Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 20 R 1020/05
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten vom 23.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2005 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Witwenrente nach dem am XX.XX.2000 verstorbenen E. N. unter Berücksichtigung einer ZRBG-Beitragszeit vom 02.04.1941 bis 27.10.1942 im Ghetto Starachowice sowie von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. 3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Witwenrente unter Anerkennung von Beschäftigungszeiten des verstorbenen Ehemannes der Klägerin im Ghetto Starachowice im sog. Generalgouvernement (Polen) streitig.
Die am X.X. 1920 geborene Klägerin lebt als amerikanische Staatsangehörige in den USA. Sie ist die Witwe des am XX.X.1920 in S. im Distrikt Radom (Polen) geborenen E. (R.) N ... Dieser wurde als polnischer Jude Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Er musste zunächst im Ghetto und Zwangsarbeitslager seiner Heimatstadt leben und war ab Juli 1944 in den Konzentrationslagern Auschwitz, Oranienburg, Sachsenhausen und Kaufering (Kommando Dachau) inhaftiert. Nach der Befreiung kam er nach Regensburg. Im Jahre 1946 wanderte er nach Israel aus, wo er im gleichen Jahr die Ehe mit der Klägerin schloss. Später lebte er als amerikanischer Staatsangehöriger in den USA, wo er am X.XX.2000 verstarb.
Der Verstorbene ist als Verfolgter des Nationalsozialismus im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) vom Bayerischen Landesentschädigungsamt München - Aktenzeichen XXXXX – anerkannt worden. Er hat eine Entschädigungsleistung für den erlittenen Freiheitsschaden erhalten.
Im Rahmen des Entschädigungsverfahrens nach dem BEG hat der verstorbene Ehegatte der Klägerin im Jahr 1953 eine eidliche Versicherung abgegeben, als Beleg für weitere Haftansprüche für die Zeit vor Oktober 1942, in der er Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen geleistet habe. In dieser eidlichen Versicherung hat er Namen des Obmanns des Judenrates, des Ghettokommandanten und des Leiters des jüdischen Arbeitsamtes genannt und als seine Adresse im Ghetto Starachowice, welches gegen Pesach 1940 errichtet worden sei, die W.Straße angegeben. Zu seinen Arbeitstätigkeiten hat er ausgeführt: Ich musste seit Jänner 1940 verschiedene Zwangsarbeiten verrichten und zwar im städtischen Krankenhaus wurde ich bei der Müllentfernung und anderen Aufräumungsarbeiten eingesetzt. Nachher war ich beim Kohlenladen bei der deutschen Wehrmacht in den Kasernen. Dann arbeitete (ich) eine gewisse Zeit bei der Landwirtschaft, Kreisverwaltung und nachher in der Propagandaleitung der NSDAP als Kunstschriftmaler, da ich in dieser Richtung eine gewisse Begabung besitze. Zu den gesamten Arbeitsstätten wurde ich unter Bewachung des jüdischen Ordnungsdienstes tagtäglich aus dem Ghetto gebracht. Das dauerte bis Okotber 1942, als ich in das ZAL Starachowice umgestellt wurde.
Die Zeugin S1 F. hat zu den Arbeiten des verstorbenen Ehegatten der Klägerin in einer eidlichen Versicherung aus dem Jahr 1953 gegenüber der Entschädigungsbehörde erklärt, ihr sei bekannt, dass er zu verschiedenen Zwangsarbeiten hinzugezogen worden sei. Er habe eine zeitlang im städtischen Krankenhaus, bei verschiedenen Wehrmachtstellen und als Kunstmaler bei der NSDAP, Propagandastelle, gearbeitet.
Mit Antrag vom 12.5.2003 beantragte die Klägerin durch ihren damaligen Bevollmächtigten Witwenrente unter Berücksichtigung von Beitragszeit des Verstorbenen im Ghetto Starachowice. Zu dessen Beschäftigung und Arbeitsverdienst machte sie im Antragsvordruck folgende Angaben: 1940 – 42, Starachowice, Painter, Marks, Food
Nach Einsichtnahme in die bei dem Bayerischen Landesentschädigungsamt geführten Entschädigungsakten des Verstorbenen lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 23.6.2004 unter Hinweis auf die seinerzeitigen Aussagen im Entschädigungsverfahren mit der Begründung ab, die Zeit vom 2.4.1941 bis 27.10.1942 könne nicht als Zeit einer Beschäftigung in einem Ghetto anerkannt werden. Es sei nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass es sich hierbei um eine entgeltliche Beschäftigung aus freiem Willensentschluss gehandelt habe. Bei den ausgeübten Tätigkeiten habe es sich um Zwangsarbeit gehandelt. Auch zum Entgelt habe der Verstorbene im Entschädigungsverfahren keine Angaben gemacht.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 28.10.2004 Widerspruch. Zur Begründung trug sie durch ihre Prozessbevollmächtigte vor, nach dem ZRBG sei kein freier, sondern ein eigener Willensentschluss erforderlich. Für die Beschäftigungsaufnahme seien die Umstände des Ghettos unerheblich, die einen Bewohner unter dem Zwang der Verhältnisse dazu veranlasst haben könnten, die Beschäftigung aufzunehmen, um der Deportation für eine Zeit zu entgehen. Auch die Angabe des verstorbenen Ehegatten der Klägerin im Entschädigungsverfahren, er habe Zwangsarbeit verrichtet, stehe einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss nicht entgegen. Die Wahl dieses Wortes könne nicht als Rechtstatsache gewertet werden. Die Arbeit während des Ghettoaufenthaltes dürfte durchaus emotional als Zwangsarbeit empfunden worden sein. Ausführungen zur Entgeltlichkeit seien im Entschädigungsverfahren nicht erfragt worden und auch nicht erforderlich gewesen. Es sei auf die Freiheitsentziehung bzw. die Ursächlichkeit der Verfolgungsmaßnahme für den Gesundheitsschaden angekommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4.4.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach den historischen Erkenntnissen habe das Ghetto Starachowice vom 2.4.1941 bis 29.10.1942 existiert. Aufgrund der Angaben über den Aufenthaltszeitraum in Starachowice wäre daher eine Anerkennung von Beschäftigungen vom 2.4.1941 bis 29.10.1942 möglich. Es sei aber nicht glaubhaft gemacht, dass es sich bei den im Entschädigungsverfahren angegeben Tätigkeiten um entgeltliche Beschäftigungen aus eigenem Willensentschluss gehandelt habe.
Gegen den Widerspruchsbescheid wendet sich die Klägerin mit der am 19.4.2005 erhobenen Klage. Zur Begründung führt ihre Prozessbevollmächtigte aus, bei den Tätigkeiten, die der verstorbene Ehegatte der Klägerin im Entschädigungsverfahren angegeben habe, habe es sich um Arbeiten gehandelt, die typischer Weise durch die Judenräte bzw. die von ihnen betriebenen Arbeitsvermittlungen angeboten worden seien. Dass im Rentenantrag nur die Arbeit als Maler angegeben wurde, dürfte darin begründet sein, dass gerade diese Tätigkeit häufig zwischen den Eheleuten thematisiert worden sei. Schließlich sei es ein Kuriosum, dass ein rassisch verfolgter polnischer Jude als Kunstschriftmaler in der Propagandaabteilung der NSDAP beschäftigt wurde. Hinsichtlich der verwendeten Bezeichnung "Zwangsarbeit" verweist sie im Übrigen auf die Arbeitsanweisung der DRV–Bund vom 4.11.2005 – 300-75/000.0. Danach könnten abweichende Angaben in anderen Verfahren, in denen die Arbeiten als Zwangsarbeit bezeichnet wurde nicht zum alleinigen Ablehnungsgrund gemacht werden. Hinsichtlich der Entgeltlichkeit wird auf die im Generalgouvernement geltenden Rechtsvorschriften hingewiesen: Danach hätten die in ein "freies Beschäftigungsverhältnis" vermittelten Juden einen Rechtsanspruch auf ein Arbeitsentgelt in Höhe von 80% des Lohnanspruchs der polnischen Arbeiter gehabt.
Hinsichtlich der Verhältnisse in Starachowice verweist sie auf die historischen Erkenntnisse zur Arbeit in den H.-G.-Werken, wie sie sich insbesondere aus den Vernehmungsprotokollen im Strafverfahren gegen W1 B. u.a. wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen im Kreis Starachowice während der Jahre 1940 bis 1944 (LG Hamburg 141 Js 1312/63) ergeben.
Wegen der Einzelheiten der Klagebegründung wird auf die Schriftsätze der Bevollmächtigten vom 18.8.2006 und 29.11.2007 nebst Anlagen hingewiesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß nach Lage der Akten,
den Bescheid der Beklagten vom 23.6.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.4.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Witwenrente nach dem am X.XX.2000 verstorbenen E. N. unter Berücksichtigung einer ZRBG-Beitragszeit" von 2.4.1941 bis 27.10.1942 im Ghetto Starachowice sowie von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid.
Im Rahmen der Sachverhaltsermittlung hat das Gericht die Entschädigungsakte des verstorbenen Ehegatten der Klägerin beigezogen und das Staatsarchiv Kielce sowie das Jüdische Historische Institut in Warschau gebeten, mitzuteilen, ob dort Unterlagen über eine Tätigkeit des Klägers im Ghetto Starachowice vorliegen. In seiner Antwort an das Gericht hat das Staatsarchiv Kielce – Abt. Starachowice – aus dem dort vorhandenen Verzeichnis der jüdischen Arbeiter aus dem Jahre 1940 folgende Eintragung mitgeteilt:
- Gesamtaufstellung der arbeitspflichtigen Juden in der Stadt Starachowice – Wierzbnik: Position XXX: N. R., geboren 1921, Beruf Tischler, Wohnort: W.; - Liste der voll leistungsfähigen Juden im Alter v. 16 b. 45 J. - N. R., Geburtsjahr: 1921, Wohnort: W., Beruf: Maler.
Das Jüdische Historische Institut in Warschau hat mitgeteilt, es seien dort keine Dokumente aus dem Ghetto Starachowice vorhanden, die die Arbeit des Ehemannes der Klägerin bestätigten, die Aussagen der Klägerin seien aber allgemeingültig für das Leben in den Ghettos.
Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 10.10.2007 hat der Vertreter der Beklagten den geltend gemachten Anspruch unter Widerrufsvorbehalt anerkannt. Mit Schriftsatz vom 17.10.2007 hat die Beklagte ihr Anerkenntnis widerrufen und zur Begründung ausgeführt, die Auskünfte des Staatsarchivs Kielce seien nicht geeignet, die Arbeitstätigkeiten des Verstorbenen zu bestätigen. Allein die Tatsache, dass dieser auf einer Liste der voll leistungsfähigen Juden im Alter von 16 bis 45 Jahren aufgeführt worden sei, sage noch nichts darüber aus, dass der Verstorbene aus eigenem Entschluss die verschiedenen Tätigkeiten ausgeübt habe. Nach den Ausführungen im Urteil des Landgerichts München vom 15.12.1955 sei der Verstorbene zu den verschiedenen Zwangsarbeiten je nach Bedarf herangezogen worden. Bei derartigen bedarfsweise ausgeübten Arbeiten sei die Beklagte aber nicht davon überzeugt, dass diese aus eigenem Entschluss verrichtet worden seien. Sie gehe bei solchen Arbeiten vielmehr von einer fallweise obrigkeitlichen Anordnung aus. Auch seien von dem verstorbenen Ehemann der Klägerin keine konkreten Angaben zur Entlohnung gemacht worden. Der Akte sei nicht zu entnehmen, dass trotz des seinerzeit regulierten Arbeitsmarktes und des allgemein geltenden Arbeitszwanges ein gewisses Maß an eigener Entscheidungsfreiheit zur Beschäftigungsaufnahme geführt habe. Angaben, wie es zur Arbeitsaufnahme gekommen sei, fehlten. Dies gelte auch bezüglich der Tätigkeit in der Propagandaabteilung der NSDAP als Kunstschriftmaler.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte, der Rentenakte der Beklagten sowie der beigezogenen Entschädigungsakte verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der Entscheidung der Kammer gewesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz).
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Witwenrente unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten ihres verstorbenen Ehegatten im Ghetto Starachowice.
Gem. § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf große Witwenrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und die Witwe das 45. Lebensjahr vollendet hat.
Die Klägerin hat das 45. Lebensjahr vollendet und keine neue Ehe geschlossen. Ihr verstorbener Ehegatte hat auch die erforderliche allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 SGB VI) erfüllt, denn für seine Beschäftigung im Ghetto gelten Beiträge als gezahlt und es sind verfolgungsbedingte Ersatzzeiten zu berücksichtigen.
