L 5 V 1051/71

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 1051/71
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1) Verweist ein Zivilgericht einen Rechtsstreit gemäß Art. 3 des Zweiten Änderungsgesetzes zum Bundesseuchengesetz vom 25. August 1971 an ein Sozialgericht, das nach § 57 Abs. 1 SGG örtlich nicht zuständig ist, so hat sich dieses auf Antrag des Klägers nach § 93 Abs. 1 SGG für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Sozialgericht zu verweisen. §§ 94 Abs. 3 und 52 SGG stehen nicht entgegen.
2) In Fällen dieser Art hat die Verweisung auch durch das Berufungsgericht durch Beschluß an das örtlich zuständige Landessozialgericht zu erfolgen. Die Gedanken der in BSGE 10 S. 230 ff. veröffentlichten Entscheidung sind nicht einschlägig.
Der 5. Senat des Hessischen Landessozialgerichts erklärt sich für örtlich unzuständig.

Auf Antrag des Klägers wird der Rechtsstreit an das örtlich zuständige Landessozialgericht Baden-Württemberg in Stuttgart verwiesen.

Gründe:

Der in W. wohnhafte Kläger hat am 26. Mai 1962 in F. an der Schluckimpfung gegen Poliomyelitis teilgenommen. Er macht Rentenansprüche auf Grund des Bundesseuchengesetzes wegen dadurch eingetretener Gesundheitsschäden geltend, die er gerichtlich in erster Instanz vor dem Landgericht (LG) Darmstadt verfochten hat. Dieses hat seine Klage mit Urteil vom 23. Oktober 1970 abgewiesen. Im Verlaufe des Berufungsverfahrens vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/M. sind die Akten durch Beschluss des 12. Zivilsenats – in Darmstadt vom 14. Oktober 1971 dem Hessischen Landessozialgericht übersandt worden, auf das die Rechtsstreitigkeit gemäß Art. 3 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesseuchengesetzes vom 25. August 1971 (BGB I S. 1401) übergegangen sei. Mit Schriftsatz vom 6. Dezember 1971 hat der Kläger beantragt, den Rechtsstreit an das zuständige Landessozialgericht Baden-Württemberg in Stuttgart zu verweisen.

Diesem Antrag war stattzugeben.

Gemäß § 90 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat sich das angerufene Gericht, wenn es sich u.a. für örtlich unzuständig hält, auf Antrag des Klägers durch Beschluss für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das zuständige Gericht der Sozialgerichtsbarkeit zu verweisen, sofern dieses bestimmt werden kann. Nach dieser Vorschrift war vorliegend mit der Maßgabe des Beschlusstenors zu verfahren.

Nach Art. 3 des oben zitierten Änderungsgesetzes zum Bundesseuchengesetz gehen die bei den ordentlichen Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten, denen Ansprüche aus dem Bundesseuchengesetz zugrunde liegen, auf die für zuständig erklärten Sozialgerichte des jeweiligen Rechtszuges über (vgl. auch § 61 des Änderungsgesetzes). Hiernach ist § 51 Abs. 4 SGG einschlägig. Denn die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden auch über sonstige öffentlich-rechtliche Streitigkeiten, für die durch Gesetz der Rechtsweg vor diesen Gerichten eröffnet wird.

Besteht danach die sachliche und instanzielle Zuständigkeit eines Sozialgerichts der zweiten Instanz für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch, so ist damit über die örtliche Zuständigkeit des Hessischen Landessozialgerichts noch nichts gesagt. Sie ist nach Eröffnung des Sozialgerichts-Rechtsweges aus den einschlägigen Bestimmungen des SGG zu entnehmen, zumal das Zweite Änderungsgesetz zum Bundesseuchengesetz insoweit keine Bestimmungen getroffen hat. Rechtsgrundlage für die örtliche Zuständigkeit ist im vorliegenden Fall damit § 57 Abs. 1, 1. Halbsatz SGG. Danach ist sie allein auf den Wohnsitz des Klägers ausgerichtet, er weder zur Zeit der Klageerhebung noch im Zeitpunkt der Aktenabgabe durch das OLG Frankfurt/M. in einem Beschäftigungsverhältnis in Hessen stand, das es ihm ermöglicht hätte, auch vor dem für den Beschäftigungsort zuständigen Sozialgericht oder instanziell gesehen vor dem Hessischen Landessozialgericht zu klagen (§ 57 Abs. 1, 2. Halbsatz SGG. Ist letztere Bestimmung aber nicht anzuwenden, dann konnte die Aktenabgabe in der erfolgten Weise die örtliche Zuständigkeit dieses Gerichts nicht begründen. Denn eine Prorogation ist nach § 59 SGG ebenfalls nicht zulässig. Würde sie begehrt, dann würde eine solche Vereinbarung über die Zuständigkeit keine rechtliche Wirkung haben. Da der Kläger seit dem Zeitpunkt der Klageerhebung vor dem LG Darmstadt seinen Wohnsitz unverändert in W. hat, wäre in erster Instanz das hierfür bestimmte Sozialgericht örtlich zuständig gewesen. In zweiter Instanz ist es unter Beachtung des Art. 3 des Änderungsgesetzes das Landessozialgericht Baden-Württemberg.

