L 5 B 154/08 KR

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
5
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 1 KR 1392/07
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 5 B 154/08 KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Bei einer Anfechtungsklage gegen einen vom Rentenversicherungsträger erlassenen Grundverwaltungsakt zur Versicherungs- und Beitragspflicht kann der nach § 52 Abs 1 GKG für die Festsetzung des Streitwertes maßgebliche wirtschaftliche Wert nur dann vom Gericht festgestellt werden, wenn die Beitragshöhe sich entweder aus den Akten ergibt oder hierzu ausreichend von einem Beteiligten vorgetragen worden ist.

Ist das nicht der Fall, ist für solche Streitverfahren der sog. Auffangstreitwert des § 52 Abs. 2 GKG festzusetzen.

2. Ein unter Anwendung dieser Grundsätze erlassener Streitwertbeschluss des Sozialgerichts ist im Beschwerdeverfahren nur dann zu ändern, wenn er entweder auf einen Irrtum des Sozialgerichts beruht oder wenn neue, für die Streitwertfestsetzung relevante, bisher noch nicht berücksichtigungsfähige Tatsachen eingetreten sind. Das ist nicht der Fall, wenn ein Beteiligter statt in der Streitwertfestsetzung vorausgegangenen Anhörungsverfahren erst im Beschwerdeverfahren eine Berechnung der Beitragshöhe vorlegt, selbst wenn die danach zu zahlenden Beiträge weniger als 1/5 des Auffangstreitwertes ausmachen.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 18. April 2008 wird zurückgewiesen. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Beklagte gegen die Höhe des vom Sozialgericht für das Klageverfahren festgesetzten Streitwertes. Statt des vom Sozialgericht in seinem Beschluss zugrunde gelegten § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) hält die Beklagte § 52 Abs. 1 GKG für einschlägig.

Mit Bescheid vom 2. April 2004 und Widerspruchsbescheid vom 18. April 2006 hat die Beklagte festgestellt, dass die Beigeladene bei der Klägerin versicherungspflichtig tätig sei, weil sie mehrere geringfügig entlohnte Beschäftigungen ausübe und die Entgelte zusammenzurechnen seien. Die Versicherungspflicht sei mit Beginn der Beschäftigung am 1. Dezember 2000 eingetreten und nicht erst ab Bekanntgabe des Bescheides vom 2. April 2004, da die Klägerin es vorsätzlich oder grob fahrlässig versäumt habe, den Sachverhalt für die versicherungsrechtliche Beurteilung aufzuklären. In diesen Bescheiden ist über die Höhe der von der Klägerin zu entrichtenden Sozialversicherungsbeiträge nichts ausgeführt.

In dem von der Klägerin eingeleiteten Klageverfahren hat das Sozialgericht Lübeck mit Beschluss vom 31. Mai 2006 den Streitwert "gemäß § 52 Abs. 3 GKG" (gemeint Abs. 2) vorläufig auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Mit Urteil vom 19. Februar 2008 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide insoweit aufgehoben, als die Versicherungspflicht bei Mehrfachbeschäftigungen für den Zeitraum vor dem 5. April 2004 festgestellt worden ist.

Mit Schreiben vom 1. April 2008 hat das Sozialgericht den Beteiligten mitgeteilt, es beabsichtige, den "Gegenstandswert" (gemeint Streitwert) endgültig auf 5.000,00 EUR festzusetzen. Den Beteiligten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Beigeladene zu 2)hat mit Schriftsatz vom 3. April 2008 erklärt, sie sei mit der angekündigten Streitwertfestsetzung einverstanden. Die Beklagte hat sich nicht geäußert.

Mit Beschluss vom 18. April 2004 hat das Sozialgericht den Streitwert, wie angekündigt, auf 5.000,00 EUR festgesetzt. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt:

"Die Entscheidung über die Höhe des Streitwertes beruht auf § 52 GKG. Gemäß § 52 Abs. 1 GKG ist der Streitwert in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwertes keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5.000,00 EUR anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG). Dieser Tatbestand liegt hier vor. Nach der gegebenen Aktenlage gibt es keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, wie hoch der Wert des Streitgegenstandes einzuschätzen ist, da die grundsätzliche Abgabepflicht der Klägerin für die Beigeladene zu 1) streitig ist, ohne dass konkrete Beiträge bereits erhoben wurden.

Aus diesem Grunde ist der in § 52 Abs. 2 GKG vorgesehene Auffangwert heranzuziehen."

Gegen diesen der Beklagten am 25. April 2008 zugestellten Beschluss richtet sich deren am 7. Mai 2008 eingelegte Beschwerde.

Zur Begründung ihres Rechtsmittels legt die Beklagte eine umfangreiche Berechnung der für den Zeitraum vom 1. Dezember 2000 bis zum 30. April 2004 von der Klägerin für die Beigeladene zu 1) zu entrichtenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge vor. Sie beziffert den Gesamtbetrag auf 850,59 EUR und ist der Meinung, in dieser Höhe sei der Streitwert festzusetzen.

