L 13 KN 22/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 4 KN 365/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 KN 22/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 30. August 2007 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob ein zwischen dem Kläger und der Beklagten zur Beendigung eines Gerichtsverfahrens geschlossener Vergleich wirksam ist.

Der Kläger, der 1947 geboren ist, ist als Vertriebener anerkannt (Ausweis A) und hat seinen ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland seit dem 20. April 1990. Vom 1. September 1962 bis 26. Juni 1965 absolvierte er in der ehemaligen Tschechoslowakei eine Bergmannslehre und vom 15. August 1977 bis 16. November 1977 einen Schweißerlehrlang. Vom 5. Oktober 1965 bis 10. Februar 1977 leistete er Ersatzdienst. In der Zeit vom 21. Februar 1977 bis 31. Januar 1983 war er als Schweißer tätig, vom 14. März 1983 bis 31. Juli 1985 als Streckenarbeiter und vom 1. August 1985 bis 4. April 1990 als Zugaufbereiteter und Streckenarbeiter. Nach seinem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland arbeitete er vom 1. August 1991 bis 31. Januar 1992 als Personenzugreiniger, vom 2. Juli 1996 bis 15. Februar 1997 als Schweißer und vom 11. Juni 1997 bis 15. Juli 1998 als Schweißerhelfer.

Am 30. Juli 2003 beantragte er eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte gewährte ihm ab 1. Juli 2003 Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau in Höhe von 136,74 EUR (Bescheid vom 5. Dezember 2003), einen weiteren Anspruch auf eine Rente wegen Erwerbsminderung lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 26. November 2003). Gegen beide Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein.

Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 26. November 2003 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 2004 zurück. Klage, Berufung und Nichtzulassungsbeschwerde blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts München - SG - vom 1. Dezember 2005, Az.: S 4 KN 233/04, Beschluss des Bayer. Landessozialgerichts - LSG - vom 30. Mai 2006, Az.: L 13 KN 3/06, Beschluss des Bundessozialgerichts - BSG - vom 16. Mai 2007, Az.: B 8 KN 32/06 B).

Im Widerspruchsverfahren zum Bescheid vom 5. Dezember 2003 machte der Kläger fehlerhafte Angaben in den Anlagen des Bescheides geltend, insbesondere bezüglich der Zeit 5. Oktober 1965 bis 30. Juni 1968, eine fehlerhafte Eingruppierung in die Qualifikationsgruppe 4 und das Fehlen von Anrechnungszeiten wegen Fachschulausbildung. Mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 2004 wies die Beklagte diesen Widerspruch wegen Fristversäumung zurück. Der Bescheid sei am 13. Dezember 2003 "zugestellt" worden. Die Frist zur Erhebung des Widerspruchs habe damit am 13. Januar 2004 geendet. Die Beklagte führte erläuternd aus, die Zeiten der Fachschulausbildung könnten nicht angerechnet werden, da diese erst nach dem vollendeten 17. Lebensjahr als Anrechnungszeit und somit rentenrechtliche Zeit gelten würden. Die ersten 36 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für Zeiten einer versicherten Beschäftigung bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres würden als Zeiten einer beruflichen Ausbildung gelten.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger Klage zum SG erhoben (Az.: S 4 KN 232/04). Anzuerkennen seien die Zeiten vom 1. September 1962 bis 26. Juni 1965 als berufliche Ausbildung, die Anerkennung von 24 Monate Hauerarbeiten im Zeitraum 1. September 1962 bis 26. Juni 1965 für den Leistungszuschlag und es sei die Einstufung in einen anderen Wirtschaftsbereich sowie in eine andere Qualifikationsgruppe für den Zeitraum 21. Februar 1977 bis 31. Dezember 1983 vorzunehmen. Der Sozialversicherungsträger in B. übersandte der Beklagten eine neue Auskunft vom 18. November 2004 über die vom Kläger zurückgelegten Versicherungszeiten, worauf die Beklagte den Bescheid der Beklagten vom 5. Dezember 2003 überprüfte und mit Bescheid vom 22. April 2005 die Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau ab 1. Juli 2003 neu feststellte. Die Beklagte wies darauf hin, der Bescheid werde hinsichtlich der Rentenhöhe teilweise zurückgenommen und berücksichtigte den Zeitraum 1. September 1962 bis 26. Juni 1965 als Zeiten beruflicher Ausbildung.

