L 26 B 807/08 AS ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 91 AS 6275/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 26 B 807/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des gesamten einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 10. März 2008, soweit sie sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe richtet, wird zurückgewiesen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin, die mit ihrer im Januar 2006 geborenen Tochter in einem gemeinsamen Haushalt lebt und für die der Antragsgegner jedenfalls bis zum 31. Mai 2008 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich Kosten für Unterkunft und Heizung erbracht hat, hat am 22. Februar 2008 beim Sozialgericht (SG) Berlin einen Antrag auf Verpflichtung des Antragsgegners gestellt, eine Zusicherung zu den Aufwendungen für eine neue Unterkunft in der Sstr., B nach § 22 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu erteilen. Der Umzug sei erforderlich, weil die bisherige Wohnung in der Gstr., B (mit einer Größe von 67 qm und einer monatliche Miete inklusive kalter Betriebskosten in Höhe von 339,00 Euro) feucht und mit einer Ofenheizung, für die gesondert Heizkosten in Höhe von 75,00 Euro bis zu 90,00 Euro monatlich angefallen seien, schwer zu heizen sei. Es habe sich umfangreich Schimmel an Decken und Wänden gebildet, wie man aus den beigefügten Fotografien ersehen könne. Ihre Gesundheit und die Gesundheit ihrer Tochter seien dadurch gefährdet. Sie habe mehrfach versucht, durch den Vermieter Abhilfe zu erlangen. Die Maßnahmen des Vermieters hätten aber keinen Erfolg gezeigt, so dass sie die Wohnung zum 30. April 2008 gekündigt habe und die Anmietung der Wohnung in der Sstr., B (rund 70 qm, Gesamtmiete monatlich 375,00 Euro sowie einen voraussichtlichen Abschlag für eine Gasetagenheizung in Höhe von monatlich 55,00 Euro) beabsichtige.

Der Antragsgegner hat die Erteilung einer Zusicherung zur Angemessenheit der künftigen Kosten mit Bescheid vom 15. Februar 2008 abgelehnt mit der Begründung, dass die genannten Mängel von der Hausverwaltung zu beseitigen und also kein Grund für die Erforderlichkeit eines Umzuges seien. Das SG hat den Antrag mit Beschluss vom 10. März 2008 (zugestellt am 13. März 2008) zurückgewiesen und zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Mit ihrer Beschwerde vom 14. April 2008 (einem Montag) hat die Antragstellerin ihr Ziel zunächst weiterverfolgt, das Verfahren aber im Hinblick auf den zwischenzeitlich (Ende März) erfolgten Umzug für erledigt erklärt.

II. Endet ein Verfahren, wie hier das einstweilige Rechtsschutzverfahren, ohne streitige Entscheidung, hat das Gericht auf Antrag durch Beschluss zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben (§ 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG] analog). Diese Entscheidung ist unter Berücksichtung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu treffen, wobei ungeachtet der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens die Erfolgsaussichten des Rechtsschutzgesuchs angemessen zu berücksichtigen sind. Allerdings ist der Erfolgsgesichtspunkt nicht der allein entscheidende und es sind im Einzelfall als Korrektiv durchaus auch Veranlassungsgesichtspunkte (also Gründe für die Führung und die Erledigung des Rechtsstreits) zu berücksichtigen. An diesen Grundsätzen gemessen hat der Antragsgegner der Antragstellerin die Kosten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu erstatten.

