L 3 B 398/08 AS ER

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Itzehoe (SHS)
Aktenzeichen
S 11 AS 12/08 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 3 B 398/08 AS ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Itzehoe vom 5. März 2008 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege einstweiligen Rechtsschutzes, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm vom 1. Dezember 2007 bis zum 31. Mai 2008 vorläufig Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Unterkunftskosten in Höhe von 316,76 EUR zu gewähren. Der Antragsgegner berücksichtigt demgegenüber mit Bescheid vom 12. Dezember 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Januar 2008 lediglich Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 245,00 EUR zuzüglich Heizkosten.

Dagegen hat der Antragsteller am 8. Januar 2008 Klage bei dem Sozialgericht Itzehoe, S 11 AS 32/08, erhoben, über die bislang nicht entschieden ist. Zugleich hat er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes beantragt, ihm im Rahmen der Leistungsgewährung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bis zur Entscheidung in der Hauptsache die tatsächlichen Unterkunftskosten für das selbstgenutzte Eigenheim in Höhe von zur Zeit monatlich 316,76 EUR zu gewähren. Mit Beschluss vom 5. März 2008 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Wegen der Begründung wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug genommen.

Gegen diesen am 13. März 2008 zugestellten Beschluss richtet sich die am 4. April 2008 beim Sozialgericht Itzehoe eingelegte Beschwerde des Antragstellers, mit der er sein Begehren weiterverfolgt.

Der Senat hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Beschwerde nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der Fassung des am 1. April 2008 in Kraft getretenen Änderungsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) bestehen und Gelegenheit zur Stellungsnahme eingeräumt. Der Antragsteller nimmt für sich Vertrauensschutz in Anspruch. Ein Beteiligter, der die ihn beschwerende Entscheidung noch im März 2008 mit einer vom bisherigen Recht ausgehenden Rechtsmittelbelehrung erhalten habe, habe eine schutzwürdige Position erlangt, die es rechtfertige, auch bei Einlegung der Beschwerde nach dem 1. April 2008 noch auf das alte Recht abzustellen.

Der Antragsgegner tritt der Beschwerde entgegen.

Dem Senat haben die den Antragsteller betreffenden Akten des Antragsgegners vorgelegen. Darauf sowie auf die Gerichtsakten wird im Übrigen wegen der Einzelheiten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers ist unzulässig.

Die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist nach § 172 Abs 3 Nr 1 SGG idF des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGGÄndG) vom 26.3.2008 (BGBl I 444) ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre.

Die Berufung wäre hier unzulässig. Gem. § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG in der seit dem 1. April 2008 geltenden Fassung wäre die Berufung statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 750,00 EUR übersteigt. Das ist hier nicht der Fall. Gegenstand des Verfahrens ist die monatliche Differenz in Höhe von 71,76 EUR zwischen den vom Antragsgegner anerkannten angemessenen Kosten der Unterkunft in Höhe von 245,00 EUR und den geltend gemachten tatsächlichen Unterkunftskosten in Höhe von 316,76 EUR. Ob zur Bestimmung des Beschwerdewertes im Rahmen des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG auf den gesamten Bewilligungszeitraum vom 1. Dezember 2007 bis zum 31. Mai 2008 (Beschwerdewert 430,56 EUR) oder auf den Zeitraum vom 8. Januar (Eingang des Antrages beim Sozialgericht) bis zum 31. Mai 2008 (Beschwerdewert ca. 358,80 EUR) abzustellen ist, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, denn der Beschwerdewert von 750,00 EUR wird nicht überschritten.

Die Beschwerde ist auch nicht gem. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG statthaft, da nicht um wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr gestritten wird.