Bereits vorher übermittelte die Beklagte dem Kläger die Rentenauskunft vom 18. Juni 2004, gegen die der Kläger Widerspruch einlegte, mit der Begründung, in der Anlage 12 (Zusammenstellung der Tätigkeiten für den Leistungszuschlag) sei die Zeit der Ausbildung vom 1. September 1962 bis 26. Juni 1965 nicht berücksichtigt und die Entgeltpunkte für ständige Arbeiten unter Tage seien nicht vollständig. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück und führte aus, Rentenauskünfte seien nicht rechtsverbindlich (Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2005). Auch gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger Klage erhoben (Az.: S 4 KN 182/05).

Das SG hat mit Beschluss vom 1. September 2005 die Streitsachen mit den Az.: S 4 KN 232/04 und S 4 KN 182/05 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und diese unter dem Az.: S KN 232/04 fortgeführt. Im Erörterungstermin am 27. Oktober 2005 gab der Kläger an, die Beklagte habe zum Zeitraum vom 1. September 1962 bis 31. August 1965 nicht berücksichtigt, dass er eine Berufsschule besucht und erfolgreich abgeschlossen habe. Dieser Zeitraum müsse als vollwertige Beitragszeit anerkannt werden. Es müssten noch die Monate Juli und August 1965 berücksichtigt werden. Der Zeitraum 1. September 1962 bis 31. August 1965 müsse bei der Zusammenstellung der Tätigkeiten für den Leistungszuschlag als Hauerarbeiten bewertet werden. Für den Leistungszuschlag seien nicht nur elf volle Jahre anrechenbar, sondern 14,4166 Jahre. Hierfür müssten 1,7292 Entgeltpunkte zusätzlich anerkannt werden. Die persönlichen Entgeltpunkte für den Leistungszuschlag würden nicht 0,8435 betragen, sondern 1,7292. Er begehre für den Zeitraum 21. Februar 1977 bis 1. April 1990 die Einordnung in die Qualifikationsgruppe 4. Der mit Ersatzzeiten belegte Zeitraum vom 1. Januar 1990 bis 19. August 1991 dürfe nicht Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG) zugerechnet werden. Daraufhin schlossen die Beteiligten folgenden Vergleich:

I. Der Kläger beantragt die Überprüfung der Rentenbescheide vom 5. Dezember 2003 und 22. April 2005 sowie die Neufeststellung seiner Rente für Bergleute aus den oben angegebenen Gründen und unter Berücksichtigung der Mittei-lung des slowakischen Versicherungsträgers vom 30. Juni 2005. II. Die Beklagte verpflichtet sich, dem Kläger darüber einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen. III. Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass der aktuelle Rechtsstreit S 4 KN 232/04 vollständig erledigt ist. IV. Die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Die Niederschrift enthält den Hinweis: vorgelesen, von der Dolmetscherin übersetzt und genehmigt. Sie ist vom Vorsitzenden und der Urkundsbeamtin unterzeichnet.

Mit am 15. November 2005 beim SG eingegangenem Schriftsatz vom 12. November 2005 führte der Kläger aus, der Vergleich sei unwirksam. Die Beklagte komme ihren Verpflichtungen nicht nach, weder im Widerspruchsverfahren noch denen, welche im Vergleich akzeptiert worden seien. Das Gericht oder ein unabhängiger Dritter seien nicht für die Erstellung von Rentenbescheiden zuständig. Es habe die Aufgabe, die Entscheidungen der Beklagten zu kontrollieren. Er bitte das SG, seinen Aufgaben nachzukom-men. Hierfür brauche das Gericht den Vergleich nicht, weil die Beklagte die Bescheide vom 5. Dezember 2003 und 22. April 2005 bereits erteilt habe. Diese könnten vom Gericht auf die Rechtmäßigkeit hin kontrolliert werden. Das SG habe die Beklagte zu Unrecht dazu verpflichtet, eine so genannte Neufeststellung der Rente für Bergleute vorzunehmen und einen Bescheid zu erteilen. Die Rente für Bergleute solle ein unabhängiger Dritter des SG feststellen. Er sei gegen den so genannten Vergleich in der Verhandlung vom 27. Oktober 2005 gewesen. Er gebe keine Zustimmung für eine Neufeststellung der Rente für Bergleute. Die Widerspruchsstelle habe aufgrund von gefälschten Angaben und Datierungen seine Widersprüche zurückgewiesen. Der Widerspruchsausschuss habe diese Fälschung fortgesetzt und den Widerspruch wegen angeblichen Nichteinhaltens der gesetzlichen Frist zurückgewiesen. Die Mitteilung des slowakischen Versicherungsträgers vom 30. Juni 2005 sei eine Ausrede der Beklagten. Sie habe die gleichen Angaben vom slowakischen Versicherungsträger vom Kläger bereits im Jahre 2003 erhalten. Der so genannte Vergleich enthalte nicht seine Unterschrift und die der Beklagten. Mit Gerichtsbescheid vom 30. August 2007 hat das SG festgestellt, dass der Rechtsstreit mit dem Az.: S 4 KN 232/04 vor dem SG durch den am 27. Oktober 2005 geschlossenen Vergleich erledigt sei.

