Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 6 P 41/05
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 P 24/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 26. April 2007 aufgehoben.
II. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2005 sowie des Bescheides vom 30. August 2006 verurteilt, dem Kläger ab 1. April 2005 Leistungen nach der Pflegestufe I zu gewähren.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I.
Der 1938 geborene Kläger leidet an Schizophrenie, einer Persönlichkeits- und Verhaltensstörung sowie einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns. Der Betreuer des Klägers stellte am 24. März 2005, eingegangen am 1. April 2005, einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung. Die Beklagte holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) ein, der am 1. Juni 2005 nach Besuch in der vollstationären Pflegeeinrichtung zu dem Ergebnis gelangte, dass keine Pflegestufe vorliege. Der Hilfebedarf betrage im Bereich der Grundpflege 21 Minuten (Körperpflege: 14 Minuten; Ernährung: 0 Minuten; Mobilität: 7 Minuten), im Bereich der Hauswirtschaft 60 Minuten. Im Vordergrund stehe der hauswirtschaftliche Betreuungsbedarf. Mit Bescheid vom 6. Juni 2005 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung ab.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens bestätigte der MDK in einem Gutachten vom 8. Juli 2005 diese Einschätzung. Der Zeitbedarf betrage für die Grundpflege 27 Minuten (Körperpflege: 19 Minuten; Ernährung: 0 Minuten; Mobilität: 8 Minuten). Der Kläger sei im Rahmen seiner Fähigkeiten noch in der Lage, aktiv bei der Grundpflege mitzuhelfen; in Teilbereichen sei eine Aufforderung und Endkontrolle ausreichend, eine Teilhilfe sei nur geringfügig erforderlich. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2005 zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht Landshut begehrte der Kläger weiterhin Pflegeleistungen nach der Pflegestufe I.
Der Betreuer stellte am 18. Juli 2006 erneut einen Antrag auf Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung, hilfsweise auf Überprüfung. Der MDK schätzte in einem erneuten Gutachten vom 11. August 2006 nach Besuch der Pflegeeinrichtung den Zeitbedarf für die Grundpflege auf 28 Minuten (Körperpflege: 23 Minuten; Ernährung: 0 Minuten; Mobilität: 5 Minuten), für die Hauswirtschaft auf 60 Minuten. Mit Bescheid vom 30. August 2006 lehnte die Beklagte Leistungen ab.
Das Sozialgericht holte u.a. einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. R. vom 28. Januar 2007 sowie die Entlassungsberichte des Bezirkskrankenhauses L. vom 18. Juni 1997 und 22. März 2005 ein. Die vom Sozialgericht beauftragte Internistin Dr. L. berichtete in ihrem Gutachten vom 14. März 2007, der Kläger leide vor allem an einer Schizophrenie mit Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen mit Neigung zu Verwahrlosung bei Antriebsstörung und sozialer Rückzugstendenz. Der Hilfebedarf betrage im Bereich der Grundpflege 29 Minuten (Körperpflege: 21 Minuten; Ernährung: 0 Minuten, Mobilität: 8 Minuten), im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung 60 Minuten. Der Hilfebedarf bestehe in erster Linie in der Kontrolle und Überwachung der Verrichtungen. Eine vollstationäre Pflege sei erforderlich.
Auf die klägerischen Einwendungen holte das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme der Dr. L. vom 25. April 2007 ein. Unter Berücksichtigung des psychopathologischen Befundes und der fremdanamnestischen Angaben sei der im Gutachten festgestellte Pflegebedarf unter Berücksichtigung der aktivierenden Pflege und der erforderlichen Beaufsichtigung angemessen.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 26. April 2007 ab. Es folgte dabei weitgehend dem Gutachten bzw. der ergänzenden Stellungnahme der Dr. L ...
Mit der Berufung hat der Kläger geltend gemacht, das Sozialgericht hätte den Pflegedienstleiter, C. S. , einvernehmen müssen, der u.a. die direkte Betreuung wahrnehme. Der fortschreitende Verfall, insbesondere bedingt durch Wahnerkrankungen, habe ein Ausmaß erreicht, das wenigstens die Zuerkennung der Pflegestufe I bedinge. Er bedürfe einer fortlaufenden intensiven Kontrolle, Überwachung und Betreuung. Die Wahnvorstellungen kämen in Schüben, häufig plötzlich und unerwartet. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass eine allgemeine Kontrolle, Überwachung und Betreuung bei der Ermittlung des Pflegebedarfs nicht berücksichtigungsfähig seien.
