Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 19 RJ 954/99
Datum
-
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 RJ 67/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im Streit.
Die am X.XXXXXXX 1946 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Nach Beendigung des Schulbesuchs und Erlangung des Hauptschulabschlusses ist sie zunächst als Verkaufskraft in einer Bäckerei und danach in anderen ungelernten Beschäftigungsverhältnissen tätig gewesen. Von 1972 bis 1998 war sie bei der Deutschen Bundespost/Deutsche Post AG als Postarbeiterin, zuletzt im Briefzentrum A., beschäftigt. In dieser Beschäftigung erkrankte sie am 28. Oktober 1997 arbeitsunfähig und erhielt seit dem 10. Dezember 1997 Krankengeld bis zur Erschöpfung des Anspruchs. Seitdem geht sie keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 20 wegen Minderbelastbarkeit bei degenerativem Wirbelsäulenleiden und Schultersyndrom und wegen psychovegetativer Störungen aufgrund Bescheides vom 6. November 1995 anerkannt.
Unter dem 16. Juli 1998 stellte die Klägerin Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit und gab hierzu an, in psychosomatischer Behandlung zu sein. Auf Veranlassung der Beklagten wurde sie durch den Arzt für Psychiatrie W. am 31. August 1998 untersucht und anschließend schriftlich begutachtet. Dieser diagnostizierte einen subdepressiv gefärbten Erschöpfungs- und Versagenszustand mit deutlicher Somatisierungstendenz vor dem Hintergrund einer neurotischen Fehlentwicklung bei depressiver Grundstruktur, ein Lendenwirbelsäulen-Syndrom ohne Funktionsbuße und ohne radikuläre Beteiligung, einen Spannungskopfschmerz sowie ein Struma und ein myogenes Halswirbelsäulen-Syndrom und hielt die Klägerin noch für in der Lage, regelmäßig vollschichtige Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen (nicht im Akkord, ohne Wechsel- und Nachtschicht, ohne schweres Heben und Tragen sowie ohne Zwangshaltung und ohne Überkopfarbeiten) auszuführen.
Mit Bescheid vom 11. September 1998 lehnte die Beklagte die Gewährung der begehrten Rente ab. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, zu dessen Begründung sie ausführte, der Postarzt halte sie für postdienstuntauglich. Diese Einschätzung beziehe sich auch auf leichte körperliche Tätigkeiten, deshalb müsse die vorgenommene Leistungseinschätzung überprüft werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Daraufhin hat die Versicherte fristgerecht Klage erhoben, mit der sie ihr auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit gerichtetes Begehren weiterverfolgt hat. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihre körperlichen und seelischen Leiden seien nicht hinreichend gewürdigt worden. Sie könne nicht mehr vollschichtig tätig sein.
Das Sozialgericht hat die Klägerin nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte und einer Arbeitgeberauskunft sowie Beiziehung der Akten des Versorgungsamtes Hamburg durch den Facharzt für Chirurgie Dr. E. ambulant untersuchen und schriftlich begutachten lassen. Dieser gelangte in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 18. April 2002 auf der Grundlage der Diagnosen "Muskelreizzustände an Hals- und Lendenwirbelsäule, geringe bis mäßige Verschleißumformung der Hals- und Lendenwirbelsäule sowie geringe Bewegungseinschränkungen beider Schultergelenke" zu der Einschätzung, dass die Klägerin noch in der Lage sei, leichte Arbeiten körperlicher Art in wechselnder Körperhaltung vollschichtig zu verrichten. Dauerhaftes Stehen oder dauerhaftes Gehen sollten nicht erfolgen und die Tätigkeit solle ohne häufiges Bücken und Heben schwerer Lasten durchgeführt werden. Bei Berücksichtigung weiterer qualitativer Einschränkungen wie Vermeiden von Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten oder an gefährdenden Arbeitsplätzen sowie Vermeiden dauernder Überkopfarbeit könne die Klägerin diese Arbeit noch regelmäßig und vollschichtig verrichten. Zusätzliche Pausen, persönliche Hilfen oder technische Arbeitshilfen seien nicht notwendig und die Klägerin sei wegefähig. Auch der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F., der die Klägerin ebenfalls auf Veranlassung des Sozialgerichts ambulant untersucht hat, gelangte in seinem Gutachten vom 2. Mai 2002 zu der Einschätzung, dass diese noch leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig verrichten könne. Bei ihr liege eine somatoforme Schmerzstörung, eine lebensgeschichtlich bedingte depressive Erkrankung im Sinne einer depressiven Episode oberflächlicher, im Verlauf zeitweise mittelschwerer Tiefe mit Somatisierung vor. Jedoch habe die psychische Erkrankung die Organisation über ihre Lebensführung noch nicht übernommen. Sie habe zwar mit ganz erheblichen Schwierigkeiten und Belastungsfaktoren zu kämpfen gehabt, stets aber überdurchschnittliche Stärke und Entschlusskraft bewiesen, die es ihr ermöglicht hätten, trotz Widrigkeiten im Leben "ihre Frau zu stehen". Dr. F. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht sein Gutachten dahingehend erläutert, dass die krankheitswertigen Erscheinungen bei der Klägerin noch kompensierbar seien. Das Geschehen im Zusammenhang mit der Trennung von dem zweiten Ehemann stelle nur ein Behandlungsleiden dar.