Auf die allgemeine Wartezeit werden Kalendermonate mit Beitrags- und Ersatzzeiten angerechnet (§ 51 Absätze 1 und 4 SGB VI). Beitragszeiten sind nach §§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch so genannte fiktive Beitragszeiten, d.h. Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Der Verstorbene hat weder Pflicht- noch freiwillige Beiträge nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsrecht gezahlt. Als polnischer Staatsangehöriger im `Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete´ galt für ihn auch nach der Besetzung Polens durch das Deutsche Reich das polnische Sozialversicherungsrecht, so dass eine Beitragsentrichtung nach den Reichsversicherungsgesetzen nicht in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 7.10.2005, B 13 RJ 59/03 R; zur Rechtslage im Generalgouvernement: BSG, Urteil vom 23.8.2001, B 13 RJ 59/00 R).
Für den Verstorbenen gelten aber Beiträge als gezahlt, denn auf seine Beschäftigungszeit im Ghetto Starachowice ist das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto vom 20.6.2002 (BGBl I 2074) – ZRBG – anwendbar, mit der Folge, dass Beiträge für diese Zeit als gezahlt gelten.
Die Anwendung des ZRBG setzt gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 voraus, dass der oder die Verfolgte - sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten hat, das sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, - eine Beschäftigung ausgeübt hat, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist und - gegen Entgelt ausgeübt wurde.
Das Gesetz gilt nicht, soweit für diese Zeiten bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird.
Für die Feststellung der nach dem ZRBG maßgeblichen Tatsachen genügt deren Glaubhaftmachung (§ 1 Abs. 2 ZRBG i. V. m. § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung – WGSVG -). Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn sie nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Überwiegende Wahrscheinlichkeit liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, wenn die ´gute Möglichkeit` besteht, dass der behauptete Vorgang sich so zugetragen hat, wie der Antragsteller es geltend macht (BSG, Urteil vom 3. 2.1999, B 9 V 33/97 R).
Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG sind erfüllt, denn es ist überwiegend wahrscheinlich, dass der Verstorbene sich zwangsweise im Ghetto Starachowice aufgehalten (dazu unter a) und von dort aus eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss (b) und gegen Entgelt (c) ausgeübt hat.
a) Der verstorbene Ehegatte der Klägerin hat sich ab Errichtung des geschlossenen Ghettos am 2.4.1941 und bis zum Beginn seines Aufenthaltes im Zwangsarbeitslager Starachowice am 27.10.1942 zwangsweise im Ghetto Starachowice aufgehalten.
Es ist zwischen den Beteiligten unumstritten, dass das Ghetto in Starachowice ab 2.4.1941 als geschlossenes Ghetto bestand (vgl. www. keom.de) und die jüdische Bevölkerung sich jedenfalls ab diesem Datum zwangsweise dort aufhalten musste. Das Ghetto existierte auch jedenfalls bis 27.10.1942 (Enzyklopädie des Holocaust, Band III. S. 1372). Dass der Kläger sich in der fraglichen Zeit im Ghetto aufgehalten hat, wird von der Beklagten nicht bestritten. Aus den Angaben im Entschädigungsverfahren ergibt sich, dass er von dort aus am 27.10.1942 in das Zwangsarbeitslager (ZAL) Starachowice verbracht wurde. Das Gericht sieht keinen Anlass, an diesen Angaben - die auch die Entschädigungsbehörde bei ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt hat – zu zweifeln.
b) Es ist glaubhaft gemacht, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin im Ghetto Starachowice eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt hat.
Die Auslegung des Begriffs Beschäftigung im Sinne des ZRBG hat sich an der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Abgrenzung versicherungspflichtiger `freier´ Beschäftigung von Zwangsarbeit zu orientieren. Mit den Tatbestandsmerkmalen des § 1 Abs. 1 ZRBG hat der Gesetzgeber nämlich erkennbar an der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung angeknüpft. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, wurde das ZRBG durch den Deutschen Bundestag in Reaktion auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichtes aus dem Jahr 1997 zu Beschäftigungszeiten im Ghetto Lodz - Urteile vom 18.6.1997, 5 RJ 66/95 und 5 RJ 68/95 - beschlossen. Die in § 1 Abs. 1 ZRBG genannten Kriterien folgen ausdrücklich dieser Rechtsprechung (Deutscher Bundestag – BT - Drs. vom 19.3.2002, 14/8583, S. 5 f.). Das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses soll im Rahmen des ZRBG sicherstellen, dass ein gewisser Bezug zur Versichertengemeinschaft gegeben ist, denn der Gesetzgeber hat mit dem ZRBG zwar eine bisher bestehende Lücke bei der Wiedergutmachung schließen wollen (Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll vom 25.4.2002, 14/233, S. 2379, Reden von Claudia Nolte, Ekin Deligöz, Dr. Irmgard Schwaetzer und Dr. Ilja Seifert) aber kein reines Entschädigungsgesetz geschaffen (vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Bericht zur Umsetzung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (ZRBG) vom 15.2.2005, S.6; zur Auslegung des ZRBG siehe auch: BSG, Urteil vom 7.10.2004, B 13 RJ 59/03 R und Urteil vom 20.7.2005, B 13 RJ 37/04 R).
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist für ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Rentenversicherungsrechts dessen Zustandekommen durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und sein Zweck, nämlich der Austausch von Arbeitsleistung gegen Arbeitsentgelt, kennzeichnend (vgl. etwa BSG, Urteil vom 21.4.1999, B 5 RJ 48/98 R; Urteil vom 14.7.1999, B 13 RJ 75/98 R). Dabei handelt es sich bei dem Terminus Beschäftigungsverhältnis um keinen scharf konturierten Begriff, sondern um einen Typus, dessen kennzeichnende Merkmale in unterschiedlichem Maße gegeben sein können. Selbst das Fehlen einzelner Merkmale muss nicht zur Verneinung einer Beschäftigung führen (BSG, Urteil vom 14.7.1999, B 13 RJ 71/98, mit Verweis auf Bundesverfassungsgericht SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgeblich ist stets das Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit.
Kein Beschäftigungsverhältnis liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG bei Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) bzw. gesetzlichem Zwang, wie z.B. bei Strafgefangenen oder KZ-Häftlingen, vor. (vgl. nur BSG, Urteil vom 14.7.1999, B 13 RJ 75/98 R).
Für die Charakterisierung der in einem Ghetto geleisteten Arbeit ist von Bedeutung, dass die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer Beschäftigung veranlassen, sowie allgemeine Lebensumstände, die nicht die Arbeit oder das Arbeitsentgelt betreffen, bei der Beurteilung von Arbeitsleistungen außer Betracht bleiben (BSG, Urteile vom 14.7.1999, B 13 RJ 71/98 und 21.4.1999, B 5 RJ 48/98 R). In seiner Entscheidung zur Beschäftigung im Ghetto Lodz vom 18.6.1997 hat der 5. Senat des BSG ausgeführt, dass die allgemeinen sonstigen Lebensumstände des Arbeitenden - sein häusliches, familiäres, wohn- und aufenthaltsmäßiges Umfeld - bei der Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses außer Betracht bleiben. Die Sphären "Lebensbereich" und "Beschäftigungsverhältnis" sind danach grundsätzlich zu trennen. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Beschäftigungsverhältnis aus eigenem Antrieb begründet wurde (BSG, Urteil vom 18.6.1997, 5 RJ 66/95).
Selbst wenn die Hoffnung, durch die Arbeit bessere Überlebenschancen zu haben, gegenüber der Erlangung eines wirtschaftlichen Wertes womöglich im Vordergrund steht, stellt dies den Typus des Beschäftigungsverhältnisses nicht in Frage, solange die Arbeit aufgrund eigenen Antriebs und nicht unter obrigkeitlichem Zwang aufgenommen wurde.
Einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss steht deshalb nicht entgegen, dass die Ghettobewohner die Arbeit in der Regel aus existentieller Not und der Hoffnung, damit ihr Überleben sichern zu können, aufgenommen haben. Die freie Willensentscheidung muss sich nämlich nur auf die grundsätzliche Aufnahme der Beschäftigung beziehen, auch wenn die konkrete Tätigkeit zeitlich anschließend – beispielsweise durch den Judenrat - zugewiesen wird (LSG Niedersachsen-Bremen vom 24.1.2007, L 2 R 464/06, veröffentlicht bei juris, Rn 37).
Dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin während seines Zwangsaufenthaltes im Ghetto gearbeitet hat, stellt die Beklagte nicht in Abrede. Sie geht aber davon aus, dass es sich dabei um Zwangsarbeit handelte. Die Kammer hält es dagegen für überwiegend wahrscheinlich, dass der Verstorbene aus eigenem Willensentschluss tätig war. Hierfür sprechen folgende Erwägungen:
Der Verstorbene war zu Beginn der Ghettoisierung in Starachowice ca. 20 Jahre alt, er war "voll arbeitsfähig" und verfügte über handwerkliche Fähigkeiten. Dies ergibt sich aus dem Verzeichnis der jüdischen Arbeiter aus dem Jahr 1940.
In diesem Verzeichnis ist der Verstorbene mit Vor- und Zuname aufgeführt. Die genannte Straße W. entspricht den im Entschädigungsverfahren gemachten Angaben des Verstorbenen zu seinem Wohnort im Ghetto, wo es heißt, ich musste ( ...) ins Ghetto umsiedeln, wo ich in die W. Str ... zog. Auch in der in der Entschädigungsakte befindlichen ITS-Auskunft vom 19.9.1950 wird als letzte Adresse Starachowice, W. genannt.
Dass die unterschiedliche Angabe der Hausnummer - im Verzeichnis der jüdischen Arbeiter aus dem Jahr 1940 wird als Hausnummer XX angegeben – darauf hindeuten könnte, dass die Eintragung sich nicht auf den verstorbene Ehegatten der Klägerin bezieht, hält die Kammer für unwahrscheinlich. Es gibt viele vorstellbare Gründe für Ungenauigkeiten in einer die jüdische Bevölkerung erfassenden Aufstellung aus dem Jahr 1940.
Gleiches gilt für die Differenz in der Angabe des Geburtsjahres. Während der verstorbene Ehegatte der Klägerin in seinen Anträgen nach dem BEG das Geburtsdatum XX.X.1920 angab, welches sich auch in allen neueren amerikanischen Unterlagen und im Rentenantrag der Klägerin findet, enthält die Entschädigungsakte Hinweise auf Aufzeichnungen, in denen das Geburtsdatum des Verstorbenen mit dem XX.X.1921 angegeben wird. Auch die ITS-Auskunft erwähnt Dokumente mit dem Geburtsdatum XX.X.1921.
Derartige Differenzen sind in BEG-Akten häufig anzutreffen, was an der Ungenauigkeit der damaligen polnischen Aufzeichnungen liegen mag, oft aber auf die Angaben der Betroffenen selbst zurückgeht. Denn es konnte während der Verfolgung von Vorteil sein, als jünger oder älter zu gelten, um sich beispielsweise vor der (Kinder-) Deportation zu schützen oder - umgekehrt - der Verbringung ins Arbeitslager zu entgehen. Auch insoweit besteht daher kein Anlass, daran zu zweifeln, dass die Eintragung im Verzeichnis der jüdischen Arbeiter den verstorbenen Ehegatten der Klägerin betrifft, zumal die Abweichung geringfügig ist und lediglich das Jahr, nicht Tag und Monat, betrifft.
Zwar ist der Beklagten grundsätzlich darin zuzustimmen, dass die Aufnahme in die Liste der voll leistungsfähigen Juden noch nichts darüber aussagt, ob im Ghetto Tätigkeiten aus eigenem Entschluss ausgeübt wurden.
Allerdings ergeben sich aus der Eintragung und den Angaben des Verstorbenen im Entschädigungsverfahren Anhaltspunkte für eine solche Tätigkeit. Der verstorbene Ehegatte der Klägerin ist nämlich nicht nur mit seinem Namen in der Liste aufgeführt, sondern auch mit den Berufsbezeichnungen Tischler und Maler, d.h. mit Qualifikationen, die für die deutschen Besatzer – zumal im Verlauf des Krieges, als qualifizierte Arbeitskräfte Mangelware wurden - zunehmend wichtig wurden.
Die Berufsangabe Tischler findet sich wieder in einer in der Entschädigungsakte enthaltenen Bestätigung der Stadt Regensburg vom 4.8.1945 über den KZ-Aufenthalt des Verstorbenen sowie in seinem BEG-Antrag vom 17.11.1949.
Die Tätigkeit als Maler hat die Klägerin im Rentenantrag als Ghetto-Beschäftigung angegeben. Der Verstorbene selbst hat in seiner eidlichen Versicherung vom 24.12.1953 seine Arbeit als Kunstschriftmaler in der Propagandaleitung der NSDAP genannt und hinzugefügt, er besitze "in dieser Richtung eine gewisse Begabung". Für diese künstlerische Begabung spricht auch, dass er der Sterbeurkunde vom 10.10.2000 zufolge zuletzt in den USA als Designer von Handtaschen tätig war.
Die Erkenntnisse, die sich aus den Angaben des Verstorbenen im Entschädigungsverfahren und aus der Eintragung in die Liste der voll leistungsfähigen Juden ergeben, sind vor dem Hintergrund der historischen Erkenntnissen über die Arbeitssituation in den Ghettos des Generalgouvernement und in Starachowice zu interpretieren.
Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Hinweis der Beklagten auf den "reglementierten Arbeitsmarkt und den allgemein geltenden Arbeitszwang" einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss nicht entgegenstehen. In seinem Urteil vom 14.7.1999 (5 B 13 RJ 71/98) hat das BSG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, d.h. trotz Regulierung des Arbeitsmarktes und Bestehens von Arbeitspflichten, nicht davon ausgegangen werden kann, die Gesamtheit aller Arbeitsverhältnisse sei derart obrigkeitlich / hoheitlich überlagert gewesen, dass sie den Charakter von Zwangsarbeit angenommen hätten. Auch der Gesetzgeber des ZRBG hielt es offensichtlich für möglich, dass Beschäftigungsverhältnisse aus eigenem Willensentschluss in den von Arbeitszwang und anderen Einschränkungen der jüdischen Bevölkerung gekennzeichneten besetzten Gebieten möglich waren, denn anderenfalls liefe der Anwendungsbereich des Gesetzes leer.
Dass trotz des gegen die jüdische Bevölkerung verhängten Arbeitszwanges im Generalgouvernement auch ´freie` Beschäftigungsverhältnisse existiert haben, ergibt sich zudem aus der durch das nationalsozialistische Unrechtsregime erlassenen Anordnung zur Durchführung des Arbeitseinsatzes der jüdischen Bevölkerung des Amtes des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete vom 5.7.1940 (veröffentlicht in Documenta Occupationis Bd. VI, S. 568 ff., Original: Jüdisches Historisches Institut Warschau).
Dort hieß es unter Bezug auf den eingeführten Arbeitszwang: "Dabei ist jedoch in allen geeigneten Fällen zunächst der Versuch der Beschäftigung der Juden im freien Arbeitsverhältnis zu unternehmen. Die Beschäftigung der Juden hat zweierlei zum Ziel: 1) die bestmögliche Ausnutzung ihrer Arbeitskraft im Allgemeinen, 2) die Sicherung des eigenen und des Lebensunterhalts der Familie. Demgemäß kann sich der Arbeitseinsatz der Juden in zwei Formen vollziehen: a) durch Beschäftigung der nicht zur Zwangsarbeit aufgerufenen Juden im freien Arbeitsverhältnis; die Arbeitsbedingungen sind in einer besonderen Tarifordnung im Einzelnen noch festzulegen ( ) b) durch die Einberufung von Juden zur Zwangsarbeit auf Grund der Verordnung vom 26.10.1939, die eine Entlohnung nicht vorsieht. Die Form zu b) kommt im allgemeinen nur in Frage bei grösseren Projekten, bei denen eine grosse Anzahl von Zwangsarbeitern beschäftigt, lagermäßig untergebracht und bewacht werden kann. ( ) Die Gestellung einer jüdischen Arbeitskraft ist nur noch beim zuständigen Arbeitsamt zu beantragen ( ) Die Judenräte sind zu veranlassen, Anträge auf Gestellung von Zwangsarbeitern in Zukunft in jedem Falle an das zuständige Arbeitsamt zu verweisen ( ...)."
Die Form der Auswahl der Arbeitskräfte bleibt den Arbeitsämtern überlassen, insbesondere, ob sie bei der Auswahl der Kräfte die Judenräte heranziehen wollen oder nicht".
Zur Umsetzung des Arbeitszwangs in den Ghettos des Generalgouvernements hat der Historiker Professor Dr. F1 G. in seinem – den Beteiligten vorliegenden - gerichtlich veranlassten Gutachten zum Generalgouvernement vom 9.9.2005 am Beispiel des Warschauer Ghettos im einzelnen dargelegt, wie der Arbeitszwang durch den Judenrat auf die Ghettobevölkerung verteilt wurde, so dass jeder Arbeitskarteninhaber nur an bestimmten Tagen des Monats verpflichtet war, zu arbeiten. An den anderen Tagen waren sie frei (Gutachten G. für das SG Hamburg, S 20 RJ 674/04 u.a., S. 4,5). Aus einem anonymen Tagebuch zitiert der Gutachter: "Die Beschäftigten, die formal Arbeitenden, das war eine privilegierte Kaste ( ...) Jeder, der offen und legal arbeitete, mit einem entsprechenden Ausweis und auf eine Weise, wie sie durch die neue Ordnung verfügt wurde, war einer der Auserwählten, der Gesicherten, der Gedeckten, der Menschen, die einen Ort gefunden hatten." (Gutachten G. S. 11, Fußnote 27). "Die Entscheidung, eine Tätigkeit anzunehmen," – so der Prof. Dr. G. - "war also nicht nur freiwillig, sie galt als Chance - materiell und geistig." Meistens habe es deshalb auch mehr Interessenten als Arbeitsplätze gegeben (Gutachten G. S. 11).
Der Historiker Dr. J. Z. führt in einem für das LSG Nordrhein-Westfalen erstellten Gutachten am Beispiel des Ghettos Tschenstochau aus: "Und wenn der Judenrat auch gezwungen wurde, diese Arbeitskräfte bereitzustellen, so war es doch für die Ghettoinsassen durchaus interessant, sich bei der jüdischen Arbeitsorganisation dafür aus eigener Initiative zu melden; keinesfalls war es innerhalb des Ghettos nämlich so, dass der Zwang weitergegeben werden musste, ganz im Gegenteil bewarben sich meist mehr Menschen, als überhaupt Stellen vorhanden waren. Immerhin boten diese Tätigkeiten doch die Chance, überhaupt eine Bezahlung zu erhalten; darüber hinaus waren sie auch mit der sicheren Zuteilung von Nahrungsrationen verbunden. Ohne Arbeit aber war ein Überleben nur schwer möglich". (Z., Institut für Zeitgeschichte München, Gutachten vom 4.10.2007 für das LSG NRW, L 8 R 104/07)
Aus den genannten und einer Vielzahl weiterer historischer Gutachten, die mittlerweile auf Veranlassung der Sozialgerichtsbarkeit erstellt wurden sowie aus etlichen archivierten Einzeldokumenten, die den Beteiligten aus anderen Verfahren ebenfalls bekannt sind, ergibt sich für das Generalgouvernement eine grundsätzliche Vermutung dafür, dass Arbeitstätigkeiten während des Aufenthaltes im Ghetto überwiegend nicht unter hoheitlichem Zwang sondern aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen sind. Die Auffassung der Beklagten, es sei in Anbetracht des geltenden Arbeitszwangs nicht glaubhaft, dass der Arbeitsaufnahme ein gewisses Maß an eigener Entscheidungsfreiheit zu Grunde gelegen habe, ist vor diesem Hintergrund nicht haltbar.
Für die Verhältnisse im Ghetto Starachowice liegen überdies spezielle Erkenntnisse aus dem gegen W1 B. u.a. wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen im Kreis Starachowice geführten Strafverfahren vor, die den Schluss zulassen, dass die Ghettobewohner durchaus aus eigenem Willensentschluss – etwa bei den dort ansässigen deutschen H.-G.-Werken arbeiteten. Die Arbeitsplätze dort waren – da die ´kriegswichtigen Arbeiter` weniger von der Deportation bedroht waren - sogar so begehrt, dass Geld bezahlt wurde, um eine Stelle zu bekommen (Strafverfahrensakten des LG Hamburg 141 Js 1312/63 - Staatsarchiv Hamburg - beigezogen im Verfahren SG Hamburg S 9 RJ 1059/04).
Die Kammer hält es bereits in Anbetracht dieser allgemeinen historischen Erkenntnisse für unwahrscheinlich, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin als damals ca. 20-jähriger, arbeitsfähiger und mit handwerklichen Fähigkeiten ausgestattete Mann während seines Aufenthaltes im Ghetto ausschließlich Zwangsarbeiten verrichtet hat.
Vielmehr spricht vieles dafür, dass es sich jedenfalls bei den Tätigkeiten, die er im Entschädigungsverfahren für einen späteren Zeitpunkt nach Beginn der Verfolgung ("nachher") genannt hat, um Tätigkeiten aus eigenem Willensentschluss handelte. Dabei ist davon auszugehen, dass es sich bei diesen Tätigkeiten für die deutsche Wehrmacht und die Zivilverwaltung sowie die Propagandaleitung der NSDAP um Arbeitsplätze handelte, die zu den begehrteren Stellen zählten.
So führt der Historiker Z. in seinem für das LSG Nordrhein-Westfalen erstellten Gutachten vom 4.10.2007 (a.a.O.) aus: "Der Judenrat organisierte den Einsatz der jüdischen Bevölkerung und verteilte die wenigen Stellen. Wer Glück, gute Beziehungen oder spezielle Qualifikationen hatte, konnte aus den zahlreichen Interessenten herausstechen und einen Platz erhalten, der es ihm ermöglichte, zu seinen Lebenshaltungskosten beizutragen. Dies mussten nicht immer nur Stellen in der Industrie sein, auch Hilfstätigkeiten für deutsche Behörden ( ...) waren vorhanden, wo etwa Putz- und Aufräumdienste, aber auch Tätigkeiten in den Kantinen gefragt waren. ( ...) Jüdische Arbeitskräfte bildeten darüber hinaus innerhalb kürzester Zeit das Gros des Hilfspersonals in allen von den Deutschen geführten Unternehmen, Ämtern und Institutionen, sogar in den Polizeidienststellen und SS-Kasernen gab es sogenannten ´Hausjuden`, die hauptsächlich Putz-, aber auch Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten verrichteten" ( ...).
Dafür, dass die genannten Arbeiten aus eigenem Willensentschluss erfolgt sind, spricht auch die Formulierung in der eidlichen Versicherung des Verstorbenen vom 24.12.1953. So heißt es dort für die Anfangszeit ab Januar 1940, er habe verschiedene Zwangsarbeiten im städtischen Krankenhaus bei der Müllentfernung und anderen Aufräumungsarbeiten verrichten müssen. Die späteren Arbeiten, werden ohne Hinweis auf Zwang beschrieben, nämlich mit den Worten "nachher war ich ..., dann arbeitete ich ...". Für die in diesem Zusammenhang genannten Arbeiten – Kohlenladen bei der deutschen Wehrmacht in den Kasernen, Landwirtschaft, Kreisverwaltung und Propagandaleitung der NSDAP – ist es nach Auffassung der Kammer überwiegend wahrscheinlich, dass der Verstorbene sie aus eigenem Willensentschluss verrichtet hat.
Dem steht auch nicht entgegen, dass der Verstorbene zu seinen Arbeitsstätten außerhalb des Ghettos unter Bewachung des jüdischen Ordnungsdienstes geführt wurde. Auch insoweit ist es mittlerweile historisch belegt, dass die Juden den Weg zu ihren Arbeitsplätzen außerhalb des Ghettos – quasi als Fortsetzung der Ghettoisierung - regelmäßig unter Bewachung oder Aufsicht zurückgelegt haben. Ein Indiz für Zwangsarbeit ist dies nicht.
Das Gericht hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der Angaben des Verstorbenen und der Zeugen im Entschädigungsverfahren zu zweifeln. Die Angaben werden bestätigt durch die Eintragung des Verstorbenen in die Liste der jüdischen Arbeiter aus dem Jahre 1940. Sie sind in Anbetracht der historischen Erkenntnisse plausibel und in sich konsistent. Bei den genannten Arbeiten hat es sich den historischen Tatsachen zufolge um Arbeiten gehandelt, die Juden im Generalgouvernement tatsächlich ausgeübt haben. Dass ein polnischer Jude als Kunstschriftmaler für die Propagandaleitung der NSDAP tätig war, erscheint zudem so absurd, dass die Kammer es für nahezu ausgeschlossen hält, dass der Verstorbene sich ausgerechnet diese Tätigkeit für Zwecke des Entschädigungsverfahrens erdacht haben könnte.
Soweit der Verstorbene im Entschädigungsverfahren seine gesamten Arbeiten während der Zeit der Verfolgung als Zwangsarbeit bezeichnet hat, stellt dies die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses aus eigenem Willensentschluss nicht in Frage. Die Verwendung des Begriffs Zwangsarbeit lässt nämlich regelmäßig keinen Aufschluss über die konkreten Bedingungen der im Ghetto geleisteten Arbeit zu. Vielmehr dürften in der Erinnerung der Betroffenen die Zwangsbedingungen im Ghetto und die mit dem Nicht-Innehaben eines Arbeitsplatzes verbundene Angst vor Deportation und Vernichtung auch die Beurteilung der Arbeitsumstände wesentlich geprägt haben. Der Terminus Zwangsarbeit bzw. "forced labor" ist daher bei den Überlebenden des Holocaust für Arbeitstätigkeiten während der gesamten nationalsozialistischen Verfolgung durchaus gebräuchlich. Aus der Verwendung der Begriffe kann aber wegen ihrer subjektiven Prägung (vgl. BSG Urteil vom 30.8.2001, B 13 RJ 59/00 R) eine Klassifizierung in die Kategorien des Rentenrechts nicht abgeleitet werden. Maßgeblich sind vielmehr die konkreten Umstände des Zustandekommens der Beschäftigung im Einzelfall.