Die übrigen Beteiligten haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Zur Ergänzung des zuvor Ausgeführten wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakten einschließlich der Akte des Hauptverfahrens, das mittlerweile unter dem Az. L 5 KR 28/08 beim beschließenden Senat anhängig ist, und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss entspricht der Sach- und Rechtslage. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Sozialgericht für das Klageverfahren den in § 52 Abs. 2 GKG geregelten so genannten Auffangstreitwert von 5.000,00 EUR festgesetzt hat. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Beklagten, für den Streitwert sei nach § 52 Abs. 1 GKG der nach Ansicht der Beklagten von der Klägerin nachzuent¬richtende Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von 850,59 EUR zugrunde zu legen. Diese Rechtsauffassung wird weder dem Inhalt der genannten Normen noch dem Akteninhalt gerecht.

Die für die Streitwertfestsetzung in den vor den Sozialgerichten geführten Verfahren maßgeblichen Regelungen der Abs. 1 bis 3 des § 52 GKG stehen in einem Rangverhältnis zueinander. Zunächst ist wesentlich, ob der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft. Dann ist deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 GKG). Um einen solchen Rechtsstreit handelt es sich bei dem vor dem Sozialgericht geführten Klageverfahren nicht. Beiträge werden in den Bescheiden der Beklagten nicht konkret bezeichnet und erst recht nicht von der Klägerin angefordert.

Sodann ist zu prüfen, ob § 52 Abs. 1 GKG einschlägig ist. Nach dieser Vorschrift ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Die "Bedeutung der Sache" ist in Verfahren, in denen es unmittelbar oder mittelbar um finanzielle Interessen geht, in der Regel gleichzusetzen mit dem wirtschaftlichen Wert, den der Rechtsstreit für den klagenden Beteiligten hat (so zutreffend Hartmann, Kostengesetze, 37. Aufl., Rdn. 10 zu § 52). Hier war der Antrag der Klägerin gerichtet auf die Aufhebung der Bescheide der Beklagten. Unmittelbar kann hieraus kein wirtschaftlicher Wert hergeleitet werden. In den zur Überprüfung durch das Sozialgericht gestellten Bescheiden hatte die Beklagte lediglich festgestellt, dass die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1) bereits ab 1. Dezember 2000 (und nicht erst ab Zugang des Bescheides vom 2. April 2004) eingetreten sei. Aus dieser bescheidmäßigen Feststellung folgt, wenn die Bescheide bestandskräftig werden sollten, lediglich mittelbar, dass die Klägerin als Arbeitgeberin die rückständigen Beiträge zu zahlen hat (§§ 28d; 28e Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – SGB IV -). Diese eventuelle zukünftige Forderung, die nach einem für die Klägerin negativen Ausgang des Gerichtsverfahrens die Einzugsstelle nach § 28h Abs. 1 Satz 1 SGB IV geltend machen kann, kann durchaus auch den wirtschaftlichen Wert des gegen die Bescheide geführten Gerichtsverfahrens darstellen. Hier kann Ähnliches gelten wie in Rechtsstreitigkeiten, die sich gegen Entscheidungen der Rentenversicherungsträger in so genannten Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV richten. Für solche Verfahren hat beispielsweise das LSG Baden-Württemberg – unter Hinweis auf entsprechende Entscheidungen des LSG Nordrhein-Westfalen – entschieden, dass "ein Streitwert unter Berücksichtigung der möglichen Beitragsbelastung des Arbeitgebers als mittelbare Folge der Statusentscheidung für die längerfristige Auswirkung der Entscheidung zugrunde zu legen" sei (Beschluss vom 2. Ja¬nuar 2006 – L 11 R 2324/05 W –B -, zu finden in juris). Allerdings setzt die Berücksichtigung einer möglichen Beitragsbelastung sowohl im Verfahren nach § 7a SGB IV als auch in Verfahren, die sich gegen im Prüfverfahren nach § 28p Abs. 1 SGB IV erlassene Bescheide der Rentenversicherungsträger richten, voraus, dass die mögliche Beitragsbelastung vom Gericht feststellbar ist. Erlässt der Rentenversicherungsträger – wie hier – nur einen Grundverwaltungsakt über das Bestehen von Versicherungspflicht, enthält dieser naturgemäß zur Höhe etwaiger Arbeitgeberbeiträge nichts. Ergeben sich aus der beigezogenen Verwaltungsakte – wie auch hier – keine Anhaltspunkte für die Höhe der aus der Grundentscheidung später folgenden Beitragsverpflichtung, kann das Gericht eine wirtschaftliche Bedeutung des Rechtsstreits für die Klägerseite nur feststellen, wenn im Gerichtsverfahren ein entsprechender Vortrag eines oder mehrerer Beteiligter erfolgt. In der Regel ist hierzu der beklagte Rentenversicherungsträger in der Lage. In dem Verfahren, in dem der oben genannte Beschluss des LSG Baden-Württemberg erging, war das auch der Fall. Hier dagegen sind weder in der Verwaltungsakte Hinweise auf die Beitragshöhe enthalten, noch hat die Beklagte hierzu im Klageverfahren Entsprechendes vorgetragen. Hierzu hätte sie bereits Gelegenheit gehabt, als das Sozialgericht den Streitwert im Beschluss vom 31. Mai 2006 vorläufig auf 5.000,00 EUR festgesetzt hatte. Zwar war dieser Beschluss nicht beschwerdefähig (§ 63 Abs. 1 Satz 1 GKG) und die Beklagte wurde seinerzeit durch ihn auch nicht beschwert. Der Beklagten wäre es aber unbenommen gewesen, im Hinblick auf die nach § 63 Abs. 2 GKG zu erwartende endgültige Wertfestsetzung bereits vorsorglich darauf hinzuweisen, dass der Auffangstreitwert die tatsächlich zu entrichtenden Beiträge weit übersteigt. Ein solcher Vortrag wäre spätestens möglich und zu erwarten gewesen, als das Sozialgericht mit Schreiben vom 1. April 2008 angekündigt hatte, es beabsichtige, den Streitwert endgültig auf 5.000,00 EUR festzusetzen und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gab. Die Beklagte hat aber zur Beitragshöhe und zum Streitwert im sozialgerichtlichen Verfahren jeglichen Vortrag unterlassen. Eine Beweiserhebung durch das Sozialgericht zur Ermittlung des Streitwertes ist nach verbreiteter Auffassung nicht zulässig (Hartmann a. a. O., Rdn. 16 zu § 52 m. w. N.). Zumindest aber kann eine solche gerichtliche Ermittlung nach Verfahrensabschluss nicht erwartet werden (LSG Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 6. November 2007 – L 16 B 3/07 R -, abgedruckt in juris, Rdn. 8). Es reicht allein die – nach Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz, § 62 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erforderliche – Einräumung einer Gelegenheit zur Stellungnahme (Hartmann, a. a. O.). Erfolgt dann kein Vortrag über die Höhe des Streitwertes, bietet der Akteninhalt keine Möglichkeit, nach § 52 Abs. 1 GKG den wirtschaftlichen Wert des Verfahrens festzustellen. Dann ist der Tatbestand des § 52 Abs. 2 GKG erfüllt. Wegen des Fehlens von dem Sach- und Streitstand zu entnehmenden Anhaltspunkten für die Bestimmung des Streitwertes ist letzterer auf 5.000,00 EUR festzusetzen (so auch LSG Nordrhein-Westfalen a. a. O.).