Durch am 7. März 2003 verkündetes Urteil hat das Sozialgericht die in der mündlichen Verhandlung auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beschränkte Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (SGB VI a.F.) nicht zu. Sie sei nicht erwerbsunfähig, weil sie zumutbare Tätigkeiten noch vollschichtig ausüben könne. Die von den Sachverständigen festgestellten Erkrankungen führten zwar zu einer deutlichen Leistungseinschränkung, jedoch sei die Klägerin noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen vollschichtig zu verrichten. Insoweit folge das Gericht den Sachverständigen Dr. E. und Dr. F ... Offenbleiben könne, ob die Trennung von dem Ehemann zu einer rentenrelevanten Verschlimmerung des Gesundheitszustands geführt habe, weil jedenfalls zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht von einer dauerhaften, d.h. mindestens sechs Monate betragenden Leistungseinschränkung auszugehen gewesen sei. Im Hinblick auf das vollschichtige Leistungsvermögen stehe ihr auch eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem seit dem 1. Januar 2001 geltenden Recht nicht zu.
Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. April 2003 zugestellt worden. Die Klägerin hat am 9. Mai 2003 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, den Ausführungen des Sachverständigen Dr. F., wonach sie noch erhebliche Ressourcen besitze, welche die Funktionsstörungen kompensieren könnten, könne nicht gefolgt werden. Ihre Situation habe sich insbesondere aufgrund der Trennung von dem Ehemann im Dezember 2002 erheblich verschlechtert. Dieser habe sie aufgrund ihrer Erkrankungen verlassen und sie sei insbesondere psychisch an einem Tiefpunkt angekommen, der es notwendig mache, dass sie nunmehr von ihren Kindern ständig umsorgt und betreut werde. Selbst einfachste Aufgaben könnten nicht mehr selbständig erledigt werden. Sie nimmt weiter Bezug auf einen Befundbericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 23. April 2004. Dort heißt es, diagnostisch liege eine chronifizierte Depression mit chronischem Schmerzsyndrom vor. Es sei von Erwerbsunfähigkeit auszugehen, ein Ende sei nicht absehbar. Die Klägerin bezieht sich ferner auf eine "gutachterliche Stellungnahme" des Facharztes für psychotherapeutische Medizin P. D. vom 27. Mai 2004, in der es heißt, die von Dr. F. angesprochenen Ressourcen seien bei der Klägerin nur im geringen Maße vorhanden. Zu verweisen sei auf eine inzwischen zerbrochene Ehe, eine belastende Beziehung zu den Töchtern, das Fehlen einer beruflichen Tätigkeit und beschränkte finanzielle Möglichkeiten. Auf die Stellungnahme (Bl. 188 bis 194 der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen. Ferner bezieht sich die Klägerin auf einen ärztlichen Befundbericht des Arztes D. vom 24. Juni 2004. Dort wird unter Diagnosen von einer somatoformen Schmerzstörung (ICD-10 F45.4), von einer depressiven Störung (ICD-10 F33.1) und von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus (F60.31) gesprochen.
Auf Veranlassung des Berufungsgerichts hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. die Klägerin am 25. Mai 2005 untersucht. In seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 14. Juni 2005 kommt er zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4), eine reaktive depressive Episode mit somatischem Syndrom (ICD-10 F32.01 bzw. 32.11) vorlägen und er hält die Klägerin auf dieser Grundlage für vollschichtig leistungsfähig für leichte körperliche Tätigkeiten und solche einfacher Art mit weiteren qualitativen Einschränkungen. Sie sei in der Lage, die sich jeder Arbeitsleistung entgegenstellenden psychischen Hemmungen durch entsprechende Anspannung ihrer Willenskraft zu überwinden. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Auf das schriftliche Sachverständigengutachten nebst elektroencephalographischem Zusatzgutachten (Bl. 221 bis 232 der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.
