L 6 R 825/06

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 10 RJ 2138/03
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 R 825/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 309/07 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 27. Juni 2006 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit hat.

Der 1959 geborene gelernte Zerspanungsfacharbeiter (Zeugnis vom 15. Juli 1978) war bis 1981 in diesem Beruf tätig. Wegen ungesetzlichem Grenzübertritt wurde er vom 25. September 1981 bis 10. November 1982 im Zuchthaus Karl-Marx-Stadt (heute: Chemnitz) inhaftiert und danach in die Bundesrepublik abgeschoben. Von Juni 1983 bis März 1986 war der Kläger nach eigenen Angaben bei der Fa. W. in N. als Dreher tätig. Diesen Beruf konnte er nach eigenen Angaben wegen seiner Ausbildung ausüben. Anschließend arbeitete er bis Juni 1994 als Monteur in der Bandfertigung bei D. In einem Arztbrief an den damals behandelnden Dr. W. vom 18. November 1988 erwähnt Prof. Dr. L. anlässlich der Prüfung der Indikation für eine stationäre psychosomatisch-psychotherapeutische Behandlung, dass der Kläger "jetzt, überwiegend wegen des besseren Verdienstes" bei D. arbeite. Unter dem 11. Februar 2002 bejahte der Kläger in einem Zusatzfragebogen zum Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, die Tätigkeit als Dreher aus persönlichen Gründen aufgegeben zu haben.

Von 1995 bis 1997 war er arbeitslos und arbeitete vom 1. März 1997 bis 31. Dezember 2001 als Lagerarbeiter bei der Raiffeisen-Warenzentrale K. GmbH in K. Die Tätigkeit beinhaltete die Warenannahme und –ausgabe, Inventur- und Aufräumarbeiten sowie Ausfahrten mit dem Lkw; die Einarbeitungszeit betrug nach der Auskunft vom 24. April 2007 sechs Monate. Anschließend war er arbeitslos gemeldet bzw. arbeitsunfähig krank. Von Februar bis Herbst 2005 arbeitete er als Kraftfahrer und Möbelträger in einer Spedition; von Oktober 2006 bis 26. Januar 2007 nahm er an einer AB-Maßnahme teil.

Im Februar 2003 beantragte er die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte zog diverse medizinische Unterlagen, u.a. den Entlassungsbericht der A.-Fachklinik Bad K. vom 26. Juni 2002 bei (Leistungsvermögen sechs Stunden und mehr), holte ein nervenärztliches Gutachten der Dipl.-Med. P. vom 27. Mai 2003 ein (Diagnosen: Spannungskopfschmerz, Somatisierungsstörung; sechs Stunden und mehr leichte bis mittelschwere Tätigkeiten möglich) und lehnte mit Bescheid vom 5. Juni 2003 die Rentengewährung ab. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 4. September 2003 zurück.

Im Rahmen des Klageverfahrens hat der Kläger u.a. folgende Unterlagen eingereicht: Bescheid des Versorgungsamts Gera vom 6. März 1996 über einen Grad der Behinderung (GdB) von 30, Anerkennungsbescheid des Versorgungsamts Gera vom 5. Oktober 1997, in dem als Schädigungsfolgen eine "neurotische Entwicklung mit Somatisierungstendenzen und funktionellen Störungen (Cephalgien) einer depressiv strukturierten Persönlichkeit", hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen in Sinne des § 21 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG) i.V.m. § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), als Schädigungsfolgen anerkannt sind. Das Sozialgericht hat u.a. diverse Befundberichte mit entsprechenden medizinischen Anlagen sowie eine Arbeitgeberauskunft der Raiffeisen-Warenzentrale K. vom 11. Juni 2004 beigezogen und ein Sachverständigengutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie G. vom 27. Oktober 2005 mit psychologischer Zusatzbegutachtung durch die Dipl.-Psych. S. eingeholt. Die Sachverständige hat eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Stadium III nach Gerbershagen (chronisch neurotische Fehlentwicklung, deren Kern ein chronischer Kopfschmerz vom Spannungstyp und eine leicht- bis mittelgradige Polyneuropathie bildet, der Schmerzstörung lägen ebenso ein Lendenwirbelsäulensyndrom, eine Zervikalskoliose, beidseits Meniskusläsion und eine beginnende Gonarthrose zugrunde), leichte bis mittelgradige depressive Episode mit kognitiven Defiziten, Niedergeschlagenheit, wechselndem Antrieb, Zukunftsängste und latente Suizidalität, Aplasie der linken Niere, Hiatusgleithernie, Hyperlipidämie und eine rezidivierende Prostatitis diagnostiziert. Der Kläger könne noch regelmäßig vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten unter bestimmten Einschränkungen verrichten.

