L 18 B 1125/07 R

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 R 529/07
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 B 1125/07 R
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
I. Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 19.11.2007 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen außergerichtlichen Kosten des Widerspruchverfahrens zur Hälfte zu erstatten.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zur Hälfte.

Gründe:

I.

Mit Bescheid vom 24.10.2000 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 01.08.2000 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, wobei sie der Berechnung § 54 Abs 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) in der ab 01.01.1997 gültigen Fassung des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes (WFG) zugrunde legte. Dagegen legte die Klägerin am 02.11.2000 Widerspruch ein, beantragte jedoch das Ruhen dieses Verfahrens. Zur Begründung gab sie an, dass der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) mit Beschluss vom 16.12.1999 (Az: B 4 RA 11/99 R) dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage zur Entscheidung vorgelegt habe, ob die mit dem WFG getroffenen Regelungen verfassungsgemäß seien. Am 30.06.2004 wünschte die Klägerin die Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens. Mit einem weiteren Ruhen bestehe kein Einverständnis mehr. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.07.2004 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Da der Anspruch der Klägerin erst nach dem 01.01.1997 entstanden sei, habe man bei der Berechnung der Rente § 54 Abs 3 Satz 2 SGB VI beachtet. Diese Vorschrift sei geltendes Recht. Angesichts der Vorlage des BSG an das BVerfG und des einverständlichen Ruhens sei die nun gewünschte Erteilung eines Widerspruchsbescheides unnötig und im Übrigen aussichtslos gewesen. Ein etwaiges Klageverfahren würde nur unnötige Kosten verursachen.

Dagegen erhob die Klägerin am 06.08.2004 Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg. Sie beantragte, die Rente nach der günstigeren Berücksichtigung der Berufsausbildungszeiten vor Inkrafttreten des WFG zu berechnen. Gleichzeitig beantragte sie das Ruhen des Klageverfahrens bis zur Entscheidung des BVerfG. Nach Zustimmung der Beklagten ordnete das SG mit Beschluss vom 01.02.2005 das Ruhen des Klageverfahrens an.

Am 11.09.2007 beantragte die Beklagte die Wiederaufnahme des Klageverfahrens. Das BVerfG habe über die strittige Rechtsfrage am 27.02.2007 entschieden und halte die Minderung der rentenrechtlichen Bewertung der ersten Berufsjahre durch das WFG für verfassungsgemäß (1 BvL 10/00). Die Beteiligten erklärten am 07.11.2007/14.11.2007 die Hauptsache für erledigt.

Am 14.11.2007 hat die Klägerin eine Kostenentscheidung nach § 193 Abs 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beantragt. Die begehrte Kostenfestsetzung betreffe nur das Widerspruchsverfahren. Sollte sich das SG nicht für zuständig halten, sei der Schriftsatz an die Beklagte als Antrag auf Kostenerstattung nach § 63 SGB X weiterzuleiten.

Mit Beschluss vom 19.11.2007 hat das SG entschieden, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten seien. Im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG vom 27.02.2007 wäre das Hauptsacheverfahren erfolglos geblieben. Eine vom Erfolgsprinzip abweichende Beurteilung der Kostenfrage sei vorliegend nicht angezeigt.

Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin beim SG Beschwerde eingelegt. Das SG half der Beschwerde nicht ab und legte diese dem Bayer. Landessozialgericht zur Entscheidung vor.

Zur Begründung der Beschwerde hat die Klägerin vorgetragen, ihr Antrag, gemäß § 193 Abs 1 SGG die Kosten für das Widerspruchsverfahren festzusetzen, sei entgegen der Ansicht des SG begründet. Der Rentenbescheid sei trotz der Vorlage des BSG an das BVerfG nicht vorläufig ergangen. Damit habe die Beklagte gegen das Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses und gegen die Beratungspflicht verstoßen. Nach der Rechtsprechung dürfe ein Rentenbescheid erst ergehen, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt sei. Die Kosten des Widerspruchsverfahrens seien auch dann zu übernehmen, wenn der Widerspruch zwar erfolglos geblieben sei, der Versicherungsträger jedoch das Widerspruchsverfahren veranlasst habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Beschluss des SG Würzburg vom 19.11.2007 aufzuheben und der Beklagten die Kosten des Widerspruchsverfahrens aufzuerlegen.

Die Beklagte beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie nimmt auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug.

II.

Die Beschwerde der Klägerin ist zulässig (§§ 172, 173, 174 SGG) und begründet. Zu Unrecht hat es das SG abgelehnt, der Klägerin eine Erstattung außergerichtlicher Kosten zuzusprechen.

