalten hätte, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 03.05.2006 den Eintritt einer Sperrzeit vom 11.04.2006 bis 03.07.2006 fest, währenddessen der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruhe.

Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er sei als Kalkulator in der Verwaltung eingestellt worden, habe jedoch keine Erfahrung in der Kalkulation, demgemäß läge ein sachlicher Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass er sich seine neue Arbeitsstelle selbst gesucht habe und die Aufnahme der Arbeit somit nicht durch die Vermittlung der Bundesagentur erfolgt sei.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 27.06.2006 zurück. Der Kläger besäße Fachschulniveau und u.a. Kenntnisse in Arbeitsvorbereitung, Auftragsprüfung, Planung und Steuerung, die ihm für die Tätigkeit als Kalkulator durchaus dienlich gewesen seien. Er wäre weiterhin von einem Kollegen eingearbeitet worden und der Arbeitgeber hätte ihn gern behalten. Nach dem Arbeitsvertrag vom 16.03.2006 habe sich der Arbeitgeber vorbehalten, dem Kläger unter Beibehaltung der bisherigen Vergütung eine andere zumutbare Tätigkeit zuzuweisen. Es sei davon auszugehen, dass der Arbeitgeber von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hätte.

Hiergegen hat der Kläger mit Schreiben vom 04.07.2006 Klage eingelegt. In der mündlichen Verhandlung vom 26.09.2007 wurde Dr.U. R. , Geschäftsführer der Firma L.-Elektronik vernommen. Dieser hat u.a. ausgesagt, dass der Kläger von 1980 bis 1987 bereits im Unternehmen beschäftigt gewesen sei. Nachdem der Zeuge erfahren habe, dass der Kläger arbeitslos sei, habe er den Kläger angerufen und diesen eingestellt. Der Kläger sollte durch einen anderen Arbeitnehmer eingearbeitet werden und später dessen Aufgaben übernehmen. Der Kläger hätte sich gut einarbeiten können, da es ausreichend sei, wenn jemand etwas von der Technik verstünde, da Arbeitsvorbereitung und Kalkulation ineinander übergreifen würden. Die Kündigung habe den Zeugen vollkommen überrascht, der Kläger habe ihn vor seiner Kündigung nicht darauf angesprochen, ob man vielleicht eine bessere Einarbeitung vornehmen oder ob der Kläger auf einen anderen Arbeitsplatz umgesetzt werden könne. Als der den Kläger einarbeitende Kollege in Urlaub gegangen sei, sei auch der Kläger nicht mehr am Arbeitsplatz anwesend gewesen und habe telefonisch mitgeteilt, er würde nicht mehr kommen. Seines Erachtens sei der Kläger im Bereich Arbeitsvorbereitung ein Experte, nachdem er von 1980 bis 1987 diese Tätigkeit im Unternehmen ausgeführt habe und auch bei der Firma F. in diesem Bereich tätig gewesen sei.

Das Sozialgericht Nürnberg hat mit Urteil vom 26.09.2007 die Klage abgewiesen. Der Tatbestand für den Eintritt einer Sperrzeit gemäß § 144 Abs 1 Nr 1 SGB III sei erfüllt, auf einen wichtigen Grund könne sich der Kläger nicht berufen. Dem Kläger hätte daher unter Berücksichtigung seiner Interessen sowie der Interessen der Versichertengemeinschaft eine Beibehaltung des Arbeitsplatzes zugemutet werden können. Eine Herabsetzung der Sperrzeit auf 6 Wochen sei nicht vorzunehmen, da in der Verhängung der Sperrzeit nach den für den Eintritt maßgebenden Umständen keine besondere Härte vorliegen würde. Auch wenn sich der Kläger überfordert gefühlt hätte, hätte er sich dennoch in die Tätigkeit eines Kalkulators einarbeiten können. Er habe kein klärendes Gespräch mit dem Arbeitgeber gesucht, sondern ohne zuvor jemals auf seine Schwierigkeiten hinzuweisen, sein Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits nach einer Woche Tätigkeit ohne dauerhaften Versuch sich einzuarbeiten, verbiete die Annahme einer besonderen Härte.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Er könne und wolle sich der Verhängung einer Sperrzeit nicht entziehen, wohl aber sollte die Härtefallregelung des § 144 Abs 3 Nr 2b SGB III zu einer Herabsetzung der Sperrzeit auf 6 Wochen führen. Er habe wegen seiner langen Beschäftigung und seines hohen Alters in Eigeninitiative einen neuen Job gesucht. Die rein administrative Schreibtischarbeit habe ihn jedoch überfordert, da er bei der Firma F. in der Produktion beschäftigt gewesen sei. Nach § 1 KSchG sei in den ersten 6 Monaten der Kündigungsschutz ausgesetzt und in § 622 Abs 3 BGB sei die Vereinbarung einer Probezeit ermöglicht, um auch die Umstände persönlicher bzw. wirtschaftlicher Art beim Arbeitnehmer zu berücksichtigen. Dies müsse auch bei der Verhängung einer Sperrzeit Berücksichtigung finden, insbesondere, wenn der Versicherte seine gesundheitliche Leistungsfähigkeit falsch beurteile. Der Kläger habe mit Aufnahme seiner Beschäftigung bei der Firma L. mit Schlaflosigkeit, Übelkeit und Unwohlsein reagiert, was auch Frau K. bezeugen könne. Darüber hinaus habe der Kläger die neue Stelle angenommen, obwohl diese deutlich geringer vergütet sei. Ein Arbeitsloser müsse innerhalb einer Probezeit kündigen können und dürfen, was aber nicht gleich mit einer 12-wöchigen Sperrzeit sanktioniert werden müsse.

In der mündlichen Verhandlung vom 30.04.2008 hat der Kläger erklärt, er habe für sich keine andere Beschäftigungsmöglichkeit am Standort der Firma in N. gesehen. Die Produktion sei nach W. verlagert gewesen, auch über eine mögliche Beschäftigung in W. sei mit dem Arbeitgeber nicht gesprochen worden, da er eine Beschäftigung dort wegen der Entfernung nicht in Betracht gezogen habe.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 26.09.2007 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 03.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2006 abzuändern und die Sperrzeit auf 6 Wochen herabzusetzen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 26.09.2007 als unbegründet zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Hinweise auf eine falsche Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers lägen nicht vor, ein Härtefall könne nicht angenommen werden, weil es dem Kläger zumutbar gewesen wäre, ein Gespräch mit dem Arbeitgeber vor der fristlosen Kündigung zu suchen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakte, der Akte des SG Nürnberg, sowie der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerechte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.

Das Urteil des SG Nürnberg vom 26.09.2007 ist ebenso wenig zu beanstanden wie der Bescheid der Beklagten vom 03.05.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.06.2006. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Herabsetzung der Sperrzeit auf 6 Wochen.

Nach § 144 Abs 1 Nr 1 SGB III ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit, soweit der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe).

Nach § 144 Abs 3 Nr 2b SGB III verkürzt sich die eigentliche Dauer der Sperrzeit von 12 Wochen auf 6 Wochen, wenn eine Sperrzeit von 12 Wochen für den Arbeitslosen nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen eine besondere Härte bedeuten würde.

Die Auslegung des Begriffs der "besonderen Härte" richtet sich nach dem Normzweck, wonach im Einzelfall die Folgen der Sperrzeit abzumildern sind, wenn die für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen und die Belange der Versichertengemeinschaft - hier der Schutz vor unberechtigten Leistungsansprüchen - die volle Länge der Regelsperrzeit von 12 Wochen unverhältnismäßig erscheinen lassen würde (vgl. Hauck/Valgolio § 144 RdNr 286). Eine besondere Härte ist anzunehmen, wenn das Verhalten des Versicherten, ohne dass es als wichtiger Grund anerkannt werden kann, gleichwohl verständlich und vertretbar erscheint (vgl. Hauck/Valgolio § 144 SGB III RdNr 288).

Persönliche Umstände des Arbeitslosen können nur insoweit als besondere Härte berücksichtigt werden, als sie zu den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen gehören (vgl. BSG vom 20.03.1980 - 7 RAr 4/79).

Die Frage, ob nach den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen die Sperrzeit eine besondere Härte für den Arbeitslosen bedeutet, ist keine Ermessensentscheidung, es handelt sich vielmehr um einen unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. BSG vom 20.03.1980 - 7 Rar 4/79). Der Beklagten steht somit weder ein Ermessen noch eine Beurteilungsermächtigung zu (vgl. BSG vom 22.06.1977 - 7 RAr 131/75).