Auf den Antrag der Klägerin nach § 109 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie, psychotherapeutische Medizin und Psychoanalyse Dr. L. diese am 12. November und 4. Dezember 2007 ambulant untersucht. Er diagnostiziert in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 1. Februar 2008 eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine rezidivierende depressive Störung, zurzeit mittelgradiger Ausprägung auf dem Boden einer depressiven Persönlichkeitsorganisation mit strukturell verankerter narzistischer Regulationsstörung, die differentialdiagnostisch auch Züge einer emotional instabilen Persönlichkeitsorganisation vom Borderline-Typ trägt, eine anamnestisch rezidivierende Episode impulshaften Verhaltens unter Verlust der Steuerungsfähigkeit mit Alkoholexzessen und Medikamentenabusus sowie suizidaler Dekompensation und ein degeneratives Wirbelsäulenleiden. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hält er die Versicherte nicht mehr für in der Lage, leichte körperliche Arbeiten oder Arbeiten einfacher geistiger Art oder geringer Verantwortung regelmäßig zu verrichten. Auf das schriftliche Sachverständigengutachten (Bl. 290 bis 323 der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 7. März 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 11. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 1999 zu verurteilen, ihr ab 1. August 1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Klägerin nach wie vor nicht für erwerbsunfähig und verweist auf eine Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes vom 13. Februar 2008 in der es heißt, die Ausführungen Dr. L.’s hinsichtlich der Anamneseerhebung, der Befundbeschreibung und letztlich wohl auch hinsichtlich der diagnostischen Zuordnung seien aus dem Gutachten heraus nachvollziehbar. Jedoch könne der Leistungsbeurteilung nicht zugestimmt werden. Aus den Ausführungen in dem Gutachten werde deutlich, dass sich die Versicherte an ihre soziale Situation weitgehend adaptiert habe. Es werde auch deutlich, dass eine tatsächliche Veränderungsbereitschaft, z.B. die Wiederaufnahme eines Erwerbslebens, nicht mehr bestehe. Darüber hinaus könne davon ausgegangen werden, dass sich die Versicherte im Laufe der Jahre in zahlreichen nervenärztlichen Begutachtungen so etwas wie "Routine" für Gespräche bzw. Begutachtungen dieser Art angeeignet habe. Demgemäß blieben nur wenige Parameter, an denen die Leistungsfähigkeit ablesbar sei. Hierzu gehöre unzweifelhaft der Tagesablauf eines Menschen. Dieser lasse in der Regel Rückschlüsse auch auf Belastbarkeit, auf Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, aber auch auf verfügbare Kompetenzen und Ressourcen zu. Genau dieser von Dr. L. beschriebene Tagesablauf der Versicherten lasse allerdings im Vergleich zu vorherigen Befunden und Gutachten nicht den Schluss zu, dass die Versicherte im Rahmen ihrer psychischen Alteration im Wesentlichen hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sei. Der Tagesablauf, wie er von Herrn Dr. L. beschrieben sei, spreche dafür, dass die Versicherte sehr wohl in der Lage sei, ihren Ablauf zu strukturieren, sich die Dinge zu suchen, die ihr Spaß machten. Es sei daraus nicht erkennbar, dass eine schwerwiegende Leistungseinschränkung bestehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und auf die ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Sitzung am 13. August 2008 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung, über die im erklärten Einverständnis der Beteiligten (§ 155 Abs. 3 SGG) der Berichterstatter anstelle des Senats entscheiden kann, ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beschränkte Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Sozialgesetzbuch SGB VI a.F. nicht zu. Ihr steht auch keine Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung des Gesetzes (SGB VI n.F.) zu. Denn sie ist nicht erwerbsunfähig im Sinne der nach § 300 Abs. 2 SGB VI für den Zeitpunkt der Antragstellung hier noch anzuwendenden Vorschrift des § 44 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz SGB VI a.F. Sie ist auch mittlerweile nicht erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 1, 2 u. 3 SGB VI n.F. Denn sie besitzt bis heute ein die Rentengewährung nach all diesen Vorschriften ausschließendes vollschichtiges (bzw. mindestens sechsstündiges) Leistungsvermögen mit bestimmten qualitativen Einschränkungen und ist wegefähig. Dies folgt aus der Einschätzung der Leistungsfähigkeit, wie sie durch Dr. E. für den Bereich des chirurgisch-orthopädischen Fachgebietes und Dr. F. und Dr. H. für den Bereich des neurologisch-psychiatrischen Fachgebietes vorgenommen wurden. Das Gericht folgt dieser Einschätzung. Danach kann die Klägerin – bei Beachtung qualitativer Einschränkungen wie Vermeidung von Akkord und sonstigen Zeitdrucks, von Zwangshaltungen, von Witterungseinflüssen, Staub, Dämpfen und Lärm – noch leichte körperliche Tätigkeiten und solche einfacher Art vollschichtig verrichten und ist wegefähig.