Das Gericht hat eine Beschäftigungszeit ab 2.4.1941 angenommen. Ab diesem Zeitpunkt hat unstreitig ein geschlossenes Ghetto in Starachowice existiert. Die Zäsur in der Schilderung der ab Januar 1940 ausgeführten Arbeiten in der eidlichen Versicherung vom 24.12.1953 ("nachher war ich" ...) deutet darauf hin, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin mit den chronologisch als erstes genannten Müll- und Aufräumarbeiten tatsächliche Zwangsarbeiten beschrieben hat, wie sie typischerweise vor der Kanalisation des Arbeitszwangs durch die Judenräte – die im Generalgouvernement jedenfalls in der ersten Hälfte des Jahres 1940 abgeschlossen war – ausgeführt werden mussten. Es ist daher historisch plausibel, dass sich die "nachher" verrichteten Arbeiten jedenfalls auf die Zeit ab April 1941 beziehen. Als Ende der Beschäftigung im Sinne des ZRBG hat die Kammer in Übereinstimmung mit der Schilderung des Verstorbenen im Entschädigungsverfahren den 27.10.1942 angenommen, da er an diesem Tag in das ZAL verbracht wurde.
c) Das Gericht sieht es auch als glaubhaft an, dass die Tätigkeiten des Verstorbenen im Ghetto Starachowice gegen Entgelt ausgeübt wurden.
Anknüpfungspunkt für die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals ist die vom Gesetzgeber beim Erlass des ZRBG vorgefundenen Legaldefinition des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IV, wonach unter einem Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung zu verstehen sind, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahme besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.1.2007, L 2 R 464/06). Einer wirtschaftlichen Gleichwertigkeit von Arbeit und Gegenleistung bedarf es nicht (BSG, Urteil vom 18.6.1997, 5 RJ 66/95), das Entgelt muss aber – auch unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft - eine gewisse Mindesthöhe erreichen. Auch unter Ghetto-Bedingungen kann der Entgeltbegriff daher nicht völlig von der Höhe des für geleistete Arbeit Erlangten gelöst werden, so dass auch im Rahmen des ZRBG nicht jedes "irgendwie geartetes, und sei es noch so geringes Entgelt" zu einem Rentenanspruch führt (vgl. BSG, Urteil vom 7.10.2004, B 13 RJ 59/03 R).
Maßstab für die Beurteilung des Umfangs der erhaltenen Gegenleistung können allerdings nur die tatsächlichen Verhältnisse in den Ghettos sein, da die Anwendung eines Gesetzes, welches sich ausschließlich auf jüdische Ghettos bezieht, ohne Betrachtung der dort herrschenden Arbeits- und Entlohnungsverhältnisse nicht auskommt (vgl. SG Hamburg, Urteil vom 15.8.2006, S 20 R 1485/05 wonach auch Lebensmittelrationen als Entgelt in Betracht kommen).
Vor dem Hintergrund der in den Ghettos herrschenden besonderen Umstände, die mit dem erzwungenen dortigen Aufenthalt verbunden sind, hat das LSG Mainz es für ausreichend erachtet, wenn die Zahlung als Gegenleistung für die verrichtete Arbeit an den Judenrat erfolgte und dem Inhaftierten daher nur mittelbar – im Rahmen der Versorgung der Ghettobewohner - zukam (LSG Mainz, Urteil vom 27.2.2008, L 6 R 18/07).
Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Entgeltlichkeit der Beschäftigung dürfen ausgehend von den gesetzlichen Zielen des ZRBG nicht überspannt werden. Dem vom Gesetzgeber vorgefundene Beweis- und Darlegungsnotstand muss bei der Gesetzesanwendung vielmehr angemessen Rechnung getragen werden (LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 24.1.2007, L 2 R 464/06).
Angaben zur Entgeltlichkeit seiner Arbeit hat der verstorbene Ehegatte der Klägerin im Entschädigungsverfahren – da es hierauf nach dem BEG nicht ankam - nicht gemacht.
Bei Rentenantragstellung hat die Klägerin als Entgelt "Mark" und Nahrungsmittel (marks/food) angegeben. Es handelt sich hierbei um eine Angabe, wie sie der Kammer aus etlichen vergleichbaren Verfahren bekannt ist und der sie keine Aussagekraft beimisst, da sie von dem damaligen Bevollmächtigten der Klägerin bzw. seinen Korrespondenzstellen vor Ort offenbar generell und ohne nähere Erörterung mit den Antragstellern veranlasst wurde.
Die Kammer geht gleichwohl davon aus, dass der Verstorbene für seine vom Ghetto aus verrichteten Arbeiten eine Gegenleistung im Sinne eines Entgelts erhalten hat.
Hierfür sprechen die Anordnungen des Amtes des Generalgouverneurs zur Entlohnung der Juden und deren Umsetzung. Grundlage für die Bezahlung der jüdischen Arbeiter war die bereits genannte Anordnung zur Durchführung des Arbeitseinssatzes der jüdischen Bevölkerung des Amtes des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete vom 5.7.1940 (veröffentlicht in Documenta Occupationis Bd. VI, S. 568, 571), in welcher es heißt:
"Bisher fand eine regelrechte Entlohnung der jüdischen Arbeitskräfte meist nicht statt. Man überlies diese vielmehr den Judenräten. Inzwischen sind jedoch langsam die Geldreserven der Judenräte erschöpft. Um die Arbeitstätigkeit der Juden zu erhalten, den nötigen Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen und Krankheiten und Seuchen zu vermeiden, muss mit diesem bisherigen Grundsatz gebrochen und eine ordnungsmässige Entlohnung gefordert werden. Bei den nicht zur Zwangsarbeit einberufenen, sondern v e r m i t t e l t e n Arbeitskräften hat eine ordnungsmässige Entlohnung auf Grund der noch zu erlassenen Tarifordnung zu erfolgen.( ) Falls eine Beschäftigung auf Akkordbasis nicht möglich ist, ist der Stundenlohn nach einer Tarifordnung für polnische Arbeitskräfte – vermindert um 20% zu gewähren."
Hintergrund für diese Regelung war die "zunehmende Verknappung an Arbeitskräften im Generalgouvernement", die die "Nutzbarmachung der jüdischen Arbeitskraft" dringend erforderlich mache, "zumal sich unter diesen zwangsarbeitspflichtigen Juden im Gegensatz zu den Juden im Reich auch gute Facharbeiter und Handwerker befinden" (Anordnung des Amtes des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete vom 5.7.1940 - a.a.O.)
Die ordnungsmäßige Entlohnung, so die Historikerin I. H. in ihrem - den Beteiligten bekannten - Gutachten vom 13.6.2008 (H., Gutachten zu Arbeitsfragen im Ghetto Minsk-Mazowiecki, erstattet für das SG Hamburg (Az. S 20 R 1146/05) sei auch in mehreren Folgedokumenten erklärt worden und besage, dass freie Arbeitsverhältnisse im Normalfall, also der Ordnung entsprechend, entlohnt sein sollen.
Die Verordnung sei in den Distrikten mit Schwierigkeiten und sicher nicht sofort, aber doch nach und nach umgesetzt worden. Da die Verfügung vor allem bei Militär, SS und Polizei auf großen Widerstand gestoßen sei, habe der Leiter der Abteilung Arbeit, M. F2, in einem Schreiben an den Obersten Militärführer und an den Führer der Sicherheitspolizei und des SD im Generalgouvernement um Unterlassung von Razzien zur Rekrutierung von Arbeitern gebeten und die Notwendigkeit der Versorgung und Entlohnung der Arbeiter erklärt (H., Gutachten vom 13.6.2008, a.a.O.; zur Weigerung deutscher Dienststellen, jüdische Kräfte zu bezahlen siehe auch Bogdan Musial, Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement, 1999, S. 169, 170; Robert Seidel, Deutsche Besatzungspolitik in Polen – Der Distrikt Radom 1939 – 1945, 2005, S. 269).
Im September 1940 hat F2 den Leitern der Distrikts-Abteilungen Arbeit und den Leitern der Arbeitsämter mitgeteilt, es werde daran festgehalten, dass der Lohn für Juden grundsätzlich 80% des Lohnes der Polen betrage. Bei Minderleistung bestehe die Möglichkeit, mit Zustimmung des Arbeitsamtes einen geringeren Lohn festzusetzen (Schreiben Dr. F2 vom 4.9.1940, Anlage 4 des Gutachtens H. vom 13.6.2008, a.a.O.).
Zur Umsetzung der Anordnung F2’s führt die Gutachterin H. am Beispiel des Warschauer Ghettos aus, die Verordnung sei im Laufe des Jahres 1941 immer mehr durchgesetzt worden. Aus Zahlen, die für das Warschauer Ghetto erhoben worden seien, ergebe sich, dass ab Mai 1941 alle Arbeiter bei deutschen Arbeitsstellen (Placowkas) entlohnt worden seien. Bis Ende 1941 seien davon 77-94% der Arbeiter durch die deutschen Arbeitgeber entlohnt worden. Die Ausgaben für die verbleibenden 23-6% habe der Judenrat getragen (H., Gutachten vom 13.6.2008, a.a.O., unter Verweis auf die polnische Veröffentlichung von Tatiana Berenstein, Praca przymusowa zydow w czasie okupacji hitlerowskiej, S. 52, Anlage 5 des Gutachtens).
Für den Distrikt Radom - zu dem Starachowice gehört - bezeichnet der Gutachter B1 es als historisch gesichert, dass für jüdische Arbeitnehmer reguläre Beschäftigungsverhältnisse auf Grundlage der dort geltenden Tarifordnungen bestanden (A. B1, Gutachten für das Sozialgericht Speyer im Verfahren S 11 RJ 714/04 vom 5.7.2007, S. 53, 54).
Dafür, dass auch die Tätigkeit des Verstorbenen bei der Kreisverwaltung von tariflichen Regelungen erfasst war, spricht außerdem die Existenz der Tarifordnungen für "nichtdeutsche Angestellte im öffentlichen Dienst" und "nichtdeutsche Arbeiter und Arbeiterinnen im öffentlichen Dienst" im Generalgouvernement vom 24.4.1940 und 25.4.1940, auf deren Grundlage Gehalts- und Lohnordnungen erlassen wurden (Verordnungsblatt für das Generalgouvernement, Jahrgang 1941, Seite 18, 21, 22).
Auch wenn es Hinweise darauf gibt, dass deutsche Dienststellen die vorgesehenen Tariflöhne – jedenfalls im Jahre 1940 - nicht oder nicht in voller Höhe gezahlt haben, spricht nach Auffassung der Kammer wesentlich mehr dafür, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin ein Entgelt für seine Arbeit erhalten hat, als dagegen. In Anbetracht der genannten Anordnung zur Entlohnung der vermittelten jüdischen Arbeitskräfte und deren Umsetzung vor dem Hintergrund des ab Ende 1940 zunehmenden Arbeitskräftemangels ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Stellen, bei denen der Kläger ab April 1941 tätig war – Wehrmacht und Zivilverwaltung des Generalgouvernements sowie Propagandaleitung der NSDAP - ihren jüdischen Arbeitern, zumal bei qualifizierter Arbeit, ein Entgelt gezahlt haben. Gründe, warum ausgerechnet der verstorbene Ehegatte der Klägerin, dessen Arbeit – insbesondere als Kunstschriftmaler für die NSDAP - nicht einfach zu ersetzen gewesen sein dürfte, keine Gegenleistung erhalten haben soll, sind nicht ersichtlich.
Trotz fehlender individueller Angaben zum Erhalt eines Entgelts ist es nach Ansicht der Kammer glaubhaft, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin eine Gegenleistung für seine während der Zeit seines Zwangsaufenthalts im Ghetto Starachowice verrichteten Tätigkeiten erhalten hat.
Ist damit für die Zeiten der Beschäftigung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin im Ghetto das ZRBG anwendbar, gelten für ihn gem. § 2 Abs. 1 ZRBG Beiträge als gezahlt. Der Erfüllung zusätzlicher Voraussetzungen – wie insbesondere die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis – bedarf es nicht (BSG, Urteil vom 26.7.2007, B 13 R 28/06 R).
Die allgemeine Wartezeit ist aufgrund der ZRBG-Beitragszeiten unter Berücksichtigung der anzurechnenden verfolgungsbedingten Ersatzzeiten vor und nach dem Ghettoaufenthalt des verstorbenen Ehegatten der Klägerin gem. § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Witwenrente unter Anerkennung von Beschäftigungszeiten des verstorbenen Ehemannes der Klägerin im Ghetto Starachowice im sog. Generalgouvernement (Polen) streitig.
