L 3 U 156/96

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 100/94
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 156/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Mai 1996 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen eines am 11. Juni 1989 erlittenen Arbeits-(Wege-)unfalles.

Die am 5. Februar 1942 geborene Klägerin ist von Beruf Kinderkrankenschwester und als solche auf der Neugeborenenstation im U. R. -V. vollschichtig tätig. Am 11. Juni 1989 gegen 22.20 Uhr erlitt sie auf dem Heimweg von der Spätschicht einen Verkehrsunfall, als sie mit ihrem Pkw Audi 80 die B. Straße in südlicher Richtung befuhr und an der Kreuzung R. Straße wegen rotem Ampellicht innerhalb einer Wagenkolonne anhalten musste. Ein aus der Unterführung der B. Straße auftauchender Pkw Peugot erkannte die stehenden Fahrzeuge zu spät und fuhr ungebremst auf das Fahrzeug der Klägerin auf, welches durch die Wucht des Aufpralls auf den vor ihr stehenden Pkw BMW und dieses Fahrzeug wiederum auf den davor stehenden Pkw VW-Jetta aufgeschoben wurde. Das Fahrzeug der Klägerin wurde hierbei erheblich an der Motorhaube und vor allem an der Heckpartie beschädigt. Die Klägerin, die zur Zeit des Unfalls mit dem Sicherheitsgurt angeschnallt war, wurde von einem Rettungswagen der Feuerwehr in das St.-G. -Krankenhaus zur Behandlung gebracht. Dort wurden bei einer röntgenologischen Kontrolle der Halswirbelsäule keine Anhaltspunkte für eine Fraktur oder Luxation gefunden. Es zeigte sich bei der Untersuchung ein Druckschmerz der Dornfortsätze und der paravertebralen Muskulatur beidseits sowie ein Druckschmerz über dem mittleren Sternum, eine Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule in allen Ebenen bei einer unauffälligen ausgedehnten neurologischen Prüfung. Als Diagnose wurde ein schweres HWS-Schleudertrauma gestellt und die Klägerin mit einer Schanz´schen Halskrawatte und mit einer Ampulle Diclofenac versorgt. Die Behandlung wurde zunächst durch den Arzt für Allgemeinmedizin Prof. Dr. G. fortgesetzt, der die Klägerin wegen auftretender diffuser Myalgien zum Durchgangsarzt überwies. Am 20. Juli 1989 stellte sich die Klägerin bei dem Chirurgen und Durchgangsarzt Dr. med. R. von der Unfallbehandlungsstelle der B. B. e.V. vor, der eine Zerrung der Halsnackenmuskulatur sowie eine abklingende Hautverfärbung am rechten Unterarm und den Knievorderseiten beidseits nach Prellung diagnostizierte. Hierbei berichtete die Klägerin, dass nach dem Unfall weder Bewusstlosigkeit, Übelkeit oder Erbrechen aufgetreten seien, jedoch Kopfschmerzen von wechselnder Stärke. Arbeitsunfähigkeit bestand bis zum 24. Juli 1989. Wegen weiterhin bestehender Beschwerden stellte sich die Klägerin am 27. November 1989 erneut bei Dr. R. vor, der als Befund einen leichten Druck- und Bewegungsschmerz im Bereich der linken Halsmuskulatur mit ausstrahlenden Beschwerden in den Hinterkopf und zeitweiligen Kopfschmerzen bei nicht wesentlicher Behinderung der Beweglichkeit der Halswirbelsäule und nicht sicherem Druckschmerz über den Dornfortsätzen erhob. Weiter führte er aus, die Funktionsaufnahmen der Halswirbelsäule würden keinen Anhalt für knöcherne Verletzungen ergeben, jedoch zeigten sich mäßige degenerative Veränderungen. Zur Abklärung der Restbeschwerden erfolgte auf seine Veranlassung hin eine Untersuchung durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. H ... Dieser führte in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 5. Dezember 1989 aus, es sei schwierig abzugrenzen, ob es sich um ein Cervikalsyndrom auf Grund einer beginnenden degenerativen Veränderung im Sinne einer röntgenologisch nachgewiesenen Osteochondrose oder um reine Unfallfolgen bei leichter Vorschädigung handele. Eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bestehe mit Sicherheit nicht, auch läge Arbeitsunfähigkeit nicht vor. Er empfahl eine krankengymnastische Behandlung, die dann im Februar 1990 endete.

Nach Zunahme der bei der Klägerin seit vielen Jahren bestehenden rezidivierenden Lumbagobeschwerden erfolgte vom 11. Juni bis 27. Juli 1990 eine stationäre Behandlung in der Abteilung für Neurologie in der Nervenklinik Sp. , wo ein akutes Schmerzsyndrom bei Bandscheibenprolaps L5/S1 festgestellt wurde. Bezüglich des Kopfes und der Halswirbelsäule wurde bei der Aufnahmeuntersuchung ein bis auf eine nach rechts etwas schmerzhafte Bewegung unauffälliger Befund erhoben. Bei der am 25. Juli 1990 durchgeführten EMG-Untersuchung wurden Zeichen eines leichten peripher-neurogenen Schadens im Segment C8 rechts, d.h. eine C 8-Läsion rechts festgestellt. Vom 8. August 1990 bis 5. September 1990 befand sich die Klägerin zur Anschlussheilbehandlung in der Klinik B. , wo in der Abschlussuntersuchung eine Hypermobilität bei Rechtsrotation in den Segmenten C6/C7, C7/TH1 im Vergleich mit den anderen Segmenten und bei Rechtsrotation Angabe von ausstrahlenden Schmerzen im Bereich der Trapeziusmuskulatur festgestellt wurden.