Die von der Klägerin angegebene Einschätzung des Postarztes, wonach sie postdienstunfähig sei, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Denn diese Einschätzung deckt nicht das Tätigkeitsspektrum des allgemeinen Arbeitsmarktes ab, welcher auch leichte Tätigkeiten bereit hält. Demgegenüber waren die von der Klägerin für ihren ehemaligen Arbeitgeber zu verrichtenden Tätigkeiten einer Postarbeiterin als mindestens mittelschwer einzustufen. Die durch die Klägerin vorgenommene Beschreibung des zuletzt innegehabten Arbeitsplatzes im Briefzentrum A., wo sie schwere Zeitungspakte zu heben gehabt habe (vgl. Angaben der Klägerin im Gutachten des Dr. F., Blatt 77 der Gerichtsakte), bestätigt dies anschaulich. Der vorliegend vorgenommenen Leistungseinschätzung steht auch nicht der Abschlussbericht des letzten, auf Veranlassung der Beklagten durchgeführten Heilverfahrens im Jahre 1998 entgegen. Zwar heißt es in dem Reha-Entlassungsbericht des Klinikums für Rehabilitation, Kliniken am B. in Bad S1, vom 19. Juni 1998 abschließend zur sozialmedizinischen Epikrise, dass die Patientin auf Dauer nicht mehr in der Lage sei, die Anforderungen einer regelmäßigen Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert zu erbringen. Jedoch ist diese Gesamteinschätzung vor dem Hintergrund des in demselben Bericht festgestellten positiven und negativen Leistungsbildes für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht nachvollziehbar und ihr kommt deshalb für die vorliegend zu treffende Entscheidung keine Bedeutung zu. Denn ungeachtet der Gesamteinschätzung wird dort im Einzelnen festgehalten, dass die Klägerin für ihre letzte Tätigkeit als Postarbeiterin nur noch unter zwei Stunden leistungsfähig sei, während sie (vgl. Bl. 59 der Gutachtenakten) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte Tätigkeit in der Tagschicht ohne Akkordarbeit, ohne Wechselschicht, ohne Nachtschicht, ohne Überkopfarbeiten, ohne Zwangshaltungen und ohne schweres Heben und Tragen vollschichtig verrichten könne. Diese Einschätzung der Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt deckt sich wiederum mit derjenigen der gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. E., Dr. F. und Dr. H. sowie derjenigen des von der Beklagten beauftragten Arztes für Psychiatrie W ... Der Beurteilung des letztgenannten Gutachters kommt in diesem Zusammenhang besonderes Gewicht zu. Denn sie steht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Entlassung aus der Maßnahme der Rehabilitation und es liegt ihr deshalb im Wesentlichen derselbe körperliche Zustand zugrunde, wie im Zeitpunkt der Entlassung aus der Rehabilitationsmaßnahme. Auch im Hinblick auf das Ergebnis der Rehabilitationsmaßnahme ist deshalb von vollschichtiger Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugehen.
Der Annahme, dass die Klägerin noch vollschichtig leistungsfähig ist, steht schließlich auch nicht das nach § 109 Abs. 1 SGG eingeholte Gutachten des Dr. L. entgegen. Dieser gelangt zwar – bei weitestgehend identischen Befunden wie der Arzt W., wie Dr. F., Dr. H. und auch wie der die Klägerin behandelnde Arzt D. – zu einem aufgehobenen Leistungsvermögen. Er gibt hierfür jedoch keine nachvollziehbare Begründung und setzt sich vor allem nicht mit den zeitlich früheren gutachtlichen Äußerungen der dasselbe Fachgebiet abdeckenden Ärzte W., F. und H. auseinander, die sämtlich die Klägerin für vollschichtig leistungsfähig halten. Für das Gericht nachvollziehbar sind deshalb nur die Einschätzungen der Ärzte W., F. und H ... Ihnen ist darüber hinaus auch der Vorzug zu geben, weil sie in größerer zeitlicher Nähe zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben erstellt wurden und die Sachverständigen das Leistungsbild deshalb noch unmittelbar und ohne mögliche verfahrensbedingte Änderungen des Verhaltens erfassen konnten. Auch begründet Dr. L. nicht, warum aus seiner Sicht und im Gegensatz zu der Sicht der übrigen Gutachter das Leiden der Klägerin einen progredienten Verlauf genommen habe. Es ist in diesem Zusammenhang der Beklagten beizupflichten, dass der von der Klägerin gegenüber Dr. L. geschilderte Tagesablauf die Annahme eines aufgehobenen Leistungsvermögens nicht trägt. Hierbei ist für das Gericht auch der unmittelbar von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewonnene Eindruck von Bedeutung. Hier hat sie ebenfalls nicht den Eindruck eines wegen psychischer Störung aufgehobenen Leistungsvermögens gemacht. Vielmehr waren bei Schilderung der Alltagsbewältigung durchaus Willenskraft und Stärke erkennbar. Dies ergeben der Inhalt ihrer Antworten auf die gerichtlicherseits gestellten Fragen und die Art ihres Vortrages, welche die Einschätzung der Leistungsfähigkeit, wie sie durch Dr. F. und auch durch Dr. H. in Übereinstimmung mit dem Arzt W. erfolgt ist, letztlich bestätigen.
Bei der Klägerin liegt schließlich keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit führen müsste. Hierunter fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG v. 10.12. 2003 – B 5 RJ 64/02 R, juris) gerade nicht die "üblichen" Leistungseinschränkungen wie z.B. der Ausschluss von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder Sitzen erfordern, die im Akkord- oder Schichtdienst verrichtet werden oder besondere Anforderungen an das Seh-, Hör- und Konzentrationsvermögen erfordern, von denen die Klägerin ausweislich der durchgeführten Begutachtungen lediglich betroffen ist.
Ausgehend von einem vollschichtigen Leistungsvermögen ist die Klägerin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen. Erwerbsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung liegt nicht vor, ohne dass hierbei die Arbeitsmarktlage zu berücksichtigen wäre (§ 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI a.F.; § 43 Abs. 3 SGB VI n.F.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit im Streit.
