L 11 KR 680/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 3074/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 680/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. November 2008 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten beider Instanzen sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist Kostenerstattung des Arzneimittels Ritalin bzw. dessen künftige Kostenübernahme streitig.

Der 1985 geborene Kläger, der unter Betreuung steht (Vermögenssorge, Aufenthaltsbestimmung und Gesundheitsfürsorge), leidet an einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung im Erwachsenenalter (ADHS), daneben an einer Alkohol- und Nikotinabhängigkeit. Er befand sich deswegen vom 8. bis 24. November 2005 in stationärer Behandlung in dem Universitätsklinikum F., Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie. Von Seiten des behandelnden Privatdozenten Dr. H. wurde er medikamentös mit Methylphenidat (Ritalin) behandelt, unter der es zu einer Besserung der Konzentrationsfähigkeit sowie einer subjektiven Reduktion von Impulsivität und Gereiztheit gekommen sei. Der niedergelassene Psychiater H. wandte sich deswegen im Januar 2006 mit der Bitte um Prüfung einer eventuellen Kostenübernahme an die Beklagte.

Am 26. Februar 2006 und 18. April 2006 verordnete der behandelnde Allgemeinmediziner Dr. W. dem Kläger auf Privatrezept Ritalin.

Am 1. März 2006 beantragte der Betreuer des Klägers die Kostenübernahme unter Vorlage eines Attestes des behandelnden Neurologen und Psychiaters Dr. G., wonach die eingeleitete Behandlung mit drei bis vier mal 10 mg Ritalin zu einer Symptomfreiheit des Klägers geführt habe. Eine alternative Behandlung stehe nicht zur Verfügung. Er empfehle deswegen dringlich, dass trotz fehlender Zulassung für dieses Medikament im Erwachsenenalter die Kosten übernommen würden.

Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung nach Aktenlage durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) Baden-Württemberg. Dr. N. führte aus, der nunmehr 20-jährige Versicherte betreibe seit dem 16. Lebensjahr einen zunehmenden Alkoholkonsum, u.a. wegen Beziehungskonflikten. Von den Eltern werde eine Zappelphilipp-Symptomatik seit dem Kindesalter beschrieben. Wegen innerer Strukturlosigkeit sei eine gesetzliche Betreuung von den Eltern angeregt worden, die seit September 2005 bestehe. Stationäre Vorbehandlungen seien im Juli und August 2005 sowie dann wieder im November 2005 erfolgt, wo zuletzt die Einstellung auf Methylphenidat erfolgt wäre. Ritalin sei zur Therapie der hyperkinetischen Störungen bzw. des Aufmerksamkeitsdefizits-Syndroms bei Kindern ab dem sechsten Lebensjahr zugelassen sowie Weiterführung der Therapie bei Jugendlichen im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie, des Weiteren bei der Narkolepsie, ebenfalls im Rahmen einer therapeutischen Gesamtstrategie. Bei der Therapie eines Aufmerksamkeitsdefizits-Syndroms im Erwachsenenalter handele es sich damit letztlich um einen Off-label-use. Dabei müsse beachtet werden, dass es sich bei der Erkrankung nicht um eine lebensbedrohliche handle, jedoch könne durchaus die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt sein. Die Diagnose an sich begründe noch keine Behandlungsnotwendigkeit, auch eine Psychotherapie sei möglich, wobei Komorbiditäten (affektive Erkrankungen, Angsterkrankungen) häufig seien und mitbehandelt werden könnten. Generell gelte jedoch, das für die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizitssyndrom bei einem Erwachsenen keine Standardtherapie zur Verfügung stehe und aufgrund der bisherigen Datenlage eine gewisse Aussicht bestehe, dass ein Behandlungserfolg mit Ritalin erzielt werden könne. Große doppelblind geführte, randomisierte Studien, die einen Therapiebenefit nachwiesen, lägen bisher nicht vor. Im Review Artikel von Wilens seien zehn Studien zur Ritalin identifiziert worden, wobei die Fallzahlen zumeist nur bei 40 Patienten lägen und die Therapiedauer maximal acht Wochen betrüge. Damit könnten die vom Bundessozialgericht (BSG) aufgeführten Kriterien für einen Off-label-use nicht als erfüllt angesehen werden. Eine Therapie mit Stimulanzien sei in den Arzneimittelrichtlinien auch nur bei eingeschränkten Indikationen zu Lasten der GKV vorgesehen. Eine Ausnahme für Erwachsene mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom sei nicht aufgenommen worden. Deswegen seien insgesamt die medizinischen Voraussetzungen für die Leistung nicht erfüllt.