Das SGG in der ab dem 1. April 2008 geltenden Fassung enthält auch keine Regelung über die Zulassung der Beschwerde. Diese kann nicht in entsprechender Anwendung von § 144 SGG zugelassen werden (vgl. Burkiczak, Die Änderungen des Sozialgerichtsgesetzes im Jahre 2008, ZFSH/SGB 2008, Seite 323 ff.). Dagegen spricht, dass der Gesetzgeber den Vorschlag in der Sachverständigenanhörung (Ausschussdrucksache 16 (11) 910, S. 14), die Beschwerdemöglichkeit nicht vollständig auszuschließen und dem Sozialgericht die Möglichkeit der Zulassung der Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 144 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG einzuräumen, nicht umgesetzt hat. Ferner ist nach dem Wortlaut des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG die Beschwerde nur dann zulässig, wenn in der Hauptsache die Berufung zulässig wäre, d.h. lediglich in den Verfahren, in denen die Zulässigkeit mangels einer der Ausschlussgründe des § 144 Abs. 1 SGG ohne weiteres gegeben ist (Landessozialgericht [LSG] Schleswig-Holstein, Beschluss vom 24. Juli 2008, L 6 B 448/08 AS ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. Juli 2008, L 7 B 192/08 AS ER, veröffentlicht in Juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Juli 2008, L 7 B 192/08 AS ER, veröffentlicht in Juris). Denn nach dem Willen des Gesetzgebers bezweckt die Beschränkung der Rechtsschutzmöglichkeiten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Vermeidung einer Privilegierung gegenüber den Rechtsmitteln im Hauptsacheverfahren (Bundestagsdrucksache 16/7716 zu Nr. 29 lit b Nr. 1). Ein Verweis auf die Vorschrift des § 144 Abs. 2 SGG enthält § 172 SGG nicht.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers findet § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.d.F. des SGGArbGGÄndG auch auf das vorliegende Verfahren Anwendung. Da der Gesetzgeber eine ausdrückliche Übergangsregelung nicht getroffen hat, ist die Frage, ob das neue Recht bereits eingreift, nach den Grundsätzen des intertemporalen Prozessrechts zu beantworten. Nach diesen erfasst eine Änderung des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten (vgl Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 12. Juli 1983, 1 BvR 1470/82, BVerfGE 65, 76, 98; BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1992, 2 BvR 1631/90, BVerfGE 87, 48, 64; ständige Rechtsprechung des Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 4. September 1958, 11/9 RV 1144/55, BSGE 8, 135, 136; BSG, Urteil vom 10. Dezember 1958, 11/8 RV 983/56, SozR Nr. 3 zu § 143 SGG; BSG, Urteil vom 10. Dezember 1959, 10 RV 1355/58, nicht veröffentlicht; BSG, Urteil vom 27. Januar 1960, 10 RV 219/57, nicht veröffentlicht; BSG, Urteil vom 22. Mai 1962, 9 RV 126/59, SozR Nr. 9 zu § 149 SGG; Großer Senat des BSG, Beschluss vom 19. Februar 1992, GS 1/89, SozR 3-1300 § 24 Nr. 6). Von diesem Grundsatz werden allerdings bei bestimmten Fallkonstellationen Ausnahmen anerkannt, da er unter dem Vorbehalt der Vereinbarkeit mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes steht (BVerfG, Urteil vom 7. Juli 1992 aaO, 63 ff; BSG Urteil vom 30. Januar 2002, B 6 KA 12/01 R, veröffentlicht in Juris, Rn 33). Ein bereits eingelegtes Rechtsmittel bleibt zulässig, sofern das Gesetz nicht mit hinreichender Deutlichkeit etwas Abweichendes bestimmt (BVerfG, Urteil vom 7. Juli 1992, aaO). Ein besonderer Vertrauensschutz des Klägers ist ferner bejaht worden, wenn sich anderenfalls das Kostenrisiko für diesen erheblich und in schwer kalkulierbarer Weise ausweiten würde (BSG, Urteil vom 30. Januar 2002, B 6 KA 12/01 R, juris Rn 34). Außerdem wurde Vertrauensschutz angenommen, wenn ein Gesetz einen bereits eingeräumten "Anspruch" auf eine Sachentscheidung in erster Instanz nachträglich beseitigt (Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 12. März 1998, 4 CN 12/97, veröffentlicht in Juris Rn 13). Diesen Fallgestaltungen kann die vorliegende jedoch nicht gleichgestellt werden (im Ergebnis ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. April 2008, L 15 B 94/08 SO, veröffentlicht in Juris; zur Gegenansicht tendierend Leitherer, Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes – Änderungen des SGG, NJW 2008, 1258, 1261 ohne nähere Begründung). Die nachträgliche Beseitigung der Klagebefugnis nach Erhebung der Klage (vgl BVerwG aaO) ist mit einer wesentlich stärkeren Beeinträchtigung der Rechtsposition des Beteiligten verbunden als der Wegfall einer Rechtsmittelmöglichkeit vor Einlegung des Rechtsmittels. Daher ist auch im vorliegenden Fall auf den Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts abzustellen. Er besagt, dass eine Änderung des Verfahrensrechts grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten erfasst (BVerfG, Beschluss vom 7 Juli 1992, 2 BvR 1631/90 und 2 BvR 1728/90, BVerfGE 87, 48 mit zahlreichen Nachweisen)und ein Instanzenzug auch durch das Grundgesetz (GG) nicht, im Besonderen auch nicht durch dessen Art. 19. Abs. 4, gewährleistet wird (ständige Rechtsprechung des BVerfG, Beschluss vom 18. September 1952, 1 BvR 49/51, BVerfGE 1, 433; BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1992, a.a.O. mit weiteren Nachweisen). Dem Gesetzgeber ist es deshalb nicht verwehrt, ein bisher statthaftes Rechtsmittel abzuschaffen oder den Zugang zu einem an sich eröffneten Rechtsmittel von neuen einschränkenden Voraussetzungen abhängig zu machen. Denn aus den sich aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz ergebenden Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes lässt sich lediglich für Rechtsmittelverfahren, welche im Zeitpunkt einer Gesetzesänderung bereits anhängig sind, eine generelle einschränkende Konkretisierung des Grundsatzes des intertemporalen Prozessrechts ableiten: Fehlen abweichende Bestimmungen, führt eine nachträgliche Beschränkung von Rechtsmitteln gerade nicht dazu, dass die Statthaftigkeit eines bereits eingelegten Rechtsmittels entfällt (Prinzip der Rechtsmittelsicherheit).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.

Schmalz Littmann Böttger
Rechtskraft
Aus
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