Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 2 Ar 1162/93
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 10 AL 1457/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. Juli 1996 wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine von der Klägerin in Luxemburg ausgeübte Berufstätigkeit nach Maßgabe europäischen Sozialrechts einen Anspruch auf Leistungen aus der deutschen Arbeitslosenversicherung begründet.
Die 1965 geborene Klägerin hat eine Ausbildung zur Industriekauffrau absolviert und war vom 01.04.1985 bis zum 31.03.1988 bei der D.-S. Bank in F. – zuletzt in der Position einer Devisenhändlerin – beschäftigt. Zwischen April 1988 und März 1989 hielt sie sich zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten und heutigen Ehemann in New York (USA) auf. Als die Klägerin im April 1988 nach New York ging, gab sie ihre Mietwohnung in der Bundesrepublik Deutschland auf und meldete sich bei dem deutschen Einwohnermeldeamt ab. Während ihr Ehemann einer beruflichen Tätigkeit als Bankkaufmann nachging, besuchte die Klägerin eine Sprachschule und war zeitweise als Zahnarzthelferin beschäftigt. Vom 08.05.1989 bis zum 30.10.1992 war die Klägerin sodann in Luxemburg bei der B. S. à L. S.A. als Assistentin des Bereichsleiters Geld- und Devisen beschäftigt; in dieser Zeit heiratete sie am 29.09.1989 in H. ihren Lebensgefährten, der seinerseits seit dem 08.04.1989 eine Tätigkeit als Chefhändler/Unterdirektor für die S. E. Banken (Luxembourg) S.A. ausübte. Während ihres Aufenthaltes in Luxemburg lebten die Eheleute in einer von der Bank des Ehemannes gestellten Wohnung. Der Ehemann der Klägerin kehrte im Juni 1992 zu seiner Arbeitsstelle nach F. zurück. Bereits vorher hatten die Eheleute mit notariellem Kaufvertrag vom 16.04.1992 in Fr. T. eine Eigentumswohnung erworben. Die Klägerin meldete sich am 15.06.1992 mit erstem Wohnsitz in Fr. an, übte ihre Tätigkeit in Luxemburg allerdings noch bis zum 30.10.1992 aus. In einer schriftlichen Zusatzvereinbarung vom 26.05.1992 hatte sich ihre Arbeitgeberin verpflichtet, die Klägerin für die Monate Mitte August bis Oktober 1992 mit einer Wohnung zu versorgen, ihr die Benzinkosten für Wochenendfahrten F.-Luxemburg in der Zeitphase Juli bis Oktober 1992 zu ersetzen und ihr einen monatlichen Ausgleich für Hauskosten für Juli und August 1992 zu gewähren. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland war die Klägerin vom 02.11. bis zum 13.11.1992 bei der Firma W.-Bauelemente GmbH in I. als Büroaushilfe für 10 Arbeitstage und 20 bezahlte Arbeitsstunden bei einem Bruttoarbeitsentgelt von 240,00 DM beschäftigt.
Am 02.11.1992 meldete sich die Klägerin in der Dienststelle B. H. arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Sie legte eine auf dem Formblatt E 301 ausgestellte Bescheinigung der Administration de l’Emploi Luxembourg vom 19.11.1992 über ihre Beschäftigungszeiten als Bankangestellte in der Zeit vom 08.05.1989 bis zum 31.10.1992 vor.
Mit Bescheid vom 14.12.1992 lehnte die Beklagte den Antrag auf Arbeitslosengeld ab, weil die Klägerin innerhalb der Rahmenfrist von 3 Jahren vor der Arbeitslosmeldung nicht mindestens 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden habe. Auf den Widerspruch der Klägerin vom 12.01.1993, zu dem diese u.a. das Zeugnis der B. S. à L. S.A. vom 30.10.1992 vorlegte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.1993 zurück. Die Klägerin sei innerhalb der den Zeitraum vom 02.11.1989 bis 01.11.1992 umfassenden Rahmenfrist nicht beitragspflichtig beschäftigt gewesen. Die Beschäftigungszeit in Luxemburg habe keine Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit begründet. Die Beschäftigung bei der Firma W.-Bauelemente GmbH sei sowohl kurzzeitig als auch geringfügig und damit beitragsfrei gewesen. Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung ausländischer Versicherungszeiten für die Erfüllung der Anwartschaft gemäß Art. 67 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwanderten (im folgenden: EWGV 1408/71 in Verbindung mit Art. 71 Abs. 1 b Ziff. ii EWGV 1408/71 seien nicht erfüllt. Es sei davon auszugehen, daß die Klägerin am Ort ihrer Beschäftigung auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe und damit Wohnsitz oder ständiger Aufenthalt nicht in Deutschland gelegen hätten.
Hiergegen erhob die Klägerin am 13.05.1993 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main. Sie machte geltend, ihre Auslandsbeschäftigung sei von vornherein auf drei Jahre begrenzt gewesen, da ihre Beschäftigung in Luxemburg an die ihres damaligen Verlobten gekoppelt gewesen sei, der wiederum von seinem damaligen Arbeitgeber für drei Jahre befristet nach Luxemburg entsandt worden sei. Sowohl sie als auch ihr Ehemann hätten während ihres Aufenthaltes in Luxemburg intensive Beziehungen zu Freunden und Eltern in Deutschland unterhalten und während ihrer häufigen Besuche bei den Schwiegereltern in Fr. gewohnt. Sie seien im Durchschnitt etwa zweimal im Monat in den F. Raum über das Wochenende gekommen. Ihr Ehemann habe während seiner Auslandsaufenthalte seinen ersten Wohnsitz in Deutschland beibehalten. Damit gehöre sie zu dem Personenkreis, der von Artikel 71 Abs. 1 b Ziff. ii EWGV 1408/71 (sog. "unechte Grenzgänger”) erfaßt werde. Denn sie sei von vornherein für einen zeitlich begrenzten Zweck auf dem ausländischen Arbeitsmarkt tätig geworden, habe dort nicht verbleiben wollen und nicht die Absicht gehabt, sich bei günstigen Beschäftigungsverhältnissen dort zu integrieren; ihre sozialen Beziehungen habe sie in Deutschland aufrechterhalten. Bei ihrer persönlichen Anhörung durch das Sozialgericht erklärte die Klägerin ergänzend, für die Wohnung in Luxemburg hätten sie und ihr Ehemann eine Einrichtung angeschafft und später in die Eigentumswohnung nach Fr. mitgenommen. Ihr Mann sei zwei Jahre in New York und drei Jahre in Luxemburg beschäftigt gewesen, so daß nach den Richtlinien seiner Bank, die nur zwei Auslandsaufenthalte für jeweils höchstens drei Jahre zugelassen hätten, bei Aufnahme der Beschäftigung in Luxemburg ersichtlich gewesen sei, daß diese Tätigkeit auf höchstens drei Jahre begrenzt sein werde. Sie habe mit ihrem Arbeitgeber anfänglich in Luxemburg keinen schriftlichen Arbeitsvertrag gehabt, aber eine mündliche Absprache dahingehend, daß ihre Beschäftigung an den Aufenthalt ihres Ehemannes in Luxemburg gekoppelt sein solle. In dem Arbeitsvertrag ihres Ehemannes stehe zwar, daß dieser nach Ablauf von drei Jahren verlängert werden könne, dies sei jedoch das übliche Standardmuster gewesen, das auf die Einzelheiten der Position ihres Mannes nicht eingegangen sei. Während ihrer regelmäßigen Aufenthalte in Deutschland habe ihnen in dem großen Haus ihrer Schwiegereltern in Fr. ein Zimmer mit eigenem Bad und WC zur Verfügung gestanden.