Mit Urteil vom 27. Juni 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich zur Begründung auf das Gutachten vom 27. Oktober 2005 gestützt. Es lägen keine geeigneten Beweismittel für eine Lösung von der erlernten Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen vor.

Gegen die Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt und ausgeführt, er könne wegen seiner Krankheiten keiner geregelten Arbeit nachgehen. Er empfinde es ungerecht, dass mit ihm als SED-Opfer derart umgegangen und er zum Produktionshelfer "verdammt" werde. Es sei nicht von ihm, sondern vom Versorgungsamt Gera bzw. vom Sozialgericht zu verantworten, dass die Unterlagen des ihn früher behandelnden Dr. W. nicht rechtzeitig vor ihrer Vernichtung beigezogen worden seien. Dieser hätte ansonsten bestätigt, dass er die Drehertätigkeit aus medizinischen Gründen aufgegeben habe. Alle seine Einschränkungen seien durch die DDR-Haft verursacht worden. Unter den Kopfschmerzen habe er bereits bei seiner Tätigkeit als Dreher gelitten. Hätte er darüber die Fa. W. informiert, hätte er bereits diese Arbeit nie bekommen. Die Schmerzen seien dann immer schlimmer geworden. Er habe die Tätigkeit als Dreher aufgegeben, weil es bei D. nicht "auf das Hundertstel" angekommen sei und er zudem dort mehr verdient habe. Er habe sich später nicht mehr bemüht, eine Stelle als Dreher zu erhalten, weil ihm bewusst gewesen sei, dass ihm dies aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht möglich sei. Bei jeder Tätigkeit sei er massiv beeinträchtigt gewesen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 27. Juni 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Juni 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. September 2003 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 1. Februar 2003 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im Widerspruchs- und Klageverfahren.

Auf Anfrage des Senats hat der den Kläger 1986 behandelnde Dr. W. unter dem 12. Dezember 2006 mitgeteilt, er habe keine schriftlichen Unterlagen über 1986. Als der Kläger nach Thüringen zurückkehrte, seien ihm die notwendigen Unterlagen ausgehändigt worden; die schriftlichen Aufzeichnungen habe er nach Ablauf der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist vernichtet. Es sei ihm nur noch in Erinnerung, dass der Kläger zu dem Patientenkreis gehöre, den er als "psychosomatisch erkrankt" einstufe. Welche Konflikte zur Aufgabe der Tätigkeit im Jahre 1986 führten, könne im Nachhinein nicht mehr im Detail dargelegt werden.

Der Senat hat den Beteiligten u.a. die Kopie eines Gutachtens der Berufskundlerin J. vom 6. Juni 2006 aus einem anderen Verfahren des Senats (Az.: L 6 RJ 301/02) zur Tätigkeit eines Produktionshelfers übersandt und ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Dr. U. vom 2. Februar 2007 eingeholt. Danach liegen auf diesem Fachgebiet eine Dysthymia (Verstimmung), eine somatoforme Schmerzstörung und ein Kopfschmerz vom Spannungstyp vor. Der Kläger kann noch leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig ohne Schicht- und Akkordarbeit, ohne Lärmbelastung, ohne besondere Anforderungen an die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit, ohne besondere nervliche Belastung ausüben. Er kann nicht als Kraftfahrer, wohl aber als Produktionshelfer tätig sein.