Der Senat hat ein Gutachten der Dr. B. vom 14. November 2007 eingeholt. Der Kläger benötige bei vielen Verrichtungen des täglichen Lebens Hilfe überwiegend in Form von Aufforderung und Überreden zur Grundpflege, Beaufsichtigung und teilweiser Hilfe. Der Kläger wünsche selbst nur selten konkret Hilfe; bei Unwillen lasse er keine Hilfe zu. Unter Berücksichtigung dieser Besonderheit der Pflege betrage der Hilfebedarf bei der Grundpflege 39 Minuten (Körperpflege: 33 Minuten; Ernährung: 0 Minuten; Mobilität: 6 Minuten), für Hauswirtschaft 45 Minuten.
Der Kläger hat eingewandt, die Zeiten zur dringend notwendigen Motivation, insbesondere im Bereich der Körperpflege, seien nicht hinreichend berücksichtigt. Er hat eine Stellungnahme des C. S. vom 13. Dezember 2007 vorgelegt. Dieser hat darauf hingewiesen, dass gerade das Überreden z.B. beim Kleiderwechsel oder abends beim Ausziehen, extrem zeitintensiv sei. Das An- und Ausziehen müsse überwacht und gesteuert werden. Er hat nach seinen Einschätzungen den Zeitbedarf für die Grundpflege mit 48 Minuten (Körperpflege: 34 Minuten; Mobilität: 14 Minuten) angegeben.
Dr. B. hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 28. Februar 2008 ausgeführt, es sei richtig, dass manchmal mehrfach Anläufe erforderlich seien, um den Kläger zur Grundpflege zu motivieren. Dabei handele es sich jedoch nur um verbale Aufforderungen. Handlungen oder Übernahme seien nicht erforderlich, was der Kläger auch nicht dulden würde. Für die verbale Motivation könne kein Zeitwert berechnet werden. Im Übrigen betrage der von Herrn S. für die Körperpflege angenommene Zeitbedarf nur eine Minute mehr als der von ihr angenommene. Für das An- und Auskleiden verbleibe es bei den von ihr festgestellten sechs Minuten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 26. April 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2005 und den Bescheid vom 30. August 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I ab 1. April 2005 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet.
Streitgegenstand ist gemäß § 96 SGG auch der Bescheid vom 30. August 2006, der aufgrund des Neuantrags vom 18. Juli 2006 erneut Leistungen der Pflegeversicherung ablehnte.
Im Rahmen des Anspruchs auf Pflege in einer vollstationären Einrichtung übernimmt gemäß § 43 Abs. 2 S. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) die Pflegekasse die pflegebedingten Aufwendungen. Die Höhe des Betrages richtet sich nach der vorliegenden Pflegestufe.
Maßgebend für die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen ist der Umfang des Pflegebedarfs bei denjenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, die in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt und dort in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Nrn. 1 bis 3), die zur Grundpflege gehören, sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Nr. 4) aufgeteilt sind. Der hierin aufgeführte Katalog der Verrichtungen stellt, nach Ergänzung um die im Gesetz offenbar versehentlich nicht ausdrücklich genannten Verrichtungen Sitzen und Liegen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 14), eine abschließende Regelung dar (BSGE 82, 27), die sich am üblichen Tagesablauf eines gesunden bzw. nicht behinderten Menschen orientiert (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 3).
Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI muss dazu der Zeitaufwand für die erforderlichen Hilfeleistungen der Grundpflege täglich mehr als 45 Minuten (Grundpflegebedarf), für solche der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung zusammen mindestens 90 Minuten (Gesamtpflegebedarf) betragen. Unter Grundpflege ist die Hilfe bei gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI), unter hauswirtschaftlicher Versorgung die Hilfe bei der Nahrungsbesorgung und -zubereitung, bei der Kleidungspflege sowie bei der Wohnungsreinigung und -beheizung (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI) zu verstehen.
