L 4 KR 266/06

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 32 KR 1266/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KR 266/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 51/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. Juli 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Kosten für drei durchgeführte In-Vitro-Fertilisationen (IVF) zu 100 % zu erstatten und eine vierte Behandlung ebenfalls vollständig zu bezahlen.

Die 1965 geborene Klägerin ist bei der Beklagten versichert. Die Beklagte hat mit Bescheid vom 16.07.2004 drei IVF- oder ICSI-Zyklen unter dem Vorbehalt genehmigt, dass die dritte Genehmigung nur dann gelten solle, wenn in einem von zwei Behandlungszyklen eine Befruchtung stattgefunden habe. Nach § 27a SGB V seien 50 % der entstandenen Kosten Eigenanteil des Patienten.

Am 18.02.2005 beantragte die Klägerin die Übernahme der Behandlungskosten für eine vierte IVF mit Embryotransfer, die im Dezember 2004 stattfunden hatte. Sie legte hierzu eine Rechnung der Gemeinschaftspraxis Prof.Dr.B. , Dr.L. (Frauenärze) vom 30.12.2004 in Höhe von 1.135,42 EUR vor.

Die Beklagte hat die Kostenübernahme hierfür mit Bescheid vom 01.03.2005 mit der Begründung abgelehnt, es sei bereits dreimal eine IVF-Behandlung durchgeführt worden. Hiergegen legten die Bevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom 23.03.2005 Widerspruch ein, den sie mit Schreiben vom 24.05.2005 damit begründeten, § 27a Abs.3 SGB V sei verfassungswidrig, außerdem bestehe hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass auch ein vierter Zyklus übernommen werden müsse. Die Kosten seien zu 100 % zu erstatten.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2005 zurück.

Hiergegen richtete sich die am 10.11.2005 beim Sozialgericht München eingegangene Klage über Arztkosten und Medikamentenkosten in Höhe von 3.238,78 EUR und 1.563,67 EUR, die wieder mit der Verfassungswidrigkeit des § 27a Abs.3 SGB V begründet wurde.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung erachtete die Vorsitzende als streitig ausschließlich die Kosten für den vierten Versuch. Der Bescheid vom 16.07.2004, mit dem die ersten drei Versuche genehmigt worden sind, sei bestandskräftig.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 14.07.2006 mit der Begründung abgewiesen, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Kostenerstattung gemäß § 13 Abs.3 SGB V seien nicht gegeben. Es fehle am Kausalzusammenhang zwischen Ablehnung und selbstbeschaffter Leistung. Die Klägerin habe sich die Leistung bereits im Dezember 2004 beschafft, den Kostenerstattungsantrag aber erst im Februar 2005 gestellt. Auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 27a SGB V komme es damit nicht an.

Die hiergegen eingelegte Berufung begründen die Bevollmächtigten der Klägerin damit, Streitgegenstand des SG-Verfahrens sei nicht nur der vierte Versuch gewesen. Die Klägerin habe Widerspruch auch gegen den Bescheid vom 16.07.2004 eingelegt, mit dem Kostenübernahme in Höhe von 50 % für drei Zyklen zugesagt worden sei. Die Widerspruchsfrist habe ein Jahr betragen. Das Sozialgericht hätte auch über die nur 50 %-ige Kostentragung für die Versuche 1 bis 3 entscheiden müssen. Auch bezüglich des vierten Versuches sei das Urteil falsch, die Voraussetzungen des § 13 Abs.3 SGB V seien erfüllt. Es sei unschädlich, dass sie sich nicht vor Inanspruchnahme an die Beklagte gewendet habe, die Klägerin habe nämlich davon ausgehen müssen, dass von vornherein feststand, dass die Leistungen durch die Beklagte verweigert worden wären. Deshalb sei ein Antrag nicht zwingend vor Durchführung der Maßnahme erforderlich. Darüber hinaus habe das Sozialgericht versäumt, sich mit der Verfassungswidrigkeit des § 27a SGB V auseinanderzusetzen.