Mit Bescheid vom 14. März 2006 lehnte die Beklagte daraufhin die Kostenübernahme unter Hinweis auf das Gutachten des MDK ab. Der hiergegen eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Mai 2006). Zur Begründung führte der Widerspruchsausschuss ergänzend aus, die Stellungnahme des MDK sei schlüssig, wonach die Voraussetzungen für eine Ausnahmeentscheidung im Sinne der Rechtsprechung bei dem Kläger nicht erfüllt seien. Das Argument, dass durch die Behandlung mit Ritalin Folgekosten eingespart werden könnten, könne ebenfalls keine andere Entscheidung rechtfertigen, da die soziale Krankenversicherung auf dem Gedanken des Solidarausgleichs innerhalb der Versichertengemeinschaft beruhe. Ein Kostenerstattungsanspruch bestehe nicht schon deshalb, weil die Krankenkasse dadurch, dass der Versicherte Leistungen außerhalb des Leistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen habe, vermeintlich Aufwendungen anderer Art spare; denn sonst könnte die krankenversicherungsrechtliche Beschränkung auf bestimmte Formen der Leistungserbringung letztlich durch den Ausspruch auf (teilweise) Kostenerstattung ohne Weiteres durchbrochen werden.

Der Kläger hat deswegen am 23. Juni 2006 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben, mit der er ergänzend geltend gemacht hat, er sei zur Vermeidung seiner fortschreitenden psychosozialen Verwahrlosung und latent vorliegenden Selbst- bzw. Fremdgefährdung wie auch zur Verhinderung einer weiteren Verschlimmerung seiner Krankheitsbefunde dringend auf die Verabreichung des Medikaments "Ritalin" oder eines wirkstoffgleichen Generikums angewiesen. Die Beklagte habe auch die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss vom 06.12.2005 bei schweren Erkrankungen entwickelten Kriterien zur Behandlung mit nicht allgemein anerkannten Behandlungsmethoden nicht ausreichend berücksichtigt. Ohne dauerhafte Medikation sei sein Gesundheitszustand nicht zu stabilisieren. Es drohe eine weitere Progredienz der ADHS mit der konkreten Gefahr einer psychosomatischen Verwahrlosung; Eigen- und Fremdgefährdung in Konfliktsituationen könnten nicht ausgeschlossen werden. Er hat hierzu einen Bericht über seinen stationären Aufenthalt in der Psychiatrischen Universitätsklinik vorgelegt, ferner eine Stellungnahme des Vorstands der Bundesärztekammer zu ADHS vom 26. August 2005. Danach sei die Stimulanzienbehandlung mit Methylphenidat auch im Erwachsenenalter die Therapie der Wahl, unterliege aber bekanntlich der Betäubungsmittelverschreibungsverordnung und sei auch für die Indikation ADHS im Erwachsenenalter nicht zugelassen. Das Ritalin werde bislang im Rahmen eines individuellen Heilversuchs verordnet. Dies sei zweifellos unbefriedigend und bedürfe der Abhilfe. Ansonsten erfolge die Behandlung nach denselben Grundsätzen wie im Kindes- und Jugendalter. Im weiteren Prozessverlauf hat der Kläger noch Aufsätze aus der Ärztezeitung vom 26.03.2007 sowie aus Web 4 Health vorgelegt. Danach sei von Prof. Dr. R. im November 2006 eine kontrollierte Studie über 24 Wochen mit 359 erwachsenen Teilnehmern durchgeführt worden, von denen 2/3 über 24 Wochen hinweg mit im Mittel 40 mg retadiertem Methylphenidat behandelt worden wären, 1/3 mit Placebo. Die Behandlung mit dem retardierten Methylphinidat sei danach der Placebowirkung über 24 Wochen signifikant überlegen gewesen. Die ADHS-Symptome mit Placebo hätten sich nur von 46 auf 32 Punkte verringern lassen, mit Methylphinidat aber auf 26 Punkte.