Die am X.XXXXXXX 1946 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Nach Beendigung des Schulbesuchs und Erlangung des Hauptschulabschlusses ist sie zunächst als Verkaufskraft in einer Bäckerei und danach in anderen ungelernten Beschäftigungsverhältnissen tätig gewesen. Von 1972 bis 1998 war sie bei der Deutschen Bundespost/Deutsche Post AG als Postarbeiterin, zuletzt im Briefzentrum A., beschäftigt. In dieser Beschäftigung erkrankte sie am 28. Oktober 1997 arbeitsunfähig und erhielt seit dem 10. Dezember 1997 Krankengeld bis zur Erschöpfung des Anspruchs. Seitdem geht sie keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Bei ihr ist ein Grad der Behinderung von 20 wegen Minderbelastbarkeit bei degenerativem Wirbelsäulenleiden und Schultersyndrom und wegen psychovegetativer Störungen aufgrund Bescheides vom 6. November 1995 anerkannt.
Unter dem 16. Juli 1998 stellte die Klägerin Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit und gab hierzu an, in psychosomatischer Behandlung zu sein. Auf Veranlassung der Beklagten wurde sie durch den Arzt für Psychiatrie W. am 31. August 1998 untersucht und anschließend schriftlich begutachtet. Dieser diagnostizierte einen subdepressiv gefärbten Erschöpfungs- und Versagenszustand mit deutlicher Somatisierungstendenz vor dem Hintergrund einer neurotischen Fehlentwicklung bei depressiver Grundstruktur, ein Lendenwirbelsäulen-Syndrom ohne Funktionsbuße und ohne radikuläre Beteiligung, einen Spannungskopfschmerz sowie ein Struma und ein myogenes Halswirbelsäulen-Syndrom und hielt die Klägerin noch für in der Lage, regelmäßig vollschichtige Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mit qualitativen Einschränkungen (nicht im Akkord, ohne Wechsel- und Nachtschicht, ohne schweres Heben und Tragen sowie ohne Zwangshaltung und ohne Überkopfarbeiten) auszuführen.
Mit Bescheid vom 11. September 1998 lehnte die Beklagte die Gewährung der begehrten Rente ab. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch, zu dessen Begründung sie ausführte, der Postarzt halte sie für postdienstuntauglich. Diese Einschätzung beziehe sich auch auf leichte körperliche Tätigkeiten, deshalb müsse die vorgenommene Leistungseinschätzung überprüft werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. August 1999 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Daraufhin hat die Versicherte fristgerecht Klage erhoben, mit der sie ihr auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit gerichtetes Begehren weiterverfolgt hat. Zur Begründung hat sie vorgetragen, ihre körperlichen und seelischen Leiden seien nicht hinreichend gewürdigt worden. Sie könne nicht mehr vollschichtig tätig sein.
Das Sozialgericht hat die Klägerin nach Einholung von Befundberichten der behandelnden Ärzte und einer Arbeitgeberauskunft sowie Beiziehung der Akten des Versorgungsamtes Hamburg durch den Facharzt für Chirurgie Dr. E. ambulant untersuchen und schriftlich begutachten lassen. Dieser gelangte in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 18. April 2002 auf der Grundlage der Diagnosen "Muskelreizzustände an Hals- und Lendenwirbelsäule, geringe bis mäßige Verschleißumformung der Hals- und Lendenwirbelsäule sowie geringe Bewegungseinschränkungen beider Schultergelenke" zu der Einschätzung, dass die Klägerin noch in der Lage sei, leichte Arbeiten körperlicher Art in wechselnder Körperhaltung vollschichtig zu verrichten. Dauerhaftes Stehen oder dauerhaftes Gehen sollten nicht erfolgen und die Tätigkeit solle ohne häufiges Bücken und Heben schwerer Lasten durchgeführt werden. Bei Berücksichtigung weiterer qualitativer Einschränkungen wie Vermeiden von Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten oder an gefährdenden Arbeitsplätzen sowie Vermeiden dauernder Überkopfarbeit könne die Klägerin diese Arbeit noch regelmäßig und vollschichtig verrichten. Zusätzliche Pausen, persönliche Hilfen oder technische Arbeitshilfen seien nicht notwendig und die Klägerin sei wegefähig. Auch der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F., der die Klägerin ebenfalls auf Veranlassung des Sozialgerichts ambulant untersucht hat, gelangte in seinem Gutachten vom 2. Mai 2002 zu der Einschätzung, dass diese noch leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig verrichten könne. Bei ihr liege eine somatoforme Schmerzstörung, eine lebensgeschichtlich bedingte depressive Erkrankung im Sinne einer depressiven Episode oberflächlicher, im Verlauf zeitweise mittelschwerer Tiefe mit Somatisierung vor. Jedoch habe die psychische Erkrankung die Organisation über ihre Lebensführung noch nicht übernommen. Sie habe zwar mit ganz erheblichen Schwierigkeiten und Belastungsfaktoren zu kämpfen gehabt, stets aber überdurchschnittliche Stärke und Entschlusskraft bewiesen, die es ihr ermöglicht hätten, trotz Widrigkeiten im Leben "ihre Frau zu stehen". Dr. F. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht sein Gutachten dahingehend erläutert, dass die krankheitswertigen Erscheinungen bei der Klägerin noch kompensierbar seien. Das Geschehen im Zusammenhang mit der Trennung von dem zweiten Ehemann stelle nur ein Behandlungsleiden dar.