Mit Urteil vom 08.07.1996 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe eine beitragspflichtige Beschäftigung in der Rahmenfrist zu Recht verneint. Die Vorschriften der EWGV 1408/71 geböten keine Berücksichtigung der Tätigkeit als Bankangestellte in Luxemburg. Nach Artikel 67 EWGV 1408/71 könne die Beschäftigungszeit der Klägerin in Luxemburg berücksichtigt werden, wenn diese unmittelbar vor der Geltendmachung des Anspruches auf Arbeitslosengeld eine Inlandsbeschäftigung, die als Versicherungszeit nach dem AFG gelte, aufweise; dies sei bei der Klägerin nicht der Fall gewesen. Auf diese Voraussetzung könne daher nur verzichtet werden, wenn die Klägerin zum Personenkreis des Artikel 71 Abs. 1 b Ziff. ii EWGV 1408/71 gehöre, der Sonderbestimmungen für die Gewährung von Leistungen an arbeitslose Arbeitnehmer vorsehe, die während ihrer letzten Beschäftigung im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates als des zuständigen Staates gewohnt hätten; unter "zuständigem Mitgliedsstaat” verstehe diese Vorschrift dabei den Mitgliedsstaat, in dessen Gebiet der Arbeitslose zuletzt beschäftigt gewesen und der dementsprechend grundsätzlich für die Gewährung von Arbeitslosengeld zuständig sei (EuGH SozR 6050 Art. 71 Nr. 7; BSG SozR 3-6050 Art. 71 Nr. 2). Gemäß Art. 71 Abs. 1 b Ziff. ii EWGV 1408/71 erhielten solche Arbeitnehmer, sofern sie nicht Grenzgänger seien und sich der Arbeitsvermittlung des Staates zur Verfügung stellten, in dessen Gebiet sie wohnten, bei voller Arbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie dort zuletzt beschäftigt gewesen seien. Diese Voraussetzungen seien im Falle der Klägerin nicht erfüllt. Der Träger eines anderen Staates als der des Beschäftigungsstaates könne nur in Anspruch genommen werden, wenn der Arbeitnehmer nach den Kriterien des Art. 71 EWGV 1408/71 während seiner Beschäftigung nicht im Beschäftigungsstaat, sondern (weiterhin) in dem Staat "gewohnt” habe, in dem der Anspruch geltend gemacht werde. Da es sich hier aber um einen Personenkreis handele, der nicht – wie Grenzgänger – in kurzen Abständen an seinen bisherigen Wohnsitz zurückkehre, sondern sich für die Dauer der Beschäftigungszeit (wenn auch mit Unterbrechungen) im Beschäftigungsstaat aufhalte und dort lebe, ergäben sich besondere Schwierigkeiten, unter welchen Voraussetzungen der Ort, an dem der Arbeitnehmer vor Aufnahme seiner Beschäftigung in dem anderen Staat gewohnt habe, im Sinne von Art. 71 EWGV 1408/71 weiterhin noch als sein Wohnort angesehen werden könne. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei dabei zu berücksichtigen, daß die gesetzliche Regelung nicht alle Fälle erfassen solle, in denen ein Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedsstaat eine Beschäftigung aufnehme und seine Bindungen zu seinem bisherigen Wohnort aufrecht erhalte. Im Hinblick darauf, daß die Kostenlast ohne entsprechende Beitragsleistung vom Wohnstaat zu tragen sei, werde es nicht als gerechtfertigt angesehen, den Wohnstaat durch allzu großzügige Auslegung in großem Umfang zur Leistungsgewährung zu verpflichten. Im einzelnen seien die Dauer und der Zweck der Abwesenheit, die Art der im anderen Mitgliedsstaat aufgenommenen Beschäftigung sowie die Absicht des Arbeitnehmers, wie sie sich aus den gesamten Umständen ergebe, zu berücksichtigen, wobei die EWGV 1407/71 insoweit keine Höchstdauer festlege (EuGH SozR 6050 Art. 71 Nr. 2; SozR 3 6050 Art. 71 Nr. 1). Diese Ausführungen habe das BSG dahin konkretisiert, daß die Zuständigkeit des Wohnlandes nur dort erhalten bleiben könne, wo die nach Zweck und Dauer bestimmte Stärke der Zuwendung zum ausländischen Arbeitsmarkt durch entsprechende stärkere Bindung an den inländischen Arbeitsmarkt ausgeglichen werde; mithin stiegen die Anforderungen an die inländischen Bindungen, je stärker sich der Arbeitnehmer durch Dauer, Zweck und Absichten seiner ausländischen Arbeitstätigkeit diesem Arbeitsmarkt zuwende. Eine erhebliche Dauer einer Beschäftigung im Ausland könne aufgehoben werden durch eine von vornherein festliegende Begrenztheit des Zweckes der Auslandstätigkeit und die damit verbundenen Absichten, aus denen sich ergebe, daß die Zumutung, sich dort zunächst arbeitslos zu melden, um nach weiteren Beschäftigungsmöglichkeiten zu suchen, letztlich als nicht sachgerecht erscheine. Bei der danach erforderlichen Gesamtwürdigung der Umstände sei es von besonderer Bedeutung, ob eine Tätigkeit nur einem von vornherein begrenztem Zweck (z.B. akademischer Austausch) diene und sich in einem für diesen Zweck üblichen Rahmen halte und mit einer intensiven Aufrechterhaltung der Beziehungen zur Wohnung im Herkunftsland und zum dortigen sozialen Umfeld einhergehe (BSG SozR 3 6050 Art. 71 Nr. 2).