Unter dem 24. April 2007 hat die Raiffeisen-Warenzentrale K. GmbH angegeben, die Einarbeitungszeit für die Tätigkeit des Klägers habe sechs Monate betragen.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist nicht begründet; er hat keinen Anspruch auf eine Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bzw. wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach den §§ 43, 240 SGB VI in der Fassung ab 1. Januar 2001 (n.F.) scheidet aus, denn die Leistungsfähigkeit des Klägers ist nicht in dem für eine Rentengewährung erforderlichen Umfang herabgesunken. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI n.F. haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie teilweise erwerbsgemindert sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung besteht nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, wenn die Versicherten voll erwerbsgemindert sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllen. Voll erwerbsgemindert sind sie, wenn sie wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (Satz 2). Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres, wenn sie vor dem 2. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind und die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 241 SGB VI) erfüllen.

Der Kläger ist nicht berufsunfähig i.S.v. § 240 SGB VI, weil seine Leistungsfähigkeit nicht in erforderlichem Umfang herabgesunken ist. Damit ist er auch nicht voll oder teilweise erwerbsgemindert i.S.v. § 43 SGB VI, denn dies setzt noch weitergehende Einschränkungen des Leistungsvermögens voraus als für die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Nach § 240 Abs. 2 S. 1 SGB VI sind Versicherte berufsunfähig, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Nach Satz 2 umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach dem die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nach Satz 4 nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Berufsunfähigkeit liegt nicht schon dann vor, wenn der Versicherte "seinen Beruf" nicht mehr ausüben kann, sondern erst dann, wenn eine Verweisung auf eine zumutbare andere Tätigkeit nicht mehr möglich ist.

Die Definition der Berufsunfähigkeit in § 240 Abs. 2 SGB VI entspricht der in § 43 Abs. 2 SGB VI in der Fassung vor dem 1. Januar 2001 mit dem Unterschied, dass nunmehr auf ein Herabsinken auf weniger als sechs Stunden abgestellt wird. Die bisherige Auslegung und Rechtsprechung zur Berufsunfähigkeit gilt bei der Neuregelung weiter (vgl. u.a. Senatsurteil vom 26. Juli 2004 – Az.: L 6 RJ 301/03).

Die Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit wird grundsätzlich nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes festgestellt, wozu die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) das so genannte Mehrstufenschema entwickelt hat. Die verschiedenen Stufen sind nach dem qualitativen Wert des bisherigen Berufes – dieser wird nach Dauer und Umfang der im Regelfall erforderlichen Ausbildung, nicht anhand von Prestige oder Entlohnung bestimmt – hierarchisch geordnet (vgl. BSG, Urteil vom 14. Mai 1996 – Az.: 4 RA 60/94 in BSGE 78, 207, 218; BSG, Urteil vom 24. März 1998 – Az.: B 4 RA 44/96 R, nach juris). Die Arbeiterberufe werden durch das Mehrstufenschema in Gruppen untergliedert, die durch den Leitberuf des Facharbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw. des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters (anerkannter Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungszeit von mehr als zwei Jahren), des angelernten Arbeiters (sonstiger Ausbildungsberuf mit einer Regelausbildungszeit von drei Monaten bis zu zwei Jahren) und des ungelernten Arbeiters charakterisiert werden (vgl. BSG, Urteil vom 3. November 1994 – Az.: 13 RJ 77/93 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 49).