Zur Grundpflege zählen: 1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenent leerung; 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung; 3. im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppen steigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Die wesentliche Tätigkeit der den Kläger betreuenden Pflegepersonen besteht in dessen Motivation. Dies betrifft im Wesentlichen die Körperpflege, insbesondere den Kleiderwechsel bzw. das An- und Entkleiden. Zwar weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass eine allgemeine Aufsicht nicht im Rahmen des zeitlichen Hilfebedarfs für die Grundpflege berücksichtigt werden kann. Das Bundessozialgericht (hier zitiert aus: BSG, Beschluss vom 8. Mai 2001, Az.: B 3 P 4/01 B) hat bereits mehrfach entschieden, dass eine allgemeine Aufsicht, die darin besteht zu überwachen, ob die erforderlichen Verrichtungen des täglichen Lebens von dem Pflegebedürftigen ordnungsgemäß ausgeführt werden, und dazu führt, dass dieser gelegentlich - auch wiederholt - zu bestimmten Handlungen aufgefordert werden muss, nicht ausreicht, weil eine nennenswerte Beanspruchung der Pflegeperson damit nicht verbunden ist. Ein Beaufsichtigungsbedarf ist nur zu berücksichtigen, wenn die Pflegeperson dabei nicht nur verfügbar und einsatzbereit, sondern durch die notwendigen Aufsichtsmaßnahmen - wie bei der Übernahme von Verrichtungen - auch zeitlich und örtlich in der Weise gebunden ist, dass sie vorübergehend an der Erledigung anderer Dinge gehindert ist, denen sie sich widmen würde bzw. könnte (z.B. Arbeiten aller Art im Haushalt oder Freizeitgestaltung), wenn die Notwendigkeit der Hilfeleistung nicht bestünde (Urteile vom 24. Juni 1998 - B 3 P 4/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 5 und 6. August 1998 - B 3 P 17/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 6). Dementsprechend wurde eine Beaufsichtigung und Kontrolle bei der Nahrungsaufnahme als berücksichtigungsfähige Hilfe eingestuft, wenn sie von einer solchen Intensität ist, dass die Pflegeperson - wie beim Füttern - praktisch an der Erledigung anderer Aufgaben gehindert ist bzw. diese, wenn auch möglicherweise nur kurzzeitig, unterbrechen muss, die Hilfe also über das - gewissermaßen "nebenbei" erfolgende - bloße "Im-Auge-Behalten" des Pflegebedürftigen und das nur vereinzelte, gelegentliche Auffordern bzw. Ermahnen hinausgeht (Urteil des 10. Senats vom 27. August 1998 - B 10 KR 4/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 7).
Die Annahme der Sachverständigen Dr. B. , für verbale Motivation oder verbale Aufforderungen könne kein Zeitwert berechnet werden, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Es trifft zwar zu, dass bloße verbale Aufforderungen grundsätzlich als allgemeine Aufsicht nicht zu berücksichtigten sind. Bei der notwendigen Motivation des Klägers, sich z.B. morgens anzuziehen und abends zu entkleiden, ist eine einfache Aufforderung bzw. ein bloßes Im-Auge-Behalten nicht ausreichend. Es bedarf vielmehr einer intensiven Motivationsarbeit, bei der sich die Pflegeperson vollständig dem Kläger zuwenden muss. Es handelt sich somit um eine bei der Bemessung des Zeitbedarfs zu berücksichtigende Anleitung, zu der auch die Begutachtungsrichtlinien die Motivierung des Pflegebedürftigen bei ansonsten selbstständiger Durchführung rechnen.
Im Bereich der Körperpflege besteht allerdings zwischen den Einschätzungen der Gutachterin und des Pflegedienstleiters nur ein Unterschied von einer Minute. Auch Dr. B. setzte einen Zeitbedarf für die Aufforderung bei der Teilwäsche von Hände und Gesicht sowie beim Kämmen an.
Im Ergebnis entscheidend ist jedoch die unterschiedliche Bewertung des zeitlichen Hilfebedarfs beim An- und Ausziehen. Beim Kläger ist teilweise eine Kleidervorgabe erforderlich sowie die Beaufsichtigung, ob die Kleidung auch angezogen wird. Er kann sich komplett selbstständig anziehen - wenn er dazu gewillt ist. Ein gewaltsamer Kleidungswechsel erfolgt nicht. Er benötigt sehr viel Zuwendung und Zureden. Während Dr. B. hierfür sechs Minuten ansetzt, geht der Pflegedienstleiter von 14 Minuten aus. Dieser schildert, dass vor allem für den Kleiderwechsel bzw. das An- und Ausziehen ein extrem hoher Zeitaufwand notwendig ist. Der Kläger muss jeweils eindringlich davon überzeugt werden, diese Tätigkeiten vorzunehmen. Das An- und Ausziehen muss nicht nur beaufsichtigt werden, sondern überwacht und gesteuert werden. Die Gutachterin berücksichtigte die Aufforderung, Kontrolle und geringe Unterstützung beim An- und Auskleiden nur in deutlich geringerem Umfang. Dabei machte sie in der ergänzenden Stellungnahme ausdrücklich deutlich, dass sie nur Handlungen oder eine Übernahme bei ihrer Einschätzung ansetzte. Verbale Aufforderungen oder eine verbale Motivation, z.B. auch die Erforderlichkeit, mehrfach zu versuchen, den Kläger zu der Handlung zu bewegen, bzw. das "Überreden oder Auffordern" berücksichtigte sie nicht.