Am 12. Dezember 1991 stellte sich die Klägerin erneut bei dem Durchgangsarzt Dr. R. vor und gab an, seit Beendigung der Behandlung im Februar 1990 von Seiten der Halswirbelsäule nie beschwerdefrei gewesen zu sein. Dr. R. sah die geklagten Beschwerden nicht als Folge des Unfalls vom 11. Juni 1989 an, empfahl jedoch zum Ausschluss unfallbedingter Veränderungen die Anfertigung eines Computertomogramms der Halswirbelsäule. Auf den Verletztenrentenantrag der Klägerin vom 8. Januar 1992 nahm die Beklagte ihre Ermittlungen auf und holte einen ausführlichen Krankheitsbericht von dem behandelnden Allgemeinmediziner Prof. Dr. G. vom 17. Januar 1992 ein und zog die Epikrisen der Nervenklinik Sp. vom 10. August 1990 und der Klinik B. vom 8. Oktober 1990 sowie die Schwerbehindertenakte der Klägerin mit dem Gutachten des Orthopäden Dr. med. Ho. vom 13. November 1991 bei. Im Auftrage der Beklagten erstellte zunächst der Chefarzt der Neurologischen Abteilung des Krankenhauses Moabit Prof. Dr. med. G. H. am 4. Dezember 1992 ein Gutachten. Hierbei führte er aus, auch bei subtiler Untersuchung hätten sich keine Hinweise für radikuläre Störungen der Sensibilität, insbesondere nicht für C8-Wurzelirritationen bei der Klägerin finden lassen. Lediglich die HWS-Beweglichkeit sei bei Rotation nach rechts leicht schmerzhaft eingeschränkt und die paravertebrale Muskulatur wirke etwas verspannt. Die Klägerin klage über wechselnde Kopfschmerzen ausgehend von der Halswirbelsäule bis nach vorne zur Stirn sowie über dumpfe Schmerzen im Bereich des Nackens in die Schultern ziehend und auftretende Taubheitsgefühle in beiden Händen und allen Fingern. Die geklagten Beschwerden im Hinterkopf und im Bereich der Hände seien für ein HWS-Schleudertrauma recht atypisch, der neurologische Befund sei völlig regelrecht und ein Zusammenhang mit dem 1989 erlittenen HWS-Schleudertrauma könne nicht gesehen werden. In einem weiteren von der Beklagten eingeholten Zusammenhangsgutachten des Chefarztes der Unfallchirurgischen Abteilung im Martin-Luther-Krankenhaus Prof. Dr. med. P. H. vom 17. August 1993 führte dieser nach Untersuchung der Klägerin aus, neurologische Ausfälle seien nicht festzustellen. Die cervikalen CT-Untersuchungen vom 7. Juli 1992 sowie die kernspintomographische Untersuchung der Halswirbelsäule vom 14. Juli 1992 hätten eine mediale Bandscheibenprotrusion bei C4 bis C5 mit deutlicher Einengung des zentralen Subarachnoidalraumes sowie eine abgeflachte HWS-Lordose mit angedeuteter Achsabknickung bei C3 bis C4 und regelrechter Darstellung des Myelons und des Spinalkanals ergeben. Die röntgenologische Untersuchung vom 29. Mai 1992 zeige mäßige osteochondrotische Veränderungen der Grund- und Deckplatten sowie eine mäßige Uncovertebral-Gelenksarthrose. Hierbei handele es sich um degenerative Veränderungen der HWS, die nicht in einem Zusammenhang mit dem im Juni 1989 erlittenen Trauma stünden. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 22. September 1993 die Gewährung von Verletztenrente mit der Begründung ab, der Unfall vom 11. Juni 1989 habe nach dem Wegfall der Arbeitsunfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung eine MdE in rentenberechtigendem Grade nicht hinterlassen. Die erlittene schwere HWS-Distorsion habe nur zu einer vorübergehenden Verschlimmerung eines unfallunabhängigen, klinisch latenten Cervikalsyndroms bei beginnender degenerativer Veränderung der HWS geführt. Insbesondere hätten sich bei den im Jahre 1992 durchgeführten bildgebenden Untersuchungen für HWS-Schleudertrauma typische reaktive Veränderungen an der HWS nicht feststellen lassen. Als Unfallfolgen wurden festgestellt: "Zerrung der Halsnackenmuskulatur nach HWS-Schleudertrauma mit endgradiger Einschränkung der Drehbeweglichkeit des Kopfes".

Im folgenden Widerspruchsverfahren wies die Klägerin darauf hin, Dr. H. habe nur leichteste - unwesentliche - degenerative Veränderungen an der HWS festgestellt und sie selbst sei vor dem Unfall nie wegen HWS-Beschwerden in Behandlung gewesen. In Anbetracht der Schwere des Unfalls und der in der Nervenklinik Sp. festgestellten Läsion bei C8 rechts sowie der seit dem Unfall andauernden Beschwerden und Behandlungsbedürftigkeit müsse von einer unfallbedingten MdE im rechtenberechtigenden Grade ausgegangen werden. Schließlich sei bei ihr wegen der HWS-Schädigung ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt worden. Durch Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 1994 wies die Beklagte den Widerspruch gestützt auf die im Verwaltungsverfahren eingeholten Zusammenhangsgutachten zurück.

Mit der am 16. Februar 1994 beim Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren auf Gewährung von Verletztenrente weiter verfolgt und in der mündlichen Verhandlung vom 21. Mai 1996 das Schadensgutachten des Kfz-Sachverständigen H. B. vom 16. Juni 1989 nebst Fotos vom Unfallwagen vorgelegt. Das SG hat den Abschlussbericht über die vom 28. September bis 26. Oktober 1993 wegen eines HWS- und LWS-Syndroms in der Kurklinik Am S. in B. W. durchgeführten Kur und die im Anschluss an eine Darmkrebsoperation vom 6. September bis 4. Oktober 1994 in der V. -Klinik in B. H. durchgeführte Anschlussheilbehandlung, den Erste-Hilfe-Bericht des St.-G. -Krankenhauses vom 11. Juni 1989 und die Krankenakten der Nervenklinik Sp. und der Klinik B. beigezogen. Weiterhin hat es einen Befund- und Behandlungsbericht von dem behandelnden Orthopäden Dr. H. vom 25. Oktober 1994 mit den Diagnosen "Lumboischialgie rechts bei Prolaps L5/S1 und Cervikobrachialgie beidseits bei Osteochondrose" eingeholt. Auf richterliche Beweisanordnung hat der Oberarzt der Neurochirurgischen Abteilung im Krankenhaus N. Dr. med. Re. am 4. Dezember 1995 ein medizinisches Sachverständigengutachten erstattet. Dr. Re. hat hierbei dargelegt, nach den Befunden der Röntgenuntersuchung am Unfalltage sowie am 27. November 1989 und den Befundungen der erstbehandelnden Ärzte im St.-G. -Krankenhaus sowie des Prof. Dr. G. und des Chirurgen Dr. R. habe sich kein Hinweis auf eine traumatologische Schädigung an dem Knochen- oder Bandapparat der HWS ergeben. Die ursprüngliche Folge des Auffahrunfalls sei eine Distorsion der HWS in Folge einer Abknickverletzung ohne Kopfaufprall gewesen. Egal nach welchen Kriterien eine Klassifizierung der Schwere der Verletzung vorgenommen werde, habe es sich in jedem Fall nur um eine Distorsionsverletzung leichten Ausmaßes gehandelt. Schließlich seien neurologische Symptome nicht nachgewiesen worden und bis zum folgenden Tag habe zumindest ein Intervall mit geringeren Beschwerden vorgelegen. Der anfängliche weitere Verlauf entspreche dieser Einschätzung, da die ursprünglichen starken Beschwerden sich soweit zurückgebildet hätten, dass die Klägerin am 25. Juli 1989 wieder arbeitsfähig - wenn auch nicht beschwerdefrei - gewesen sei. Der weitere Verlauf der Erkrankung sei gekennzeichnet durch anhaltende und bewegungsabhängige Beschwerden im Bereich des Nackens verbunden mit Kopfschmerzen, ohne Nachweis einer segmentalen Fehlstellung oder Hinweis auf reparative Sekundärfolgen in einer Röntgenuntersuchung vom 27. November 1989. Weder damals noch bei den Begutachtungen im Jahre 1992 noch bei der jetzigen Untersuchung sei eine radikuläre Symptomatik nachweisbar. Die im Krankenhaus Sp. getroffene Diagnose eines Wurzelirritationssyndroms C8 rechts sei nicht nachvollziehbar. Die kernspintomographische Zusatzbegutachtung der HWS mit Funktionsuntersuchung zeige im Wesentlichen degenerative Veränderungen, jedoch keine posttraumatischen Veränderungen. Selbst wenn ein traumatischer Weichteilschaden im Bereich der Bänder und Gelenke der HWS bei früheren Untersuchungen übersehen worden sei, müssten die reparativen Folgeerscheinungen sechs Jahre nach dem Unfall durch Verkalkung oder Verknöcherung erkennbar sein. Solche sekundären Veränderungen seien aber in der kernspintomographischen Untersuchung vom 13. November 1995 nicht sichtbar geworden. Die krankhaften Veränderungen der Halswirbelsäule der Klägerin seien zweifellos degenerativer Genese. Eine unfallbedingte MdE liege nicht vor.