Nach Erlass des erstinstanzlichen Beschlusses hat sich das Verfahren durch den Umzug in die neue Wohnung erledigt, so dass die Antragstellerin zutreffend eine entsprechende Erklärung abgegeben hat. Nach einem Umzug besteht regelmäßig an der Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs. 2 SGB II zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft kein schützenswertes Rechtsschutzinteresse mehr (vgl. für den Umzug in eine kostengünstigere Wohnung Urteil des Senats vom 28. Mai 2008 - L 26 AS 421/07 - sowie für den Umzug in eine kostenaufwändigere Wohnung, wenn sich der Hilfebedürftige nicht gegen die folgenden Bescheide wegen der Kosten der Unterkunft wendet LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2007 - L 28 B 1101/07 AS PKH; jeweils zitiert nach juris). Denn die Zusicherung nach § 22 Abs. 2 SGB II ist (anders als die Zusicherung, die nach § 22 Abs. 2a SGB II eingeholt werden muss) keine Voraussetzung für einen Anspruch auf höhere Kosten der Unterkunft und Heizung. Sie hat lediglich den Zweck, über die Angemessenheit der Unterkunftskosten vor deren Entstehung eine Entscheidung herbeizuführen und so für den Hilfebedürftigen das Entstehen einer erneuten Notlage infolge der nur teilweisen Übernahme von Kosten zu vermeiden (vgl. Kalhorn in Hauck/Noftz § 22 SGB II RdNr. 43; Lang/Link in Eicher/Spellbrink SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 RdNr. 66ff; Berlit in LPK-SGBII, 2. Auflage 2007, § 22 RdNr. 71). Eine weitergehende Bindungswirkung als in § 34 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) allgemein für Zusicherungen vorgesehen (dazu nur Engelmann in von Wulffen, SGB X, 5. Auflage 2005, § 34 RdNr. 15), kommt ihr damit nicht zu. Ob im vorliegenden Einzelfall ausnahmsweise ein Interesse daran bestehen kann, in einem Hauptsacheverfahren mit einem Antrag nach § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Zusicherung zu überprüfen, braucht abschließend nicht geklärt zu werden. Ein solcher Fortsetzungsfeststellungsantrag ist im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes jedenfalls nicht zulässig (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 86 b RdNr. 9 b und Meyer-Ladewig, a.a.O., § 131 RdNr. 9 b unter Hinweis auf BVerwG Beschluss vom 27. Januar 1995 - 7 VR 16/94, DVBl. 95, 520).

Der ursprünglich vor dem SG gestellte Antrag hätte jedoch nach summarischer Prüfung Erfolg haben müssen. Die Auffassung des SG und des Antragsgegners, ein Umzug sei nicht erforderlich gewesen, teilt der Senat nicht. In einem Erörterungstermin vom 29. April 2008 konnte die Wohnung noch besichtigt werden. Der Zustand der Wohnung bot - trotz der zwischenzeitlich nahezu abgeschlossenen Auszugsrenovierung - im Wesentlichen das Bild, das sich bereits aus dem Vortrag der Antragstellerin ergeben hatte. Die bei der Akte befindlichen Fotografien geben den Zustand zutreffend wieder. Unverständlich ist dem Senat daher die Schlussfolgerung, die der Antragsgegner aus dem Abnahmeprotokoll vom 7. Mai 2008 ziehen will. Dort hat der Vermieter zwar die ordnungsgemäße Übergabe der Wohnung bestätigt. Eine dauerhafte Beseitigung der Mängel zu diesem Zeitpunkt - insbesondere des flächendeckenden Schimmelbefalles im Bad - erscheint gleichwohl ausgeschlossen. Nach den Unterlagen des Vermieters hat im Februar 2007 und im Oktober 2007 eine Beseitigung des Schimmels stattgefunden. Wenn gleichwohl wenige Monate später (die Bilder sind im Februar 2008 aufgenommen worden) erneut ein derart massiver Schimmelbefall vorliegt, wie er auch im Erörterungstermin erkennbar wurde, muss die Möglichkeit einer dauerhaften Beseitigung durch einfaches Überstreichen, wie es im Abnahmeprotokoll festgehalten ist, ausgeschlossen werden. Die Aussage der Hausverwaltung hat vor diesem Hintergrund keine weitere Bedeutung, als dass eine Verantwortlichkeit der Mieterin für die Schäden in der Wohnung nicht gesehen wird. Sie kann den Eindruck, den die Wohnung wenige Tage vorher gemacht hat, nicht widerlegen. Darüber hinaus wird durch die Aufstellung des Vermieters auch der Vortrag der Antragstellerin bestätigt, dass es ständig Schwierigkeiten mit den Öfen gab und die Wohnung praktisch nicht zu beheizen war. Während der Heizperiode 2006/2007 hat sich die Antragstellerin bereits kurz nach ihrem Einzug sowohl im Februar 2007 als auch im März 2007 an den Vermieter gewandt, der mit erheblichem Aufwand (neue Rauchrohre, neuer Kachelofen) versucht hat Abhilfe zu schaffen. Bereits mit Beginn der neuen Heizperiode im November 2007 traten wieder Schwierigkeiten auf, was der Vermieter bestätigt hat. Zwar ist nach den Aussagen des Vermieters wegen des nachfolgend am 7. Dezember 2007 gemeldeten Wasserschadens eine Terminvereinbarung nicht zustande gekommen. Entgegen dem Eindruck, den die Darstellung im Schreiben vom 15. Mai 2008 an das Gericht vermittelt, hat jedoch die Antragstellerin im Januar 2008 Handwerkern den Zutritt zur Wohnung ermöglicht, damit weitere Reparaturen stattfinden konnten. Insgesamt lässt sich aus dem Verhalten der Antragstellerin nicht der Schluss ziehen, sie habe nicht alle Möglichkeiten wahrgenommen, um eine Verbesserung der Wohnsituation durch Inanspruchnahme des Vermieters zu erreichen. Ihre Pflicht, sich wegen der Beseitigung von Mängeln an den Vermieter zu wenden, besteht aber nicht unbegrenzt. Der Vermieter hat in der Zeit von Februar 2007 bis Januar 2008 insgesamt zehn Mal wegen der Heizung, des Schimmelbefalles, der Warmwasserversorgung und des Herdes Nachbesserungen vorgenommen. Wenn gleichwohl in so kurzen Abständen immer wieder erhebliche, zum Teil gesundheitsgefährdende Mängel auftreten, ist auch demjenigen, der - wie Hilfeempfänger nach dem SGB II - auf einfache Wohnverhältnisse verwiesen werden kann, ein Verbleib in der bisherigen Wohnung nicht zumutbar. Anhaltspunkte dafür, dass die Begründung für den Auszug nur vorgeschoben sein könnte, ergeben sich nicht. Die Antragstellerin hat beim Einzug (insbesondere durch Erneuerung des Bodenbelages) und beim Auszug erhebliche Aufwendungen für die Wohnung getätigt, die ihr nicht erstattet worden sind, und den zweiten Umzug selbst gezahlt, so dass ihre Begründung nicht zur Erlangung von sonstigen, nicht schützenswerten Vorteilen (anderes Wohnumfeld o.ä.) vorgetäuscht erscheint.