Der erhebliche Motivationsaufwand ist im Zusammenhang mit dem bestehenden psychischen Krankheitsbild zu sehen. Ein bloßes Im-Auge-Behalten im Sinne der dargelegten Rechtsprechung des BSG ist nicht ausreichend. Der Kläger benötigt eine gezielte Anleitung, die in diesem Moment die ganze Aufmerksamkeit der Pflegeperson abverlangt. Dies wird auch von der Vorgutachterin Dr. L. gesehen, die von einem Zeitbedarf von acht Minuten ausging - allerdings bei nur einmal täglich, nämlich nur morgens durchgeführtem Kleidungswechsel. Sie berücksichtigte ausdrücklich den Pflegebedarf, der darin besteht, den Kläger zum Kleiderwechsel zu bewegen und dies zu kontrollieren. Sie schildert, dass dies schwierig ist, da der Kläger die Meinung vertritt, dass ein Kleiderwechsel alle vier bis fünf Tage ausreicht. Dies stellt nach Einschätzung dieser Sachverständigen eine Erschwernis dar, die einen Pflegebedarf von acht Minuten rechtfertige. Demgegenüber erfolgt nach dem Gutachten der Dr. B. und den Angaben des Pflegeheimleiters ein Kleiderwechsel aber nicht nur einmal, sondern zweimal am Tag; nur manchmal verweigert der Kläger das abendliche Umziehen. Aber auch in diesen Fällen geht dies mit einem oder mehrfachen zeitaufwändigen Motivationsversuchen einher.
Nach den Begutachtungs-Richtlinien vom 21. März 1997 in der Fassung vom 11. Mai 2006, die für den Senat zwar nicht bindend sind, jedoch als fachlich begründete Anhaltspunkte für die Begutachtung herangezogen werden können, ist ebenfalls festgehalten, dass bei Personen mit Erkrankungen des schizophrenen Formenkreises Umstimmungs- und Überzeugungsarbeit beim Aufstehen, Waschen, Ankleiden und anderen Verrichtungen oft einen erheblichen zeitlichen Aufwand erfordern (D 4.0/III./8./c.). Der Zeitaufwand für Beaufsichtigung und Anleitung bei den einzelnen Verrichtungen muss danach in jedem Einzelfall individuell erhoben und bewertet werden (D 4.0/III./8./f.). Die Richtlinien sehen einen Rahmen für das Ankleiden gesamt von acht bis zehn Minuten und für das Entkleiden gesamt von vier bis sechs Minuten vor (F/4.3). Der Gesamtrahmen für An- und Auskleiden beträgt somit 12 bis 16 Minuten. Psychische Erkrankungen mit Abwehrverhalten oder fehlender Kooperation mit Behinderung der Übernahme können als erschwerende Faktoren zu einer Verlängerung der Pflege im Einzelfall führen. Wie dargelegt ist das An- und Ausziehen zwar nicht zu übernehmen. Notwendig ist aber eine Anleitung und Unterstützung, so dass der Gesamtrahmen zwar nicht auszuschöpfen ist. Unter Berücksichtigung des individuellen Zeitaufwandes erscheinen aber die von Dr. B. angenommenen sechs Minuten nicht ausreichend. Es sind mindestens die von Dr. L. angesetzten acht Minuten anzusetzen, so dass sich der Grundpflegebedarf auf mindestens 41 Minuten erhöht. Da entgegen der Annahme der Dr. L. zweimal täglich ein Kleidungswechsel erfolgt und auch abends zumindest jeden Tag vom Pflegepersonal versucht wird, ist die von S. dargelegte Einschätzung von 14 Minuten als sachgerecht und nicht überhöht zu bewerten.
Der ansonsten auf dem überzeugenden Gutachten der Dr. B. - das sich auch weitgehend mit den Angaben des Heims deckt - gestützte Grundpflegebedarf beträgt damit 47 Minuten. Da für die hauswirtschaftliche Versorgung nach allen Gutachten zumindest 45 Minuten anzusetzen sind, liegen die Voraussetzungen der Pflegestufe I mit einem Gesamtpflegebedarf von über 90 Minuten vor.
Der Berufung des Klägers war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2005 sowie des Bescheides vom 30. August 2006 verurteilt, dem Kläger ab 1. April 2005 Leistungen nach der Pflegestufe I zu gewähren.
III. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung von Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I.