Bei Anwendung dieser sachgerecht abgrenzenden Kriterien habe die Klägerin nicht den Nachweis geführt, daß sie während ihrer Beschäftigung in Luxemburg weiterhin in dem Staat "gewohnt” habe, indem sie nunmehr den Anspruch geltend mache, mithin in der Bundesrepublik. Sie habe keinen schriftlichen Arbeitsvertrag vorgelegt, aus dem sich habe entnehmen lassen, daß ihr Arbeitsverhältnis bei der B. S. à L. S.A. von vornherein für eine bestimmte Zeit oder für einen von vornherein begrenzten Zweck bestimmt und damit mit einer längerfristigen Integration in den luxemburgischen Arbeitsmarkt nicht zu rechnen gewesen sei. Aus dem schriftlichen Zeugnis vom 30.10.1992 lasse sich eine derartige Begrenzung nicht entnehmen; die von der Klägerin abgegebene Erklärung, sie habe mit ihrem Arbeitgeber anfänglich keinen schriftlichen Arbeitsvertrag gehabt, aber ein mündliche Abrede dahingehend, daß ihre Beschäftigung an den Aufenthalt ihres Ehemannes in Luxemburg gekoppelt sein solle, sei nur schwerlich mit dem Umstand in Einklang zu bringen, daß unter dem 26.05.1992 schriftlich eine Zusatzklausel zum Beschäftigungsvertrag vereinbart worden sei. Daraus sei zu entnehmen, daß ein schriftlicher Arbeitsvertrag doch bestanden haben müsse. Ebensowenig sei bewiesen, daß der Arbeitsvertrag ihres Ehemannes mit den S. E. Banken von vornherein zeitlich begrenzt gewesen sei. Für eine stärkere Zuwendung zum ausländischen Arbeitsmarkt spreche demgegenüber, daß die Beschäftigung der Klägerin in Luxemburg nahezu dreieinhalb Jahre umfaßt habe. Während dieser Zeitphase habe auch keine besonders starke Inlandsbindung in der Form bestanden, daß die Klägerin neben der Wohnung am Beschäftigungsort eine weitere eigenständige Wohnung in Deutschland beibehalten habe oder schon zu Anfang des ausländischen Beschäftigungsverhältnisses errichtet habe. Die Größe der in Luxemburg gelegenen Wohnung mit vorgenommener eigenständiger Möblierung sei ein Hinweis darauf, daß diese Wohnung den Lebensmittelpunkt der Klägerin und ihres Ehemannes gebildet habe, zumal für Besuche in Deutschland keine eigenständige abgeschlossene Wohnung zur Verfügung gestanden habe. Starke inländische Bindungen habe die Klägerin erst ab dem Zeitpunkt der Rückkehr ihres Ehemannes nach F. wieder aufgenommen.
Gegen dieses ihr am 21.10.1996 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13.11.1996 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, sie habe im Sinne von Art. 71 Abs. 1 b Ziff. ii. EWGV 1408/71 trotz ihrer Berufstätigkeit in Luxemburg in der Bundesrepublik "gewohnt”. Die Annahme des SG, es habe ein schriftlicher Arbeitsvertrag bestanden, treffe nicht zu; sie sei in Luxemburg auf der Grundlage einer mündlichen Vereinbarung tätig geworden, welche beinhaltet habe, daß sie dort nur für die Dauer der Beschäftigung ihres Ehemannes tätig werde. Für die einschränkende Auslegung des SG, daß in der Bundesrepublik nur wohne, wer eine stärkere Bindung an den inländischen Arbeitsmarkt aufweise, ergebe sich aus der EWGV 1408/71 nichts. Diese Auslegung stehe im Widerspruch zu Sinn und Zweck des EWG-Vertrages, Freizügigkeit zu gewährleisten. Wenn schon die Zeit eines Arbeitslosengeldbezuges in einem anderen EG-Land den zuständigen Träger verpflichte, Anschlußarbeitslosenhilfe zu gewähren (EuGH vom 13.03.1997, C 131/95) müsse ein Anspruch erst recht in ihrem Fall bestehen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. Juli 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 2. November 1992 Arbeitslosengeld in gesetzlichem Umfang zu gewähren,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Sie trägt vor, das SG habe die Rechtsprechung des EuGH und des BSG zutreffend angewandt, weshalb sie sich die Entscheidungsgründe zu eigen mache.
Der Senat hat die Klägerin persönlich gehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld gegen die Beklagte.