Im Lauf des Berufungsverfahrens wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.12.2006 den Widerspruch gegen den Bescheid vom 16.07.2004 zurück. Es entspreche dem seit 01.01.2004 geltenden Recht, dass die Leistungsmöglichkeit der Kassen eingeschränkt sei auf drei Versuche und eine Kostenübernahme von nur 50 v.H.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts München vom 14.06.2006 und der Bescheid der Beklagten vom 01.03.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2005 sowie der Bescheid der Beklagten vom 16.07.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.12.2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 4.802,45 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung, die nicht der Zulassung gemäß § 144 SGG bedarf, ist zulässig, sie erweist sich aber als unbegründet.

Der Senat entscheidet gemäß § 124 Abs.2 ohne mündliche Verhandlung, die Beteiligten sind damit einverstanden.

Entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts ist auch der Bescheid der Beklagten vom 06.07.2004 streitgegenständlich, er ist, da Widerspruch fristgerecht eingelegt wurde, nicht bestandskräftig geworden. Der Bescheid vom 16.07.2004 erging ohne Rechtsbehelfsbelehrung, gemäß § 84 SGG in Verbindung mit § 66 Abs.2 Satz 1 SGG gilt damit eine Widerspruchsfrist von einem Jahr. Diese Frist wurde gewahrt durch Einlegung des Widerspruchs mit Schreiben vom 24.05.2005. Das Widerspruchsverfahren wurde nachgeholt.

Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf 100 %-ige Kostenübernahme für die mit Bescheid vom 06.07.2004 genehmigten drei Behandlungszyklen noch einen Anspruch auf Kostenerstattung für die beim 4. Behandlungsversuch entstandenen Kosten.

Nach § 27a Abs.1 SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Nach § 27a Abs.3 Satz 2 ist vor Beginn der Behandlung der Krankenkasse ein Behandlungsplan zur Genehmigung vorzulegen. Ein solcher Behandlungsplan, der den vierten Behandlungsversuch betrifft, ist nicht aktenkundig. Sein Vorhandensein wird auch vom Klägerbevollmächtigten nicht behauptet. Für den vierten Behandlungsversuch scheitert ein Sachleistungsanspruch auch bereits an § 27a Abs.1 Nr.2. SGB V. Danach besteht hinreichende Erfolgsaussicht für eine Schwangerschaft nicht mehr, wenn die Maßnahme dreimal ohne Erfolg durchgeführt worden ist. Dies war bei der Klägerin der Fall. Außerdem hat das Sozialgericht zutreffend entschieden, dass ein Erstattungsanspruch gemäß § 13 Abs.3 SGB V bereits daran scheitert, dass die Klägerin die Kostenerstattung nicht vor Inanspruchnahme der Leistung bei der Beklagten beantragt hat. Es fehlt damit an der Kausalität zwischen Kostenentstehung und Leistungsablehnung. Der Senat sieht insoweit gemäß § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Soweit, dem Antrag des Klägerbevollmächtigten bereits im Widerspruchsverfahern entsprechend, auch streitgegenständlich ist, dass die Beklagte nicht nur 50 % der Kosten zu übernehmen hat, wie es der gesetzlichen Regelung des § 27a SGB V entspricht, sondern sämtliche Kosten der vier Behandlungsversuche zu erstatten hat, liegen die Voraussetzungen des als einzige Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden § 13 Abs.3 SGB V ebenfalls nicht vor. Da § 27a Abs.3 Satz 3 die Kostenbeteiligung der Beklagten auf 50 % begrenzt, hat die Beklagte zu Recht eine höhere Kostenbeteiligung abgelehnt.

Der Klägerbevollmächtigte bestreitet nicht, dass die Entscheidung der Beklagten der Gesetzeslage entspricht. Seine Argumentation, § 27a SGB V sei verfassungswidrig, hat das Bundessozialgericht jedoch nicht bestätigt. Es hat vielmehr im Urteil vom 19.09.2007, B 1 KR 6/07 R ausdrücklich entschieden, dass die Begrenzung der Zahlungspflicht auf 50 v.H. der entstandenen Kosten nicht gegen Verfassungsrecht verstößt. Es liegt kein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip vor. Das Bundessozialgericht weist hier auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.02.2007 hin (1 BvL 5/03, NJW 2007, 1343), wonach durch § 27a SGB V ein eigenständiger Versicherungsfall geschaffen worden ist. Sind zur Herbeiführung einer Schwangerschaft vor der Befruchtung beispielsweise chirurgische Eingriffe, die Verordnung von Medikamenten oder eine psychotherapeutische Behandlung erforderlich, können diese als Krankenbehandlung zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit angesehen werden. Solche Maßnahmen haben Vorrang vor medizinischen Maßnahmen nach 27a SGB V. Nur insoweit wäre es zulässig, zur Prüfung eines Verstoßes gegen Art.3 Abs.1 GG die Gruppe der zur Herbeiführung einer Schwangerschaft behandlungsbedürftigen Versicherten mit sonstigen Krankenversicherten zu vergleichen. Ein solcher Fall lag weder der Entscheidung des BSG noch dem hier vom Senat zu entscheidenden Fall zugrunde. Das BSG sieht auch keine Verletzung des Grundgesetzes darin, dass der Gesetzgeber bei Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung seit in Kraft treten des Gesundheits-Modernisierungs-Gesetzes (GMG), anders als bei Kernleistungen wegen Krankheit, eine Eigenbeteiligung der Versicherten in Höhe von 50 v.H. vorsieht. Es führt hierzu aus, der Schutz des Einzelnen in Fällen von Krankheit in der sozialstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes sei eine Grundaufgabe des Staates, welcher der Gesetzgeber durch Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung als öffentlich-rechtlicher Pflichtversicherung für den Krankenschutz eines Großteils der Bevölkerung Sorge getragen und die Art und Weise der Durchführung dieses Schutzes geregelt habe. In diesem durch Zwangsbeiträge finanzierten System sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) den Versicherten Leistungen nach Maßgabe eines allgemeinen Leistungskatalogs nur unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots zur Verfügung stellt, soweit diese Leistungen nicht (gänzlich) der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Das Bundesverfassungsgericht habe jedoch nur für Fälle von regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheiten den Schluss gezogen, dass die Grundrechte in diesen besonders gelagerten Fällen die Gerichte zu einer grundrechtsorientierten Auslegung der maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts verpflichten. Jenseits der Regelung der Kernleistungen der GKV überschreitet der Gesetzgeber sein Gestaltungsermessen nicht, wenn er im Hinblick auf die begrenzten finanziellen Mittel und zur Sicherung einer Vollversicherung bei Fällen schwerer Krankheiten Leistungsansprüche in weniger dringlichen Fällen beschränkt oder gar nicht erst vorsieht. Sind aber schon Leistungsbegrenzungen in Fällen der Krankenbehandlung möglich, gelte das erst recht bei Maßnahmen der künstlichen Befruchtung. Art.3 Abs.1 GG wird auch nicht dadurch verletzt, dass § 27a Abs.3 Satz 3 SGB V nicht zwischen wirtschaftlich starken Versicherten, die sich den Eigenanteil leisten können und solchen Versicherten, die sich den Eigenanteil nicht leisten können, differenziert. Eine derartige Differenzierung ist nicht verfassungsrechtlich geboten. Der Leistungskatalog der GKV darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch von wirtschaftlichen Erwägungen mitbestimmt sein. Das BSG weist hierzu auf weitere verfassungsgerichtliche Entscheidungen hin. Schließlich sieht es in der Regelung des § 27a Abs.3 Satz 3 SGB V auch nicht einen Verstoß gegen das Recht auf Nachkommenschaft gemäß Art.2 Abs.1 GG im Lichte des Art.6 Abs.1 GG. Auch hierzu wird darauf hingewiesen, dass es keine verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers gibt, die Entstehung einer Familie durch medizinische Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung zu fördern. Eine derartige Förderung liege vielmehr in seinem Ermessen.

Der Senat hält die Ausführungen des Bundessozialgerichts zur Verfassungsmäßigkeit für überzeugend und schließt sich ihnen an. Somit besteht kein Anlass zu einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 193 SGG und entspricht dem Verfahrensausgang.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben. Das Bundessozialgericht hat zum Streitgegenstand bereits ausführlich Stellung genommen.
Rechtskraft
Aus
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