Der 1938 geborene Kläger leidet an Schizophrenie, einer Persönlichkeits- und Verhaltensstörung sowie einer Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns. Der Betreuer des Klägers stellte am 24. März 2005, eingegangen am 1. April 2005, einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung. Die Beklagte holte ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK) ein, der am 1. Juni 2005 nach Besuch in der vollstationären Pflegeeinrichtung zu dem Ergebnis gelangte, dass keine Pflegestufe vorliege. Der Hilfebedarf betrage im Bereich der Grundpflege 21 Minuten (Körperpflege: 14 Minuten; Ernährung: 0 Minuten; Mobilität: 7 Minuten), im Bereich der Hauswirtschaft 60 Minuten. Im Vordergrund stehe der hauswirtschaftliche Betreuungsbedarf. Mit Bescheid vom 6. Juni 2005 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung ab.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens bestätigte der MDK in einem Gutachten vom 8. Juli 2005 diese Einschätzung. Der Zeitbedarf betrage für die Grundpflege 27 Minuten (Körperpflege: 19 Minuten; Ernährung: 0 Minuten; Mobilität: 8 Minuten). Der Kläger sei im Rahmen seiner Fähigkeiten noch in der Lage, aktiv bei der Grundpflege mitzuhelfen; in Teilbereichen sei eine Aufforderung und Endkontrolle ausreichend, eine Teilhilfe sei nur geringfügig erforderlich. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2005 zurück.
Mit der hiergegen gerichteten Klage zum Sozialgericht Landshut begehrte der Kläger weiterhin Pflegeleistungen nach der Pflegestufe I.
Der Betreuer stellte am 18. Juli 2006 erneut einen Antrag auf Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung, hilfsweise auf Überprüfung. Der MDK schätzte in einem erneuten Gutachten vom 11. August 2006 nach Besuch der Pflegeeinrichtung den Zeitbedarf für die Grundpflege auf 28 Minuten (Körperpflege: 23 Minuten; Ernährung: 0 Minuten; Mobilität: 5 Minuten), für die Hauswirtschaft auf 60 Minuten. Mit Bescheid vom 30. August 2006 lehnte die Beklagte Leistungen ab.
Das Sozialgericht holte u.a. einen Befundbericht des Allgemeinarztes Dr. R. vom 28. Januar 2007 sowie die Entlassungsberichte des Bezirkskrankenhauses L. vom 18. Juni 1997 und 22. März 2005 ein. Die vom Sozialgericht beauftragte Internistin Dr. L. berichtete in ihrem Gutachten vom 14. März 2007, der Kläger leide vor allem an einer Schizophrenie mit Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen mit Neigung zu Verwahrlosung bei Antriebsstörung und sozialer Rückzugstendenz. Der Hilfebedarf betrage im Bereich der Grundpflege 29 Minuten (Körperpflege: 21 Minuten; Ernährung: 0 Minuten, Mobilität: 8 Minuten), im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung 60 Minuten. Der Hilfebedarf bestehe in erster Linie in der Kontrolle und Überwachung der Verrichtungen. Eine vollstationäre Pflege sei erforderlich.
Auf die klägerischen Einwendungen holte das Sozialgericht eine ergänzende Stellungnahme der Dr. L. vom 25. April 2007 ein. Unter Berücksichtigung des psychopathologischen Befundes und der fremdanamnestischen Angaben sei der im Gutachten festgestellte Pflegebedarf unter Berücksichtigung der aktivierenden Pflege und der erforderlichen Beaufsichtigung angemessen.
Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 26. April 2007 ab. Es folgte dabei weitgehend dem Gutachten bzw. der ergänzenden Stellungnahme der Dr. L ...
Mit der Berufung hat der Kläger geltend gemacht, das Sozialgericht hätte den Pflegedienstleiter, C. S. , einvernehmen müssen, der u.a. die direkte Betreuung wahrnehme. Der fortschreitende Verfall, insbesondere bedingt durch Wahnerkrankungen, habe ein Ausmaß erreicht, das wenigstens die Zuerkennung der Pflegestufe I bedinge. Er bedürfe einer fortlaufenden intensiven Kontrolle, Überwachung und Betreuung. Die Wahnvorstellungen kämen in Schüben, häufig plötzlich und unerwartet. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass eine allgemeine Kontrolle, Überwachung und Betreuung bei der Ermittlung des Pflegebedarfs nicht berücksichtigungsfähig seien.