Die Einordnung eines bestimmten Berufsschemas erfolgt nicht ausschließlich nach der Dauer der förmlichen Berufsausbildung, sondern auch nach der Qualität der verrichteten Arbeit, das heißt dem aus der Mehrzahl von Faktoren zu ermittelten Wert der Arbeit für den Betrieb (vgl. BSG, Urteil vom 29. März 1994 – Az.: 13 RJ 35/93 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 45). Es kommt somit auf das Gesamtbild an, wie es durch die in § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI genannten Merkmale (Dauer und Umfang der Ausbildung sowie des bisherigen Berufes, besondere Anforderungen der bisherigen Berufstätigkeit) umschrieben wird. Fachlich-qualitativ gleichwertig sind demnach alle Vergleichsberufe, die nach dem "Schema" in die gleiche oder in die nächst niedrigere Stufe einzuordnen sind.

Wesentliches Merkmal und Beurteilungsmaßstab für die Qualität eines Berufes ist nach der Rechtsprechung des BSG die tarifliche Einstufung durch die Tarifvertragsparteien. Sie ist einerseits wesentlich für die abstrakte - "tarifvertragliche" - Qualifizierung (im Sinne eines selbstständigen Berufsbildes) innerhalb eines nach Qualitätsstufen geordneten Tarifvertrages, zum anderen für die tarifliche Zuordnung der konkreten, zuletzt ausgeübten Tätigkeit eines Versicherten zu einer Berufssparte und hierüber zu einer bestimmten Tarifgruppe des jeweils geltenden Tarifvertrages (vgl. BSG, Urteil vom 28. Mai 1991 – Az.: 13/5 RJ 69/90 in SozR 3-2200 § 1246 Nr. 14; BSG vom 21. Juni 2001 – Az.: B 13 RJ 45/00 R, nach juris).

Bei der Bestimmung des Hauptberufs kommt es grds. auf die zuletzt vor der Rentenantragstellung nicht nur vorübergehend ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung an. Relevant ist damit die Tätigkeit des Klägers als Lagerarbeiter und Fahrer bei der Raiffeisen-Warenzentrale K. GmbH vom 1. März 1997 bis 31. Dezember 2001. Sie beinhaltete nach der Arbeitgeberauskunft vom 11. Juni 2004 die Warenannahme und -ausgabe, Inventurarbeiten, Aufräumarbeiten, Arbeiten mit dem Gabelstapler und Warenauslieferung mit dem Lkw. Es handelte sich um eine Anlerntätigkeit mit einer Einarbeitszeit von sechs Monaten. Der Betrieb ist nicht tarifgebunden; die Entlohnung erfolgte nach freier Vereinbarung.

Der Kläger hat weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht, dass seine Lösung vom Beruf des Zerspanungsfacharbeiters oder des Drehers aus gesundheitlichen Gründen wesentlich mitverursacht worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 26. April 2005 – Az.: B 5 RJ 27/04 R, nach juris). Zwar war er durch seine Inhaftierung gezwungen, die erlernte Tätigkeit als Zerspanungsfacharbeiter aufzugeben. Allerdings übte er nach seiner Abschiebung in die Bundesrepublik ab 1983 eine vergleichbare Tätigkeit als Dreher bei der Fa. W. aus. Bei ihr handelte es sich nach seinen eigenen Angaben in der Sitzung vom 29. Mai 2007 um eine Facharbeitertätigkeit, die er nur aufgrund seiner Ausbildung als Zerspanungsfacharbeiter ausüben konnte. Dies ist anhand der von dem Kläger vorgetragenen Tatsachen für den Senat glaubhaft und nachvollziehbar; auch die Beklagte hat diesbezüglich keine Zweifel bekundet. Die Facharbeiterausbildung Zerspanungsfacharbeiter wurde in der ehemaligen DDR von 1976 bis 1985 angeboten (vgl. berufenet der Arbeitsagentur "Zerspanungsfacharbeiter/in – Drehmaschinen"); vergleichbarer Beruf in der Bundesrepublik war u.a. der Ausbildungsberuf des Drehers.

Entgegen der Ansicht des Klägers ist nicht auf die Tätigkeit als Dreher abzustellen, denn von ihr hat er sich 1986 gelöst. Eine berufliche Lösung ist immer dann zu bejahen, wenn der rentenrechtlich relevante Berufswechsel freiwillig erfolgt (vgl BSG, Urteil vom 26. April 2005, a.a.O., m.w.N.). Wurde die Arbeit gezwungenermaßen aufgegeben, ist zu unterscheiden, ob dafür gesundheitliche Gründe verantwortlich waren; dann bleibt in der Regel der Berufsschutz erhalten, weil sich insofern das versicherte Risiko der gesetzlichen Rentenversicherung verwirklicht hat. Die gesundheitlichen Gründe müssen nicht allein ursächlich gewesen sein; ausreichend ist, dass sie den Berufswechsel wesentlich mitverursacht haben (vgl BSG, Urteil vom 26. April 2005, a.a.O.). Für den entsprechenden Vortrag des Klägers sind allerdings keine ausreichenden Anhaltspunkte ersichtlich. Angesichts der Umstände erscheint der aus gesundheitlichen Gründen erzwungene Berufswechsel nicht wahrscheinlich.

Dagegen sprechen bereits die eigenen Angaben des Klägers. In der Sitzung vom 29. April 2007 hat er ausdrücklich zugegeben, die Tätigkeit deswegen aufgegeben zu haben: weil es bei der neuen Arbeit bei D. "nicht mehr auf das Hundertstel" ankam - er also nicht mehr so genau arbeiten musste wie bei der früheren Tätigkeit - und wegen der höheren Entlohnung. Dies entspricht im Ergebnis dem Vortrag seiner Prozessbevollmächtigten in der Vorinstanz, dass der Wechsel "selbstverständlich in erster Linie wegen des erhöhten Verdienstes und wegen der höheren sozialen Absicherung" erfolgt sei, und seinen Angaben im Zusatzfragebogen zum Antrag auf Leistungen zur Teilhabe vom 11. Februar 2002. Im Übrigen hat auch Prof. Dr. L. in seinem Arztbrief vom 18. November 1988 ausgeführt, der Kläger habe nach einem Aufenthalt im Übergangswohnheim eine Tätigkeit "bei der Firma W." aufgenommen und als Dreher gearbeitet; jetzt arbeite er "überwiegend wegen des besseren Verdienstes" bei D. in S. als Monteur am Band.

Es ist davon auszugehen, dass sich der Kläger angesichts der von ihm zugegebenen Vorzüge der Tätigkeit bei D. mit der dauerhaften Ausübung der minder qualifizierten Tätigkeit abgefunden hatte, die er immerhin über sechs Jahre lang ausübte. Für den Vortrag, er hätte wegen seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht versucht, eine Stelle als Dreher bei D. zu erhalten (die dann erheblich höher entlohnt worden wäre als die ungelernte Tätigkeit), denn er habe gewusst, dass aufgrund seiner Einschränkungen "daraus nichts werden könne", hat er keinen Beleg vorlegen können. Der den Kläger in Baden-Württemberg bis zu seinem Umzug nach Thüringen behandelnde Allgemeinmediziner Dr. W. verfügt nach seiner Auskunft vom 12. Dezember 2006 über keine schriftlichen Unterlagen. Sie wurden dem Kläger ausgehändigt bzw. nach Ablauf der gesetzlichen Ablauffrist vernichtet. Die einzige Erinnerung des Dr. W. an den Kläger ist, dass er ihn zu dem Kreis der "psychosomatisch erkrankten" Personen gerechnet habe. Dies ist in diesem Zusammenhang aber nicht verwertbar. Nur zur Vollständigkeit sei darauf hingewiesen, dass es völlig ungeklärt ist, ob D. dem Kläger jemals eine Drehertätigkeit übertragen hätte.

Weitere Ermittlungsmöglichkeiten sind nicht ersichtlich. Grundsätzlich trägt in diesem Fall jeder Beteiligte die Beweislast für die Tatsachen, die den geltend gemachten Anspruch begründen; das gilt für das Vorhandensein positiver wie für das Fehlen negativer Tatbestandsmerkmale (vgl. u.a. BSG, Urteil vom 25. Juni 2002 – Az.: B 11 AL 3/02 R, nach juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Auflage 2005, § 103 Rdnr. 19a). Insofern obliegt es dem Kläger zu beweisen, dass er die Facharbeitertätigkeit aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben hatte bzw. er sich nicht mit dem Wechsel zu der ungelernten Tätigkeit abgefunden hatte. Dies ist ihm nicht gelungen.

Eine Beweislastumkehr wegen der Vernichtung der Unterlagen kommt schon mangels gesetzlicher Grundlage nicht in Betracht. Überdies ist ein Verschulden der Beklagten nicht ersichtlich. Das von dem Kläger behauptete (angesichts des Sachverhalts aber nicht anzunehmende) Verschulden des Versorgungsamts Gera oder der Vorinstanz muss sie sich nicht vorhalten lassen. Angesichts der vorliegenden Unterlagen gibt es überdies keinen Anhalt dafür, dass Dr. W. die vom Kläger behaupteten Tatsachen hätte bestätigen können.

Der Kläger kann nach dem Gutachten des Dr. U. die letzte Tätigkeit wegen der damit verbundenen Kraftfahrertätigkeit nicht mehr ausüben. Angesichts seiner Einstufung in die untere Gruppe der Angelernten muss ihm eigentlich keine zumutbare Verweisungstätigkeit benannt werden. Angesichts der Rechtsprechung des 13. Senats des Bundessozialgerichts, dass eine Summierung gewöhnlicher Leistungseinschränkungen zur Verpflichtung der Benennung einer Verweisungstätigkeit führen kann (vgl. BSGE 81, 15), verweist ihn der Senat jedoch hilfsweise auf die Tätigkeit als Produktionshelfers und lässt dahinstehen, ob eine solche Summierung überhaupt vorliegt.

Nach dem berufskundlichen Gutachten der Sachverständigen J. vom 6. Juni 2004 (Az.: L 6 RJ 301/02) sind einfache Produktionshelfertätigkeiten in vielen Branchen und bei unterschiedlichen Produkten anzutreffen, zum Teil auch bei Firmen, die sich auf derartige Arbeiten im Kundenauftrag spezialisiert haben. Die körperliche Belastung ist abhängig von den zu verrichtenden Detailaufgaben. In der Metall-, Elektro- oder Kunststoffindustrie sowie im Spielwaren- oder Hobbybereich sind beispielsweise Tätigkeiten vorhanden, die nur leicht belasten und bei denen wirbelsäulen- oder gelenkbelastende Körperhaltungen nicht vorkommen. Das Arbeitstempo wird nicht durch Maschinen oder Anlagen vorgegeben, der Lohn wird nicht nach Akkordrichtsätzen errechnet. Als Einzelaufgaben werden Waren beklebt, eingehüllt, gezählt, sortiert; es werden Abziehbilder, Warenzeichen oder Etiketten angebracht. Es wird in Papp-, Holzschachteln oder sonstige Behältnisse eingepackt; diese werden verschlossen und es werden Hinweise oder Kennzeichnungen angebracht. Bei dem vorhandenen körperlichen Leistungsvermögen der Klägerin sind Tätigkeiten im Innenbereich an Werkbänken und Arbeitstischen, die nur leicht belasten, möglich und vorhanden.