§ 94 Abs. 3 SGG steht nicht entgegen. Diese Vorschrift ist ausschließlich auf die Sozialgerichtsbarkeit zugeschnitten und ist in Zusammenhang mit § 57 SGG zu lesen, der seinerseits von den Bestimmungen der §§ 12 ff. ZPO abweicht. Wenn sie bestimmt, daß die Zuständigkeit des Gerichts durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nach Eintritt der Rechtshängigkeit nicht berührt wird, so ist damit nicht gesagt, daß ein Gericht, das bei Klageerhebung nicht zuständig war, nach Rechtshängigkeit zuständig wird, wenn danach bis zur Entscheidung die Voraussetzungen der Zuständigkeit eintreten. Schon gar nicht kann aus § 94 Abs. 3 SGG gefolgert werden, daß ein Gericht der Zivilgerichtsbarkeit die örtliche Zuständigkeit eines Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit durch Verweisung begründen kann, wenn diese Zuständigkeit nach dem Gesetz (§ 57 SGG) nicht gegeben ist und daß die tatsächlich und rechtlich infolge der Verweisung zustande gekommene Unzuständigkeit erhalten bleiben muß.

Auch § 52 SGG rechtfertigt den Verweisungsbeschluß des OLG Frankfurt/M. nicht. Denn diese Vorschrift hat nur den hier nicht vorliegenden Kompetenzkonflikt zum Gegenstand. Die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit steht indessen nicht zur Debatte.

War nach alledem dem Antrag des Klägers auf Verweisung örtlicher Unzuständigkeit des Hessischen Landessozialgerichts stattzugeben, so hatte das durch Beschluss zu geschehen. Das Bundessozialgericht hat in seinem in BSGE 10 S. 230 ff. veröffentlichten Urteil zwar niedergelegt, daß die Verweisung durch Urteil zu erfolgen habe, wenn sie durch ein Gericht des zweiten Rechtszuges vorgenommen werde. Zuvor sei nämlich das Urteil erster Instanz aufzuheben, dem durch die Verweisung die Grundlage entzogen werde. Ein Urteil könne aber nur wieder durch ein Urteil aus der Welt geschafft werden. Diese Gedankengänge sind hier aber nicht einschlägig. Der erkennende Senat hatte das Urteil des LG Darmstadt vom 23. Oktober 1970 nicht aufzuheben. Denn im Zeitpunkt seines Erlasses war dessen örtliche Zuständigkeit nach §§ 12 ff. ZPO gegeben und sie bestand auch noch weiter bis zum Inkrafttreten des Zweiten Änderungsgesetzes zum Bundesseuchengesetz. Die Entscheidung des LG Darmstadt leidet demnach in Bezug auf die örtliche Zuständigkeit an keinem Mangel. Darüber hinaus verbot es sich für das Hessische Landessozialgericht schon aus allgemeinen prozessualen und rechtsstaatlichen Grundsätzen, an die Aufhebung dieses zivilgerichtlichen Urteils wegen Zuständigkeitsfragen zu denken.

Entgegen den Ausführungen des BSG a.a.O. war vom erkennenden Senat auch nicht das für den Wohnort des Klägers zuständige Sozialgericht erster Instanz als zuständiges Gericht zu bestimmen und der Rechtsstreit dorthin zu verweisen. Da das Urteil des LG Darmstadt aus Gründen der Zuständigkeit Bestand behält, würde das vorliegend zu dem gesetzwidrigen Ergebnis geführt haben, daß letztlich zwei Urteile zweier verschiedener Rechtszweige in derselben Sache und in derselben Instanz vorliegen würden. Das kann jedoch nicht rechtens sein, zumal nach Art. 3 des Änderungsgesetzes die beiden ordentlichen Gerichte anhängigen Rechtsstreitigkeiten auf die nunmehr zuständigen Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit des jeweiligen Rechtszuges übergehen.

Die Entscheidung des Senats ist gemäß § 98 Abs. 2 SGG unanfechtbar. Sie ist für das im Beschlusstenor bezeichnete Gericht mit der weiteren Folge bindend, daß die Wirkungen der Rechtshängigkeit bestehen bleiben.

Eine Kostenentscheidung hatte nicht zu ergehen. Soweit vor dem erkennenden Senat Kosten entstanden sind, hat das örtlich zuständige Landessozialgericht Baden-Württemberg in seiner Entscheidung darüber zu befinden (§ 98 Abs. 3 SGG).
Rechtskraft
Aus
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