Die Beklagte hat noch eine aktuelle Auskunft des Arzneimittelherstellers Medice Arzneimittel Pü. GmbH & Co.KG zum Stand des Verfahrens zur Indikationserweiterung von "Medikid retard" zur Anwendung bei ADHS im Erwachsenenalter vorgelegt. Danach sei im März 2007 die Erweiterung der Zulassung auch für Erwachsene beantragt worden. Es sei in enger Abstimmung mit der Zulassungsbehörde eine klinische Studie der Phase III durchgeführt worden, die einen signifikanten Unterschied zugunsten von Verum im Vergleich zu Placebo ergeben habe. Diese Ergebnisse seien bereits auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) in Berlin am 24. November 2006 veröffentlicht worden. Nach einer ersten Rückmeldung fehle es dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Zeit für eine Zulassung an einer differenzierten Definition der Patientenpopulation, da offensichtlich in den klinischen Studien nicht alle Patienten in gleichem Maße von der Behandlung mit Methylphenidat profitiert hätten. Bis zur erweiterten Zulassung bliebe somit die Verordnung "off label".

Mit Urteil vom 22. November 2007, der Beklagten zugestellt am 29. Januar 2008, hat das SG die Beklagte verurteilt, die Kosten für die seit März 2006 mit ärztlich verordneten methylphenidathaltigen Präparaten durchgeführte Medikamentenbehandlung des Klägers zu erstatten und die Kosten hierfür bis auf Weiteres zu übernehmen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, das verordnete Präparat sei für die Behandlung des ADHS im Kindes- und Jugendlichenalter bereits in Deutschland zugelassen. Bezüglich des erwachsenen Klägers seien die Kriterien für einen Off-label-use erfüllt. Kein Zweifel könne daran bestehen, dass es sich um eine schwere Erkrankung handle, die die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtige. Eine Behandlungsalternative sei nicht vorhanden. Auch gebe es eine begründete Aussicht darauf, dass mit dem Medikament ein Behandlungserfolg erzielt werden könne. Forschungsergebnisse lägen nach der Studie, auf die sich die Firma Me. bei ihrem Zulassungserweiterungsantrag berufen habe, vor. Diese Studie sei bereits Ende 2006 auf dem DGPPN-Kongress in Berlin veröffentlicht worden. Eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive ein klinisch relevanter Nutzen bei vertretbaren Risiken werde spätestens durch diese Studie ausreichend belegt. Im Übrigen reichten aber nach der Rechtsprechung auch außerhalb des Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse, die veröffentlicht seien, und die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zuließen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne bestehe, aus. Dass dies der Fall sei, werde auch durch die Stellungnahme des Vorstandes der Bundesärztekammer in seiner Sitzung vom 26. August 2005 bestätigt.

Mit ihrer am 11. Februar 2008 eingelegten Berufung macht die Beklagte geltend, die Situation des Klägers sei zur Zeit aufgrund einer neuen Beziehung und einer neuen Lehrstelle stabil. Das SG habe mit seiner Entscheidung dem BfArM vorgegriffen und weder die aktuelle "EMMA-Studie" angefordert noch diese gar von einem Sachverständigen prüfen lassen. Wenn dies rechtmäßig sei, könne zukünftig ein Patient in einem kostenlosen Sozialgerichtsverfahren eine Quasi-Zulassungserweiterung durchsetzen. Die Ergebnisse von Studien über die Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen mit Methylphenidat könnten auch nicht automatisch auf Erwachsene übertragen werden, da die ADHS bei Erwachsenen eine andere Symptomatik aufweise. Darüber hinaus stelle sich die Frage der Dosisfindung und einer möglichen Höchstanwendungsdauer neu. Von einer Krisenintervention mit Ritalin, wie sie bei dem Kläger vorgenommen worden wäre, würde beispielsweise bei Kindern und Jugendlichen, wie auch generell von einer Unterbrechung der Behandlung z.B. in der Ferienzeit, abgeraten. Gegenwärtig finde bei dem Kläger auch gar keine Behandlung mit Ritalin statt. Der Antrag des Arzneimittelherstellers von "Medikid retard" auf Zulassungserweiterung zur Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter sei mittlerweile aus fachlichen Gründen abgelehnt worden. Sie hat hierzu auf verschiedene, ihren Rechtsansicht stützende Entscheidungen der Landessozialgerichte verwiesen und eine Auskunft des BfArM vom 31. März 2008 vorgelegt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 22. November 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.