Die am X.X. 1920 geborene Klägerin lebt als amerikanische Staatsangehörige in den USA. Sie ist die Witwe des am XX.X.1920 in S. im Distrikt Radom (Polen) geborenen E. (R.) N ... Dieser wurde als polnischer Jude Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Er musste zunächst im Ghetto und Zwangsarbeitslager seiner Heimatstadt leben und war ab Juli 1944 in den Konzentrationslagern Auschwitz, Oranienburg, Sachsenhausen und Kaufering (Kommando Dachau) inhaftiert. Nach der Befreiung kam er nach Regensburg. Im Jahre 1946 wanderte er nach Israel aus, wo er im gleichen Jahr die Ehe mit der Klägerin schloss. Später lebte er als amerikanischer Staatsangehöriger in den USA, wo er am X.XX.2000 verstarb.
Der Verstorbene ist als Verfolgter des Nationalsozialismus im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) vom Bayerischen Landesentschädigungsamt München - Aktenzeichen XXXXX – anerkannt worden. Er hat eine Entschädigungsleistung für den erlittenen Freiheitsschaden erhalten.
Im Rahmen des Entschädigungsverfahrens nach dem BEG hat der verstorbene Ehegatte der Klägerin im Jahr 1953 eine eidliche Versicherung abgegeben, als Beleg für weitere Haftansprüche für die Zeit vor Oktober 1942, in der er Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen geleistet habe. In dieser eidlichen Versicherung hat er Namen des Obmanns des Judenrates, des Ghettokommandanten und des Leiters des jüdischen Arbeitsamtes genannt und als seine Adresse im Ghetto Starachowice, welches gegen Pesach 1940 errichtet worden sei, die W.Straße angegeben. Zu seinen Arbeitstätigkeiten hat er ausgeführt: Ich musste seit Jänner 1940 verschiedene Zwangsarbeiten verrichten und zwar im städtischen Krankenhaus wurde ich bei der Müllentfernung und anderen Aufräumungsarbeiten eingesetzt. Nachher war ich beim Kohlenladen bei der deutschen Wehrmacht in den Kasernen. Dann arbeitete (ich) eine gewisse Zeit bei der Landwirtschaft, Kreisverwaltung und nachher in der Propagandaleitung der NSDAP als Kunstschriftmaler, da ich in dieser Richtung eine gewisse Begabung besitze. Zu den gesamten Arbeitsstätten wurde ich unter Bewachung des jüdischen Ordnungsdienstes tagtäglich aus dem Ghetto gebracht. Das dauerte bis Okotber 1942, als ich in das ZAL Starachowice umgestellt wurde.
Die Zeugin S1 F. hat zu den Arbeiten des verstorbenen Ehegatten der Klägerin in einer eidlichen Versicherung aus dem Jahr 1953 gegenüber der Entschädigungsbehörde erklärt, ihr sei bekannt, dass er zu verschiedenen Zwangsarbeiten hinzugezogen worden sei. Er habe eine zeitlang im städtischen Krankenhaus, bei verschiedenen Wehrmachtstellen und als Kunstmaler bei der NSDAP, Propagandastelle, gearbeitet.
Mit Antrag vom 12.5.2003 beantragte die Klägerin durch ihren damaligen Bevollmächtigten Witwenrente unter Berücksichtigung von Beitragszeit des Verstorbenen im Ghetto Starachowice. Zu dessen Beschäftigung und Arbeitsverdienst machte sie im Antragsvordruck folgende Angaben: 1940 – 42, Starachowice, Painter, Marks, Food
Nach Einsichtnahme in die bei dem Bayerischen Landesentschädigungsamt geführten Entschädigungsakten des Verstorbenen lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 23.6.2004 unter Hinweis auf die seinerzeitigen Aussagen im Entschädigungsverfahren mit der Begründung ab, die Zeit vom 2.4.1941 bis 27.10.1942 könne nicht als Zeit einer Beschäftigung in einem Ghetto anerkannt werden. Es sei nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass es sich hierbei um eine entgeltliche Beschäftigung aus freiem Willensentschluss gehandelt habe. Bei den ausgeübten Tätigkeiten habe es sich um Zwangsarbeit gehandelt. Auch zum Entgelt habe der Verstorbene im Entschädigungsverfahren keine Angaben gemacht.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 28.10.2004 Widerspruch. Zur Begründung trug sie durch ihre Prozessbevollmächtigte vor, nach dem ZRBG sei kein freier, sondern ein eigener Willensentschluss erforderlich. Für die Beschäftigungsaufnahme seien die Umstände des Ghettos unerheblich, die einen Bewohner unter dem Zwang der Verhältnisse dazu veranlasst haben könnten, die Beschäftigung aufzunehmen, um der Deportation für eine Zeit zu entgehen. Auch die Angabe des verstorbenen Ehegatten der Klägerin im Entschädigungsverfahren, er habe Zwangsarbeit verrichtet, stehe einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss nicht entgegen. Die Wahl dieses Wortes könne nicht als Rechtstatsache gewertet werden. Die Arbeit während des Ghettoaufenthaltes dürfte durchaus emotional als Zwangsarbeit empfunden worden sein. Ausführungen zur Entgeltlichkeit seien im Entschädigungsverfahren nicht erfragt worden und auch nicht erforderlich gewesen. Es sei auf die Freiheitsentziehung bzw. die Ursächlichkeit der Verfolgungsmaßnahme für den Gesundheitsschaden angekommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4.4.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Nach den historischen Erkenntnissen habe das Ghetto Starachowice vom 2.4.1941 bis 29.10.1942 existiert. Aufgrund der Angaben über den Aufenthaltszeitraum in Starachowice wäre daher eine Anerkennung von Beschäftigungen vom 2.4.1941 bis 29.10.1942 möglich. Es sei aber nicht glaubhaft gemacht, dass es sich bei den im Entschädigungsverfahren angegeben Tätigkeiten um entgeltliche Beschäftigungen aus eigenem Willensentschluss gehandelt habe.
Gegen den Widerspruchsbescheid wendet sich die Klägerin mit der am 19.4.2005 erhobenen Klage. Zur Begründung führt ihre Prozessbevollmächtigte aus, bei den Tätigkeiten, die der verstorbene Ehegatte der Klägerin im Entschädigungsverfahren angegeben habe, habe es sich um Arbeiten gehandelt, die typischer Weise durch die Judenräte bzw. die von ihnen betriebenen Arbeitsvermittlungen angeboten worden seien. Dass im Rentenantrag nur die Arbeit als Maler angegeben wurde, dürfte darin begründet sein, dass gerade diese Tätigkeit häufig zwischen den Eheleuten thematisiert worden sei. Schließlich sei es ein Kuriosum, dass ein rassisch verfolgter polnischer Jude als Kunstschriftmaler in der Propagandaabteilung der NSDAP beschäftigt wurde. Hinsichtlich der verwendeten Bezeichnung "Zwangsarbeit" verweist sie im Übrigen auf die Arbeitsanweisung der DRV–Bund vom 4.11.2005 – 300-75/000.0. Danach könnten abweichende Angaben in anderen Verfahren, in denen die Arbeiten als Zwangsarbeit bezeichnet wurde nicht zum alleinigen Ablehnungsgrund gemacht werden. Hinsichtlich der Entgeltlichkeit wird auf die im Generalgouvernement geltenden Rechtsvorschriften hingewiesen: Danach hätten die in ein "freies Beschäftigungsverhältnis" vermittelten Juden einen Rechtsanspruch auf ein Arbeitsentgelt in Höhe von 80% des Lohnanspruchs der polnischen Arbeiter gehabt.
Hinsichtlich der Verhältnisse in Starachowice verweist sie auf die historischen Erkenntnisse zur Arbeit in den H.-G.-Werken, wie sie sich insbesondere aus den Vernehmungsprotokollen im Strafverfahren gegen W1 B. u.a. wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen im Kreis Starachowice während der Jahre 1940 bis 1944 (LG Hamburg 141 Js 1312/63) ergeben.
Wegen der Einzelheiten der Klagebegründung wird auf die Schriftsätze der Bevollmächtigten vom 18.8.2006 und 29.11.2007 nebst Anlagen hingewiesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß nach Lage der Akten,
den Bescheid der Beklagten vom 23.6.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.4.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Witwenrente nach dem am X.XX.2000 verstorbenen E. N. unter Berücksichtigung einer ZRBG-Beitragszeit" von 2.4.1941 bis 27.10.1942 im Ghetto Starachowice sowie von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid.
Im Rahmen der Sachverhaltsermittlung hat das Gericht die Entschädigungsakte des verstorbenen Ehegatten der Klägerin beigezogen und das Staatsarchiv Kielce sowie das Jüdische Historische Institut in Warschau gebeten, mitzuteilen, ob dort Unterlagen über eine Tätigkeit des Klägers im Ghetto Starachowice vorliegen. In seiner Antwort an das Gericht hat das Staatsarchiv Kielce – Abt. Starachowice – aus dem dort vorhandenen Verzeichnis der jüdischen Arbeiter aus dem Jahre 1940 folgende Eintragung mitgeteilt:
- Gesamtaufstellung der arbeitspflichtigen Juden in der Stadt Starachowice – Wierzbnik: Position XXX: N. R., geboren 1921, Beruf Tischler, Wohnort: W.; - Liste der voll leistungsfähigen Juden im Alter v. 16 b. 45 J. - N. R., Geburtsjahr: 1921, Wohnort: W., Beruf: Maler.
Das Jüdische Historische Institut in Warschau hat mitgeteilt, es seien dort keine Dokumente aus dem Ghetto Starachowice vorhanden, die die Arbeit des Ehemannes der Klägerin bestätigten, die Aussagen der Klägerin seien aber allgemeingültig für das Leben in den Ghettos.
Im Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage am 10.10.2007 hat der Vertreter der Beklagten den geltend gemachten Anspruch unter Widerrufsvorbehalt anerkannt. Mit Schriftsatz vom 17.10.2007 hat die Beklagte ihr Anerkenntnis widerrufen und zur Begründung ausgeführt, die Auskünfte des Staatsarchivs Kielce seien nicht geeignet, die Arbeitstätigkeiten des Verstorbenen zu bestätigen. Allein die Tatsache, dass dieser auf einer Liste der voll leistungsfähigen Juden im Alter von 16 bis 45 Jahren aufgeführt worden sei, sage noch nichts darüber aus, dass der Verstorbene aus eigenem Entschluss die verschiedenen Tätigkeiten ausgeübt habe. Nach den Ausführungen im Urteil des Landgerichts München vom 15.12.1955 sei der Verstorbene zu den verschiedenen Zwangsarbeiten je nach Bedarf herangezogen worden. Bei derartigen bedarfsweise ausgeübten Arbeiten sei die Beklagte aber nicht davon überzeugt, dass diese aus eigenem Entschluss verrichtet worden seien. Sie gehe bei solchen Arbeiten vielmehr von einer fallweise obrigkeitlichen Anordnung aus. Auch seien von dem verstorbenen Ehemann der Klägerin keine konkreten Angaben zur Entlohnung gemacht worden. Der Akte sei nicht zu entnehmen, dass trotz des seinerzeit regulierten Arbeitsmarktes und des allgemein geltenden Arbeitszwanges ein gewisses Maß an eigener Entscheidungsfreiheit zur Beschäftigungsaufnahme geführt habe. Angaben, wie es zur Arbeitsaufnahme gekommen sei, fehlten. Dies gelte auch bezüglich der Tätigkeit in der Propagandaabteilung der NSDAP als Kunstschriftmaler.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte, der Rentenakte der Beklagten sowie der beigezogenen Entschädigungsakte verwiesen. Die Akten sind Gegenstand der Entscheidung der Kammer gewesen.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz).
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat Anspruch auf Witwenrente unter Berücksichtigung von Ghettobeitragszeiten ihres verstorbenen Ehegatten im Ghetto Starachowice.
Gem. § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf große Witwenrente, wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat und die Witwe das 45. Lebensjahr vollendet hat.
Die Klägerin hat das 45. Lebensjahr vollendet und keine neue Ehe geschlossen. Ihr verstorbener Ehegatte hat auch die erforderliche allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 50 Abs. 1 SGB VI) erfüllt, denn für seine Beschäftigung im Ghetto gelten Beiträge als gezahlt und es sind verfolgungsbedingte Ersatzzeiten zu berücksichtigen.
Auf die allgemeine Wartezeit werden Kalendermonate mit Beitrags- und Ersatzzeiten angerechnet (§ 51 Absätze 1 und 4 SGB VI). Beitragszeiten sind nach §§ 55 Abs. 1 Satz 1, 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI Zeiten, für die nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsrecht Pflichtbeiträge (Pflichtbeitragszeiten) oder freiwillige Beiträge gezahlt worden sind. Pflichtbeitragszeiten sind auch so genannte fiktive Beitragszeiten, d.h. Zeiten, für die Pflichtbeiträge nach besonderen Vorschriften als gezahlt gelten (§ 55 Abs. 1 Satz 2 SGB VI).
Der Verstorbene hat weder Pflicht- noch freiwillige Beiträge nach Bundesrecht oder Reichsversicherungsrecht gezahlt. Als polnischer Staatsangehöriger im `Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete´ galt für ihn auch nach der Besetzung Polens durch das Deutsche Reich das polnische Sozialversicherungsrecht, so dass eine Beitragsentrichtung nach den Reichsversicherungsgesetzen nicht in Betracht kommt (vgl. BSG, Urteil vom 7.10.2005, B 13 RJ 59/03 R; zur Rechtslage im Generalgouvernement: BSG, Urteil vom 23.8.2001, B 13 RJ 59/00 R).