Die Beklagte kann nicht damit gehört werden, sie habe nunmehr im Beschwerdeverfahren die Beitragshöhe genau ermittelt, die Einzelheiten zu dieser Ermittlung jetzt mitgeteilt und damit eine ausreichende Grundlage für eine Berechnung des Streitwertes nach § 52 Abs. 1 GKG geschaffen. Letzteres ist zwar richtig, führt aber nicht zur Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Beschlusses. Nur wenn letzteres der Fall wäre, bestände Anlass, nach § 63 Abs. 3 Satz 1 GKG die Streitwertfestsetzung des Sozialgerichts zu ändern. Wie dargelegt, entspricht der angefochtene Beschluss aber der im Zeitpunkt seiner Zustellung maßgeblichen Sach- und Rechtslage. Der Senat sieht sich nicht veranlasst, die ohne Rechtsfehler getroffene Entscheidung des Sozialgerichts nur deshalb aufzuheben, weil die Beklagte den von ihr im sozialgerichtlichen Anhörungsverfahren zu erwarten gewesenen, aber unterlassenen Sachvortrag nunmehr im Rechtsmittelverfahren nachholt. Die Änderung einer Streitwertfestsetzung kommt immer in Betracht, wenn letztere auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung oder einem Irrtum des festsetzenden Gerichts beruht. Beides ist nach dem Dargelegten nicht der Fall. Denkbar ist eine Änderung auch dann, wenn neue, für die Streitwertfestsetzung maßgebliche Tatsachen eintreten, die im Ausgangsverfahren noch nicht hatten berücksichtigt werden können. Eine solche Situation liegt hier ebenfalls nicht vor. Die Tatsachen, die für die Berechnung der von der Klägerin möglicherweise zu zahlenden Gesamtsozialversicherungsbeiträge maßgeblich sind, waren der Beklagten bereits im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Bescheide, auf jeden Fall aber während des sozialgerichtlichen Verfahrens bekannt, insbesondere als ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten endgültigen Streitwertfestsetzung gegeben worden war. Ihre dem Sozialgericht nicht eingereichte, nunmehr vorgelegte Beitragsberechnung macht den angefochtenen Streitwertbeschluss somit nicht rechtswidrig.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 68 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).

Littmann Timme Dr. Goedelt
Rechtskraft
Aus
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