L 4 KR 217/05

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 3 KR 599/03
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 217/05
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 6. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostenerstattung für eine zweigliedrige In-Vitro-Fertilisation (IVF) im Jahre 2003.

Die 1960 geborene, verheiratete Klägerin wurde von ihrer Frauenärztin Frau Dr.Z. im August 2002 und dann im März 2003 dahin beraten, eine IVF-Behandlung durchführen zu lassen mit dem Hinweis, dass es sich nicht um eine Kassenleistung handeln werde. Als Grund dafür sah die Ärztin eine Fertilitätstörung beim Ehemann und eine mögliche mechanische Barriere durch zweimalige Konisationsoperationen am Gebärmutterhals. Nach weiterer Beratung durch Prof.Dr.B. am 13.02.2003, der die medizinische Notwendigkeit bejahte und eine gute Stimulierbarkeit der Ovarien mit sehr guten Erfolgsaussichten bescheinigte, entschieden sich die Eheleute für diese Maßnahme, die dann am 19.03.2003 durch Prof.Dr.B. begonnen wurde. Ihren Entschluss teilte die Klägerin mit Schreiben vom 24.03.2003 der Beklagten mit. Die Frauenärztin Frau Dr.S. vom MDK verneinte eine ausreichende Erfolgsaussicht bei der zweiundvierzigeinhalbjährigen Klägerin. Hier sei die Erfolgsaussicht nur noch bei 10 bis 12 % vorhanden. Am 04.04.2003 erläuterte die Klägerin noch einmal, wie sie mit ihrem Ehemann zu ihrer Entscheidung für eine IVF trotz fortgeschrittenen Alters gelangt sei.

Die erneut eingeschaltete Frau Dr.S. vom MDK in Bayern sah am 10.04.2003 weiterhin keine besonderen Faktoren, welche eine überdurchschnittliche Erfolgsaussicht und damit eine Ausnahmeregelung im Sinne der Richtlinien zur künstlichen Befruchtung begründen könnten, so dass die Beklagte mit Bescheid vom 02.05.2003 die Kostenübernahme ablehnte. Dabei verblieb sie im Widerspruchsbescheid vom 03.07.2003.

Die mit 2.922,27 EUR bezifferten Gesamtkosten für die im April 2003 abgeschlossene, jedoch erfolglos gebliebene erste Behandlung sind mit Klage vom 25.07.2003 geltend gemacht worden. Gleichzeitig hatte die Klägerin im Juli 2003 einen zweiten Behandlungszyklus ebenfalls von Prof.Dr.B. durchführen lassen, der wiederum erfolglos blieb und dessen Kosten nach GOÄ in Höhe von 2.274,22 EUR erstmals am 06.10.2003 gegenüber der Beklagten im Wege einer Klageerweiterung geltend gemacht wurden. Begründet hat die Klägerin ihre Forderungen mit der deutlich überdurchschnittlichen Erfolgsaussicht, die von der Beklagten nicht ausreichend gewürdigt worden sei. Das bestätigte auch Prof. Dr.B. mit Attest vom 27.07.2003, der zuvor am 03.04.2003 eine Kostenübernahme "auf Kulanzbasis" gegenüber der Beklagten befürwortet hatte. Nach Aussagen der Klägerin hat sie nach dem gescheiterten zweiten Zyklus keinen weiteren Versuch mehr unternommen, sondern die Betreuung eines Pflegekindes übernommen.

Mit Schreiben vom 13.05.2004 will der Klägervertreter beide Zyklen als Gesamtbehandlung gewertet wissen. Schließlich sei die Kostenübernahme für die Behandlung zuvor fernmündlich zugesagt worden. Nach mündlicher Verhandlung am 06.07.2005, zu der das Sozialgericht die Kassenakten samt den darin enthaltenen medizinischen Unterlagen der Beklagten beigezogen und davon den Klägervertreter mit Ladung unterrichtet hatte, ist die Klage mit Urteil vom gleichen Tage abgewiesen worden. In den Urteilsgründen kommt das Sozialgericht zu der Folgerung, dass die Kosten für den ersten Zyklus allein deswegen nicht zu erstatten seien, weil die Klägerin die Behandlung begonnen habe, ohne zuvor die Entscheidung der Beklagten abgewartet zu haben. Daher könne die spätere Ablehnung nicht kausal für die von der Klägerin aufgewandten Kosten gewesen sein. Im Übrigen seien auch die Voraussetzungen für die Behandlung als Sachleistung nicht erfüllt. Als Übervierzigjährige hätte die Klägerin die Ausnahmekriterien für eine so spät einsetzende Behandlung nicht erfüllt.