Das SG hat durch Urteil vom 21. Mai 1996 die Klage mit der Begründung abgewiesen, nach dem Ergebnis der medizinischen Beweisaufnahme sei es nicht wahrscheinlich, dass die bei der Klägerin noch bestehenden gesundheitlichen Störungen Folgen des Unfallgeschehens vom 11. Juni 1989 sind. So sei weder im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren eine ärztliche Stellungnahme bekannt geworden, die eine Wahrscheinlichkeit beim Kausalverlauf bejahe. Dem behandelnden Orthopäden Dr. H. sei sogar das Unfallgeschehen während der Durchführung seiner Behandlung nicht bekannt gewesen. Der hilfsweise nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag sei wegen Verspätung zurückzuweisen.

Gegen das ihr am 18. Juli 1996 zugestellte Urteil richtet sich die Klägerin mit ihrer am 14. August 1996 beim Landessozialgericht Berlin eingelegten Berufung. Sie trägt vor, entgegen der Auffassung des Sozialgerichts gebe es in der Medizin keine herrschende Lehrmeinung in Bezug auf den hier vorliegenden Fall eines leichten und klinisch stummen degenerativ bedingten Vorschadens und den Auswirkungen eines Schleudertraumas hierauf. So werde in der Rechtssprechung des BSG (Urteil vom 4. Dezember 1991 - 2 RU 14/91) ein klinisch stummer Vorschaden noch nicht mal als rechtlich wesentliche Mitursache angesehen. Die von Moorahrend und seiner Konsensgruppe vertretene Meinung, auf die sich auch Dr. Re. beziehe, stelle nur eine Stimme unter vielen in der überaus kontroversen Diskussion über Schleudertrauma bei degenerativer Vorschädigung der HWS dar. Eine dauernde Gefügestörung könne nicht nur durch unfallbedingte Verletzungen an Knochen, Weichteilen und Bändern, sondern nach Meinung vieler Schriften durch Mikrotraumata hervorgerufen werden. Mikrotraumatisierungen seien ziemlich häufig bei Distorsionen, sie würden aber weder röntgenologisch noch kernspintomographisch erkannt. Forscher hätten bei Obduktionen von Unfalltoten zahlreiche Mikrotraumen feststellen können, die röntgenologisch nicht erkannt worden seien. Dass sie - die Klägerin - einen solchen weitergehenden Schaden erlitten habe, ergebe sich aus dem Verlauf der Erkrankung sowie dem insoweit überzeugenden Gutachten von Dr. med. F ... So seien zwar die typischen Distorsionsschmerzen langsam verschwunden, die Kopfschmerzen bestünden jedoch noch heute. Im Februar 1990 habe sie hinsichtlich der Behandelbarkeit ihrer andauernden HWS-Beschwerden resigniert, zumal Dr. R. ihr zu verstehen gegeben habe, dass weitere Therapieversuche auch nichts mehr bringen würden und die Behandlung abgebrochen habe. Während des Aufenthaltes in der Nervenklinik Sp. hätten die starken Schmerzen durch den Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule im Vordergrund gestanden, so dass sie erst nach Besserung dieser Beschwerden in der Anschlussheilbehandlung auf eine gleichgewichtige Mitbehandlung der HWS geachtet habe. Im Übrigen sei die von Dr. Re. gegebene Unfallrekonstruktion nicht haltbar, es bedürfe vielmehr der Klärung des Unfallgeschehens durch einen technischen Sachverständigen. Die bei ihr seit dem Unfall bestehende Schmerzsymptomatik habe zu Schlafstörungen und einer Verringerung ihrer Belastbarkeit geführt. Deswegen könne sie auch nicht mehr Nachtschicht arbeiten. Es läge ein Fall der besonderen beruflichen Betroffenheit vor, denn sie sei in ihrem Beruf nicht mehr voll einsetzbar. Hierbei habe sie noch Glück, da sie auf einer Neugeborenenstation arbeite.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Mai 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. September 1993 und den Widerspruchsbescheid vom 10. Januar 1994 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 25. Juli 1989 wegen der Folgen des Unfalls vom 11. Juni 1989 eine Verletztenteilrente in Höhe von 20 v. H. der Vollrente zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält einen Ursachenzusammenhang zwischen den von der Klägerin geltendgemachten Beschwerden und dem Wegeunfall nicht für gegeben.