Wie das SG zutreffend dargelegt hat, kann sich ein Leistungsanspruch der Klägerin, die vor ihrer Arbeitslosmeldung am 02.11.1992 in der Bundesrepublik in der Rahmenfrist keine beitragspflichtigen Beschäftigungen ausgeübt hat, nur aus Art. 71 Abs. 1 b Ziff. ii EWGV 1408/71 ergeben, was voraussetzt, daß die Klägerin zwar im anderen Mitgliedsstaat – Luxemburg – einer Beschäftigung nachging, sie aber im Sinne der genannten Vorschrift in Deutschland "wohnte”. Hierzu hat der EuGH bereits ausgeführt, daß der Übergang der Kosten für die Leistung bei Arbeitslosigkeit vom Mitgliedsstaat der letzten Beschäftigung (im Fall der Klägerin: Luxemburg) auf den Mitgliedsstaat des Wohnortes (Deutschland) bei einzelnen Gruppen von Arbeitnehmern, die enge Bindungen zu dem Land beibehalten, indem sie sich niedergelassen haben und gewöhnlich aufhalten, gerechtfertigt ist, es aber nicht mehr gerechtfertigt wäre, wenn man durch eine allzu großzügige Auslegung des Wohnortbegriffs dahin gelange, die Ausnahme des Art. 71 der EWGV 1408/71 allen Wanderarbeitnehmern zugute kommen zu lassen, die in einem Mitgliedsstaat beschäftigt seien, während sich ihre Familien weiterhin gewöhnlich in einem anderen Mitgliedsstaat aufhielten; hieraus folge, daß Art. 71 Abs. 1 b Ziff. ii eng auszulegen sei (EuGH SozR 6050 Art. 71 Nr. 2). Dementsprechend hatte die Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer die Rechtsvorteile dieser Vorschrift nur Saisonarbeitern und den in Art. 14 Abs. 1 b, c und d EWGV 1408/71 aufgeführten Arbeitnehmern zuerkannt. Diese Aufzählung sah der EuGH allerdings nicht als abschließend an. Jedoch sei der Begriff des "Mitgliedsstaats, in dessen Gebiet sie wohnen”, auf den Staat zu beschränken, in dem der Arbeitnehmer, obgleich in einem anderen Mitgliedsstaat beschäftigt, weiterhin gewöhnlich wohne und in dem sich auch der gewöhnliche Mittelpunkt seiner Interessen befinde. Verfüge ein Arbeitnehmer in einem Mitgliedsstaat über einen festen Arbeitsplatz, so werde vermutet, daß er dort auch wohne. Erforderlich sei aber eine Gesamtwürdigung, bei der die Dauer und Kontinuität des Wohnorts bis zur Abwanderung des Arbeitnehmers, die Dauer und der Zweck seiner Abwesenheit, die Art der in dem anderen Mitgliedsstaat aufgenommenen Beschäftigung sowie die Absicht des Arbeitnehmers, wie sie sich aus den gesamten Umständen ergebe, zu berücksichtigen sei; es sei Sache des nationalen Gerichts, diese Kriterien auf den konkreten Fall anzuwenden (SozR 3 6050 Art. 71 Nr. 1). Dem ist das BSG mit den im erstinstanzlichen Urteil dargelegten Präzisierungen (Seite 8 f.) gefolgt. Im konkreten Fall einer im Rahmen des akademischen Austausches nach Großbritannien vermittelten Gymnasiallehrerin hat es eine Aufenthaltsdauer von 21 Monaten zwar als erheblich angesehen, gleichwohl aber die Zugehörigkeit zum Personenkreis des Art. 71 Abs. 1 Ziff. ii EWGV 1408/71 bejaht, wobei es berücksichtigte, daß es sich um eine von vornherein begrenzte Tätigkeit zu einem bestimmten Zweck (akademischer Austausch) handelte, die dortige Klägerin ihre Wohnung in Deutschland beibehielt, sich dort in den Semesterferien auch aufhielt und ihre Beschäftigung ersichtlich nicht darauf ausgerichtet gewesen war, auf dem ausländischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Von diesen Grundsätzen ausgehend, muß ein "Wohnen” der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland während der Zeit ihrer Beschäftigung in Luxemburg verneint werden. Äußerlich wird dies bereits dadurch deutlich, daß die Klägerin seit April 1988 in Deutschland tatsächlich keine Wohnung im Sinne von §§ 11, 12 Melderechtsrahmengesetz mehr besaß. Sie hatte ihre Wohnung aufgelöst, sich beim Einwohnermeldeamt abgemeldet und hielt sich nur noch besuchsweise in Deutschland auf. Dies unterscheidet den Fall der Klägerin bereits grundlegend von den Fallgestaltungen, die den Entscheidungen des EuGH und des BSG zugrunde lagen; dort hatten die jeweiligen Arbeitnehmer eine Wohnung in ihrem Heimatland behalten und damit bereits äußerlich eine fortbestehende Bindung dokumentiert. Ob allein dies angesichts des mehr als vierjährigen Auslandsaufenthalts der Klägerin ausschließt, von einem fortbestehenden "Wohnen” in der Bundesrepublik auszugehen, kann allerdings dahingestellt bleiben. Denn zusätzlich kommt hinzu, daß auch der berufliche und soziale Mittelpunkt der Lebensverhältnisse der Klägerin nicht mehr in der Bundesrepublik lag. Berücksichtigt man Art und Dauer ihres Beschäftigungsverhältnisses in Luxemburg, so greift die vom EuGH aufgestellte Vermutung, daß ein Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedsstaat über einen festen Arbeitsplatz verfügt, dort auch wohnt. Die Klägerin war in Luxemburg für mehr als drei Jahre bei einer skandinavischen Bank beschäftigt. Auch wenn es sich hierbei, wie die Klägerin vorgetragen hat, um eine zeitlich befristete Stelle handelte, so hatte sie sich doch erkennbar dem anderen Staat und dem dortigen Leben zugewandt.
Gegenüber diesen Faktoren, die für eine Auslandsintegration der Klägerin und gegen ein weiteres "Wohnen” in der Bundesrepublik besprechen, treten die von ihr angeführten Umstände zurück. Insbesondere gilt dies für die Behauptung der Klägerin, daß eine Rückkehr ihres Ehemannes aus Luxemburg nach Deutschland nach Ablauf von drei Jahren geplant war und sie die Absicht hatte, ihm dann zu folgen. Eine derartige Absicht, die angesichts des langen Zeitraums von drei Jahren notwendig mit Unsicherheiten und der Möglichkeit sich ändernder Verhältnisse belastet ist, kann die deutliche äußere Integration in den ausländischen Arbeitsmarkt nicht ausgleichen. Die durch den EuGH aufgestellten Grundsätze zeigen, daß nur solche Arbeitnehmer unter den Anwendungsbereich des Art. 71 Abs. 1 b Ziff. ii EWGV 1408/71 fallen sollen, bei denen bereits äußerlich erkennbar ist, daß ihre wesentlichen Bindungen weiterhin im Inland liegen. Auf diesen maßgeblichen Aspekt hat bereits das Sozialgericht hingewiesen; der Senat nimmt insoweit zur Vermeidung weiterer Wiederholungen auf die dortigen Darlegungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine von der Klägerin in Luxemburg ausgeübte Berufstätigkeit nach Maßgabe europäischen Sozialrechts einen Anspruch auf Leistungen aus der deutschen Arbeitslosenversicherung begründet.