Für den Verstorbenen gelten aber Beiträge als gezahlt, denn auf seine Beschäftigungszeit im Ghetto Starachowice ist das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto vom 20.6.2002 (BGBl I 2074) – ZRBG – anwendbar, mit der Folge, dass Beiträge für diese Zeit als gezahlt gelten.
Die Anwendung des ZRBG setzt gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 voraus, dass der oder die Verfolgte - sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten hat, das sich in einem Gebiet befand, das vom Deutschen Reich besetzt oder diesem eingegliedert war, - eine Beschäftigung ausgeübt hat, die aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist und - gegen Entgelt ausgeübt wurde.
Das Gesetz gilt nicht, soweit für diese Zeiten bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird.
Für die Feststellung der nach dem ZRBG maßgeblichen Tatsachen genügt deren Glaubhaftmachung (§ 1 Abs. 2 ZRBG i. V. m. § 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung – WGSVG -). Eine Tatsache ist glaubhaft gemacht, wenn sie nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist. Überwiegende Wahrscheinlichkeit liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, wenn die ´gute Möglichkeit` besteht, dass der behauptete Vorgang sich so zugetragen hat, wie der Antragsteller es geltend macht (BSG, Urteil vom 3. 2.1999, B 9 V 33/97 R).
Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 S. 1 ZRBG sind erfüllt, denn es ist überwiegend wahrscheinlich, dass der Verstorbene sich zwangsweise im Ghetto Starachowice aufgehalten (dazu unter a) und von dort aus eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss (b) und gegen Entgelt (c) ausgeübt hat.
a) Der verstorbene Ehegatte der Klägerin hat sich ab Errichtung des geschlossenen Ghettos am 2.4.1941 und bis zum Beginn seines Aufenthaltes im Zwangsarbeitslager Starachowice am 27.10.1942 zwangsweise im Ghetto Starachowice aufgehalten.
Es ist zwischen den Beteiligten unumstritten, dass das Ghetto in Starachowice ab 2.4.1941 als geschlossenes Ghetto bestand (vgl. www. keom.de) und die jüdische Bevölkerung sich jedenfalls ab diesem Datum zwangsweise dort aufhalten musste. Das Ghetto existierte auch jedenfalls bis 27.10.1942 (Enzyklopädie des Holocaust, Band III. S. 1372). Dass der Kläger sich in der fraglichen Zeit im Ghetto aufgehalten hat, wird von der Beklagten nicht bestritten. Aus den Angaben im Entschädigungsverfahren ergibt sich, dass er von dort aus am 27.10.1942 in das Zwangsarbeitslager (ZAL) Starachowice verbracht wurde. Das Gericht sieht keinen Anlass, an diesen Angaben - die auch die Entschädigungsbehörde bei ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt hat – zu zweifeln.
b) Es ist glaubhaft gemacht, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin im Ghetto Starachowice eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss ausgeübt hat.
Die Auslegung des Begriffs Beschäftigung im Sinne des ZRBG hat sich an der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Abgrenzung versicherungspflichtiger `freier´ Beschäftigung von Zwangsarbeit zu orientieren. Mit den Tatbestandsmerkmalen des § 1 Abs. 1 ZRBG hat der Gesetzgeber nämlich erkennbar an der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung angeknüpft. Wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergibt, wurde das ZRBG durch den Deutschen Bundestag in Reaktion auf die Entscheidungen des Bundessozialgerichtes aus dem Jahr 1997 zu Beschäftigungszeiten im Ghetto Lodz - Urteile vom 18.6.1997, 5 RJ 66/95 und 5 RJ 68/95 - beschlossen. Die in § 1 Abs. 1 ZRBG genannten Kriterien folgen ausdrücklich dieser Rechtsprechung (Deutscher Bundestag – BT - Drs. vom 19.3.2002, 14/8583, S. 5 f.). Das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses soll im Rahmen des ZRBG sicherstellen, dass ein gewisser Bezug zur Versichertengemeinschaft gegeben ist, denn der Gesetzgeber hat mit dem ZRBG zwar eine bisher bestehende Lücke bei der Wiedergutmachung schließen wollen (Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll vom 25.4.2002, 14/233, S. 2379, Reden von Claudia Nolte, Ekin Deligöz, Dr. Irmgard Schwaetzer und Dr. Ilja Seifert) aber kein reines Entschädigungsgesetz geschaffen (vgl. Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Bericht zur Umsetzung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (ZRBG) vom 15.2.2005, S.6; zur Auslegung des ZRBG siehe auch: BSG, Urteil vom 7.10.2004, B 13 RJ 59/03 R und Urteil vom 20.7.2005, B 13 RJ 37/04 R).
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist für ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des Rentenversicherungsrechts dessen Zustandekommen durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und sein Zweck, nämlich der Austausch von Arbeitsleistung gegen Arbeitsentgelt, kennzeichnend (vgl. etwa BSG, Urteil vom 21.4.1999, B 5 RJ 48/98 R; Urteil vom 14.7.1999, B 13 RJ 75/98 R). Dabei handelt es sich bei dem Terminus Beschäftigungsverhältnis um keinen scharf konturierten Begriff, sondern um einen Typus, dessen kennzeichnende Merkmale in unterschiedlichem Maße gegeben sein können. Selbst das Fehlen einzelner Merkmale muss nicht zur Verneinung einer Beschäftigung führen (BSG, Urteil vom 14.7.1999, B 13 RJ 71/98, mit Verweis auf Bundesverfassungsgericht SozR 3-2400 § 7 Nr. 11). Maßgeblich ist stets das Gesamtbild der ausgeübten Tätigkeit.
Kein Beschäftigungsverhältnis liegt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG bei Arbeit unter obrigkeitlichem (hoheitlichem) bzw. gesetzlichem Zwang, wie z.B. bei Strafgefangenen oder KZ-Häftlingen, vor. (vgl. nur BSG, Urteil vom 14.7.1999, B 13 RJ 75/98 R).
Für die Charakterisierung der in einem Ghetto geleisteten Arbeit ist von Bedeutung, dass die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer Beschäftigung veranlassen, sowie allgemeine Lebensumstände, die nicht die Arbeit oder das Arbeitsentgelt betreffen, bei der Beurteilung von Arbeitsleistungen außer Betracht bleiben (BSG, Urteile vom 14.7.1999, B 13 RJ 71/98 und 21.4.1999, B 5 RJ 48/98 R). In seiner Entscheidung zur Beschäftigung im Ghetto Lodz vom 18.6.1997 hat der 5. Senat des BSG ausgeführt, dass die allgemeinen sonstigen Lebensumstände des Arbeitenden - sein häusliches, familiäres, wohn- und aufenthaltsmäßiges Umfeld - bei der Beurteilung des Beschäftigungsverhältnisses außer Betracht bleiben. Die Sphären "Lebensbereich" und "Beschäftigungsverhältnis" sind danach grundsätzlich zu trennen. Maßgeblich ist vielmehr, ob das Beschäftigungsverhältnis aus eigenem Antrieb begründet wurde (BSG, Urteil vom 18.6.1997, 5 RJ 66/95).
Selbst wenn die Hoffnung, durch die Arbeit bessere Überlebenschancen zu haben, gegenüber der Erlangung eines wirtschaftlichen Wertes womöglich im Vordergrund steht, stellt dies den Typus des Beschäftigungsverhältnisses nicht in Frage, solange die Arbeit aufgrund eigenen Antriebs und nicht unter obrigkeitlichem Zwang aufgenommen wurde.
Einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss steht deshalb nicht entgegen, dass die Ghettobewohner die Arbeit in der Regel aus existentieller Not und der Hoffnung, damit ihr Überleben sichern zu können, aufgenommen haben. Die freie Willensentscheidung muss sich nämlich nur auf die grundsätzliche Aufnahme der Beschäftigung beziehen, auch wenn die konkrete Tätigkeit zeitlich anschließend – beispielsweise durch den Judenrat - zugewiesen wird (LSG Niedersachsen-Bremen vom 24.1.2007, L 2 R 464/06, veröffentlicht bei juris, Rn 37).
Dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin während seines Zwangsaufenthaltes im Ghetto gearbeitet hat, stellt die Beklagte nicht in Abrede. Sie geht aber davon aus, dass es sich dabei um Zwangsarbeit handelte. Die Kammer hält es dagegen für überwiegend wahrscheinlich, dass der Verstorbene aus eigenem Willensentschluss tätig war. Hierfür sprechen folgende Erwägungen:
Der Verstorbene war zu Beginn der Ghettoisierung in Starachowice ca. 20 Jahre alt, er war "voll arbeitsfähig" und verfügte über handwerkliche Fähigkeiten. Dies ergibt sich aus dem Verzeichnis der jüdischen Arbeiter aus dem Jahr 1940.
In diesem Verzeichnis ist der Verstorbene mit Vor- und Zuname aufgeführt. Die genannte Straße W. entspricht den im Entschädigungsverfahren gemachten Angaben des Verstorbenen zu seinem Wohnort im Ghetto, wo es heißt, ich musste ( ...) ins Ghetto umsiedeln, wo ich in die W. Str ... zog. Auch in der in der Entschädigungsakte befindlichen ITS-Auskunft vom 19.9.1950 wird als letzte Adresse Starachowice, W. genannt.
Dass die unterschiedliche Angabe der Hausnummer - im Verzeichnis der jüdischen Arbeiter aus dem Jahr 1940 wird als Hausnummer XX angegeben – darauf hindeuten könnte, dass die Eintragung sich nicht auf den verstorbene Ehegatten der Klägerin bezieht, hält die Kammer für unwahrscheinlich. Es gibt viele vorstellbare Gründe für Ungenauigkeiten in einer die jüdische Bevölkerung erfassenden Aufstellung aus dem Jahr 1940.
Gleiches gilt für die Differenz in der Angabe des Geburtsjahres. Während der verstorbene Ehegatte der Klägerin in seinen Anträgen nach dem BEG das Geburtsdatum XX.X.1920 angab, welches sich auch in allen neueren amerikanischen Unterlagen und im Rentenantrag der Klägerin findet, enthält die Entschädigungsakte Hinweise auf Aufzeichnungen, in denen das Geburtsdatum des Verstorbenen mit dem XX.X.1921 angegeben wird. Auch die ITS-Auskunft erwähnt Dokumente mit dem Geburtsdatum XX.X.1921.
Derartige Differenzen sind in BEG-Akten häufig anzutreffen, was an der Ungenauigkeit der damaligen polnischen Aufzeichnungen liegen mag, oft aber auf die Angaben der Betroffenen selbst zurückgeht. Denn es konnte während der Verfolgung von Vorteil sein, als jünger oder älter zu gelten, um sich beispielsweise vor der (Kinder-) Deportation zu schützen oder - umgekehrt - der Verbringung ins Arbeitslager zu entgehen. Auch insoweit besteht daher kein Anlass, daran zu zweifeln, dass die Eintragung im Verzeichnis der jüdischen Arbeiter den verstorbenen Ehegatten der Klägerin betrifft, zumal die Abweichung geringfügig ist und lediglich das Jahr, nicht Tag und Monat, betrifft.
Zwar ist der Beklagten grundsätzlich darin zuzustimmen, dass die Aufnahme in die Liste der voll leistungsfähigen Juden noch nichts darüber aussagt, ob im Ghetto Tätigkeiten aus eigenem Entschluss ausgeübt wurden.
Allerdings ergeben sich aus der Eintragung und den Angaben des Verstorbenen im Entschädigungsverfahren Anhaltspunkte für eine solche Tätigkeit. Der verstorbene Ehegatte der Klägerin ist nämlich nicht nur mit seinem Namen in der Liste aufgeführt, sondern auch mit den Berufsbezeichnungen Tischler und Maler, d.h. mit Qualifikationen, die für die deutschen Besatzer – zumal im Verlauf des Krieges, als qualifizierte Arbeitskräfte Mangelware wurden - zunehmend wichtig wurden.
Die Berufsangabe Tischler findet sich wieder in einer in der Entschädigungsakte enthaltenen Bestätigung der Stadt Regensburg vom 4.8.1945 über den KZ-Aufenthalt des Verstorbenen sowie in seinem BEG-Antrag vom 17.11.1949.
Die Tätigkeit als Maler hat die Klägerin im Rentenantrag als Ghetto-Beschäftigung angegeben. Der Verstorbene selbst hat in seiner eidlichen Versicherung vom 24.12.1953 seine Arbeit als Kunstschriftmaler in der Propagandaleitung der NSDAP genannt und hinzugefügt, er besitze "in dieser Richtung eine gewisse Begabung". Für diese künstlerische Begabung spricht auch, dass er der Sterbeurkunde vom 10.10.2000 zufolge zuletzt in den USA als Designer von Handtaschen tätig war.