Gegen diesen Gerichtsbescheid hat der Kläger Berufung eingelegt. Der so genannte Vergleich vom 27. Oktober 2005 sei gesetzeswidrig, weil er die Berechnungen der Rente für Bergleute nicht erörtere. Es sei Aufgabe des Gerichts, die Entscheidungen der Beklagten auf die Rechtmäßigkeit zu kontrollieren. Die Seiten zwei bis neun des Gerichtsbescheids seien voll von Betrug, von der Beklagten abgeschrieben. Der Bescheid der Beklagten erfülle nicht die Verpflichtung im Vergleich. Er lehne die so genannte Verpflichtung und eine neue Entscheidung der Beklagten gemäß dem Vergleich ab. Er sei weder im mündlichen noch im schriftlichen Kontakt mit dem Terminsvertreter der Beklagten gewesen, woraus folge, dass es keinen gerichtlichen Vergleich zwischen der Beklagten und ihm gebe. Das SG dürfe ihm diesen Vergleich nicht aufzwingen. Es handele sich um eine Fälschung des Vergleichs. Das LSG möge eine Analyse der Berechnung der Rentenbescheide durchführen oder die Entscheidungen der Beklagten auf ihre Gesetzlichkeit kontrollieren. Die Beklagte sei verpflichtet, ihm eine gesetzmäßig berechnete Bergmannsrente zuzuerkennen, ungefähr 450,88 EUR netto monatlich, und die Differenzen zwischen 160,00 EUR und der tatsächlichen Höhe der Bergmannsrente ab 1. Juli 2003 samt 11,5 Prozent Zinsen nachzuzahlen.

Die Beklagte hat in Ausführung des Vergleichs die Rente für Bergleute wegen verminderter Berufsfähigkeit im Bergbau ab 1. Juli 2003 neu festgestellt und den Bescheid vom 5. Dezember 2003 ab 1. Juli 2003 teilweise zurückgenommen. Die Beklagte erkannte die Zeit von 28. Juni 1965 bis 31. August 1965 als Pflichtbeitragszeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung an und ordnete diese der Oualifikationsgruppe 4, Bereich 01 Energie- und Brennstoffindustrie zu (Bescheid vom 17. Oktober 2007). Die Beklagte hat dem Kläger Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1. März 2007 in Höhe von monatlich 672,88 EUR bewilligt (Bescheid vom 21. März 2007), den hiergegen eingelegten Widerspruch zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2007) und die Rente für Bergleute ab 1. Mai 2004 mit Blick auf das Inkrafttreten der Verordnungen (EWG) Nr. 1408/71 und Nr. 574/72 für Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, die Slowakei, Slowenien, die Tschechische Republik, Ungarn und Zypern neu festgestellt (Bescheid vom 23. Oktober 2007).

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 30. August 2007 aufzuheben und festzustellen, dass der Rechts- streit mit dem Aktenzeichen S 4 KN 232/04 nicht durch den Vergleich vom 27. Oktober 2005 erledigt ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der Akten des SG mit den Az.: S 4 KN 232/04, S 4 KN 233/04, S 4 KN 182/05 und S 4 KN 273/07, der Akten des LSG mit den Az.: L 13 KN 49/05, L 13 KN 3/06, der Akten des SG und des LSG zu diesem Verfahren sowie der vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), jedoch nicht begründet.

Gegenstand des Verfahrens ist der vor dem SG geschlossene Vergleich vom 27. Oktober 2005, in dem sich die Beklagte zur Überprüfung der Rentenbescheide vom 5. Dezember 2003 und 22. April 2005 und zur Neufeststellung der Rente für Bergleute zu den von dem Kläger angegebenen Gründen und unter Berücksichtigung der Mitteilung des slowakischen Versicherungsträgers vom 30. Juni 2005 sowie zur Erteilung eines rechtsmittelfähigen Bescheids verpflichtete, worauf die Beteiligten den Rechtsstreit für erledigt erklärten. Nicht Gegenstand des Klage- bzw. Berufungsverfahrens sind die nach dem Vergleich ergangenen Bescheide der Beklagten vom 21. März 2007 (Altersrente für schwerbehinderte Menschen) und vom 23. Oktober 2007 (Neufeststellung wegen des Beitritts zur Europäischen Union), weil diese Bescheide nicht einen Verwaltungsakt abgeändert oder ersetzt haben (vgl. §§ 96 Abs.1, § 153 Abs.1 SGG). Auch der Ausführungsbescheid vom 17. Oktober 2007 ist nicht gemäß § 96 Abs.1 i.V.m § 153 Abs. 1 SGG in das Berufungsverfahren einzubeziehen, weil der Vergleich vom 27. Oktober 2005 nicht wirksam angefochten wurde (Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 96 Rndr. 3).