Schließlich sind auch die Aufwendungen für die neue Unterkunft nach summarischer Prüfung angemessen. Dabei war in Blick zu nehmen, dass die Aufwendungen für die bisherige Wohnung zu ungunsten der Antragstellerin nicht zutreffend bestimmt worden sind. Kosten für Heizung hatte der Antragsgegner in den 14 Monaten bis zum Auszug überhaupt nicht gezahlt, obwohl die Antragstellerin dies geltend gemacht hatte. Selbst wenn man nur die vom Antragsgegner zugestandene Brennstoffpauschale zugrunde legt (obgleich auch Kosten der Heizung nicht pauschal zu bestimmen sind), ergibt sich eine Warmmiete von 376,50 Euro monatlich. Legt man die von der Antragstellerin geschätzten Heizkosten (mindestens 75 Euro in jedem der 7 Monate eines Jahres, in denen geheizt werden muss) zugrunde, ergibt sich zumindest ein rund 10,00 Euro höherer Wert. Die Kosten für die neue Unterkunft sind damit zwar 45,00 bis 55,00 Euro höher als bisher. Ihre Unangemessenheit kann jedoch nicht festgestellt werden. Der in den Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 Zweites Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - der Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz des Landes Berlin vom 7. Juni 2005 (Amtsblatt für Berlin 2005, 3743), zuletzt geändert mit Verwaltungsvorschriften vom 30. Mai 2006 (Amtsblatt für Berlin 2006, 2062) genannte Richtwert für Bruttowarmmieten in einem 2 Personen Haushalt (444,00 Euro), den der Beklagte in seiner Verwaltungspraxis als angemessen zugrunde legt, wird mit der nunmehr geschuldeten Miete ohnehin nicht erreicht.

Auch für das Beschwerdeverfahren hat der Antragsgegner die Kosten zu übernehmen. Er ist der Auffassung, seine Zuständigkeit zur Entscheidung über die Kosten der Unterkunft und Heizung bestehe bis zum Einreichen einer Abmeldebestätigung und damit sogar über den 30. April 2008 hinaus. Er hat vor diesem Hintergrund an seiner im Ausgangsverfahren vertretenen Position auch nach Besichtigung der Wohnung ohne Einschränkung festgehalten, was die Belastung mit außergerichtlichen Kosten rechtfertigt. Die Antragstellerin hat auf rechtlichen Hinweis des Senats schließlich den Rechtsstreit unverzüglich für erledigt erklärt, so dass auch von daher ihre Belastung mit Kosten nicht gerechtfertigt erscheint.

Die Beschwerde hinsichtlich der Ablehnung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren kann ebenso wie der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren keinen Erfolg haben. Das Verfahren hat sich erledigt. Im Hinblick auf den in diesem Beschluss ausgesprochenen Kostenerstattungsanspruch der Antragstellerin für das erstinstanzliche einstweilige Rechtschutzverfahren besteht kein Rechtsschutzbedürfnis mehr an der Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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