Der Senat hat ein Gutachten der Dr. B. vom 14. November 2007 eingeholt. Der Kläger benötige bei vielen Verrichtungen des täglichen Lebens Hilfe überwiegend in Form von Aufforderung und Überreden zur Grundpflege, Beaufsichtigung und teilweiser Hilfe. Der Kläger wünsche selbst nur selten konkret Hilfe; bei Unwillen lasse er keine Hilfe zu. Unter Berücksichtigung dieser Besonderheit der Pflege betrage der Hilfebedarf bei der Grundpflege 39 Minuten (Körperpflege: 33 Minuten; Ernährung: 0 Minuten; Mobilität: 6 Minuten), für Hauswirtschaft 45 Minuten.
Der Kläger hat eingewandt, die Zeiten zur dringend notwendigen Motivation, insbesondere im Bereich der Körperpflege, seien nicht hinreichend berücksichtigt. Er hat eine Stellungnahme des C. S. vom 13. Dezember 2007 vorgelegt. Dieser hat darauf hingewiesen, dass gerade das Überreden z.B. beim Kleiderwechsel oder abends beim Ausziehen, extrem zeitintensiv sei. Das An- und Ausziehen müsse überwacht und gesteuert werden. Er hat nach seinen Einschätzungen den Zeitbedarf für die Grundpflege mit 48 Minuten (Körperpflege: 34 Minuten; Mobilität: 14 Minuten) angegeben.
Dr. B. hat in einer ergänzenden Stellungnahme vom 28. Februar 2008 ausgeführt, es sei richtig, dass manchmal mehrfach Anläufe erforderlich seien, um den Kläger zur Grundpflege zu motivieren. Dabei handele es sich jedoch nur um verbale Aufforderungen. Handlungen oder Übernahme seien nicht erforderlich, was der Kläger auch nicht dulden würde. Für die verbale Motivation könne kein Zeitwert berechnet werden. Im Übrigen betrage der von Herrn S. für die Körperpflege angenommene Zeitbedarf nur eine Minute mehr als der von ihr angenommene. Für das An- und Auskleiden verbleibe es bei den von ihr festgestellten sechs Minuten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 26. April 2007 sowie den Bescheid der Beklagten vom 6. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. August 2005 und den Bescheid vom 30. August 2006 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I ab 1. April 2005 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Übrigen wird gemäß § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakte verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet.
Streitgegenstand ist gemäß § 96 SGG auch der Bescheid vom 30. August 2006, der aufgrund des Neuantrags vom 18. Juli 2006 erneut Leistungen der Pflegeversicherung ablehnte.
Im Rahmen des Anspruchs auf Pflege in einer vollstationären Einrichtung übernimmt gemäß § 43 Abs. 2 S. 1 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) die Pflegekasse die pflegebedingten Aufwendungen. Die Höhe des Betrages richtet sich nach der vorliegenden Pflegestufe.
Maßgebend für die Zuordnung zu den einzelnen Pflegestufen ist der Umfang des Pflegebedarfs bei denjenigen gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens, die in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführt und dort in die Bereiche Körperpflege, Ernährung und Mobilität (Nrn. 1 bis 3), die zur Grundpflege gehören, sowie den Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung (Nr. 4) aufgeteilt sind. Der hierin aufgeführte Katalog der Verrichtungen stellt, nach Ergänzung um die im Gesetz offenbar versehentlich nicht ausdrücklich genannten Verrichtungen Sitzen und Liegen (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 14), eine abschließende Regelung dar (BSGE 82, 27), die sich am üblichen Tagesablauf eines gesunden bzw. nicht behinderten Menschen orientiert (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 3).
Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 SGB XI muss dazu der Zeitaufwand für die erforderlichen Hilfeleistungen der Grundpflege täglich mehr als 45 Minuten (Grundpflegebedarf), für solche der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung zusammen mindestens 90 Minuten (Gesamtpflegebedarf) betragen. Unter Grundpflege ist die Hilfe bei gewöhnlichen und wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nrn. 1 bis 3 SGB XI), unter hauswirtschaftlicher Versorgung die Hilfe bei der Nahrungsbesorgung und -zubereitung, bei der Kleidungspflege sowie bei der Wohnungsreinigung und -beheizung (§ 14 Abs. 4 Nr. 4 SGB XI) zu verstehen.