Die 1965 geborene Klägerin hat eine Ausbildung zur Industriekauffrau absolviert und war vom 01.04.1985 bis zum 31.03.1988 bei der D.-S. Bank in F. – zuletzt in der Position einer Devisenhändlerin – beschäftigt. Zwischen April 1988 und März 1989 hielt sie sich zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten und heutigen Ehemann in New York (USA) auf. Als die Klägerin im April 1988 nach New York ging, gab sie ihre Mietwohnung in der Bundesrepublik Deutschland auf und meldete sich bei dem deutschen Einwohnermeldeamt ab. Während ihr Ehemann einer beruflichen Tätigkeit als Bankkaufmann nachging, besuchte die Klägerin eine Sprachschule und war zeitweise als Zahnarzthelferin beschäftigt. Vom 08.05.1989 bis zum 30.10.1992 war die Klägerin sodann in Luxemburg bei der B. S. à L. S.A. als Assistentin des Bereichsleiters Geld- und Devisen beschäftigt; in dieser Zeit heiratete sie am 29.09.1989 in H. ihren Lebensgefährten, der seinerseits seit dem 08.04.1989 eine Tätigkeit als Chefhändler/Unterdirektor für die S. E. Banken (Luxembourg) S.A. ausübte. Während ihres Aufenthaltes in Luxemburg lebten die Eheleute in einer von der Bank des Ehemannes gestellten Wohnung. Der Ehemann der Klägerin kehrte im Juni 1992 zu seiner Arbeitsstelle nach F. zurück. Bereits vorher hatten die Eheleute mit notariellem Kaufvertrag vom 16.04.1992 in Fr. T. eine Eigentumswohnung erworben. Die Klägerin meldete sich am 15.06.1992 mit erstem Wohnsitz in Fr. an, übte ihre Tätigkeit in Luxemburg allerdings noch bis zum 30.10.1992 aus. In einer schriftlichen Zusatzvereinbarung vom 26.05.1992 hatte sich ihre Arbeitgeberin verpflichtet, die Klägerin für die Monate Mitte August bis Oktober 1992 mit einer Wohnung zu versorgen, ihr die Benzinkosten für Wochenendfahrten F.-Luxemburg in der Zeitphase Juli bis Oktober 1992 zu ersetzen und ihr einen monatlichen Ausgleich für Hauskosten für Juli und August 1992 zu gewähren. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland war die Klägerin vom 02.11. bis zum 13.11.1992 bei der Firma W.-Bauelemente GmbH in I. als Büroaushilfe für 10 Arbeitstage und 20 bezahlte Arbeitsstunden bei einem Bruttoarbeitsentgelt von 240,00 DM beschäftigt.
Am 02.11.1992 meldete sich die Klägerin in der Dienststelle B. H. arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Sie legte eine auf dem Formblatt E 301 ausgestellte Bescheinigung der Administration de l’Emploi Luxembourg vom 19.11.1992 über ihre Beschäftigungszeiten als Bankangestellte in der Zeit vom 08.05.1989 bis zum 31.10.1992 vor.
Mit Bescheid vom 14.12.1992 lehnte die Beklagte den Antrag auf Arbeitslosengeld ab, weil die Klägerin innerhalb der Rahmenfrist von 3 Jahren vor der Arbeitslosmeldung nicht mindestens 360 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden habe. Auf den Widerspruch der Klägerin vom 12.01.1993, zu dem diese u.a. das Zeugnis der B. S. à L. S.A. vom 30.10.1992 vorlegte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15.04.1993 zurück. Die Klägerin sei innerhalb der den Zeitraum vom 02.11.1989 bis 01.11.1992 umfassenden Rahmenfrist nicht beitragspflichtig beschäftigt gewesen. Die Beschäftigungszeit in Luxemburg habe keine Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit begründet. Die Beschäftigung bei der Firma W.-Bauelemente GmbH sei sowohl kurzzeitig als auch geringfügig und damit beitragsfrei gewesen. Die Voraussetzungen für die Berücksichtigung ausländischer Versicherungszeiten für die Erfüllung der Anwartschaft gemäß Art. 67 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwanderten (im folgenden: EWGV 1408/71 in Verbindung mit Art. 71 Abs. 1 b Ziff. ii EWGV 1408/71 seien nicht erfüllt. Es sei davon auszugehen, daß die Klägerin am Ort ihrer Beschäftigung auch ihren gewöhnlichen Aufenthalt gehabt habe und damit Wohnsitz oder ständiger Aufenthalt nicht in Deutschland gelegen hätten.
Hiergegen erhob die Klägerin am 13.05.1993 Klage zum Sozialgericht Frankfurt am Main. Sie machte geltend, ihre Auslandsbeschäftigung sei von vornherein auf drei Jahre begrenzt gewesen, da ihre Beschäftigung in Luxemburg an die ihres damaligen Verlobten gekoppelt gewesen sei, der wiederum von seinem damaligen Arbeitgeber für drei Jahre befristet nach Luxemburg entsandt worden sei. Sowohl sie als auch ihr Ehemann hätten während ihres Aufenthaltes in Luxemburg intensive Beziehungen zu Freunden und Eltern in Deutschland unterhalten und während ihrer häufigen Besuche bei den Schwiegereltern in Fr. gewohnt. Sie seien im Durchschnitt etwa zweimal im Monat in den F. Raum über das Wochenende gekommen. Ihr Ehemann habe während seiner Auslandsaufenthalte seinen ersten Wohnsitz in Deutschland beibehalten. Damit gehöre sie zu dem Personenkreis, der von Artikel 71 Abs. 1 b Ziff. ii EWGV 1408/71 (sog. "unechte Grenzgänger”) erfaßt werde. Denn sie sei von vornherein für einen zeitlich begrenzten Zweck auf dem ausländischen Arbeitsmarkt tätig geworden, habe dort nicht verbleiben wollen und nicht die Absicht gehabt, sich bei günstigen Beschäftigungsverhältnissen dort zu integrieren; ihre sozialen Beziehungen habe sie in Deutschland aufrechterhalten. Bei ihrer persönlichen Anhörung durch das Sozialgericht erklärte die Klägerin ergänzend, für die Wohnung in Luxemburg hätten sie und ihr Ehemann eine Einrichtung angeschafft und später in die Eigentumswohnung nach Fr. mitgenommen. Ihr Mann sei zwei Jahre in New York und drei Jahre in Luxemburg beschäftigt gewesen, so daß nach den Richtlinien seiner Bank, die nur zwei Auslandsaufenthalte für jeweils höchstens drei Jahre zugelassen hätten, bei Aufnahme der Beschäftigung in Luxemburg ersichtlich gewesen sei, daß diese Tätigkeit auf höchstens drei Jahre begrenzt sein werde. Sie habe mit ihrem Arbeitgeber anfänglich in Luxemburg keinen schriftlichen Arbeitsvertrag gehabt, aber eine mündliche Absprache dahingehend, daß ihre Beschäftigung an den Aufenthalt ihres Ehemannes in Luxemburg gekoppelt sein solle. In dem Arbeitsvertrag ihres Ehemannes stehe zwar, daß dieser nach Ablauf von drei Jahren verlängert werden könne, dies sei jedoch das übliche Standardmuster gewesen, das auf die Einzelheiten der Position ihres Mannes nicht eingegangen sei. Während ihrer regelmäßigen Aufenthalte in Deutschland habe ihnen in dem großen Haus ihrer Schwiegereltern in Fr. ein Zimmer mit eigenem Bad und WC zur Verfügung gestanden.