Durch am 7. März 2003 verkündetes Urteil hat das Sozialgericht die in der mündlichen Verhandlung auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beschränkte Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (SGB VI a.F.) nicht zu. Sie sei nicht erwerbsunfähig, weil sie zumutbare Tätigkeiten noch vollschichtig ausüben könne. Die von den Sachverständigen festgestellten Erkrankungen führten zwar zu einer deutlichen Leistungseinschränkung, jedoch sei die Klägerin noch in der Lage, körperlich leichte Arbeiten unter Beachtung qualitativer Einschränkungen vollschichtig zu verrichten. Insoweit folge das Gericht den Sachverständigen Dr. E. und Dr. F ... Offenbleiben könne, ob die Trennung von dem Ehemann zu einer rentenrelevanten Verschlimmerung des Gesundheitszustands geführt habe, weil jedenfalls zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht von einer dauerhaften, d.h. mindestens sechs Monate betragenden Leistungseinschränkung auszugehen gewesen sei. Im Hinblick auf das vollschichtige Leistungsvermögen stehe ihr auch eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem seit dem 1. Januar 2001 geltenden Recht nicht zu.
Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. April 2003 zugestellt worden. Die Klägerin hat am 9. Mai 2003 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, den Ausführungen des Sachverständigen Dr. F., wonach sie noch erhebliche Ressourcen besitze, welche die Funktionsstörungen kompensieren könnten, könne nicht gefolgt werden. Ihre Situation habe sich insbesondere aufgrund der Trennung von dem Ehemann im Dezember 2002 erheblich verschlechtert. Dieser habe sie aufgrund ihrer Erkrankungen verlassen und sie sei insbesondere psychisch an einem Tiefpunkt angekommen, der es notwendig mache, dass sie nunmehr von ihren Kindern ständig umsorgt und betreut werde. Selbst einfachste Aufgaben könnten nicht mehr selbständig erledigt werden. Sie nimmt weiter Bezug auf einen Befundbericht der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. S. vom 23. April 2004. Dort heißt es, diagnostisch liege eine chronifizierte Depression mit chronischem Schmerzsyndrom vor. Es sei von Erwerbsunfähigkeit auszugehen, ein Ende sei nicht absehbar. Die Klägerin bezieht sich ferner auf eine "gutachterliche Stellungnahme" des Facharztes für psychotherapeutische Medizin P. D. vom 27. Mai 2004, in der es heißt, die von Dr. F. angesprochenen Ressourcen seien bei der Klägerin nur im geringen Maße vorhanden. Zu verweisen sei auf eine inzwischen zerbrochene Ehe, eine belastende Beziehung zu den Töchtern, das Fehlen einer beruflichen Tätigkeit und beschränkte finanzielle Möglichkeiten. Auf die Stellungnahme (Bl. 188 bis 194 der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen. Ferner bezieht sich die Klägerin auf einen ärztlichen Befundbericht des Arztes D. vom 24. Juni 2004. Dort wird unter Diagnosen von einer somatoformen Schmerzstörung (ICD-10 F45.4), von einer depressiven Störung (ICD-10 F33.1) und von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typus (F60.31) gesprochen.
Auf Veranlassung des Berufungsgerichts hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. die Klägerin am 25. Mai 2005 untersucht. In seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 14. Juni 2005 kommt er zu dem Ergebnis, dass bei der Klägerin eine somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4), eine reaktive depressive Episode mit somatischem Syndrom (ICD-10 F32.01 bzw. 32.11) vorlägen und er hält die Klägerin auf dieser Grundlage für vollschichtig leistungsfähig für leichte körperliche Tätigkeiten und solche einfacher Art mit weiteren qualitativen Einschränkungen. Sie sei in der Lage, die sich jeder Arbeitsleistung entgegenstellenden psychischen Hemmungen durch entsprechende Anspannung ihrer Willenskraft zu überwinden. Die Wegefähigkeit sei gegeben. Auf das schriftliche Sachverständigengutachten nebst elektroencephalographischem Zusatzgutachten (Bl. 221 bis 232 der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.