Er verweist darauf, dass die Relativierung und das Umschwenken von Herrn Dr. Ge. nicht nachvollziehbar sei. Der Umstand, dass ihm mittlerweile kein Methylphenidat mehr verschrieben werde, sei kein Indiz für die mangelnde medizinische Indikation. Dies müsse gegebenenfalls durch ein Sachverständigengutachten geklärt werden. Er hat hierzu ein Schreiben von Dr. Ge. vom 22. November 2006 vorgelegt, wonach er keine Chance sehe, über ein Sozialgerichtsverfahren eine Verordnung zu erzwingen. Er ziehe also seine Empfehlung zurück, in den prozessualen Weg einzutreten.

Die aufgrund der Verordnung von Dr. Wa. entstandenen Kosten (106, 96 EUR) hat die Beklagte am 06. Februar 2008 erstattet.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat der Senat die behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen befragt.

Dr. Wa. hat angegeben, eine weitere Verordnung von Ritalin sei jedenfalls durch ihn nicht erfolgt. Der Kläger fühle sich seit Juli 2006 besser. Er sehe auch keine Notwendigkeit für eine Ritalinbehandlung. Er habe den Kläger zuletzt im Oktober 2007 wegen einer Nierenkolik behandelt; seither habe er nichts von ihm gehört. Er habe ihn allerdings einige Male in der Stadt gesehen und denke, dass es ihm derzeit gut gehe. Eine Behandlungsalternative sei offensichtlich nicht nötig und wenn, müsste er ihn an einen Neurologen/Psychiater verweisen. Die Neurologin Dr. G., die die Praxis von Dr. J. G. im Januar 2007 übernommen hat, hat mitgeteilt, der Kläger sei zuletzt im März 2006 vorstellig geworden. Den Unterlagen sei zu entnehmen, dass das Ritalin von der Neurologischen Universitätsklinik F. angesetzt worden wäre. Deswegen könnten zum Gesundheitszustand des Klägers keine Angaben gemacht werden.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den §§ 143, 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist statthaft im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG, da die begehrte Kostenübernahme für Ritalin einen Behandlungszeitraum von mehr als einem Jahr umfasst.

Die damit insgesamt zulässige Berufung der Beklagten ist auch begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kostenerstattung oder Gewährung des Medikamentes als Sachleistung.

Der Senat konnte ohne weitere Beweisermittlungen entscheiden, insbesondere bedurfte es nicht der Einholung einer weiteren sachverständigen Zeugenaussage bei Dr. H ... Die damalig von ihm erhobenen Befunde sind aktenkundig. Der Kläger stand seit 2005 nicht mehr in seiner Behandlung, so dass er keine Angaben zum aktuellen Gesundheitszustand machen kann, ungeachtet des Umstandes, dass die ambulante Behandlung ohnehin nur durch niedergelassene Fachärzte erfolgen kann.

Dem Kostenerstattungs- und Sachleistungsanspruch des Klägers steht entgegen, dass er zum einen den vorgesehenen Beschaffungsweg nicht eingehalten hat, zum andern die Versorgung mit Ritalin auch nicht zu Unrecht abgelehnt wurde.