Nach § 193 Abs 1 Satz 1, 3 SGG hat das Gericht im Urteil oder, wenn das Verfahrens anders beendet wird, auf Antrag durch Beschluss zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Dabei hat das Gericht nach sachgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung allgemeiner Grundsätze über die Kostentragung zu entscheiden. Bei der Ausübung des Ermessens hat vor allem der nach dem bisherigen Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung zu beurteilende Verfahrensausgang den Ausschlag zu geben (BSG SozR 3-1500 § 193 Nrn 2, 10). Weiter sind die Gründe für die Klageerhebung und -erledigung zu prüfen (Meyer-Ladewig/Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8.Auflage, § 193 Rdnr 13).

Der Senat hat vorliegend über die Kosten des Widerspruchsverfahrens zu entscheiden. Im Hinblick auf die nachfolgende Klageerhebung handelt es sich nicht um ein sog. isoliertes Widerspruchsverfahren, dessen Kostenerstattung in § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) geregelt ist, sondern die Kosten des Widerspruchsverfahrens sind notwendige Aufwendungen i.S. § 193 Abs 2 SGG (Niesel, Der Sozialgerichtsprozess, 4.Aufl, Rdnr 616). Es gilt der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung (Meyer-Ladewig/Leitherer aaO Rdnr 5a; BSG SozR 1500 § 193 Nr 3).

Vorliegend hätte der Widerspruch angesichts der Entscheidung des BVerfG vom 27.02.2007 keinen Erfolg gehabt. In Anwendung des Erfolgsprinzips ist es i.d.R. billig, dass der die Kosten trägt, der unterliegt (Meyer-Ladewig/Leitherer aaO Rdnr 12a). Allerdings darf nicht nur auf das Ergebnis des Rechtsstreits abgestellt werden, sondern es ist auch das Veranlassungsprinzip heranzuziehen. Danach kann das Gericht auch den Anlass für die Widerspruchserhebung berücksichtigen. Die Kosten für das Widerspruchsverfahren sind dem Grunde nach auch dann zu übernehmen, wenn der Widerspruch zwar erfolglos war, der Versicherungsträger jedoch das Widerspruchsverfahren veranlasst hat (Meyer-Ladewig/Leitherer aaO, Rdnr 12b mwN). Hat die Behörde aus der für die Auslegung des Bescheides maßgeblichen Sicht des Adressaten Anlass für die Einlegung des Widerspuchs gegeben, weil anderenfalls die Bestandskraft eines möglicherweise belastenden Verwaltungsaktes drohte, so sind ihr duch Beschluss die notwendigen Kosten des Widerspruchsverfahrens aufzuerlegen (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.11.2007, Az: L 19 B 28/07 Al, Breith 2008, 277-280 und Juris).

Vorliegend hat die Beklagte Anlass zur Klageerhebung gegeben, denn der Rentenbescheid enthielt nicht den Vermerk der Vorläufigkeit (vorläufiger Verwaltungsakt), weil nicht auf die noch ausstehende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts verwiesen wurde. Die Beklagte hat es unterlassen, darauf hinzuweisen, dass der Sachverhalt der Bewertung der ersten Berufsjahre noch nicht abschließend geklärt ist. Die Beklagte hat damit gegen das sog. "Verbot des vorzeitigen Verfahrensabschlusses" verstoßen. Danach darf ein Rentenbescheid erst ergehen, wenn die Sach- und Rechtslage vollständig geklärt ist (BSG SozR 3-1300 § 32 Nr 2).

Die Beklagte hat auch durch das Unterlassen eines Hinweises im Rentenbescheid gegen ihre Pflicht zur Beratung nach § 14 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) verstoßen. Eine solche Beratung hat auch ohne Nachsuchen durch den Betroffenen zu erfolgen.

Billigem Ermessen entspricht es vorliegend, die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Klägerin für erstattungsfähig zu erklären, weil sie nur in Bezug auf den Bescheid der Beklagten vom 24.10.2000 Anlass hatte, Widerspruch einzulegen. Nachdem die Beteiligten das Widerspruchsverfahren zum Ruhen gebracht hatten, wäre eine abschließende Entscheidung über den Widerspruch erst nach Kenntnis der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sinnvoll gewesen. Der Widerspruchsbescheid vom 15.07.2004 hätte nicht erlassen werden und die der Klägerin damit verbundenen Kosten nicht entstehen müssen. Ein Verfahrensbeteiligter ist gehalten, dazu beizutragen, dass keine unnötigen Verwaltungsmaßnahmen ergriffen und keine unnötigen Kosten entstehen. Kommt er dieser Obliegenheit - wie vorliegend - nicht nach, kann er auch nicht mit Erfolg die Erstattung die ihm durch den Erlass des Widerspruchsbescheides entstandenen Kosten begehren.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 193 SGG. Der Senat hält eine gesonderte Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren für erforderlich, da das Beschwerdeverfahren im Hinblick auf das Hauptsacheverfahren eine gesonderte Angelegenheit im Sinne des § 18 Nr 4 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) darstellt (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27.03.2007 Az: L 5 B 3/06 VG mwN - zitiert nach Juris; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen aaO).

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei (§ 183 SGG) und ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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