Die Erkenntnisse, die sich aus den Angaben des Verstorbenen im Entschädigungsverfahren und aus der Eintragung in die Liste der voll leistungsfähigen Juden ergeben, sind vor dem Hintergrund der historischen Erkenntnissen über die Arbeitssituation in den Ghettos des Generalgouvernement und in Starachowice zu interpretieren.
Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Hinweis der Beklagten auf den "reglementierten Arbeitsmarkt und den allgemein geltenden Arbeitszwang" einer Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss nicht entgegenstehen. In seinem Urteil vom 14.7.1999 (5 B 13 RJ 71/98) hat das BSG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass auch unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, d.h. trotz Regulierung des Arbeitsmarktes und Bestehens von Arbeitspflichten, nicht davon ausgegangen werden kann, die Gesamtheit aller Arbeitsverhältnisse sei derart obrigkeitlich / hoheitlich überlagert gewesen, dass sie den Charakter von Zwangsarbeit angenommen hätten. Auch der Gesetzgeber des ZRBG hielt es offensichtlich für möglich, dass Beschäftigungsverhältnisse aus eigenem Willensentschluss in den von Arbeitszwang und anderen Einschränkungen der jüdischen Bevölkerung gekennzeichneten besetzten Gebieten möglich waren, denn anderenfalls liefe der Anwendungsbereich des Gesetzes leer.
Dass trotz des gegen die jüdische Bevölkerung verhängten Arbeitszwanges im Generalgouvernement auch ´freie` Beschäftigungsverhältnisse existiert haben, ergibt sich zudem aus der durch das nationalsozialistische Unrechtsregime erlassenen Anordnung zur Durchführung des Arbeitseinsatzes der jüdischen Bevölkerung des Amtes des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete vom 5.7.1940 (veröffentlicht in Documenta Occupationis Bd. VI, S. 568 ff., Original: Jüdisches Historisches Institut Warschau).
Dort hieß es unter Bezug auf den eingeführten Arbeitszwang: "Dabei ist jedoch in allen geeigneten Fällen zunächst der Versuch der Beschäftigung der Juden im freien Arbeitsverhältnis zu unternehmen. Die Beschäftigung der Juden hat zweierlei zum Ziel: 1) die bestmögliche Ausnutzung ihrer Arbeitskraft im Allgemeinen, 2) die Sicherung des eigenen und des Lebensunterhalts der Familie. Demgemäß kann sich der Arbeitseinsatz der Juden in zwei Formen vollziehen: a) durch Beschäftigung der nicht zur Zwangsarbeit aufgerufenen Juden im freien Arbeitsverhältnis; die Arbeitsbedingungen sind in einer besonderen Tarifordnung im Einzelnen noch festzulegen ( ) b) durch die Einberufung von Juden zur Zwangsarbeit auf Grund der Verordnung vom 26.10.1939, die eine Entlohnung nicht vorsieht. Die Form zu b) kommt im allgemeinen nur in Frage bei grösseren Projekten, bei denen eine grosse Anzahl von Zwangsarbeitern beschäftigt, lagermäßig untergebracht und bewacht werden kann. ( ) Die Gestellung einer jüdischen Arbeitskraft ist nur noch beim zuständigen Arbeitsamt zu beantragen ( ) Die Judenräte sind zu veranlassen, Anträge auf Gestellung von Zwangsarbeitern in Zukunft in jedem Falle an das zuständige Arbeitsamt zu verweisen ( ...)."
Die Form der Auswahl der Arbeitskräfte bleibt den Arbeitsämtern überlassen, insbesondere, ob sie bei der Auswahl der Kräfte die Judenräte heranziehen wollen oder nicht".
Zur Umsetzung des Arbeitszwangs in den Ghettos des Generalgouvernements hat der Historiker Professor Dr. F1 G. in seinem – den Beteiligten vorliegenden - gerichtlich veranlassten Gutachten zum Generalgouvernement vom 9.9.2005 am Beispiel des Warschauer Ghettos im einzelnen dargelegt, wie der Arbeitszwang durch den Judenrat auf die Ghettobevölkerung verteilt wurde, so dass jeder Arbeitskarteninhaber nur an bestimmten Tagen des Monats verpflichtet war, zu arbeiten. An den anderen Tagen waren sie frei (Gutachten G. für das SG Hamburg, S 20 RJ 674/04 u.a., S. 4,5). Aus einem anonymen Tagebuch zitiert der Gutachter: "Die Beschäftigten, die formal Arbeitenden, das war eine privilegierte Kaste ( ...) Jeder, der offen und legal arbeitete, mit einem entsprechenden Ausweis und auf eine Weise, wie sie durch die neue Ordnung verfügt wurde, war einer der Auserwählten, der Gesicherten, der Gedeckten, der Menschen, die einen Ort gefunden hatten." (Gutachten G. S. 11, Fußnote 27). "Die Entscheidung, eine Tätigkeit anzunehmen," – so der Prof. Dr. G. - "war also nicht nur freiwillig, sie galt als Chance - materiell und geistig." Meistens habe es deshalb auch mehr Interessenten als Arbeitsplätze gegeben (Gutachten G. S. 11).
Der Historiker Dr. J. Z. führt in einem für das LSG Nordrhein-Westfalen erstellten Gutachten am Beispiel des Ghettos Tschenstochau aus: "Und wenn der Judenrat auch gezwungen wurde, diese Arbeitskräfte bereitzustellen, so war es doch für die Ghettoinsassen durchaus interessant, sich bei der jüdischen Arbeitsorganisation dafür aus eigener Initiative zu melden; keinesfalls war es innerhalb des Ghettos nämlich so, dass der Zwang weitergegeben werden musste, ganz im Gegenteil bewarben sich meist mehr Menschen, als überhaupt Stellen vorhanden waren. Immerhin boten diese Tätigkeiten doch die Chance, überhaupt eine Bezahlung zu erhalten; darüber hinaus waren sie auch mit der sicheren Zuteilung von Nahrungsrationen verbunden. Ohne Arbeit aber war ein Überleben nur schwer möglich". (Z., Institut für Zeitgeschichte München, Gutachten vom 4.10.2007 für das LSG NRW, L 8 R 104/07)
Aus den genannten und einer Vielzahl weiterer historischer Gutachten, die mittlerweile auf Veranlassung der Sozialgerichtsbarkeit erstellt wurden sowie aus etlichen archivierten Einzeldokumenten, die den Beteiligten aus anderen Verfahren ebenfalls bekannt sind, ergibt sich für das Generalgouvernement eine grundsätzliche Vermutung dafür, dass Arbeitstätigkeiten während des Aufenthaltes im Ghetto überwiegend nicht unter hoheitlichem Zwang sondern aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen sind. Die Auffassung der Beklagten, es sei in Anbetracht des geltenden Arbeitszwangs nicht glaubhaft, dass der Arbeitsaufnahme ein gewisses Maß an eigener Entscheidungsfreiheit zu Grunde gelegen habe, ist vor diesem Hintergrund nicht haltbar.
Für die Verhältnisse im Ghetto Starachowice liegen überdies spezielle Erkenntnisse aus dem gegen W1 B. u.a. wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen im Kreis Starachowice geführten Strafverfahren vor, die den Schluss zulassen, dass die Ghettobewohner durchaus aus eigenem Willensentschluss – etwa bei den dort ansässigen deutschen H.-G.-Werken arbeiteten. Die Arbeitsplätze dort waren – da die ´kriegswichtigen Arbeiter` weniger von der Deportation bedroht waren - sogar so begehrt, dass Geld bezahlt wurde, um eine Stelle zu bekommen (Strafverfahrensakten des LG Hamburg 141 Js 1312/63 - Staatsarchiv Hamburg - beigezogen im Verfahren SG Hamburg S 9 RJ 1059/04).
Die Kammer hält es bereits in Anbetracht dieser allgemeinen historischen Erkenntnisse für unwahrscheinlich, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin als damals ca. 20-jähriger, arbeitsfähiger und mit handwerklichen Fähigkeiten ausgestattete Mann während seines Aufenthaltes im Ghetto ausschließlich Zwangsarbeiten verrichtet hat.
Vielmehr spricht vieles dafür, dass es sich jedenfalls bei den Tätigkeiten, die er im Entschädigungsverfahren für einen späteren Zeitpunkt nach Beginn der Verfolgung ("nachher") genannt hat, um Tätigkeiten aus eigenem Willensentschluss handelte. Dabei ist davon auszugehen, dass es sich bei diesen Tätigkeiten für die deutsche Wehrmacht und die Zivilverwaltung sowie die Propagandaleitung der NSDAP um Arbeitsplätze handelte, die zu den begehrteren Stellen zählten.
So führt der Historiker Z. in seinem für das LSG Nordrhein-Westfalen erstellten Gutachten vom 4.10.2007 (a.a.O.) aus: "Der Judenrat organisierte den Einsatz der jüdischen Bevölkerung und verteilte die wenigen Stellen. Wer Glück, gute Beziehungen oder spezielle Qualifikationen hatte, konnte aus den zahlreichen Interessenten herausstechen und einen Platz erhalten, der es ihm ermöglichte, zu seinen Lebenshaltungskosten beizutragen. Dies mussten nicht immer nur Stellen in der Industrie sein, auch Hilfstätigkeiten für deutsche Behörden ( ...) waren vorhanden, wo etwa Putz- und Aufräumdienste, aber auch Tätigkeiten in den Kantinen gefragt waren. ( ...) Jüdische Arbeitskräfte bildeten darüber hinaus innerhalb kürzester Zeit das Gros des Hilfspersonals in allen von den Deutschen geführten Unternehmen, Ämtern und Institutionen, sogar in den Polizeidienststellen und SS-Kasernen gab es sogenannten ´Hausjuden`, die hauptsächlich Putz-, aber auch Reparatur- und Instandhaltungsarbeiten verrichteten" ( ...).
Dafür, dass die genannten Arbeiten aus eigenem Willensentschluss erfolgt sind, spricht auch die Formulierung in der eidlichen Versicherung des Verstorbenen vom 24.12.1953. So heißt es dort für die Anfangszeit ab Januar 1940, er habe verschiedene Zwangsarbeiten im städtischen Krankenhaus bei der Müllentfernung und anderen Aufräumungsarbeiten verrichten müssen. Die späteren Arbeiten, werden ohne Hinweis auf Zwang beschrieben, nämlich mit den Worten "nachher war ich ..., dann arbeitete ich ...". Für die in diesem Zusammenhang genannten Arbeiten – Kohlenladen bei der deutschen Wehrmacht in den Kasernen, Landwirtschaft, Kreisverwaltung und Propagandaleitung der NSDAP – ist es nach Auffassung der Kammer überwiegend wahrscheinlich, dass der Verstorbene sie aus eigenem Willensentschluss verrichtet hat.
Dem steht auch nicht entgegen, dass der Verstorbene zu seinen Arbeitsstätten außerhalb des Ghettos unter Bewachung des jüdischen Ordnungsdienstes geführt wurde. Auch insoweit ist es mittlerweile historisch belegt, dass die Juden den Weg zu ihren Arbeitsplätzen außerhalb des Ghettos – quasi als Fortsetzung der Ghettoisierung - regelmäßig unter Bewachung oder Aufsicht zurückgelegt haben. Ein Indiz für Zwangsarbeit ist dies nicht.
Das Gericht hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der Angaben des Verstorbenen und der Zeugen im Entschädigungsverfahren zu zweifeln. Die Angaben werden bestätigt durch die Eintragung des Verstorbenen in die Liste der jüdischen Arbeiter aus dem Jahre 1940. Sie sind in Anbetracht der historischen Erkenntnisse plausibel und in sich konsistent. Bei den genannten Arbeiten hat es sich den historischen Tatsachen zufolge um Arbeiten gehandelt, die Juden im Generalgouvernement tatsächlich ausgeübt haben. Dass ein polnischer Jude als Kunstschriftmaler für die Propagandaleitung der NSDAP tätig war, erscheint zudem so absurd, dass die Kammer es für nahezu ausgeschlossen hält, dass der Verstorbene sich ausgerechnet diese Tätigkeit für Zwecke des Entschädigungsverfahrens erdacht haben könnte.
Soweit der Verstorbene im Entschädigungsverfahren seine gesamten Arbeiten während der Zeit der Verfolgung als Zwangsarbeit bezeichnet hat, stellt dies die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses aus eigenem Willensentschluss nicht in Frage. Die Verwendung des Begriffs Zwangsarbeit lässt nämlich regelmäßig keinen Aufschluss über die konkreten Bedingungen der im Ghetto geleisteten Arbeit zu. Vielmehr dürften in der Erinnerung der Betroffenen die Zwangsbedingungen im Ghetto und die mit dem Nicht-Innehaben eines Arbeitsplatzes verbundene Angst vor Deportation und Vernichtung auch die Beurteilung der Arbeitsumstände wesentlich geprägt haben. Der Terminus Zwangsarbeit bzw. "forced labor" ist daher bei den Überlebenden des Holocaust für Arbeitstätigkeiten während der gesamten nationalsozialistischen Verfolgung durchaus gebräuchlich. Aus der Verwendung der Begriffe kann aber wegen ihrer subjektiven Prägung (vgl. BSG Urteil vom 30.8.2001, B 13 RJ 59/00 R) eine Klassifizierung in die Kategorien des Rentenrechts nicht abgeleitet werden. Maßgeblich sind vielmehr die konkreten Umstände des Zustandekommens der Beschäftigung im Einzelfall.