Auf Anforderung des Senats hat die Klägerin die Originalröntgenaufnahmen vom 11. Juni 1989 sowie einen MRT-Befund der Halswirbelsäule der Praxis Dres. med. T. und K. vom 19. Juni 1997 vorgelegt, in dem ein älterer rechts-mediolateraler gedeckter Bandscheibenvorfall HWK 6 bis 7, eine mediale Protrusion bei HWK 4/5 und ein unauffälliges cervikales Myelon beschrieben sind. Weiterhin hat der Senat die den Verkehrsunfall betreffende Akte des Amtsgerichts T. - Az: 309 Cs 537/89 - sowie das für die private Unfallversicherung der Klägerin, die V. -V. AG, erstattete Gutachten des Arztes für Orthopädie und Unfallarztes Dr. G. Ri. vom 22. Juli 1991 beigezogen. Dr. Ri. hat hierin ausgeführt, Hinweise für eine knöcherne Verletzung, für Subluxation oder für Kalkeinlagerungen, die auf eine Verletzung der passiven Halteorgane schließen lassen könnten, hätten sich nicht gefunden. Insgesamt sei die Beweglichkeit der Halswirbelsäule als gut zu bezeichnen. Die geringfügige Einschränkung bei der Rechtsdrehung habe keinen Krankheitswert. Auch die gelegentlich auftretenden Kopfschmerzen im Occipitalbereich dürften nur einen geringen Krankheitswert haben. Aus orthopädischer Sicht sei eine Erwerbsminderung wegen der HWS als Folge des Unfalls nicht anzunehmen. Im Übrigen sei der später festgestellte Bandscheibenvorfall der LWS auf degenerativ bedingte Veränderungen im Lendenwirbelsäulenbereich und nicht auf Unfallfolgen zurückzuführen. Anschließend sind dem erstinstanzlichen Sachverständigen Dr. Re. die Originalröntgenaufnahmen vom 11. Juni 1989 und 27. November 1989 sowie die weiteren beigezogenen Unterlagen zur ergänzenden Stellungnahme vorgelegt worden. In seinen Stellungnahmen vom 25. Februar 1997, 6. Juli 1998 und 23. September 1998 hat Dr. Re. ausgeführt, eine segmentale Instabilität bzw. eine Gefügestörung sei an Hand der Röntgenaufnahmen vom Juni 1989 ausgeschlossen. Auch in den späteren CT- und MRT-Befunden werde eine wie auch immer geartete Gefügestörung nicht beschrieben. Auf Grund aller vorliegenden medizinischen Aufzeichnungen und der Röntgenaufnahmen habe der primäre Körperschaden im Bereich der Halswirbelsäule aus einem deutlichen Druckschmerz der Dornfortsätze und paravertebralen Muskulatur beidseits sowie einer Bewegungseinschränkung der HWS in allen Ebenen bestanden. Dies stelle eine Distorsionsverletzung der HWS leichten Ausmaßes dar. Zwar habe er in seinem Gutachten vom 4. Dezember 1995 auf das Fehlen eines kollisionsdynamischen Sachverständigengutachtens hingewiesen, jedoch führe nicht jeder Autounfall - auch bei großem Blechschaden - zu einer Körperverletzung. Im Übrigen halte er jedoch den ersten Untersuchungsbefund für die Beurteilung des Zusammenhanges zwischen dem Unfall und den Beschwerden der Klägerin für wesentlich, in dem eine objektive Verletzungsfolge nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit habe festgestellt werden können.

Auf den Antrag der Klägerin hat der Senat nach § 109 SGG ein weiteres Sachverständigengutachten von dem Chefarzt der Neurologischen Abteilung der Landesklinik Teupitz Dr. med. F. eingeholt. Dr. F. hat in seinem Gutachten vom 22. Juli 1999 einen Zustand nach HWS-Beschleunigungstrauma mit konsekutivem chronifiziertem Schmerzsyndrom und sensiblen Ausfallserscheinungen, assoziiert mit einem leichten motorischen Defizit, rezidivierenden Lumboischialgien bei Zustand nach Bandscheibenvorfall L5/S1 rechts im Jahre 1990 und Zustand nach tiefwandiger Rektumresektion im Juli 1994 festgestellt. Er hat ausgeführt, die von der Klägerin geschilderte Symptomatik, die leichte Absinktendenz im Armhalteversuch rechts sowie die sensiblen Defizite auch im Gesichtsbereich und die F-Wellen-Latenzen ließen auf eine proximale, rückenmarksnahe Läsion schließen. In der bildgebenden Diagnostik einschließlich Kernspintomographie finde sich hierfür kein entsprechendes Korrelat, so dass auf eine rein funktionelle Läsion im Sinne einer Schmerzchronifizierung geschlossen werden könne. So seien objektive Messergebnisse in Bezug auf ein HWS-Beschleunigungstrauma schwierig zu gewinnen, jedoch werde übereinstimmend von der Möglichkeit langfristiger persistierender Beschwerden ausgegangen und diese seien auch durch experimentelle Ergebnisse der Schmerzforschung objektiv belegbar. Im Hinblick auf die fortdauernden Beschwerden und die klinisch stummen vorbestehenden degenerativen Veränderungen der HWS müsse von einer posttraumatischen Symptomatik ausgegangen werden. Die im Verlauf hinzugekommenen morphologisch objektivierbaren Veränderungen an der Halswirbelsäule in Form von leichten Bandscheibenprotrusionen wie auch die lumboischialgieformen Schmerzen und der 1990 aufgetretene Bandscheibenvorfall LWK 5/S1 seien nicht als Unfallfolgen anzusehen. Zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung sei von einer MdE für das Gesamtgebiet des Erwerbslebens von 20 v. H. auszugehen, eine retrospektive Staffelung sei unmöglich. Auf Nachfrage des Senats hat Dr. F. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 19. August 1999 bestätigt, ihm sei eine retrospektive Einschätzung der MdE für die Zeit ab dem 25. Juli 1989 unmöglich, da er den Gesundheitszustand der Klägerin zu diesem Zeitpunkt nicht aus eigener Anschauung kenne und er in Bezug auf die Problematik des vorliegenden Falles eine Einschätzung nach Aktenlage nicht treffen möchte.