Als Anspruchsgrundlage für die vom Kläger ursprünglich geltend gemachte Erstattung von 106,96 EUR kommt allein § 13 Abs. 3 zweite Alternative Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Betracht. Danach hat eine Krankenkasse die Kosten für selbstbeschaffte Leistungen zu erstatten, wenn sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. Diese Voraussetzungen liegen hier schon deswegen nicht vor, weil die Kosten in Höhe von 106,96 dem Kläger nicht aufgrund einer Leistungsablehnung der Beklagten entstanden sind. Vielmehr hat der Kläger sich das streitbefangene Medikament bereits im Februar 2006 zunächst auf eigene Kosten selbst beschafft und dann im März 2006 bei der Beklagten einen Antrag auf Kostenerstattung gestellt. In einem solchen Falle ist die Ablehnung der Krankenkasse nicht ursächlich für die Kostenentstehung, weil der Versicherte die Kosten unabhängig von der Ablehnung der Krankenkasse herbeigeführt hat (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. SozR 3-2500 § 13 Nr. 26).

Die Beklagte hat die Leistung auch nicht zu Unrecht abgelehnt hat (§ 13 Abs. 3 zweite Alternative SGB V). Dem Kläger steht kein Anspruch auf die Gewährung des Medikaments "Ritalin" zu.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V u. a. auch die Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit diese nicht nach § 34 SGB V von der Leistungspflicht ausgeschlossen sind.

Der geltend gemachte Sachleistungsanspruch im Sinne eines in die Zukunft gerichteten Kostenübernahmeanspruchs scheitert bereits an dem Fehlen einer vertragsärztlichen Verordnung (vgl. zum folgenden LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15.08.2007, L 31 KR 139/07). Das Erfordernis einer vertragsärztlichen Verordnung ergibt sich bezogen auf den Sachleistungsanspruch vor dem Hintergrund, dass § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i. V. m. § 31 Abs. 1 SGB V keine unmittelbare durchsetzbaren Ansprüche auf Versorgung schlechthin mit irgendwelchen Arzneimittel begründet, sondern lediglich ein ausfüllungsbedürftiges Rahmenrecht. Dieses Rahmenrecht wird unter Beachtung des systematischen Zusammenhangs der §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 31 Abs. 1 SGB V mit § 15 Abs. 1 SGB V (Arztvorbehalt) und § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V (Verordnung von Arzneimitteln) erst dadurch konkretisiert, dass ein Vertragsarzt den Eintritt eines Versicherungsfalls durch Diagnose einer Krankheit feststellt, den Versicherten ein nach Zweck und Art bestimmtes Medikament als ärztliche Behandlungsmaßnahme "verschreibt" und damit die Verantwortung für den Einsatz dieses Arzneimittels übernimmt. Dass es sich bei dem die Verordnung ausstellenden Arzt, der insoweit als Schlüsselfigur der Arzneimittelversorgung bezeichnet werden kann, um eine Vertragsarzt handeln muss, ist in § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB V klargestellt, indem alle ärztlichen Verordnungen zum Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung erklärt werden. Nur in deren Rahmen sind die gesetzlichen Krankenkassen zur Versorgung ihrer Versicherten mit entsprechenden Mitteln verpflichtet (vgl. BSG SozR-2500 § 13 Nr. 13 m. w. Nachw.).

Die Ermittlungen im Berufungsverfahren haben ergeben, dass der Kläger seit der Beendigung der vertragsärztlichen Tätigkeit seines ihn früher behandelnden Arztes Dr. G. keinen Vertragsarzt gefunden hat, der die Verantwortung für eine Verordnung von Ritalin in seinem Fall übernehmen will. Dies bringt den in die Zukunft gerichteten Sachleistungsanspruch zu Fall.