Das SG hat auf die Anfechtung dieses Vergleiches mit Gerichtsbescheid vom 30. August 2007 zutreffend festgestellt, dass dadurch der Rechtsstreit mit dem Az.: S 4 KN 232/04 erledigt ist. Ein Vergleich, den wie hier Beteiligte ordnungsgemäß zur Niederschrift des Gerichts abschließen, beendet den Rechtsstreit endgültig (§ 101 Abs. 1 SGG). Der Senat folgt diesbezüglich in vollem Umfang den Gründen des angefochtenen Gerichtsbescheids und sieht insofern gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

Das SGG selbst regelt im Einzelnen den Prozessvergleich nicht, es setzt die Möglichkeit eines einen Prozess beendenden Vergleichs vielmehr voraus. Eine Definition des Vergleichs enthält § 779 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), wonach ein Vergleich ein Vertrag ist, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird. Für das Verwaltungsverfahren bestimmt § 54 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 1 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), dass anstatt eines Verwaltungsaktes ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, durch den eine bei verständiger Würdigung des Sachverhalts oder der Rechtslage bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt wird, geschlossen werden kann, wenn die Behörde den Abschluss des Vergleichs zur Beseitigung der Ungewissheit nach pflichtgemäßem Ermessen für zweckmäßig hält. Der gerichtliche Vergleich ist sowohl öffentlich-rechtlicher Vertrag wie Prozesshandlung, der den Rechtsstreit unmittelbar beendet und dessen Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Prozessrechts richtet (BSG SozR 1500 § 101 Nr. 3). Als Prozesshandlung setzt er die Verfügungsbefugnis der Beteiligten über den Streitgegenstand des Vergleichs sowie deren Prozess- und Beteiligtenfähigkeit und einen entsprechenden Handlungswillen bzw. ein Erklärungsbewusstsein der Betreffenden voraus (Mayer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl., § 101 Rndrn. 3,10). Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur ist der Prozessvergleich einerseits ein materiell-rechtlicher Vertrag und andererseits Prozesshandlung. Die Unwirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs kann daher darauf beruhen, dass entweder der materiell-rechtliche Vertrag nichtig oder wirksam angefochten ist oder die zum Abschluss des Vergleichs notwendigen Prozesshandlungen nicht wirksam vorgenommen worden sind (BSGE 19, 112; BSG SozR 1500 § 101 Nr. 8; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O.).

Es bestehen hier keine Anhaltspunkte für eine Annahme, dass die Prozesshandlungen der Beteiligten beim Vergleichsabschluss am 27. Oktober 2005 nicht wirksam vorgenommen worden sein könnten.

Durch den gerichtlichen Vergleich vom 27. Oktober 2005, der ordnungsgemäß in der Sitzungsniederschrift protokolliert, vorgelesen und von den Beteiligten genehmigt (vgl. § 153 Abs. 1, § 123 SGG i.V.m. § 162 Zivilprozessordnung - ZPO -) sowie vom Vorsitzenden und der Urkundsbeamten unterschrieben worden ist (§ 163 ZPO), wurde einvernehmlich vereinbart, dass die Beklagte zur vollständigen Erledigung des Rechtsstreits eine Überprüfung vornimmt und einen rechtsmittelfähigen Bescheid erteilt. Dem Vergleich ist zweifelsfrei zu entnehmen, dass ein weiterer streitbefangener Anspruch nicht mehr bestehen sollte und der Kläger mit dieser Verfahrensweise einverstanden war. Unzutreffend ist der Einwand des Klägers, ein wirksamer Vergleich setze die Unterschrift der Beteiligten bzw. eine vorausgehende Kontaktaufnahme zwischen den Beteiligten voraus. Eine Unwirksamkeit dieses Prozessvergleichs ergibt sich auch nicht aus § 779 BGB, wonach ein Prozessvergleich von vornherein nichtig ist, wenn der nach dessen Inhalt als feststehend zu Grunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und Streit oder Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden wäre. Diese Voraussetzungen sind ersichtlich hier nicht gegeben. Die Beteiligten haben im Zuge der vergleichsweisen Regelung keine nichtstreitigen Umstände zu Grunde gelegt, die sie zur wesentlichen Grundlage der Streitbeilegung erhoben hätten, denn beide Beteiligten gingen übereinstimend davon aus, dass eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung der Beklagten erforderlich ist.