Mit Urteil vom 08.07.1996 hat das Sozialgericht (SG) die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe eine beitragspflichtige Beschäftigung in der Rahmenfrist zu Recht verneint. Die Vorschriften der EWGV 1408/71 geböten keine Berücksichtigung der Tätigkeit als Bankangestellte in Luxemburg. Nach Artikel 67 EWGV 1408/71 könne die Beschäftigungszeit der Klägerin in Luxemburg berücksichtigt werden, wenn diese unmittelbar vor der Geltendmachung des Anspruches auf Arbeitslosengeld eine Inlandsbeschäftigung, die als Versicherungszeit nach dem AFG gelte, aufweise; dies sei bei der Klägerin nicht der Fall gewesen. Auf diese Voraussetzung könne daher nur verzichtet werden, wenn die Klägerin zum Personenkreis des Artikel 71 Abs. 1 b Ziff. ii EWGV 1408/71 gehöre, der Sonderbestimmungen für die Gewährung von Leistungen an arbeitslose Arbeitnehmer vorsehe, die während ihrer letzten Beschäftigung im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates als des zuständigen Staates gewohnt hätten; unter "zuständigem Mitgliedsstaat” verstehe diese Vorschrift dabei den Mitgliedsstaat, in dessen Gebiet der Arbeitslose zuletzt beschäftigt gewesen und der dementsprechend grundsätzlich für die Gewährung von Arbeitslosengeld zuständig sei (EuGH SozR 6050 Art. 71 Nr. 7; BSG SozR 3-6050 Art. 71 Nr. 2). Gemäß Art. 71 Abs. 1 b Ziff. ii EWGV 1408/71 erhielten solche Arbeitnehmer, sofern sie nicht Grenzgänger seien und sich der Arbeitsvermittlung des Staates zur Verfügung stellten, in dessen Gebiet sie wohnten, bei voller Arbeitslosigkeit Leistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Staates, als ob sie dort zuletzt beschäftigt gewesen seien. Diese Voraussetzungen seien im Falle der Klägerin nicht erfüllt. Der Träger eines anderen Staates als der des Beschäftigungsstaates könne nur in Anspruch genommen werden, wenn der Arbeitnehmer nach den Kriterien des Art. 71 EWGV 1408/71 während seiner Beschäftigung nicht im Beschäftigungsstaat, sondern (weiterhin) in dem Staat "gewohnt” habe, in dem der Anspruch geltend gemacht werde. Da es sich hier aber um einen Personenkreis handele, der nicht – wie Grenzgänger – in kurzen Abständen an seinen bisherigen Wohnsitz zurückkehre, sondern sich für die Dauer der Beschäftigungszeit (wenn auch mit Unterbrechungen) im Beschäftigungsstaat aufhalte und dort lebe, ergäben sich besondere Schwierigkeiten, unter welchen Voraussetzungen der Ort, an dem der Arbeitnehmer vor Aufnahme seiner Beschäftigung in dem anderen Staat gewohnt habe, im Sinne von Art. 71 EWGV 1408/71 weiterhin noch als sein Wohnort angesehen werden könne. Nach der Rechtsprechung des EuGH sei dabei zu berücksichtigen, daß die gesetzliche Regelung nicht alle Fälle erfassen solle, in denen ein Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedsstaat eine Beschäftigung aufnehme und seine Bindungen zu seinem bisherigen Wohnort aufrecht erhalte. Im Hinblick darauf, daß die Kostenlast ohne entsprechende Beitragsleistung vom Wohnstaat zu tragen sei, werde es nicht als gerechtfertigt angesehen, den Wohnstaat durch allzu großzügige Auslegung in großem Umfang zur Leistungsgewährung zu verpflichten. Im einzelnen seien die Dauer und der Zweck der Abwesenheit, die Art der im anderen Mitgliedsstaat aufgenommenen Beschäftigung sowie die Absicht des Arbeitnehmers, wie sie sich aus den gesamten Umständen ergebe, zu berücksichtigen, wobei die EWGV 1407/71 insoweit keine Höchstdauer festlege (EuGH SozR 6050 Art. 71 Nr. 2; SozR 3 6050 Art. 71 Nr. 1). Diese Ausführungen habe das BSG dahin konkretisiert, daß die Zuständigkeit des Wohnlandes nur dort erhalten bleiben könne, wo die nach Zweck und Dauer bestimmte Stärke der Zuwendung zum ausländischen Arbeitsmarkt durch entsprechende stärkere Bindung an den inländischen Arbeitsmarkt ausgeglichen werde; mithin stiegen die Anforderungen an die inländischen Bindungen, je stärker sich der Arbeitnehmer durch Dauer, Zweck und Absichten seiner ausländischen Arbeitstätigkeit diesem Arbeitsmarkt zuwende. Eine erhebliche Dauer einer Beschäftigung im Ausland könne aufgehoben werden durch eine von vornherein festliegende Begrenztheit des Zweckes der Auslandstätigkeit und die damit verbundenen Absichten, aus denen sich ergebe, daß die Zumutung, sich dort zunächst arbeitslos zu melden, um nach weiteren Beschäftigungsmöglichkeiten zu suchen, letztlich als nicht sachgerecht erscheine. Bei der danach erforderlichen Gesamtwürdigung der Umstände sei es von besonderer Bedeutung, ob eine Tätigkeit nur einem von vornherein begrenztem Zweck (z.B. akademischer Austausch) diene und sich in einem für diesen Zweck üblichen Rahmen halte und mit einer intensiven Aufrechterhaltung der Beziehungen zur Wohnung im Herkunftsland und zum dortigen sozialen Umfeld einhergehe (BSG SozR 3 6050 Art. 71 Nr. 2).