Die Tatsache, dass der Kläger den Arbeitsplatz bei der Firma L. ohne die Vermittlung der Bundesagentur begründen konnte, führt nicht dazu, dass eine "besondere Härte" im Sinne des Gesetzes anzunehmen ist. Zum einen ergibt sich nach der Zeugenaussage im sozialgerichtlichen Verfahren, dass der Zeuge Dr.R. den Kläger angerufen hat, ob er Interesse an einer Einstellung habe. Die Initiative zum Abschluss des Beschäftigungsverhältnisses ging somit - entgegen dem Vorbringen des Klägers im sozialgerichtlichen Verfahren - nicht vom Kläger selber aus, sondern vom späteren Arbeitgeber. Darüber hinaus verlangt § 119 Abs 1 Nr 2 SGB III gerade das Bemühen des Arbeitslosen, seine Arbeitslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen). Der für die Arbeitslosigkeit und die Gewährung von Arbeitslosengeld notwendige Tatbestand der Durchführung von Eigenbemühungen kann somit andererseits nicht zur Herabsetzung der Sperrzeit auf 6 Wochen nach § 144 Abs 3 SGB III führen.

Auch die vom Kläger vorgetragenen Eingewöhnungsschwierigkeiten rechtfertigen es nicht, eine "besondere Härte" im Sinne des Gesetzes anzunehmen. Die beim Kläger bestehenden Eingewöhnungsschwierigkeiten, die sich glaubhaft auch in Schlaflosigkeit, Übelkeit und Unwohlsein geäußert haben können, rechtfertigen es jedenfalls im vorliegenden Fall nicht, die Sperrzeit herabzusetzen. Der Zeuge Dr.R. hat in der mündlichen Verhandlung beim Sozialgericht Nürnberg erklärt, dass der Kläger sich in die neue Tätigkeit hätte einarbeiten können. Dies erscheint auch ohne weiteres nachvollziehbar. Der Kläger besitzt Fachschulreife und verfügt nach eigenen Angaben über eine Erfahrung von 25 Jahren in der Auftragsabwicklung, Fertigungsplanung und -steuerung. Dies sind Fähigkeiten die ihn nach seiner eigenen Auffassung im Fragebogen vom 02.05.2006 grundsätzlich zu einer Tätigkeit als Kalkulator befähigen.

Insbesondere aber bestand nach dem Arbeitsvertrag des Klägers vom 16.03.2006 seitens des Arbeitgebers die Möglichkeit, dem Kläger eine andere zumutbare Tätigkeit zuzuweisen, die seinen Vorkenntnissen entsprochen hätte. Soweit der Kläger hiervon Gebrauch gemacht hätte, wäre ihm auch seine bisherige Vergütung weiter zu zahlen gewesen. Unwidersprochen hat sich der Kläger vor seiner Kündigung nicht mit dem Arbeitgeber in Verbindung gesetzt, weder zur Frage, ob man vielleicht eine bessere Einarbeitung vornehmen, noch ob der Kläger auf einen anderen Arbeitsplatz umgesetzt werden könne. Hier hätte sich z.B. auch die Erörterung einer Beschäftigung am Produktionsstandort W. angeboten, insbesondere deshalb, da der Kläger eine Beschäftigungsmöglichkeit in der Produktion erwog.

Der Verweis des Klägers auf den eingeschränkten Kündigungsschutz nach § 1 KSchG für die ersten 6 Monate und die Möglichkeit der Vereinbarung einer Probezeit nach § 622 Abs 3 BGB geht somit fehl. Die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes und des § 622 Abs 3 BGB sollen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer erleichterte Beendigungsmöglichkeiten des Arbeitsverhältnisse begründen, wenn der Arbeitnehmer für die konkrete Stelle ungeeignet ist. Ob dies beim Kläger für die Stelle des Kalkulators der Fall war, kann hier dahin stehen, erscheint aber nach der beruflichen Vorbildung des Klägers und der Einlassung des Zeugen Dr. R. eher wahrscheinlich.

Der Kläger hat aber die ihm eröffnete Möglichkeit der Umsetzung auf einen zumutbaren Arbeitsplatz noch nicht einmal angesprochen. Es ist somit aufgrund des Verhaltens des Klägers noch nicht einmal versucht worden, für ihn eine zumutbare Stelle zu finden.

Es war dem Kläger zumutbar, die bei ihm bestehenden Schwierig- keiten dem Arbeitgeber gegenüber zur Sprache zu bringen und damit zumindest zu versuchen, eine längere Einarbeitungszeit oder eine Umsetzung innerhalb der Firma zu erreichen. Das Unterlassen dieser Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber ist unter Berücksichtigung der obigen Definition nicht mehr nachvollziehbar. Damit überwiegt das Interesse der Versichertengemeinschaft vor dem Interesse des Klägers. Schützenswerte Belange des Klägers, die eine Herabsetzung der Sperrzeit auf 6 Wochen rechtfertigen würden, liegen somit nicht vor.

Nach all dem war die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 26.09.2007 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, bestehen nicht, § 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG.
Rechtskraft
Aus
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