Ungeachtet dessen steht dem Kostenübernahmeanspruch des Klägers entgegen, dass die Voraussetzungen des Off-label-use bei ihm nicht vorliegen. Grundsätzlich bedarf ein Fertigarzneimittel zur Anwendung bei einem Versicherten der arzneimittelrechtlichen Zulassung für das Indikationsgebiet, in dem es bei ihm angewendet wird, um dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterfallen. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1, § 12 Abs. 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz [AMG]) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (ständige Rechtsprechung des BSG, vgl. SozR 4-2500 § 31 Nr. 6). So liegt es im vorliegenden Fall. Eine arzneimittelrechtliche Zulassung in diesem Sinne besteht nur, wenn das Arzneimittel die Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet besitzt, in dem es im konkreten Fall eingesetzt werden soll (vgl. § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AMG). Das Arzneimittel "Ritalin" ist zwar im Sinne der Krankenversicherung ein verkehrsfähiges Arzneimittel, jedoch beschränkt sich seine Zulassung auf die Anwendung bei Kindern und Jugendlichen mit der Diagnose ADHS. Es hat weder in Deutschland noch innerhalb der Europäischen Union die erforderliche Arzneimittelzulassung für das Indikationsgebiet ADS/ADHS im Erwachsenenalter, für das es von dem Kläger eingesetzt worden ist. Ausnahmsweise ist unter engen Voraussetzungen die Verordnung eines Arzneimittels zwar auch außerhalb des nach den Bestimmungen des AMG vorgegebenen Zulassungsbereichs möglich (BSG, Urteil vom 19. März 2002, B 1 KR 37/00 R), jedoch bestimmt § 29 Abs. 3 Nr. 3 AMG, dass die Erweiterung des Anwendungsbereiches eines Arzneimittels einer erneuten Zulassung bedarf, an der es bei den von dem Kläger begehrten Arzneimitteln derzeit mangelt, wie sich dies insbesondere aus der von der Beklagten vorlegten Auskunft des BfArM vom 31. März 2008 ergibt.

Der Kläger kann das Medikament auch nicht nach den Grundsätzen des so genannten Off-label-use beanspruchen. Nach der Rechtsprechung des BSG, der der Senat folgt, kann abgesehen von Fällen einer extrem seltenen Erkrankung (diese liegt hier nicht vor) die Verordnung eines Medikaments in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet grundsätzlich in Betracht kommen, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn keine andere Therapie verfügbar ist und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Arzneimittel ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann. Von hinreichenden Erfolgsaussichten kann dann ausgegangen werden, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies kann angenommen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt worden ist und Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard und Placebo) veröffentlicht worden sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht worden sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsbereich zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (SozR 3-2500 § 31 Nr. 8).

Die Erkrankung des Klägers an ADHS stellt zur Überzeugung des Senats keine schwerwiegende Erkrankung dar, d.h. eine solche, die entweder lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Dafür spricht insbesondere die sachverständige Zeugenaussage des behandelnden Arztes Dr. W., wonach sich der seit immerhin zwei Jahren unbehandelte Kläger in einem guten Zustand befindet und noch nicht einmal psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nehmen muss. Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es nicht zum Nachteil des Klägers gereichen soll, dass er von der Beklagten bislang unversorgt mit Ritalin war, erreicht seine Krankheit jedenfalls kein lebensbedrohliches oder ein damit vergleichbares, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigendes Ausmaß. Dieses muss umso größer sein je mehr Risiken mit der Anwendung des betreffenden Arzneimittels verbunden sind. Diese sind bei den methylphenidathaltigen Medikamenten beträchtlich, weil diese zu den Betäubungsmitteln nach § 1 Abs. 1 i. V. m. Anlage III des Gesetzes über den Verkehr mit Betäubungsmitteln (Betäubungsmittelgesetz – BtMG -) gehören, die bei unsachgemäßer Anwendung zu einer Suchtentwicklung führen können. Vor diesem Hintergrund reichen die bei dem Kläger vorliegenden Störungen nicht aus, eine nachhaltige Beeinträchtigung der Lebensqualität zu begründen (vgl. - in einem vergleichbaren Fall - LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 04.07.2007, L 9 KR 52/05).

Der Antrag auf Zulassungserweiterung wurde auch vom BfArM aus fachlichen Gründen abgelehnt.

Ein Anspruch des Klägers auf die begehrte Medikamentenversorgung ergibt sich schließlich nicht aus dem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Arzneimittel-Richtlinie (AMR) vom 18.04.2006 und den dadurch als Abschnitt H der AMR eingefügten Richtlinien zum off-label-use. Eine entsprechende Entscheidung zum off-label-use von Ritalin/Methylphenidat ist dort weder ergangen noch sind die dortigen Voraussetzungen für eine solche Empfehlung erfüllt (so Bayerisches LSG, Urteil vom 13.06.2006, L 5 KR 93/06).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved