L 6 B 32/08 SF

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 37 SF 2092/07
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 B 32/08 SF
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) ist statthaft (entgegen LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 7. April 2008 - Az.: L 2 B 47/08 SB, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Dezember 2006 - Az.: L 8 B 4/06 SO SF, LSG Berlin, Beschluss vom 28. Februar 2005 - Az.: L 9 B 166/02 KR). § 178 Abs. 1 SGG wird von derm spezielleren § 73 a Abs. 1 SGG verdrängt (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Januar 2008 - Az.: L 1 B 35/07 AS).

2. Für jede Rahmengebühr sind die in § 14 RVG genannten Kriterien getrennt zu prüfen (vgl. Thüringer Landessozialgericht, Beschlüsse vom 6. März 2008 - Az.: L 6 B 198/07 SF und 18. Juni 2007 - Az.: L 6 B 60/07 SF, LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006 - Az.: L 1 B 320/05 SF SK).
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 28. September 2007 aufgehoben und das Verfahren an das Sozialgericht zurückverwiesen.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Verfahren vor dem Sozialgericht Gotha streitig (Az.: S 31 AS 1418/06), in dem sich die von der Beschwerdegegnerin vertretene Klägerin gegen die Höhe der gewährten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SFGB II) wandte. Sie war der Ansicht, dass ihr die entstandenen Wohnkosten in voller Höhe (344,70 Euro) zu erstatten seien. Auf den gleichzeitig mit der Klage am 11. Mai 2006 gestellten Antrag bewilligte das Sozialgericht der Klägerin mit Beschluss vom 22. Februar 2007 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung und ordnete die Beschwerdegegnerin bei. Diese reichte drei weitere Schriftsätze ein und nahm an dem Erörterungstermin des Sozialgerichts am 21. März 2007 teil. Dort wurde ein Widerrufsvergleich geschlossen, in dem u.a. die Kosten des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben wurden. Beginn und Ende des Termins sind in der Niederschrift nicht vermerkt. Der Vergleich wurde nicht widerrufen.

In ihrem am 3. April 2007 beim Sozialgericht eingegangenen Kostenerstattungsantrag vom 29. März 2007 begehrte die Beschwerdegegnerin die Erstattung folgender Gebühren:

Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG 250,00 Euro Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG 200,00 Euro Einigungsgebühr Nr. 1005, 1000 VVRVG 280,00 Euro Zwischensumme 730,00 Euro Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 20,00 Euro Reisekosten Nr. 7003 VV RVG 26,20 Euro Zwischensumme 776,20 Euro 19 v.H. Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 147,48 Euro 923,68 Euro

Mit Verfügung vom 16. Mai 2007 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die zu erstattende Gebühr auf 159,70 Euro fest. Die Gebührenbestimmung der Beschwerdegegnerin stehe in krassem Missverhältnis zu dem geringen "Streitwert". Die Bedeutung der Angelegenheit für die Klägerin sei als gering einzuschätzen. Nach der Gesetzesbegründung zu § 197a des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in BT-Drucks. 14/5943 gehe der Gesetzgeber "offensichtlich" davon aus, dass die Gebührenabrechnung nach Streitwerten ungünstiger sei als eine Abrechnung nach Betragsrahmen. Daraus ergebe sich, dass das Ermessen des Rechtsanwalts bei der Bestimmung der Gebühren der Höhe nach durch das Ergebnis einer Vergleichsberechnung nach dem Wert des Streitgegenstandes begrenzt sei. Insofern seien die Mindestgebühren der Nrn. 3102, 3106, 1006 VV RVG festzusetzen.

Mit ihrer Erinnerung hat die Beschwerdegegnerin vorgetragen, die Bedeutung der Angelegenheit könne nicht auf den streitgegenständlichen Wert herabgestuft werden. Es sei um eine grundlegende Frage gegangen, die auch für zukünftig zu erwartende Bescheide relevant sei. Damit sei mindestens der Jahreswert zugrunde zu legen. Zu berücksichtigen seien weiter die Dauer des Verfahrens, die nicht einfache Rechtslage und die Tatsache, dass die Klägerin sehr oft zur Besprechung erschienen sei und eine Vielzahl von zu bearbeitenden Unterlagen eingereicht habe. Der Beschwerdeführer hat sich zur Begründung auf die Stellungnahme der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bezogen.

Mit Beschluss vom 28. September 2007 hat das Sozialgericht die "aus der Landeskasse" zu zahlende Vergütung auf 828,47 Euro festgesetzt. Es sei nicht ersichtlich, aus welchem Grund eine Mittelgebühr von 250,00 Euro nach Nr. 3102 VV RVG entstanden sein könne. Die Beschwerdegegnerin habe bereits im Verwaltungsverfahren mitgewirkt, sodass die Mittelgebühr 170,00 Euro betrage. In Streitigkeiten nach dem SGB II würden existenzsichernde Ziele verfolgt, sodass der Verweis auf den geringen Gegenstandswert fehl gehe. In den allermeisten Fällen müsse - von den Interessen der Kläger ausgehend - die Mittelgebühr zustande kommen. Im Rahmen der Gebührenbemessung seien alle Umstände des Einzelfalls zu bedenken und miteinander abzuwägen. Regelmäßig lasse sich nicht die Feststellung treffen, dass nur ein bestimmter Betrag angemessen sei. Die Gebühren im sozialgerichtlichen Verfahren seien bereits von Gesetzes wegen auf die große Masse der sozialrechtlichen Verfahren angelegt, sodass im Regelfall davon auszugehen sei, dass der Ansatz der Mittelgebühr angemessen sei. Ohne besondere Umstände sei ein Abweichen von der Mittelgebühr nicht gerechtfertigt. Nach der beigefügten Rechtsmittelbelehrung ist die Beschwerde binnen eines Monats nach Zustellung schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen.

Gegen den am 29. Oktober 2007 dem Beschwerdeführer zugestellten Beschluss hat dieser am 30. November 2007 Beschwerde eingelegt und sich zur Begründung auf seinen Antrag im Erinnerungsverfahren und die Ausführungen der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle verwiesen. Angesichts der fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung habe die Beschwerde innerhalb der Jahresfrist eingelegt werden können.

Der Beschwerdeführer beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 28. September 2007 aufzuheben und die der Beschwerdegegnerin zu zahlende Vergütung auf 159,70 Euro festzusetzen.

Die Beschwerdegegnerin hat keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.

Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 18. Januar 2008) und sie dem Thüringer Landessozialgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Der Senatsvorsitzende hat den Beteiligten mit Verfügung vom 19. März 2008 mitgeteilt, er wolle das Verfahren dem Senat wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen. Es sei beabsichtigt, das Verfahren wegen der wesentlichen Verfahrensfehler im Beschluss der Vorinstanz (Fehlen einer relevanten Begründung) zurück zu verweisen. Innerhalb der gesetzten Frist (21. April 2008) haben sich die Verfahrensbeteiligten hierzu nicht geäußert.

Mit Beschluss vom 24. April 2008 hat der Senatsvorsitzende das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen.

II.

Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) statthaft.

Der Senat folgt nicht der Ansicht, dass die Beschwerde wegen des "abschließenden Normgefüges" der §§ 172 ff. SGG ausgeschlossen sei und auf eine Erinnerung ergangene Beschlüsse eines Sozialgerichts unanfechtbar seien (so Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 7. April 2008 - Az.: L 2 B 47/08 SB, LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Dezember 2006 - Az.: L 8 B 4/06 SO SF, LSG Berlin, Beschluss vom 28. Februar 2005 - L 9 B 166/02 KR, alle nach juris). § 178 S. 1 SGG, der nach seinem Wortlaut auch die Kostenfestsetzungen des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erfassen würde, wird von dem spezielleren § 73a Abs. 1 SGG verdrängt (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Januar 2008 - Az.: L 1 B 35/07 AS, nach juris). Er umfasst nicht nur die ausdrücklich genannten §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung (ZPO), sondern auch den daraus abgeleiteten Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts gemäß §§ 45 ff. RVG (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 29. Januar 2008, a.a.O.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 9. August 2007 - Az.: L 20 B 91/07 AS, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. Dezember 2005 - Az.: L 6 B 31/03 AL zu § 128 BRAGO, alle nach juris; im Ergebnis auch Leitherer in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage 2005 - § 73a Rdnr. 13f). Insoweit enthalten die §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 RVG eigenständige Verfahrensregeln über die möglichen Rechtsbehelfe (vgl. Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, Stand: VIII 2007, § 178 Rdnr. 10 zu der entsprechenden Problematik des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG)).

Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro.

Die Beschwerde ist auch rechtzeitig eingelegt. Dem steht nicht entgegen, dass die Zwei-Wochen-Frist der §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 3 RVG nicht eingehalten ist. Der Beschluss des Sozialgerichts ist dem Beschwerdeführer lt. Empfangsbekenntnis am 29. Oktober 2007 zugestellt worden und die Beschwerde erst am 30. November 2007 beim Sozialgericht eingegangen. Allerdings war die Rechtsmittelbelehrung im Beschluss des Sozialgerichts fehlerhaft, denn die dort aufgeführte Rechtsmittelfrist von vier Wochen widerspricht der gesetzlichen Regelung des § 33 Abs. 3 S. 3 RVG. Dann gilt jedoch die hier gewahrte Jahresfrist aus § 66 Abs. 2 S. 1 SGG (vgl. Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf vom 18. November 2005 - Az.: 16 Ta 603/05, nach juris).

Der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 28. September 2007 wird aufgehoben und der Rechtsstreit in entsprechender Anwendung des § 159 Abs. 1 Nr. 2 SGG (vgl. Senatsbeschlüsse vom 17. Juli 2007 - L 6 B 145/06 SF und 10. Juli 2007 - Az.: L 6 B 147/06 SF; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. November 2006 – Az.: L 18 B 1037/06 AS ER, nach juris) an das Sozialgericht zurückverwiesen, weil das Verfahren an wesentlichen Mängeln leidet und zusätzliche Ermittlungen durchzuführen sind. Auch angesichts dieser Ermittlungen hält der Senat diese Verfahrensweise bei Abwägung des Interesses der Beteiligten an einer baldigen und endgültigen Sachentscheidung und dem Interesse an einer dann möglichen Überprüfung durch den Senat für angebracht.

Der Beschluss der Vorinstanz ist aus mehreren Gründen verfahrensfehlerhaft.

Er verstößt gegen die Grundsätze des § 128 SGG, denn die allgemeinen Ausführungen zur Mittelgebühr lassen den Bezug zu dem konkret vorliegenden Verfahren vermissen und können die Entscheidung damit nicht begründen. Nach § 14 Abs. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) bestimmt der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren - wie hier - die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit, der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers und des Haftungsrisikos nach billigem Ermessen. Unbilligkeit liegt dann vor, wenn er die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Juli 2007 - Az.: L 6 B 80/07 SF; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006 - Az.: L 1 B 320/05 SF SK, nach juris). Diese vom Gesetz vorgegebenen Gesichtspunkte hat die Vorinstanz zwar (teilweise) zitiert, in der Sache aber nicht geprüft. Unklar ist überdies die Relevanz der Behauptung, die Feststellung nur eines bestimmten Betrages als angemessen sei nicht möglich. Die konkrete Entscheidung kann dies offensichtlich selbst dann nicht begründen, wenn sie richtig sein sollte. Die Ausführungen, der Ansatz der Mittelgebühr sei angemessen, weil "ohne besondere Umstände" ein Abweichen von der Mittelgebühr nicht gerechtfertigt sei, ersetzen keinesfalls die vom Gericht durchzuführende Subsumtion. Damit ist die Entscheidung nicht begründet.

Nicht nachvollziehbar ist der Ansatz einer Mittelgebühr für die Terminsgebühr durch die Vorinstanz. Ohne Feststellung der Dauer des Erörterungstermins wäre dieser Ansatz offensichtlich nicht möglich. In der Niederschrift vom 21. März 2007 sind Beginn und Ende jedenfalls nicht vermerkt. Der Senat kann dahingestellt lassen, ob das Sozialgericht diese Ermittlungen tatsächlich durchgeführt hat, denn seine Verfahrensweise ist in jedem Fall fehlerhaft. Sofern es tatsächlich entsprechend ermittelt haben sollte (wofür kein Anhalt besteht), hat es das Ergebnis den Beteiligten nicht mitgeteilt und im Beschluss nicht geschildert. Damit lägen ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) und ein Verstoß gegen § 128 SGG vor. Hat die Kammer dagegen die notwendigen Ermittlungen unterlassen, beinhaltet dies einen Verstoß gegen die Untersuchungsmaxime (§ 103 SGG).

Bei seiner erneuten Entscheidung wird die Kammer Folgendes zu beachten haben: Vorab sind die notwendigen Feststellungen zu treffen und die Ermittlungsergebnisse den Beteiligten mitzuteilen. Die Kammer wird dann für jede Rahmengebühr alle in § 14 Abs. 1 RVG genannten Kriterien (einschließlich des Haftungsrisikos - § 14 Abs. 1 S. 3 RVG) getrennt zu prüfen haben, denn die unterschiedliche Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit mit unterschiedlichen Gebühren verbietet es, die Bewertung einer Rahmengebühr auf eine andere Rahmengebühr zu übertragen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. März 2008 - Az.: L 6 B 198/07 SF und 19. Juni 2007 - Az.: L 6 B 80/07 SF, LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, a.a.O.; Keller in jurisPR-SozR 10/2006 Anm. 6). Nicht relevant für die Feststellung der Höhe ist entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers und der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die Abrechnung nach Streitwerten. Das Erfordernis einer entsprechenden Vergleichsberechnung kann weder dem Gesetz noch den Gesetzesmaterialien zu § 197a SGG entnommen werden. Unverständlich sind allerdings insoweit die Ausführungen der Vorinstanz, dass es auf den geringeren Gegenstandswert wegen der "existenzsichernden Ziele" der Klägerin nicht ankomme.

Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 66 Abs. 3 S. 3 GKG).
Rechtskraft
Aus
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