Auf Antrag der Klägerin ist gemäß § 109 SGG Dr. F. Gelegenheit gegeben worden, zu der im Schriftsatz vom 11. Oktober 1999 von der Beklagten geäußerten Kritik an seinem Gutachten ergänzend Stellung zu nehmen. In seiner Stellungnahme vom 20. März 2000 hat sich Dr. F. im Wesentlichen auf seine Darlegungen im zuvor erstatteten Gutachten und die darin zitierte wissenschaftliche Literatur bezogen. Er hat weiterhin geäußert, die Ausführungen der Beklagten seien im Ganzen unqualifiziert und der Sache nicht dienlich. Sie verkenne, dass der menschliche Organismus auch funktionelle Defizite bzw. Schädigungen aufweisen könne, die sich dem bildgebenden Nachweis entziehen würden. Die von ihm diagnostizierten Leitungsstörungen bei der Klägerin seien zwar nicht mit 100prozentiger, jedoch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführen. Eine zentralmotorische Leitungsstörung sei typischerweise nicht mit den immer wieder zitierten degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule kompatibel. Eine Differenzierung der HWS- und LWS-Beschwerden sei für die Beurteilung unerheblich, weil die LWS-Beschwerden nicht in die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs eingegangen seien.

Die Beklagte hat hierzu eine von ihr selbst von dem gerichtlichen Sachverständigen Dr. Re. eingeholte Stellungnahme vom 12. Juni 2000 vorgelegt. Darin hat Dr. Re. ausgeführt, dass es bei der Klägerin zu einem chronifizierten Schmerzsyndrom mit Kopf- und Nackenschmerzen ohne morphologisches Substrat gekommen sei. Dies könne jedoch, mangels Objektivierung eines Erstschadens, nicht mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall von 1989 zurückgeführt werden. Auch Dr. F. habe einen solchen Beweis nicht führen können. Allein die Ergebnisse einer neurophysiologischen Untersuchung, die auf eine rückenmarksnahe Läsion schließen lasse, ergäben keinen Nachweis. Die bei diesen Untersuchungen gewonnenen objektiven Messergebnisse hätten keine Aussagekraft hinsichtlich der Ursachen einer eventuell gemessenen Störung.

Die Klägerin hat die Einholung dieser ergänzenden Stellungnahme von Dr. Re. durch die Beklagte kritisiert und in der mündlichen Verhandlung den Beweisantrag gestellt, die Stellungnahme von Dr. Re. nach § 109 SGG Herrn Dr. F. zur ergänzenden Stellungnahme vorzulegen.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Stellungnahme von Dr. Re. enthalte insofern etwas Neues, als Dr. Re. bestreite, dass durch experimentelle Ergebnisse der Schmerzforschung langfristig persistierende Beschwerden objektiv belegt seien. Sonstige Beweisanträge hat sie ebensowenig wie einen Antrag auf Ablehnung des Sachverständigen Dr. Re. wegen Besorgnis der Befangenheit nicht gestellt werden.

Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten (2 Bände), der Verwaltungsakte der Beklagten und der beigezogenen Patientenakten der Nervenklinik Sp. und der Klinik B. , der Strafakte des Amtsgerichts T. (Az.: 309 Cs 537/89) und der Rehabilitationsakte der BfA (Vers.Nr. ), die sämtlichst Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht (§ 151 SGG) eingelegte Berufung ist zulässig (§ 143 SGG), jedoch unbegründet.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen eines am 11. Juni 1989 erlittenen Arbeits- (Wege-)Unfalles nicht zu.

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage sind die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) über die gesetzliche Unfallversicherung. Die am 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Vorschriften des Siebten Sozialgesetzbuches (SGB VII) finden gemäß §§ 212, 214 Abs. 3 SGB VII keine Anwendung, weil der Versicherungsfall vor dem 1. Januar 1997 eingetreten ist und Rentenleistungen für den Zeitraum vor In-Kraft-Treten des SGB VII geltend gemacht werden.

Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung werden gemäß § 547 RVO nach Eintritt eines Arbeitsunfalls gewährt. Gemäß § 550 Abs. 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall auf einem mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit. Verletztenrente wird gewährt, wenn die zu entschädigende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) über die 13. Woche hinaus andauert (§ 580 Abs. 1 RVO) und die Erwerbsfähigkeit um wenigstens ein Fünftel (20 v.H.) gemindert ist (§ 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO). Erforderlich ist somit zunächst, dass ein Unfall vorliegt, d.h. ein von außen her auf den Menschen einwirkendes körperlich schädigendes Ereignis. Weiter ist zur Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlich, dass zwischen der unfallbringenden Tätigkeit und dem Unfallereignis ein innerer ursächlicher Zusammenhang besteht. Dieser ursächliche Zusammenhang muss auch zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsschädigung bestehen. Ursache im Rechtssinne der gesetzlichen Unfallversicherung ist nur dasjenige Ereignis, welches mit Wahrscheinlichkeit für den geltend gemachten Erfolg die wesentliche Bedingung gesetzt hat (Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, vor § 548 RVO Rdnr. 2 unter Bezug auf die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG-), d.h. der nach den Anschauungen des täglichen Lebens die wesentliche Bedeutung für den eingetretenen Erfolg zukommt (ständige Rechtsprechung seit BSGE 1,150, 156; siehe auch BSG in SozR 2200 § 548 Nr. 13). Dabei müssen das Unfallereignis und die Gesundheitsstörungen nachgewiesen sein, während es für die Feststellung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsstörung ausreicht, wenn eine "Wahrscheinlichkeit" vorliegt, weil es im Regelfall nicht mit einer jeden Zweifel ausschließenden vollkommenen Sicherheit möglich sein wird, die Kausalität nachzuweisen. Die bloße Möglichkeit eines ursächlichen Zusammenhanges genügt jedoch nicht. Ein Zusammenhang ist wahrscheinlich, wenn bei Abwägung der für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen diese so stark überwiegen, dass darauf die Überzeugung der entscheidenden Stellen gegründet werden kann.