Als Beispiel für diese Tätigkeiten nennt die Sachverständige leichte Verpackungstätigkeiten in einem Unternehmen der Dentalbranche. Die im Unternehmen hergestellten Produkte gelangen in die Endverpackung. In ihr werden die Produkte so verpackt, wie sie an den Endverbraucher ausgeliefert werden. Es werden z. B. abgefüllte Produkte in eine Faltschachtel gepackt, Spritzen werden in Tiefziehteile gelegt und kommen dann in eine Faltschachtel. Es werden eine Gebrauchsanweisung oder Mischblöcke dazu gelegt und die Faltschachtel verschlossen. Die Tätigkeit ist körperlich leicht, die zuvor verpackten Teile wiegen unter fünf Kilogramm; sie kann im Wechsel von Gehen und Stehen ausgeübt werden, es kann auch nur gesessen werden. Überall da, wo Produkte hergestellt werden, die direkt an den Endverbraucher gehen, findet eine Endverpackung statt. Sie erfolgt maschinell oder per Hand, im letzteren Fall nicht im Akkord bzw. ist nicht an einen Maschinentakt gebunden. Sofern die zuvor verpackten Teile leicht sind bzw. nicht mehr als körperlich leicht belasten, können sie von Arbeitnehmern verrichtet werden, die nur körperlich leichte Arbeiten verrichten dürfen.

Unwesentlich ist, ob dem Kläger mit dem festgestellten Leistungsvermögen eine entsprechende Tätigkeit vermittelt werden kann. Das Risiko einen entsprechenden Arbeitsplatz zu finden trägt nicht die Beklagte, sondern die Arbeitslosenversicherung.

Dem beschriebenen Anforderungsprofil entspricht das in den Gutachten des Dr. U. und der Sachverständigen G. festgestellte Leistungsvermögen des Klägers. Dr. U. hat angesichts der erhobenen Diagnosen angenommen, dass er noch vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne besondere Anforderungen an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit, ohne besondere nervliche Belastung, ohne besonderen Zeitdruck, ohne Schichtarbeit, ohne Akkordarbeit und ohne Lärmbelastung ausüben kann. Dies entspricht durchaus dem Anforderungsprofil des Produktionshelfers. Zudem hat der Sachverständige ausdrücklich bestätigt, dass diese Verweisungstätigkeit ausgeübt werden kann.

Dies ist auch nachvollziehbar. Bei seiner Untersuchung hat der Sachverständige die früher beschriebene Dysthymie im EEG nicht feststellen können und insofern keinen pathologischen Befund erhoben. Hinweise für eine peripherneurologische Erkrankung hat er – im Gegensatz zum Gutachten vom 27. Oktober 2005 - nicht gefunden. Allerdings waren Hinweise für kognitive Defizite in der Reaktionsfähigkeit und im Gedächtnisbereich feststellbar. Die Verzögerungen der Reaktionszeit und die Gedächtnisstörung entbehren einer fassbaren organischen Grundlage und sind im Wesentlichen einer psychischen Störung zuzuordnen. Die Kopfschmerzsymptomatik, für die er eine mögliche Erklärung (Nichtbeachtung der Erkältung durch das Gefängnispersonal in der DDR-Haft) aber keine schlüssige psychodynamische Begründung finden konnte, erscheint dem Sachverständigen angesichts der Integrierung und partnerschaftlichen Bindung des Klägers sozialmedizinisch nicht von großer Bedeutung. Eine die Erwerbsfähigkeit einschränkende psychische Störung verneint er. Insofern ist seine Ansicht nachvollziehbar, dem Kläger sei angesichts der zahlreichen gesunden Persönlichkeitsanteile trotz der Kopfschmerzen eine berufliche Tätigkeit zumutbar.

Dieses Ergebnis deckt sich mit dem der Vorgutachten. Auch die Sachverständige G. hat ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten bejaht. Die von ihr beschriebenen Einschränkungen decken sich im Ergebnis mit denen des Dr. U. Gleiches gilt für den Reha-Entlassungsbericht der A.-Fachklinik Bad K. und dem im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten der Dipl.-Med. P.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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