Zur Grundpflege zählen: 1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- oder Blasenent leerung; 2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung; 3. im Bereich der Mobilität das selbstständige Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppen steigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Die wesentliche Tätigkeit der den Kläger betreuenden Pflegepersonen besteht in dessen Motivation. Dies betrifft im Wesentlichen die Körperpflege, insbesondere den Kleiderwechsel bzw. das An- und Entkleiden. Zwar weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass eine allgemeine Aufsicht nicht im Rahmen des zeitlichen Hilfebedarfs für die Grundpflege berücksichtigt werden kann. Das Bundessozialgericht (hier zitiert aus: BSG, Beschluss vom 8. Mai 2001, Az.: B 3 P 4/01 B) hat bereits mehrfach entschieden, dass eine allgemeine Aufsicht, die darin besteht zu überwachen, ob die erforderlichen Verrichtungen des täglichen Lebens von dem Pflegebedürftigen ordnungsgemäß ausgeführt werden, und dazu führt, dass dieser gelegentlich - auch wiederholt - zu bestimmten Handlungen aufgefordert werden muss, nicht ausreicht, weil eine nennenswerte Beanspruchung der Pflegeperson damit nicht verbunden ist. Ein Beaufsichtigungsbedarf ist nur zu berücksichtigen, wenn die Pflegeperson dabei nicht nur verfügbar und einsatzbereit, sondern durch die notwendigen Aufsichtsmaßnahmen - wie bei der Übernahme von Verrichtungen - auch zeitlich und örtlich in der Weise gebunden ist, dass sie vorübergehend an der Erledigung anderer Dinge gehindert ist, denen sie sich widmen würde bzw. könnte (z.B. Arbeiten aller Art im Haushalt oder Freizeitgestaltung), wenn die Notwendigkeit der Hilfeleistung nicht bestünde (Urteile vom 24. Juni 1998 - B 3 P 4/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 5 und 6. August 1998 - B 3 P 17/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 6). Dementsprechend wurde eine Beaufsichtigung und Kontrolle bei der Nahrungsaufnahme als berücksichtigungsfähige Hilfe eingestuft, wenn sie von einer solchen Intensität ist, dass die Pflegeperson - wie beim Füttern - praktisch an der Erledigung anderer Aufgaben gehindert ist bzw. diese, wenn auch möglicherweise nur kurzzeitig, unterbrechen muss, die Hilfe also über das - gewissermaßen "nebenbei" erfolgende - bloße "Im-Auge-Behalten" des Pflegebedürftigen und das nur vereinzelte, gelegentliche Auffordern bzw. Ermahnen hinausgeht (Urteil des 10. Senats vom 27. August 1998 - B 10 KR 4/97 R - SozR 3-3300 § 14 Nr. 7).
Die Annahme der Sachverständigen Dr. B. , für verbale Motivation oder verbale Aufforderungen könne kein Zeitwert berechnet werden, ist in dieser Allgemeinheit nicht zutreffend. Es trifft zwar zu, dass bloße verbale Aufforderungen grundsätzlich als allgemeine Aufsicht nicht zu berücksichtigten sind. Bei der notwendigen Motivation des Klägers, sich z.B. morgens anzuziehen und abends zu entkleiden, ist eine einfache Aufforderung bzw. ein bloßes Im-Auge-Behalten nicht ausreichend. Es bedarf vielmehr einer intensiven Motivationsarbeit, bei der sich die Pflegeperson vollständig dem Kläger zuwenden muss. Es handelt sich somit um eine bei der Bemessung des Zeitbedarfs zu berücksichtigende Anleitung, zu der auch die Begutachtungsrichtlinien die Motivierung des Pflegebedürftigen bei ansonsten selbstständiger Durchführung rechnen.
Im Bereich der Körperpflege besteht allerdings zwischen den Einschätzungen der Gutachterin und des Pflegedienstleiters nur ein Unterschied von einer Minute. Auch Dr. B. setzte einen Zeitbedarf für die Aufforderung bei der Teilwäsche von Hände und Gesicht sowie beim Kämmen an.
Im Ergebnis entscheidend ist jedoch die unterschiedliche Bewertung des zeitlichen Hilfebedarfs beim An- und Ausziehen. Beim Kläger ist teilweise eine Kleidervorgabe erforderlich sowie die Beaufsichtigung, ob die Kleidung auch angezogen wird. Er kann sich komplett selbstständig anziehen - wenn er dazu gewillt ist. Ein gewaltsamer Kleidungswechsel erfolgt nicht. Er benötigt sehr viel Zuwendung und Zureden. Während Dr. B. hierfür sechs Minuten ansetzt, geht der Pflegedienstleiter von 14 Minuten aus. Dieser schildert, dass vor allem für den Kleiderwechsel bzw. das An- und Ausziehen ein extrem hoher Zeitaufwand notwendig ist. Der Kläger muss jeweils eindringlich davon überzeugt werden, diese Tätigkeiten vorzunehmen. Das An- und Ausziehen muss nicht nur beaufsichtigt werden, sondern überwacht und gesteuert werden. Die Gutachterin berücksichtigte die Aufforderung, Kontrolle und geringe Unterstützung beim An- und Auskleiden nur in deutlich geringerem Umfang. Dabei machte sie in der ergänzenden Stellungnahme ausdrücklich deutlich, dass sie nur Handlungen oder eine Übernahme bei ihrer Einschätzung ansetzte. Verbale Aufforderungen oder eine verbale Motivation, z.B. auch die Erforderlichkeit, mehrfach zu versuchen, den Kläger zu der Handlung zu bewegen, bzw. das "Überreden oder Auffordern" berücksichtigte sie nicht.