Die Klägerin hat zwar am 11. Juni 1989 auf einem versicherten Heimweg einen Arbeitsunfall in Gestalt eines Wegeunfalles erlitten. Gemessen an den zuvor genannten Kriterien steht zur Überzeugung des Senats jedoch fest, dass dieser Arbeitsunfall nicht die wesentliche Bedingung für die bei der Klägerin bestehenden Verschleißerscheinungen im HWS-Bereich mit andauernder Fehlhaltung und Funktionsbehinderung der Halswirbelsäule sowie das chronifizierte Kopf-Hals-Nacken-Schmerzsyndrom ist und die nach Herstellung der Arbeitsfähigkeit noch bestehende geringe Restsymptomatik nach HWS-Distorsionstrauma keine MdE in rentenberechtigendem Grade bedingt. Die diesbezügliche Überzeugung des Senats gründet sich auf alle im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gewonnenen medizinischen Erkenntnisse, insbesondere aber auf das während des Gerichtsverfahrens von dem Oberarzt der Neurochirurgischen Abteilung im Krankenhaus N. Dr. med. Re. am 4. Dezember 1995 erstellte Gutachten und die ergänzenden Stellungnahmen vom 25. Februar 1997, 6. Juli 1998 und 23. September 1998. Der Senat hat keine Zweifel, dass die darin getroffenen Feststellungen und Schlußfolgerungen in vollem Umfang zutreffen. Der Sachverständige ist dem Senat seit vielen Jahren als sorgfältiger und sachkundiger Neurochirurg mit großer gutachterlicher Erfahrung bekannt. Darüber hinaus ist sein Gutachten sachlich, schlüssig und frei von Widersprüchen. Er hat sich äußerst sorgfältig mit den verschiedenen, zum Teil voneinander abweichenden Befunden der behandelnden und begutachtenden Ärzte auseinandergesetzt und unter eingehender Abwägung der einzelnen Argumente begründete Schlußfolgerungen gezogen. Auch hat er die von den behandelnden Ärzten der Klägerin erhobenen Befunde nicht kritiklos übernommen, sondern anhand der vorhandenen Unterlagen und seinen medizinischen Erfahrungen einer kritischen Würdigung unterzogen. Danach hat die Klägerin bei dem Unfall vom 11. Juni 1989 eine Distorsionsverletzung der HWS leichten Ausmaßes erlitten. Weitere unfallbedingte Verletzungen ließen sich nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen. So sind weder aus den Röntgenaufnahmen vom 11. Juni 1989, 20. Juni 1989 und 27. November 1989 noch aus den später gefertigten CT- und MRT-Aufnahmen bzw. -Befunden Verletzungen an dem Knochen- oder Bandapparat der HWS, Gefügestörungen und/oder segmentale Instabilitäten erkennbar bzw. beschrieben. Die in den ersten, kurze Zeit nach dem Unfall gefertigten Röntgenbilder zu sehende Steilstellung der HWS stellt keine Verletzung dar, sondern ist Folge des stark erhöhten reflektorischen Muskeltonus nach der Distorsion. Eine radikuläre Symptomatik oder sonstige neurologische Auffälligkeiten konnten weder bei den (Erst-)Untersuchungen am 11. Juni 1989 im St. G. -Krankenhaus und am 12. Juni 1989 von dem Hausarzt Prof. Dr. G. noch am 20. Juni 1989 von dem Durchgangsarzt Dr. R. festgestellt werden. Es fanden sich lediglich ein deutlicher Druckschmerz der Dornfortsätze und der paravertebralen Muskulatur beidseits, ein Druckschmerz am mittleren Sternum und eine Bewegungseinschränkung der HWS in allen Ebenen am 11. Juni 1989 (Erste-Hilfe-Bericht des St. G. Krankenhaus), eine stark ausgeprägte Myalgie der Mm. sternocleidomastoidei und des Platysma sowie wechselnde Kopfschmerzen am 12. Juni 1989 (Krankheitsauskunft von Prof. Dr. G. vom 17. Januar 1992), eine beim Rückbeugen zur Hälfte schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit des Kopfes, eine endgradig schmerzhaft behinderte Seitneigung und Drehung des Kopfes sowie eine Verspannung der Nacken- und der oberen Rückenmuskulatur bei der Untersuchung am 20. Juni 1989 durch den Durchgangsarzt Dr. R. sowie ein leichter Druck- und Bewegungsschmerz im Bereich der linken Halsmuskulatur mit ausstrahlenden Beschwerden in den Hinterkopf und zeitweiligen Kopfschmerzen und eine nicht wesentlich behinderte Beweglichkeit der HWS sowie kein sicherer Druckschmerz über den Dornfortsätzen bei der Untersuchung durch Dr. R. am 27. November 1989. Für eine von der Klägerin geltend gemachte "Mikrotraumatisierung" der Weichteile in Kopf-Nacken-Bereich fehlt es an einem entsprechenden Nachweis. Zwar werden Mikrotraumatisierungen bei HWS-Beschleunigungstraumen in der medizinischen Wissenschaft diskutiert; auch sind wohl bei Verletzten, die direkt nach einem Unfall traumabedingt gestorben sind, im Rahmen von Autopsien derartige Verletzungen festgestellt worden (vgl. Dr. Re. in seiner Stellungnahme vom 6. Juli 1998 mit Hinweis auf die Untersuchung von K.-S. Saternus). Jedoch bestehen - wie auch die Klägerin selbst anführt - derzeit keine medizintechnischen Möglichkeiten, solche Mikrotraumatisierungen und ihre Auswirkungen konkret bei einem - den Unfall überlebenden - Verletzten nachzuweisen. Abgesehen davon unterliegen auch Mikrotraumatisierungen den körpereigenen Heilungsvorgängen ohne nachhaltige Verletzungsfolgen. Ein traumatischer Weichteilschaden im Bereich der Bänder und Gelenke ließ sich ebenfalls nicht objektivieren. Selbst wenn ein solcher Weichteilschaden bei den frühen Untersuchungen zunächst übersehen worden sein sollte, müssten später die reparativen Folgeerscheinungen durch Verkalkung oder Verknöcherung erkennbar sein. Solche sekundären Veränderungen ließen sich aber bei der kernspintomographischen Untersuchung vom 13. November 1995 nicht nachweisen.