Der geschlossene Prozessvergleich ist auch nicht durch eine Anfechtung des Klägers wegen Irrtums gemäß § 119 Abs.1 BGB bzw. Täuschung oder Drohung gemäß § 123 Abs.1 BGB unwirksam geworden. Die Antwort auf die Frage, ob die Prozesserklärungen, die den Vergleich begründen, aus diesem Grund überhaupt angefochten werden können (vgl. BSG SozR Nr. 3 zu § 119 BGB; BSG 1500 § 101 Nr. 2), kann hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls kann der materiell-rechtliche Vergleich grundsätzlich entsprechend den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Anfechtung einer Willenserklärung mit Auswirkungen auf den gesamten Prozessvergleich beseitigt werden (BSGE 7, 280; 19, 114; Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. November 2001, Az.: L 13 AL 2307/01 m.w.N.).

Die Anfechtung einer Willenserklärung wegen Irrtums nach § 119 Abs.1 BGB ist unverzüglich zu erklären (§ 121 Abs. 1 BGB). Dies ist der Fall, wenn sie ohne schuldhaftes Zögern, also spätestens innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach Kenntnis der für die Anfechtung maßgebenden Tatsachen erfolgt ist. Notwendige Erkundigungen sind mit der gebotenen Eile durchzuführen (BAG NJW 1991, 2723 m.w.N.; LAG Hamm, Urteil vom 18. Januar 2002, Az.: 5 Sa 1091/01). Der Kläger erklärte die Anfechtung nach dem Vergleichsabschluss vom 27. Oktober 2005 am 15. November 2005, also erst nach mehr als zwei Wochen. Anhaltspunkte, dass der Kläger die Anfechtung dennoch ohne schuldhaftes Zögern erklärt hat, sind nicht ersichtlich.

Dessen ungeachtet kann dem Vorbringen des Klägers entnommen werden, dass bei der Abgabe der Erklärung zum Prozessvergleich kein Irrtum vorlag. Er hat gerade nicht vorgetragen, dass seine Zustimmung zu dem Vergleich mit einem Willensmangel behaftet war. Ein Irrtum liegt dann vor, wenn der Wille und die Erklärung einer Person unbewusst auseinanderfallen. Der Kläger meint jedoch, offenbar aufgrund nach dem Abschluss des Vergleichs angestellter Überlegungen, dass nicht die Beklagte, sondern trotz des Vergleichs das SG weiterhin verpflichtet wäre, über den geltend gemachten Anspruch zu entscheiden. Der Kläger behauptet aber nicht, dass er zum Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung eine andere Vorstellung über die Tragweite seiner Erklärung gehabt hätte. Der Kläger irrte sich bei der Abgabe der Erklärung gerade nicht über deren inhaltliche Bedeutung. Sowohl ein Irrtum im Erklärungsakt im Sinne des § 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB durch ein Versagens beim Umsetzen des Erklärungswillens oder auch ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung im Sinne des § 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB, also insofern, als die Erklärung des Inhalts, wie diese objektiv zu verstehen ist, nicht gewollt war, sind hier nicht erkennbar. Ein Übertragungs- bzw. Übersetzungsfehler lag nicht vor und wurde vom Kläger auch nicht behauptet. Eine Anfechtung des Vergleichs wegen Täuschung oder Drohung, die gemäß § 124 Abs. 1 BGB binnen Jahresfrist möglich ist, scheidet aus, weil der Kläger nicht zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung bestimmt worden ist (vgl. § 123 Abs.1 BGB). Die Vorhal-tungen des Klägers gegenüber dem SG und der Beklagten im Zusammenhang mit dem Zustandekommen des Vergleichs vom 27. Oktober 2005 entbehren einer sachlichen Grundlage.

Damit ist der Prozessvergleich vom 27. Oktober 2005 wirksam. Er hat den Rechtsstreit zum Az.: S 4 KN 369/05 beendet. Dem SG war es deshalb im angefochtenen Gerichtsbescheid und dem erkennenden Senat im Berufungsverfahren verwehrt, eine materiell-rechtliche Überprüfung des geltend gemachten Anspruchs bzw. der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Beklagten vorzunehmen.

Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht darauf, dass die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG vom 30. August 2007 erfolglos war.

Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor
Rechtskraft
Aus
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