Der erhebliche Motivationsaufwand ist im Zusammenhang mit dem bestehenden psychischen Krankheitsbild zu sehen. Ein bloßes Im-Auge-Behalten im Sinne der dargelegten Rechtsprechung des BSG ist nicht ausreichend. Der Kläger benötigt eine gezielte Anleitung, die in diesem Moment die ganze Aufmerksamkeit der Pflegeperson abverlangt. Dies wird auch von der Vorgutachterin Dr. L. gesehen, die von einem Zeitbedarf von acht Minuten ausging - allerdings bei nur einmal täglich, nämlich nur morgens durchgeführtem Kleidungswechsel. Sie berücksichtigte ausdrücklich den Pflegebedarf, der darin besteht, den Kläger zum Kleiderwechsel zu bewegen und dies zu kontrollieren. Sie schildert, dass dies schwierig ist, da der Kläger die Meinung vertritt, dass ein Kleiderwechsel alle vier bis fünf Tage ausreicht. Dies stellt nach Einschätzung dieser Sachverständigen eine Erschwernis dar, die einen Pflegebedarf von acht Minuten rechtfertige. Demgegenüber erfolgt nach dem Gutachten der Dr. B. und den Angaben des Pflegeheimleiters ein Kleiderwechsel aber nicht nur einmal, sondern zweimal am Tag; nur manchmal verweigert der Kläger das abendliche Umziehen. Aber auch in diesen Fällen geht dies mit einem oder mehrfachen zeitaufwändigen Motivationsversuchen einher.
Nach den Begutachtungs-Richtlinien vom 21. März 1997 in der Fassung vom 11. Mai 2006, die für den Senat zwar nicht bindend sind, jedoch als fachlich begründete Anhaltspunkte für die Begutachtung herangezogen werden können, ist ebenfalls festgehalten, dass bei Personen mit Erkrankungen des schizophrenen Formenkreises Umstimmungs- und Überzeugungsarbeit beim Aufstehen, Waschen, Ankleiden und anderen Verrichtungen oft einen erheblichen zeitlichen Aufwand erfordern (D 4.0/III./8./c.). Der Zeitaufwand für Beaufsichtigung und Anleitung bei den einzelnen Verrichtungen muss danach in jedem Einzelfall individuell erhoben und bewertet werden (D 4.0/III./8./f.). Die Richtlinien sehen einen Rahmen für das Ankleiden gesamt von acht bis zehn Minuten und für das Entkleiden gesamt von vier bis sechs Minuten vor (F/4.3). Der Gesamtrahmen für An- und Auskleiden beträgt somit 12 bis 16 Minuten. Psychische Erkrankungen mit Abwehrverhalten oder fehlender Kooperation mit Behinderung der Übernahme können als erschwerende Faktoren zu einer Verlängerung der Pflege im Einzelfall führen. Wie dargelegt ist das An- und Ausziehen zwar nicht zu übernehmen. Notwendig ist aber eine Anleitung und Unterstützung, so dass der Gesamtrahmen zwar nicht auszuschöpfen ist. Unter Berücksichtigung des individuellen Zeitaufwandes erscheinen aber die von Dr. B. angenommenen sechs Minuten nicht ausreichend. Es sind mindestens die von Dr. L. angesetzten acht Minuten anzusetzen, so dass sich der Grundpflegebedarf auf mindestens 41 Minuten erhöht. Da entgegen der Annahme der Dr. L. zweimal täglich ein Kleidungswechsel erfolgt und auch abends zumindest jeden Tag vom Pflegepersonal versucht wird, ist die von S. dargelegte Einschätzung von 14 Minuten als sachgerecht und nicht überhöht zu bewerten.
Der ansonsten auf dem überzeugenden Gutachten der Dr. B. - das sich auch weitgehend mit den Angaben des Heims deckt - gestützte Grundpflegebedarf beträgt damit 47 Minuten. Da für die hauswirtschaftliche Versorgung nach allen Gutachten zumindest 45 Minuten anzusetzen sind, liegen die Voraussetzungen der Pflegestufe I mit einem Gesamtpflegebedarf von über 90 Minuten vor.
Der Berufung des Klägers war daher stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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