Bei Anwendung dieser sachgerecht abgrenzenden Kriterien habe die Klägerin nicht den Nachweis geführt, daß sie während ihrer Beschäftigung in Luxemburg weiterhin in dem Staat "gewohnt” habe, indem sie nunmehr den Anspruch geltend mache, mithin in der Bundesrepublik. Sie habe keinen schriftlichen Arbeitsvertrag vorgelegt, aus dem sich habe entnehmen lassen, daß ihr Arbeitsverhältnis bei der B. S. à L. S.A. von vornherein für eine bestimmte Zeit oder für einen von vornherein begrenzten Zweck bestimmt und damit mit einer längerfristigen Integration in den luxemburgischen Arbeitsmarkt nicht zu rechnen gewesen sei. Aus dem schriftlichen Zeugnis vom 30.10.1992 lasse sich eine derartige Begrenzung nicht entnehmen; die von der Klägerin abgegebene Erklärung, sie habe mit ihrem Arbeitgeber anfänglich keinen schriftlichen Arbeitsvertrag gehabt, aber ein mündliche Abrede dahingehend, daß ihre Beschäftigung an den Aufenthalt ihres Ehemannes in Luxemburg gekoppelt sein solle, sei nur schwerlich mit dem Umstand in Einklang zu bringen, daß unter dem 26.05.1992 schriftlich eine Zusatzklausel zum Beschäftigungsvertrag vereinbart worden sei. Daraus sei zu entnehmen, daß ein schriftlicher Arbeitsvertrag doch bestanden haben müsse. Ebensowenig sei bewiesen, daß der Arbeitsvertrag ihres Ehemannes mit den S. E. Banken von vornherein zeitlich begrenzt gewesen sei. Für eine stärkere Zuwendung zum ausländischen Arbeitsmarkt spreche demgegenüber, daß die Beschäftigung der Klägerin in Luxemburg nahezu dreieinhalb Jahre umfaßt habe. Während dieser Zeitphase habe auch keine besonders starke Inlandsbindung in der Form bestanden, daß die Klägerin neben der Wohnung am Beschäftigungsort eine weitere eigenständige Wohnung in Deutschland beibehalten habe oder schon zu Anfang des ausländischen Beschäftigungsverhältnisses errichtet habe. Die Größe der in Luxemburg gelegenen Wohnung mit vorgenommener eigenständiger Möblierung sei ein Hinweis darauf, daß diese Wohnung den Lebensmittelpunkt der Klägerin und ihres Ehemannes gebildet habe, zumal für Besuche in Deutschland keine eigenständige abgeschlossene Wohnung zur Verfügung gestanden habe. Starke inländische Bindungen habe die Klägerin erst ab dem Zeitpunkt der Rückkehr ihres Ehemannes nach F. wieder aufgenommen.
Gegen dieses ihr am 21.10.1996 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13.11.1996 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Auffassung, sie habe im Sinne von Art. 71 Abs. 1 b Ziff. ii. EWGV 1408/71 trotz ihrer Berufstätigkeit in Luxemburg in der Bundesrepublik "gewohnt”. Die Annahme des SG, es habe ein schriftlicher Arbeitsvertrag bestanden, treffe nicht zu; sie sei in Luxemburg auf der Grundlage einer mündlichen Vereinbarung tätig geworden, welche beinhaltet habe, daß sie dort nur für die Dauer der Beschäftigung ihres Ehemannes tätig werde. Für die einschränkende Auslegung des SG, daß in der Bundesrepublik nur wohne, wer eine stärkere Bindung an den inländischen Arbeitsmarkt aufweise, ergebe sich aus der EWGV 1408/71 nichts. Diese Auslegung stehe im Widerspruch zu Sinn und Zweck des EWG-Vertrages, Freizügigkeit zu gewährleisten. Wenn schon die Zeit eines Arbeitslosengeldbezuges in einem anderen EG-Land den zuständigen Träger verpflichte, Anschlußarbeitslosenhilfe zu gewähren (EuGH vom 13.03.1997, C 131/95) müsse ein Anspruch erst recht in ihrem Fall bestehen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 8. Juli 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 1992 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. April 1993 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 2. November 1992 Arbeitslosengeld in gesetzlichem Umfang zu gewähren,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Sie trägt vor, das SG habe die Rechtsprechung des EuGH und des BSG zutreffend angewandt, weshalb sie sich die Entscheidungsgründe zu eigen mache.
Der Senat hat die Klägerin persönlich gehört.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld gegen die Beklagte.