Das Gericht hat eine Beschäftigungszeit ab 2.4.1941 angenommen. Ab diesem Zeitpunkt hat unstreitig ein geschlossenes Ghetto in Starachowice existiert. Die Zäsur in der Schilderung der ab Januar 1940 ausgeführten Arbeiten in der eidlichen Versicherung vom 24.12.1953 ("nachher war ich" ...) deutet darauf hin, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin mit den chronologisch als erstes genannten Müll- und Aufräumarbeiten tatsächliche Zwangsarbeiten beschrieben hat, wie sie typischerweise vor der Kanalisation des Arbeitszwangs durch die Judenräte – die im Generalgouvernement jedenfalls in der ersten Hälfte des Jahres 1940 abgeschlossen war – ausgeführt werden mussten. Es ist daher historisch plausibel, dass sich die "nachher" verrichteten Arbeiten jedenfalls auf die Zeit ab April 1941 beziehen. Als Ende der Beschäftigung im Sinne des ZRBG hat die Kammer in Übereinstimmung mit der Schilderung des Verstorbenen im Entschädigungsverfahren den 27.10.1942 angenommen, da er an diesem Tag in das ZAL verbracht wurde.
c) Das Gericht sieht es auch als glaubhaft an, dass die Tätigkeiten des Verstorbenen im Ghetto Starachowice gegen Entgelt ausgeübt wurden.
Anknüpfungspunkt für die Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals ist die vom Gesetzgeber beim Erlass des ZRBG vorgefundenen Legaldefinition des § 14 Abs. 1 S. 1 SGB IV, wonach unter einem Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung zu verstehen sind, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Einnahme besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.1.2007, L 2 R 464/06). Einer wirtschaftlichen Gleichwertigkeit von Arbeit und Gegenleistung bedarf es nicht (BSG, Urteil vom 18.6.1997, 5 RJ 66/95), das Entgelt muss aber – auch unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft - eine gewisse Mindesthöhe erreichen. Auch unter Ghetto-Bedingungen kann der Entgeltbegriff daher nicht völlig von der Höhe des für geleistete Arbeit Erlangten gelöst werden, so dass auch im Rahmen des ZRBG nicht jedes "irgendwie geartetes, und sei es noch so geringes Entgelt" zu einem Rentenanspruch führt (vgl. BSG, Urteil vom 7.10.2004, B 13 RJ 59/03 R).
Maßstab für die Beurteilung des Umfangs der erhaltenen Gegenleistung können allerdings nur die tatsächlichen Verhältnisse in den Ghettos sein, da die Anwendung eines Gesetzes, welches sich ausschließlich auf jüdische Ghettos bezieht, ohne Betrachtung der dort herrschenden Arbeits- und Entlohnungsverhältnisse nicht auskommt (vgl. SG Hamburg, Urteil vom 15.8.2006, S 20 R 1485/05 wonach auch Lebensmittelrationen als Entgelt in Betracht kommen).
Vor dem Hintergrund der in den Ghettos herrschenden besonderen Umstände, die mit dem erzwungenen dortigen Aufenthalt verbunden sind, hat das LSG Mainz es für ausreichend erachtet, wenn die Zahlung als Gegenleistung für die verrichtete Arbeit an den Judenrat erfolgte und dem Inhaftierten daher nur mittelbar – im Rahmen der Versorgung der Ghettobewohner - zukam (LSG Mainz, Urteil vom 27.2.2008, L 6 R 18/07).
Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung der Entgeltlichkeit der Beschäftigung dürfen ausgehend von den gesetzlichen Zielen des ZRBG nicht überspannt werden. Dem vom Gesetzgeber vorgefundene Beweis- und Darlegungsnotstand muss bei der Gesetzesanwendung vielmehr angemessen Rechnung getragen werden (LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 24.1.2007, L 2 R 464/06).
Angaben zur Entgeltlichkeit seiner Arbeit hat der verstorbene Ehegatte der Klägerin im Entschädigungsverfahren – da es hierauf nach dem BEG nicht ankam - nicht gemacht.
Bei Rentenantragstellung hat die Klägerin als Entgelt "Mark" und Nahrungsmittel (marks/food) angegeben. Es handelt sich hierbei um eine Angabe, wie sie der Kammer aus etlichen vergleichbaren Verfahren bekannt ist und der sie keine Aussagekraft beimisst, da sie von dem damaligen Bevollmächtigten der Klägerin bzw. seinen Korrespondenzstellen vor Ort offenbar generell und ohne nähere Erörterung mit den Antragstellern veranlasst wurde.
Die Kammer geht gleichwohl davon aus, dass der Verstorbene für seine vom Ghetto aus verrichteten Arbeiten eine Gegenleistung im Sinne eines Entgelts erhalten hat.
Hierfür sprechen die Anordnungen des Amtes des Generalgouverneurs zur Entlohnung der Juden und deren Umsetzung. Grundlage für die Bezahlung der jüdischen Arbeiter war die bereits genannte Anordnung zur Durchführung des Arbeitseinssatzes der jüdischen Bevölkerung des Amtes des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete vom 5.7.1940 (veröffentlicht in Documenta Occupationis Bd. VI, S. 568, 571), in welcher es heißt:
"Bisher fand eine regelrechte Entlohnung der jüdischen Arbeitskräfte meist nicht statt. Man überlies diese vielmehr den Judenräten. Inzwischen sind jedoch langsam die Geldreserven der Judenräte erschöpft. Um die Arbeitstätigkeit der Juden zu erhalten, den nötigen Lebensunterhalt der Familie sicherzustellen und Krankheiten und Seuchen zu vermeiden, muss mit diesem bisherigen Grundsatz gebrochen und eine ordnungsmässige Entlohnung gefordert werden. Bei den nicht zur Zwangsarbeit einberufenen, sondern v e r m i t t e l t e n Arbeitskräften hat eine ordnungsmässige Entlohnung auf Grund der noch zu erlassenen Tarifordnung zu erfolgen.( ) Falls eine Beschäftigung auf Akkordbasis nicht möglich ist, ist der Stundenlohn nach einer Tarifordnung für polnische Arbeitskräfte – vermindert um 20% zu gewähren."
Hintergrund für diese Regelung war die "zunehmende Verknappung an Arbeitskräften im Generalgouvernement", die die "Nutzbarmachung der jüdischen Arbeitskraft" dringend erforderlich mache, "zumal sich unter diesen zwangsarbeitspflichtigen Juden im Gegensatz zu den Juden im Reich auch gute Facharbeiter und Handwerker befinden" (Anordnung des Amtes des Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete vom 5.7.1940 - a.a.O.)
Die ordnungsmäßige Entlohnung, so die Historikerin I. H. in ihrem - den Beteiligten bekannten - Gutachten vom 13.6.2008 (H., Gutachten zu Arbeitsfragen im Ghetto Minsk-Mazowiecki, erstattet für das SG Hamburg (Az. S 20 R 1146/05) sei auch in mehreren Folgedokumenten erklärt worden und besage, dass freie Arbeitsverhältnisse im Normalfall, also der Ordnung entsprechend, entlohnt sein sollen.
Die Verordnung sei in den Distrikten mit Schwierigkeiten und sicher nicht sofort, aber doch nach und nach umgesetzt worden. Da die Verfügung vor allem bei Militär, SS und Polizei auf großen Widerstand gestoßen sei, habe der Leiter der Abteilung Arbeit, M. F2, in einem Schreiben an den Obersten Militärführer und an den Führer der Sicherheitspolizei und des SD im Generalgouvernement um Unterlassung von Razzien zur Rekrutierung von Arbeitern gebeten und die Notwendigkeit der Versorgung und Entlohnung der Arbeiter erklärt (H., Gutachten vom 13.6.2008, a.a.O.; zur Weigerung deutscher Dienststellen, jüdische Kräfte zu bezahlen siehe auch Bogdan Musial, Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement, 1999, S. 169, 170; Robert Seidel, Deutsche Besatzungspolitik in Polen – Der Distrikt Radom 1939 – 1945, 2005, S. 269).
Im September 1940 hat F2 den Leitern der Distrikts-Abteilungen Arbeit und den Leitern der Arbeitsämter mitgeteilt, es werde daran festgehalten, dass der Lohn für Juden grundsätzlich 80% des Lohnes der Polen betrage. Bei Minderleistung bestehe die Möglichkeit, mit Zustimmung des Arbeitsamtes einen geringeren Lohn festzusetzen (Schreiben Dr. F2 vom 4.9.1940, Anlage 4 des Gutachtens H. vom 13.6.2008, a.a.O.).
Zur Umsetzung der Anordnung F2’s führt die Gutachterin H. am Beispiel des Warschauer Ghettos aus, die Verordnung sei im Laufe des Jahres 1941 immer mehr durchgesetzt worden. Aus Zahlen, die für das Warschauer Ghetto erhoben worden seien, ergebe sich, dass ab Mai 1941 alle Arbeiter bei deutschen Arbeitsstellen (Placowkas) entlohnt worden seien. Bis Ende 1941 seien davon 77-94% der Arbeiter durch die deutschen Arbeitgeber entlohnt worden. Die Ausgaben für die verbleibenden 23-6% habe der Judenrat getragen (H., Gutachten vom 13.6.2008, a.a.O., unter Verweis auf die polnische Veröffentlichung von Tatiana Berenstein, Praca przymusowa zydow w czasie okupacji hitlerowskiej, S. 52, Anlage 5 des Gutachtens).
Für den Distrikt Radom - zu dem Starachowice gehört - bezeichnet der Gutachter B1 es als historisch gesichert, dass für jüdische Arbeitnehmer reguläre Beschäftigungsverhältnisse auf Grundlage der dort geltenden Tarifordnungen bestanden (A. B1, Gutachten für das Sozialgericht Speyer im Verfahren S 11 RJ 714/04 vom 5.7.2007, S. 53, 54).
Dafür, dass auch die Tätigkeit des Verstorbenen bei der Kreisverwaltung von tariflichen Regelungen erfasst war, spricht außerdem die Existenz der Tarifordnungen für "nichtdeutsche Angestellte im öffentlichen Dienst" und "nichtdeutsche Arbeiter und Arbeiterinnen im öffentlichen Dienst" im Generalgouvernement vom 24.4.1940 und 25.4.1940, auf deren Grundlage Gehalts- und Lohnordnungen erlassen wurden (Verordnungsblatt für das Generalgouvernement, Jahrgang 1941, Seite 18, 21, 22).
Auch wenn es Hinweise darauf gibt, dass deutsche Dienststellen die vorgesehenen Tariflöhne – jedenfalls im Jahre 1940 - nicht oder nicht in voller Höhe gezahlt haben, spricht nach Auffassung der Kammer wesentlich mehr dafür, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin ein Entgelt für seine Arbeit erhalten hat, als dagegen. In Anbetracht der genannten Anordnung zur Entlohnung der vermittelten jüdischen Arbeitskräfte und deren Umsetzung vor dem Hintergrund des ab Ende 1940 zunehmenden Arbeitskräftemangels ist es überwiegend wahrscheinlich, dass die Stellen, bei denen der Kläger ab April 1941 tätig war – Wehrmacht und Zivilverwaltung des Generalgouvernements sowie Propagandaleitung der NSDAP - ihren jüdischen Arbeitern, zumal bei qualifizierter Arbeit, ein Entgelt gezahlt haben. Gründe, warum ausgerechnet der verstorbene Ehegatte der Klägerin, dessen Arbeit – insbesondere als Kunstschriftmaler für die NSDAP - nicht einfach zu ersetzen gewesen sein dürfte, keine Gegenleistung erhalten haben soll, sind nicht ersichtlich.
Trotz fehlender individueller Angaben zum Erhalt eines Entgelts ist es nach Ansicht der Kammer glaubhaft, dass der verstorbene Ehegatte der Klägerin eine Gegenleistung für seine während der Zeit seines Zwangsaufenthalts im Ghetto Starachowice verrichteten Tätigkeiten erhalten hat.
Ist damit für die Zeiten der Beschäftigung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin im Ghetto das ZRBG anwendbar, gelten für ihn gem. § 2 Abs. 1 ZRBG Beiträge als gezahlt. Der Erfüllung zusätzlicher Voraussetzungen – wie insbesondere die Zugehörigkeit zum deutschen Sprach- und Kulturkreis – bedarf es nicht (BSG, Urteil vom 26.7.2007, B 13 R 28/06 R).
Die allgemeine Wartezeit ist aufgrund der ZRBG-Beitragszeiten unter Berücksichtigung der anzurechnenden verfolgungsbedingten Ersatzzeiten vor und nach dem Ghettoaufenthalt des verstorbenen Ehegatten der Klägerin gem. § 250 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
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