Das bei der Klägerin zwar bestehende Kopf-Hals-Nacken-Schmerzsyndrom nebst eingeschränkter Beweglichkeit der HWS und die Bandscheibenerkrankung der HWS (rechts medio-lateraler gedeckter Bandscheibenvorfall HWK 6/7, mediale Protrusion bei HWK 4/5) sind jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit durch den Unfall vom 11. Juni 1989 verursacht worden. So fehlt es - wie zuvor dargelegt - schon am Nachweis eines unmittelbaren organischen Körperschadens (Primärschadens), der für die geklagte - fortbestehende - Schmerzsymptomatik ursächlich sein könnte. Denn eine, wie bei der Klägerin festzustellende Distorsionsverletzung, hinterlässt in der Regel keine Dauerschäden, sondern heilt innerhalb weniger Wochen und Monate ab. Dies wird auch im vorliegenden Fall durch den Verlauf der Erkrankung und der Behandlung deutlich. Die ursprünglich starken Beschwerden, die zur Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit führten, bildeten sich soweit zurück, dass die Klägerin am 25. Juli 1989 wieder arbeitsfähig - wenn auch nicht beschwerdefrei - war. Zwar wurde auf Anregung des Neurologen Dr. H. Ende 1989/Anfang 1990 eine krankengymnastische Behandlung zu Lasten der Beklagten durchgeführt und die Behandlung im Februar 1990 - nach Schilderung der Klägerin wegen Therapieresistenz der Beschwerden - von dem Durchgangsarzt Dr. R. abgeschlossen. Jedoch handelte es sich nach den dokumentierten Befunden nur noch um eine geringe Restsymptomatik. So hatte Dr. R. bei der Untersuchung am 27. November 1989 einen leichten Druck- und Bewegungsschmerz im Bereich der linken Halsmuskulatur mit ausstrahlenden Beschwerden in den Hinterkopf und zeitweiligen Kopfschmerzen sowie eine nicht wesentlich behinderte Beweglichkeit der HWS diagnostiziert. Dr. H. fand bei seiner Untersuchung am 5. Dezember 1989 ebenfalls keine neurologischen Auffälligkeiten, sondern nur eine nach rechts eingeschränkte Drehbeweglichkeit des Kopfes sowie links reflektorische Verspannungen der Muskulatur mit Druckempfindlichkeit. Ansonsten war die Kopfbeweglichkeit weitgehend frei. Auch im Aufnahmebefund der Nervenklinik Sp. vom 11. Juni 1990 sind neurologische Auffälligkeiten hinsichtlich der Halswirbelsäule und des Schädels sowie der oberen Extremitäten nicht beschrieben worden, die Kopfbeweglichkeit war frei, lediglich nach rechts etwas schmerzhaft. Bei der Aufnahmeuntersuchung in der Reha-Klinik B. schilderte die Klägerin keine Beschwerden von Seiten der HWS, es wurde eine um ein Drittel eingeschränkte Drehfähigkeit des Kopfes nach rechts festgestellt mit ansonsten neurologisch unauffälligem Befund (Krankheitsbericht, gerichtet an die V. Versicherung AG, vom 4. März 1991). Erst im Verlauf der Heilbehandlung traten verstärkt Beschwerden der HWS auf, die in der Reha-Klinik entsprechend mitbehandelt wurden. Der Orthopäde Dr. Ri. fand bei seiner Untersuchung am 16. Juli 1991 im Rahmen der für die V. Versicherung AG durchgeführten Begutachtung eine normale Kopfhaltung sowie eine bei der Rechtsdrehung des Kopfes geringe Bewegungseinschränkung um ca. 10° bei normaler Drehung nach links. Bei der Flexion ergab sich ein Kinn-Brustbeinabstand von etwa einem Querfinger, die Extensionen waren im normalen Ausmaß möglich. Bei Durchtastung der nuchalen Muskulatur wurde diese links wie rechts als vergleichsmäßig empfindlich angegeben. Die neurologische Prüfung ergab keine negativen Befunde. Eine Schädigung der Nervenwurzel C 8 durch den Unfall vom 11. Juni 1989 ist weder erwiesen noch wahrscheinlich. So konnte die in der Nervenklinik Sp. getroffene Diagnose eines leicht peripher-neurogenen Schadens im Rahmen einer C 8-Läsion rechts weder von Dr. Re. nach von dem Neurologen Prof. Dr. G. H. nachvollzogen bzw. in der klinischen Untersuchung bestätigt werden. Auch ist eine traumabedingte Nervenwurzelirritation bei C 8 im Hinblick auf die bei den Untersuchungen seit dem Unfall durchgehend erhobenen unauffälligen neurologischen Befunde unwahrscheinlich. Dagegen hat sich zwischenzeitlich - wie von allen medizinischen Sachverständigen übereinstimmend dargelegt - schicksalsmäßig die bereits in den Röntgenaufnahmen vom Jahre 1989 erkennbare unfallunabhängige Bandscheibendegeneration der Halswirbelsäule im Laufe der Jahre fortentwickelt. So zeigten sich in den Röntgenaufnahmen von 1989 eine mäßige Uncovertebralarthrose besonders in den Etagen C 4/5 und C 5/6 sowie altersadäquate beginnende osteochondrotische Deformierungen der Grund- und Deckplatten. In der cervikalen CT-Untersuchung vom 7. Juli 1992 fand sich schon in Höhe HWK 4/5 eine ca. 4 bis 5 mm starke Vorwölbung zentral im Sinne der Bandscheibenprotrusion. Im MRT-Zusatzgutachten vom 13. November 1995 zeigte sich eine deutliche Impression des subarachnoidalen Liquorraumes in Höhe der Bandscheibenetagen C 3/4, 4/5, 5/6 und C6/7 mit Betonung der Etage C 4/5 bei ausgeprägten dorsalen Kantenausziehungen der HWS in den angegebenen Etagen und im MRT-Befund vom 19. Juni 1997 dann zusätzlich ein Bandscheibenvorfall bei HWK 6/7. Auch leidet die Klägerin an weiteren Wirbelsäulenerkrankungen degenerativer Art, wie der erheblichen schon vor dem Unfall wiederholt behandlungsbedürftigen bandscheibenbedingten Erkrankung der unteren Lendenwirbelsäule und einem Restzustand nach Morbus Scheuermann in der oberen Lendenwirbelsäule. Insbesondere die degenerativen Halswirbelsäulenveränderungen kommen als Beschwerden auslösend für die bei der Klägerin immer wieder behandlungsbedürftigen Cervikobrachialgien in Betracht. Der Hinweis der Klägerin, vor dem Unfall von Seiten der Halswirbelsäule beschwerdefrei gewesen zu sein, vermag zu keiner anderen Zusammenhangsbeurteilung zu führen. Denn allein aus dem zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und der von der Klägerin geschilderten - im Laufe der Jahre sich verstärkenden - persistierenden Schmerzsymptomatik lässt sich eine Kausalität des Unfallgeschehens hierfür im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung noch nicht begründen, wenn es - wie zuvor dargelegt - an einem objektivierbaren schwereren Primärschaden fehlt und die nachgewiesenen Unfallfolgen sich regelhaft zurückgebildet haben.