Auf den Antrag der Klägerin nach § 109 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Arzt für Neurologie und Psychiatrie, psychotherapeutische Medizin und Psychoanalyse Dr. L. diese am 12. November und 4. Dezember 2007 ambulant untersucht. Er diagnostiziert in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 1. Februar 2008 eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine rezidivierende depressive Störung, zurzeit mittelgradiger Ausprägung auf dem Boden einer depressiven Persönlichkeitsorganisation mit strukturell verankerter narzistischer Regulationsstörung, die differentialdiagnostisch auch Züge einer emotional instabilen Persönlichkeitsorganisation vom Borderline-Typ trägt, eine anamnestisch rezidivierende Episode impulshaften Verhaltens unter Verlust der Steuerungsfähigkeit mit Alkoholexzessen und Medikamentenabusus sowie suizidaler Dekompensation und ein degeneratives Wirbelsäulenleiden. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hält er die Versicherte nicht mehr für in der Lage, leichte körperliche Arbeiten oder Arbeiten einfacher geistiger Art oder geringer Verantwortung regelmäßig zu verrichten. Auf das schriftliche Sachverständigengutachten (Bl. 290 bis 323 der Gerichtsakte) wird ergänzend Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 7. März 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 11. September 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 1999 zu verurteilen, ihr ab 1. August 1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Klägerin nach wie vor nicht für erwerbsunfähig und verweist auf eine Stellungnahme ihres Sozialmedizinischen Dienstes vom 13. Februar 2008 in der es heißt, die Ausführungen Dr. L.’s hinsichtlich der Anamneseerhebung, der Befundbeschreibung und letztlich wohl auch hinsichtlich der diagnostischen Zuordnung seien aus dem Gutachten heraus nachvollziehbar. Jedoch könne der Leistungsbeurteilung nicht zugestimmt werden. Aus den Ausführungen in dem Gutachten werde deutlich, dass sich die Versicherte an ihre soziale Situation weitgehend adaptiert habe. Es werde auch deutlich, dass eine tatsächliche Veränderungsbereitschaft, z.B. die Wiederaufnahme eines Erwerbslebens, nicht mehr bestehe. Darüber hinaus könne davon ausgegangen werden, dass sich die Versicherte im Laufe der Jahre in zahlreichen nervenärztlichen Begutachtungen so etwas wie "Routine" für Gespräche bzw. Begutachtungen dieser Art angeeignet habe. Demgemäß blieben nur wenige Parameter, an denen die Leistungsfähigkeit ablesbar sei. Hierzu gehöre unzweifelhaft der Tagesablauf eines Menschen. Dieser lasse in der Regel Rückschlüsse auch auf Belastbarkeit, auf Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, aber auch auf verfügbare Kompetenzen und Ressourcen zu. Genau dieser von Dr. L. beschriebene Tagesablauf der Versicherten lasse allerdings im Vergleich zu vorherigen Befunden und Gutachten nicht den Schluss zu, dass die Versicherte im Rahmen ihrer psychischen Alteration im Wesentlichen hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sei. Der Tagesablauf, wie er von Herrn Dr. L. beschrieben sei, spreche dafür, dass die Versicherte sehr wohl in der Lage sei, ihren Ablauf zu strukturieren, sich die Dinge zu suchen, die ihr Spaß machten. Es sei daraus nicht erkennbar, dass eine schwerwiegende Leistungseinschränkung bestehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und auf die ausweislich der Niederschrift über die öffentliche Sitzung am 13. August 2008 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ist nach §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und im Übrigen zulässig, namentlich fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden.
Die Berufung, über die im erklärten Einverständnis der Beteiligten (§ 155 Abs. 3 SGG) der Berichterstatter anstelle des Senats entscheiden kann, ist aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat die auf die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit beschränkte Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin steht eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 44 Sozialgesetzbuch SGB VI a.F. nicht zu. Ihr steht auch keine Rente wegen Erwerbsminderung gemäß § 43 SGB VI in der ab 1. Januar 2001 geltenden Fassung des Gesetzes (SGB VI n.F.) zu. Denn sie ist nicht erwerbsunfähig im Sinne der nach § 300 Abs. 2 SGB VI für den Zeitpunkt der Antragstellung hier noch anzuwendenden Vorschrift des § 44 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz SGB VI a.F. Sie ist auch mittlerweile nicht erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 1, 2 u. 3 SGB VI n.F. Denn sie besitzt bis heute ein die Rentengewährung nach all diesen Vorschriften ausschließendes vollschichtiges (bzw. mindestens sechsstündiges) Leistungsvermögen mit bestimmten qualitativen Einschränkungen und ist wegefähig. Dies folgt aus der Einschätzung der Leistungsfähigkeit, wie sie durch Dr. E. für den Bereich des chirurgisch-orthopädischen Fachgebietes und Dr. F. und Dr. H. für den Bereich des neurologisch-psychiatrischen Fachgebietes vorgenommen wurden. Das Gericht folgt dieser Einschätzung. Danach kann die Klägerin – bei Beachtung qualitativer Einschränkungen wie Vermeidung von Akkord und sonstigen Zeitdrucks, von Zwangshaltungen, von Witterungseinflüssen, Staub, Dämpfen und Lärm – noch leichte körperliche Tätigkeiten und solche einfacher Art vollschichtig verrichten und ist wegefähig.