Mit der Berufung vom 27.07.2005 verfolgt die Klägerin ihre Forderung weiter mit der Auffassung von der überdurchschnittlich guten Erfolgsaussicht, was durch Sachverständigengutachten nachgewiesen werden solle. Die gegenteilige Ansicht des MDK sei ihr nicht bekannt gemacht worden, wodurch ihr rechtliches Gehör verletzt worden sei. Im Hinblick auf ihr Alter seien die beiden Behandlungen auch unaufschiebbar gewesen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts München vom 06.07.2005 und den zu Grunde liegenden Bescheid der Beklagten vom 02.05.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 5.196,49 EUR nebst gesetzlichen Zinsen daraus zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur weiteren Darstellung des Tatbestandes auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze bzw. den der beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 144, 151 SGG). In der Sache selbst ist die Berufung unbegründet. Das Sozialgericht gibt in seinem Urteil die Rechtslage zutreffend wieder. Auch hat es nicht gegen Grundsätze des rechtlichen Gehörs verstoßen, denn die Beiziehung der Kassenakten war der Klägerseite vor der mündlichen Verhandlung mitgeteilt worden.

Die Klage macht Kostenerstattung für Maßnahmen der künstlichen Befruchtung geltend, und zwar für zwei Behandlungsabschnitte bzw. -zyklen in den Monaten April und Juli 2003. Obwohl im Verwaltungsverfahren bzw. bei Klageerhebung nur die Kosten für den ersten Zyklus streitig waren, ist die Klage dann widerspruchslos um diejenigen Kosten des zweiten Zyklus erweitert worden. Der Senat sieht in dem Komplex Kostenübernahme für künstliche Befruchtung einen einheitlichen Streitgegenstand, wie auch die Klage im Schriftsatz vom 13.05.2004 hier von einer "Gesamtbehandlung" ausgegangen ist. Diese ist spätestens am 19.03.2003 begonnen worden und am 18.07.2003 zu Ende gegangen. Mit den Beteiligten sieht auch der Senat als einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage für die geforderte Geldsumme den § 13 Abs.3 SGB V an. Danach hat eine Krankenkasse Behandlungskosten zu erstatten, wenn eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbracht wurde oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt wurde und dadurch die Versicherte Behandlungskosten aufwenden musste. Voraussetzung ist dabei immer, dass eine selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, die die Krankenkasse als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hat. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

Die künstliche Befruchtung nach § 27a SGB V hat die Krankenkasse als Sachleistung (§ 2 Abs.2 SGB V) ihren Versicherten zur Verfügung zu stellen unter den dort genannten Voraussetzungen. Dazu zählt unter anderem, dass "nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahme eine Schwangerschaft herbeigeführt wird". Ferner wird in Abs.3 der Vorschrift vorausgesetzt, dass weibliche Versicherte bei Durchführung der Maßnahmen das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Der Ausschluss solcher Frauen über 40 ist allerdings erst zum 01.01.2004 Gesetz geworden. Zuvor bestand bezüglich der Altersbeschränkung lediglich eine Richtlinie des Gemeinsamen Ausschusses, damals Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Die Beschränkung fand sich in der Nummer 9 der Richtlinien über künstliche Befruchtung vom 14.08.1990 und war für die hier streitige Behandlung noch maßgeblich. Die Bestimmung lautete: "Da das Alter der Frau im Rahmen der Sterilitätsbehandlung einen limitierenden Faktor darstellt, sollen Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung bei Frauen, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, nicht durchgeführt werden. Ausnahmen sind nur bei Frauen zulässig, die das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und sofern die Krankenkasse nach gutachterlicher Beurteilung der Erfolgsaussichten eine Genehmigung erteilt hat."

An der Verbindlichkeit dieser Bestimmung auf der Grundlage des damaligen Abs.4 von § 27a i.V.m. § 92 Abs.1 Satz 2 Nr.10 SGB V bestehen keine Zweifel, ist also diese Regelung als Kriterium für die Feststellung der im Gesetz geforderten Erfolgsaussicht anzusehen (vgl. BSG vom 03.04.2001, SozR 3 Nr.3 S.28). Das heißt bei Frauen, die das 40. Lebensjahr überschritten haben, bestand und besteht die Vermutung, dass die hinreichende Erfolgsaussicht durch die künstliche Befruchtung schwanger zu werden, nicht gewährleistet ist. Mit dem Begriff "sollen" wollte der Bundesausschuss klarmachen, dass angesichts der statistischen niedrigen Erfolgsrate lediglich in atypischen Fällen von der Altersbegrenzung abgewichen werden solle und sah dazu für die Krankenkasse die Möglichkeit vor, nach gutachterlicher Beurteilung der Erfolgsaussicht gleichwohl eine Genehmigung zur Behandlung zu erteilen. Eine solche Genehmigung ist nicht erteilt worden. Die Klägerin, die im Übrigen die Ziffern 3 bis 5 des § 27a Abs.1 SGB V erfüllte, hat das Genehmigungsverfahren nicht abgewartet, sondern schon vorher ihren Entschluss zur Behandlung bei Prof.Dr.B. gefasst und in die Tat umgesetzt.