Wie das SG zutreffend dargelegt hat, kann sich ein Leistungsanspruch der Klägerin, die vor ihrer Arbeitslosmeldung am 02.11.1992 in der Bundesrepublik in der Rahmenfrist keine beitragspflichtigen Beschäftigungen ausgeübt hat, nur aus Art. 71 Abs. 1 b Ziff. ii EWGV 1408/71 ergeben, was voraussetzt, daß die Klägerin zwar im anderen Mitgliedsstaat – Luxemburg – einer Beschäftigung nachging, sie aber im Sinne der genannten Vorschrift in Deutschland "wohnte”. Hierzu hat der EuGH bereits ausgeführt, daß der Übergang der Kosten für die Leistung bei Arbeitslosigkeit vom Mitgliedsstaat der letzten Beschäftigung (im Fall der Klägerin: Luxemburg) auf den Mitgliedsstaat des Wohnortes (Deutschland) bei einzelnen Gruppen von Arbeitnehmern, die enge Bindungen zu dem Land beibehalten, indem sie sich niedergelassen haben und gewöhnlich aufhalten, gerechtfertigt ist, es aber nicht mehr gerechtfertigt wäre, wenn man durch eine allzu großzügige Auslegung des Wohnortbegriffs dahin gelange, die Ausnahme des Art. 71 der EWGV 1408/71 allen Wanderarbeitnehmern zugute kommen zu lassen, die in einem Mitgliedsstaat beschäftigt seien, während sich ihre Familien weiterhin gewöhnlich in einem anderen Mitgliedsstaat aufhielten; hieraus folge, daß Art. 71 Abs. 1 b Ziff. ii eng auszulegen sei (EuGH SozR 6050 Art. 71 Nr. 2). Dementsprechend hatte die Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer die Rechtsvorteile dieser Vorschrift nur Saisonarbeitern und den in Art. 14 Abs. 1 b, c und d EWGV 1408/71 aufgeführten Arbeitnehmern zuerkannt. Diese Aufzählung sah der EuGH allerdings nicht als abschließend an. Jedoch sei der Begriff des "Mitgliedsstaats, in dessen Gebiet sie wohnen”, auf den Staat zu beschränken, in dem der Arbeitnehmer, obgleich in einem anderen Mitgliedsstaat beschäftigt, weiterhin gewöhnlich wohne und in dem sich auch der gewöhnliche Mittelpunkt seiner Interessen befinde. Verfüge ein Arbeitnehmer in einem Mitgliedsstaat über einen festen Arbeitsplatz, so werde vermutet, daß er dort auch wohne. Erforderlich sei aber eine Gesamtwürdigung, bei der die Dauer und Kontinuität des Wohnorts bis zur Abwanderung des Arbeitnehmers, die Dauer und der Zweck seiner Abwesenheit, die Art der in dem anderen Mitgliedsstaat aufgenommenen Beschäftigung sowie die Absicht des Arbeitnehmers, wie sie sich aus den gesamten Umständen ergebe, zu berücksichtigen sei; es sei Sache des nationalen Gerichts, diese Kriterien auf den konkreten Fall anzuwenden (SozR 3 6050 Art. 71 Nr. 1). Dem ist das BSG mit den im erstinstanzlichen Urteil dargelegten Präzisierungen (Seite 8 f.) gefolgt. Im konkreten Fall einer im Rahmen des akademischen Austausches nach Großbritannien vermittelten Gymnasiallehrerin hat es eine Aufenthaltsdauer von 21 Monaten zwar als erheblich angesehen, gleichwohl aber die Zugehörigkeit zum Personenkreis des Art. 71 Abs. 1 Ziff. ii EWGV 1408/71 bejaht, wobei es berücksichtigte, daß es sich um eine von vornherein begrenzte Tätigkeit zu einem bestimmten Zweck (akademischer Austausch) handelte, die dortige Klägerin ihre Wohnung in Deutschland beibehielt, sich dort in den Semesterferien auch aufhielt und ihre Beschäftigung ersichtlich nicht darauf ausgerichtet gewesen war, auf dem ausländischen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Von diesen Grundsätzen ausgehend, muß ein "Wohnen” der Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland während der Zeit ihrer Beschäftigung in Luxemburg verneint werden. Äußerlich wird dies bereits dadurch deutlich, daß die Klägerin seit April 1988 in Deutschland tatsächlich keine Wohnung im Sinne von §§ 11, 12 Melderechtsrahmengesetz mehr besaß. Sie hatte ihre Wohnung aufgelöst, sich beim Einwohnermeldeamt abgemeldet und hielt sich nur noch besuchsweise in Deutschland auf. Dies unterscheidet den Fall der Klägerin bereits grundlegend von den Fallgestaltungen, die den Entscheidungen des EuGH und des BSG zugrunde lagen; dort hatten die jeweiligen Arbeitnehmer eine Wohnung in ihrem Heimatland behalten und damit bereits äußerlich eine fortbestehende Bindung dokumentiert. Ob allein dies angesichts des mehr als vierjährigen Auslandsaufenthalts der Klägerin ausschließt, von einem fortbestehenden "Wohnen” in der Bundesrepublik auszugehen, kann allerdings dahingestellt bleiben. Denn zusätzlich kommt hinzu, daß auch der berufliche und soziale Mittelpunkt der Lebensverhältnisse der Klägerin nicht mehr in der Bundesrepublik lag. Berücksichtigt man Art und Dauer ihres Beschäftigungsverhältnisses in Luxemburg, so greift die vom EuGH aufgestellte Vermutung, daß ein Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedsstaat über einen festen Arbeitsplatz verfügt, dort auch wohnt. Die Klägerin war in Luxemburg für mehr als drei Jahre bei einer skandinavischen Bank beschäftigt. Auch wenn es sich hierbei, wie die Klägerin vorgetragen hat, um eine zeitlich befristete Stelle handelte, so hatte sie sich doch erkennbar dem anderen Staat und dem dortigen Leben zugewandt.
Gegenüber diesen Faktoren, die für eine Auslandsintegration der Klägerin und gegen ein weiteres "Wohnen” in der Bundesrepublik besprechen, treten die von ihr angeführten Umstände zurück. Insbesondere gilt dies für die Behauptung der Klägerin, daß eine Rückkehr ihres Ehemannes aus Luxemburg nach Deutschland nach Ablauf von drei Jahren geplant war und sie die Absicht hatte, ihm dann zu folgen. Eine derartige Absicht, die angesichts des langen Zeitraums von drei Jahren notwendig mit Unsicherheiten und der Möglichkeit sich ändernder Verhältnisse belastet ist, kann die deutliche äußere Integration in den ausländischen Arbeitsmarkt nicht ausgleichen. Die durch den EuGH aufgestellten Grundsätze zeigen, daß nur solche Arbeitnehmer unter den Anwendungsbereich des Art. 71 Abs. 1 b Ziff. ii EWGV 1408/71 fallen sollen, bei denen bereits äußerlich erkennbar ist, daß ihre wesentlichen Bindungen weiterhin im Inland liegen. Auf diesen maßgeblichen Aspekt hat bereits das Sozialgericht hingewiesen; der Senat nimmt insoweit zur Vermeidung weiterer Wiederholungen auf die dortigen Darlegungen Bezug (§ 153 Abs. 2 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
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