Deswegen vermochte der Senat auch nicht der Beurteilung des Sachverständigen Dr. F. , wonach ein bei der Klägerin bestehendes chronifiziertes Schmerzsyndrom mit sensiblen Ausfallerscheinungen assoziiert mit einem leichten motorischen Defizit auf das Unfallereignis vom Juni 1989 zurückzuführen sei, zu folgen. Schließlich konnte Dr. F. bei seiner Untersuchung und nach Auswertung der vorgelegten Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen wie schon die behandelnden Ärzte und die Vorgutachter zuvor keine Zeichen einer strukturellen - objektivierbaren - Verletzung des Knochen- oder des Bandapparates sowie der Weichteile der Halswirbelsäule feststellen. Die von ihm durchgeführte neurologische Prüfung der Hirnnerven ergab keinen krankhaften Befund. Es wurde lediglich eine leichte Hypästhesie am rechten Arm ohne eindeutigen segmentalen Bezug sowie eine schmerzbedingte Kraftminderung am rechten Arm und eine leichte Absinktendenz im Armhalteversuch rechts wahrgenommen. Die elektroneurographische Untersuchung ergab den Hinweis für ein beginnendes Karpaltunnelsyndrom links (unfallunabhängig) und Hinweise für eine proximal gelegene Läsion rechts bei verzögerten F-Wellen-Latenzen, die jedoch nicht beweisend für eine singuläre Wurzelreizsymptomatik sind. Wenn der Sachverständige aus diesen geringgradigen und nicht eindeutig zuordenbaren Befunden sowie der Beschwerdeschilderung der Klägerin bei der Untersuchung auf eine proximale, rückenmarksnahe - rein funktionelle - Läsion im Sinne einer Schmerzchronifizierung schließt und diese auf das Unfallereignis zurückführt, so ist diese Schlußfolgerung nicht überzeugend. Sie vermag nicht mit Wahrscheinlichkeit einen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem von ihm 10 Jahre später bei der Klägerin diagnostizierten chronischen Schmerzsyndrom mit sensiblen und motorischen Störungen zu begründen. Zwar stützt Dr. F. sich auf die neueren Ansätze der Schmerzforschung, die hierfür theoretische Konzepte (Kortikalisierung chronischer Schmerzen im Sinne neuronaler Lernprozesse) bieten würden. Weiterhin verweist er darauf, dass in der Schmerzforschung die Möglichkeit langfristiger persistierender Beschwerden nach HWS-Beschleunigungstrauma ohne objektivierbare Unfallfolgen durch experimentelle Ergebnisse belegt worden sei. Abgesehen davon, dass auch der Sachverständige nur von der Möglichkeit einer Chronifizierung von Schmerzen nach HWS-Beschleunigungstrauma spricht, entbindet die Bezugnahme auf experimentelle Ergebnisse in der Schmerzforschung noch nicht von einer konkreten Beweisführung in dem zu beurteilenden Einzelfall. Dr. F. setzt sich aber weder mit der in den zahlreichen vorliegenden medizinischen Unterlagen dokumentierten Beschwerdeentwicklung bei der Klägerin und dem Behandlungsverlauf noch den sonstigen bei der Klägerin bestehenden Erkrankungen auseinander. Er übernimmt unkritisch die Beschwerdeschilderung der Klägerin, ohne den Versuch zu unternehmen, die pauschal beschriebenen Schmerzen der Klägerin im Hinblick auf die vielfältigen Arten und Verursachungsmöglichkeiten von Kopf- und Nackenschmerzen näher zu analysieren und abzugrenzen. Die von ihm ergänzend eingeholte Stellungnahme vom 20. März 2000 erbrachte hierzu keine weiteren Erkenntnisse.

Da die nach Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit am 25. Juli 1989 bei der Klägerin aufgetretenen Gesundheitsstörungen und Beschwerden im Kopf-Hals-Nacken-Bereich keine Arbeits-(Wege-) Unfallfolgen sind, liegt bei der Klägerin auch keine, einen Anspruch auf Verletztenrente begründende Minderung der Erwerbsfähigkeit vor. Selbst wenn von einer über die 13. Woche nach dem Unfall, d. h. über den 9. September 1989 hinausgehenden HWS-Distorsionsbedingten Restsymptomatik in Form einer endgradigen schmerzhaften Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule und gelegentlichen Kopfschmerzen für einen vorübergehenden Zeitraum ausgegangen wird, würde diese - wie von Dr. H. in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 5. Dezember 1989 und von Dr. Ri. in seinem Gutachten vom 22. Juli 1991 zutreffend dargelegt - noch keine MdE von 10 v. H. bedingen. Die Voraussetzungen für eine von der Klägerin angesprochene Erhöhung der MdE wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit im Sinne von § 581 Abs. 2 RVO liegen schon deswegen nicht vor, weil die Klägerin weiterhin vollschichtig in ihrem erlernten und schon seit Jahren vor dem Unfall auf einer Neugeborenenstation ausgeübten Beruf als Kinderkrankenschwester tätig sein kann. Einzelne Beschränkungen im Tätigkeitsbereich, wie hier der auf Grund des allgemeinen Gesundheitszustandes der Klägerin bestehende Ausschluss vom Nachdienst, reichen nicht aus, um eine besondere berufliche Betroffenheit zu begründen.

Der Senat sah im Hinblick auf die umfangreichen Ermittlungen zum Unfallgeschehen sowie zum Erkrankungs- und Behandlungsverlauf und auf die eingeholten Sachverständigengutachten keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen, sondern hält den Sachverhalt für umfassend geklärt. Der Einholung eines von der Klägerin wiederholt angeregten kollisionsdynamischen Sachverständigengutachtens bedurfte es vorliegend schon deswegen nicht, weil entscheidungserheblich nicht die kollisionsdynamische Belastung des betroffenen Fahrzeuges bzw. der darin sitzenden Klägerin war, sondern die von den erstbehandelnden Ärzten erhobenen Befunde und der danach festzustellende Körperschaden. Gleichfalls sah der Senat keinen Anlass, dem im Termin zur mündlichen Verhandlung am 29. Juni 2000 gestellten Beweisantrag gemäß § 109 SGG nachzugehen. So war dem Sachverständigen Dr. F. bereits wiederholt Gelegenheit gegeben worden, ergänzend zu seinem Gutachten Stellung zu nehmen. Zudem kam es im vorliegenden Fall auf die Frage, ob in der Schmerzforschung durch experimentelle Ergebnisse die Möglichkeit langfristig persistierender Beschwerden objektiv belegt worden ist, nicht entscheidend an. Denn, wie zuvor dargelegt, sind für die Beurteilung des Kausalzusammenhanges nicht in erster Linie allgemeine wissenschaftliche Forschungsergebnisse, sondern eine Beweisführung an Hand der dokumentierten Befunde im konkreten Einzelfall maßgeblich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht ersichtlich sind.
Rechtskraft
Aus
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