Die von der Klägerin angegebene Einschätzung des Postarztes, wonach sie postdienstunfähig sei, steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Denn diese Einschätzung deckt nicht das Tätigkeitsspektrum des allgemeinen Arbeitsmarktes ab, welcher auch leichte Tätigkeiten bereit hält. Demgegenüber waren die von der Klägerin für ihren ehemaligen Arbeitgeber zu verrichtenden Tätigkeiten einer Postarbeiterin als mindestens mittelschwer einzustufen. Die durch die Klägerin vorgenommene Beschreibung des zuletzt innegehabten Arbeitsplatzes im Briefzentrum A., wo sie schwere Zeitungspakte zu heben gehabt habe (vgl. Angaben der Klägerin im Gutachten des Dr. F., Blatt 77 der Gerichtsakte), bestätigt dies anschaulich. Der vorliegend vorgenommenen Leistungseinschätzung steht auch nicht der Abschlussbericht des letzten, auf Veranlassung der Beklagten durchgeführten Heilverfahrens im Jahre 1998 entgegen. Zwar heißt es in dem Reha-Entlassungsbericht des Klinikums für Rehabilitation, Kliniken am B. in Bad S1, vom 19. Juni 1998 abschließend zur sozialmedizinischen Epikrise, dass die Patientin auf Dauer nicht mehr in der Lage sei, die Anforderungen einer regelmäßigen Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert zu erbringen. Jedoch ist diese Gesamteinschätzung vor dem Hintergrund des in demselben Bericht festgestellten positiven und negativen Leistungsbildes für den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht nachvollziehbar und ihr kommt deshalb für die vorliegend zu treffende Entscheidung keine Bedeutung zu. Denn ungeachtet der Gesamteinschätzung wird dort im Einzelnen festgehalten, dass die Klägerin für ihre letzte Tätigkeit als Postarbeiterin nur noch unter zwei Stunden leistungsfähig sei, während sie (vgl. Bl. 59 der Gutachtenakten) auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte Tätigkeit in der Tagschicht ohne Akkordarbeit, ohne Wechselschicht, ohne Nachtschicht, ohne Überkopfarbeiten, ohne Zwangshaltungen und ohne schweres Heben und Tragen vollschichtig verrichten könne. Diese Einschätzung der Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt deckt sich wiederum mit derjenigen der gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. E., Dr. F. und Dr. H. sowie derjenigen des von der Beklagten beauftragten Arztes für Psychiatrie W ... Der Beurteilung des letztgenannten Gutachters kommt in diesem Zusammenhang besonderes Gewicht zu. Denn sie steht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Entlassung aus der Maßnahme der Rehabilitation und es liegt ihr deshalb im Wesentlichen derselbe körperliche Zustand zugrunde, wie im Zeitpunkt der Entlassung aus der Rehabilitationsmaßnahme. Auch im Hinblick auf das Ergebnis der Rehabilitationsmaßnahme ist deshalb von vollschichtiger Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugehen.
Der Annahme, dass die Klägerin noch vollschichtig leistungsfähig ist, steht schließlich auch nicht das nach § 109 Abs. 1 SGG eingeholte Gutachten des Dr. L. entgegen. Dieser gelangt zwar – bei weitestgehend identischen Befunden wie der Arzt W., wie Dr. F., Dr. H. und auch wie der die Klägerin behandelnde Arzt D. – zu einem aufgehobenen Leistungsvermögen. Er gibt hierfür jedoch keine nachvollziehbare Begründung und setzt sich vor allem nicht mit den zeitlich früheren gutachtlichen Äußerungen der dasselbe Fachgebiet abdeckenden Ärzte W., F. und H. auseinander, die sämtlich die Klägerin für vollschichtig leistungsfähig halten. Für das Gericht nachvollziehbar sind deshalb nur die Einschätzungen der Ärzte W., F. und H ... Ihnen ist darüber hinaus auch der Vorzug zu geben, weil sie in größerer zeitlicher Nähe zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben erstellt wurden und die Sachverständigen das Leistungsbild deshalb noch unmittelbar und ohne mögliche verfahrensbedingte Änderungen des Verhaltens erfassen konnten. Auch begründet Dr. L. nicht, warum aus seiner Sicht und im Gegensatz zu der Sicht der übrigen Gutachter das Leiden der Klägerin einen progredienten Verlauf genommen habe. Es ist in diesem Zusammenhang der Beklagten beizupflichten, dass der von der Klägerin gegenüber Dr. L. geschilderte Tagesablauf die Annahme eines aufgehobenen Leistungsvermögens nicht trägt. Hierbei ist für das Gericht auch der unmittelbar von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewonnene Eindruck von Bedeutung. Hier hat sie ebenfalls nicht den Eindruck eines wegen psychischer Störung aufgehobenen Leistungsvermögens gemacht. Vielmehr waren bei Schilderung der Alltagsbewältigung durchaus Willenskraft und Stärke erkennbar. Dies ergeben der Inhalt ihrer Antworten auf die gerichtlicherseits gestellten Fragen und die Art ihres Vortrages, welche die Einschätzung der Leistungsfähigkeit, wie sie durch Dr. F. und auch durch Dr. H. in Übereinstimmung mit dem Arzt W. erfolgt ist, letztlich bestätigen.
Bei der Klägerin liegt schließlich keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit führen müsste. Hierunter fallen nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG v. 10.12. 2003 – B 5 RJ 64/02 R, juris) gerade nicht die "üblichen" Leistungseinschränkungen wie z.B. der Ausschluss von Tätigkeiten, die überwiegendes Stehen oder Sitzen erfordern, die im Akkord- oder Schichtdienst verrichtet werden oder besondere Anforderungen an das Seh-, Hör- und Konzentrationsvermögen erfordern, von denen die Klägerin ausweislich der durchgeführten Begutachtungen lediglich betroffen ist.
Ausgehend von einem vollschichtigen Leistungsvermögen ist die Klägerin auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu verweisen. Erwerbsunfähigkeit bzw. Erwerbsminderung liegt nicht vor, ohne dass hierbei die Arbeitsmarktlage zu berücksichtigen wäre (§ 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI a.F.; § 43 Abs. 3 SGB VI n.F.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Der Senat hat die Revision gegen dieses Urteil nicht zugelassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
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