Zuvor war sie von Dr.Z. unterrichtet worden, dass mit einer Kostenübernahme durch die Kasse nicht zu rechnen sei. Auch Prof.Dr.B. bittet in seinem Attest vom 03.04.2003 die Beklagte um eine Entscheidung auf "Kulanzbasis", was gleichfalls darauf schließen lässt, dass er seinerzeit keinen gefestigten Leistungsanspruch sah. Mit dem Antrag auf Kostenübernahme am 25.03.2003 hat die Klägerin mitgeteilt, sich für "den Weg der IVF entschieden" zu haben und hatte damit auch bereits am 19.03.2003 begonnen. Damit hatte sie zu diesem Zeitpunkt das System der gesetzlichen Krankenversicherung verlassen, so dass eine Sachleistung nicht mehr möglich und die oben genannten Bedingungen des § 13 Abs.3 SGB V für eine Kostenerstattung nicht mehr zu realisieren waren. Die Klägerin ist zu ihrer Vorgehensweise nicht durch eine Systemstörung oder durch fehlerhafte Rechtsanwendung der Krankenkasse veranlasst worden. Da die Klägerin die privatärztliche Behandlung bereits begonnen hatte, ohne die Entscheidung der Krankenkasse abzuwarten, war dann die anschließend ergehende Entscheidung, auch wenn sie inhaltlich nicht korrekt gewesen sein sollte, nicht mehr maßgebend bzw. kausal für die entstehenden bzw. entstandenen Kosten der Behandlung bei Prof.Dr.B ... Damit können die in § 13 Abs.3 SGB V genannten Voraussetzungen für eine Kostenerstattung an Stelle einer Sachleistung nicht realisiert werden. Die Ausführungen des Sozialgerichts samt der von ihm zitierten Rechtsprechung treffen zu. Das BSG hat seiner Entscheidung vom 14.12.2006 - USK 2006, 110 den Leitsatz vorangestellt: "Versicherte können ausschließlich dann Kostenerstattung nach § 13 Abs.3 Satz 1 Fall 2 SGB V für selbstbeschaffte Leistungen verlangen, wenn die Krankenkasse vor der Selbstbeschaffung über den Leistungsantrag entschieden hat." Das gilt auch im vorliegenden Fall.

Dass für die Klägerin die Zeit drängte, ihren spät gefassten Kinderwunsch baldmöglichst in die Tat umzusetzen, ist nachvollziehbar, doch erfüllt dies nicht den Fall 1 des § 13 Abs.3 SGB V. Dort sind Notlagen angesprochen, die ein unverzügliches Handeln erfordern und bei denen es unzumutbar ist, vor Einleitung der Maßnahme noch in Verbindung mit der jeweiligen Krankenkasse zu treten. Eine solche Eilbedürftigkeit ist hier aber auszuschließen, insbesondere wenn man bedenkt, dass die Eheleute im August 2002 begonnen hatten, sich mit der IVF näher zu befassen und sie später dann berichteten, den Entschluss, eine IVF-Behandlung einzuleiten, nicht von der Kostenübernahme durch die Krankenkasse abhängig machen zu wollen.

In mehreren Schriftsätzen nimmt der Klägervertreter Bezug auf ein früheres Verfahren des erkennenden Senats (L 4 KR 121/00), an dem er als Prozessvertreter beteiligt war. Damals wurde Ende 2002 durch beiderseitiges Nachgeben vom Senat ein Vergleich angeregt, der dann auch geschlossen wurde. Auch waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Überlegungen des Gesetzgebers bekannt, den § 27a SGB V dahin abzuändern, dass von Gesetzes wegen die Altersgrenze auf 40 Jahre festgelegt werden sollte, und zwar ohne jegliche Ausnahmemöglichkeit.

In der mündlichen Verhandlung ist der Vortrag hinsichtlich einer mündlichen Zusage der Kostenübernahme nicht wiederholt worden. Der Frage war nicht weiter nachzugehen, denn eine solche nicht schriftliche Zusicherung wäre unwirksam (§ 34 Abs.1 SGB X).

Angesichts des Verfahrensausgangs besteht keinen Anlass, der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten (§ 193 SGG). Die Gesetzeslage hat sich inzwischen verändert, so dass die Revision nach § 160 SGG nicht zuzulassen ist.
Rechtskraft
Aus
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