L 14 R 12/07

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 R 236/06
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 14 R 12/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 R 334/08 B
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 28. November 2006 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Erwerbsunfähigkeitsrente auf der Grundlage ihres Antrags vom 15.07.1997.

Die im Jahr 1947 geborene Klägerin, italienische Staatsangehörige, war in Deutschland vom 19.08.1971 bis 18.03.1989 versicherungspflichtig beschäftigt und vom 19.04.1989 bis 20.05.1989 in Deutschland arbeitslos gemeldet. Kinderberücksichtigungszeiten in Deutschland sind bis 16.09.1991 vorhanden.

Nach ihrer Rückkehr nach Italien meldete sich die Klägerin zunächst am 23.05.1989 in Italien als arbeitslos und erhielt dort Leistungen nach italienischem Recht. Eine erneute Arbeitsaufnahme erfolgte in Italien am 24.08.1994.

Den Antrag der Klägerin vom 15.07.1997 auf Gewährung einer Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit lehnte die Beklagte mit bestandskräftigen Bescheid vom 10.05.2001 ab. Zwar sei der Leistungsfall der Erwerbsunfähigkeit am 30.12.1996 eingetreten. Jedoch erfülle die Klägerin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht, weil im maßgeblichen Fünfjahreszeitraum vom 30.12.1991 bis 29.12.1996 nur 29 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen in Italien belegt seien und nicht wie erforderlich 36 Kalendermonate. Dies ergebe sich aus dem Formblatt E 205 I vom 31.01.2000 des italienischen Versicherungsträgers, wonach die Klägerin lediglich vom 10.08.1994 bis 31.12.1996 Pflichtbeiträge zur italienischen Rentenversicherung geleistet habe. Verlängerungstatbestände nach § 44 Abs.4 i.V.m. § 43 Abs.4 SGB VI in der Fassung bis 31.12.2000 lägen nicht vor. Nach den Angaben des italienischen Versicherungsträgers (Centro per l Impiego di Castellnovo Ne Monti im Formblatt E 205 I) lägen bei der Klägerin Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug in Italien vom 19.11.1989/20.11.1989 bis 21.12.1990, vom 14.03.1991 bis 30.11.1992, vom 03.12.1992 bis 31.05.1993 und ab 02.06.1993 bis zum Beginn der Arbeitsaufnahme am 10.08.1994 vor. Diese Zeiten seien vom italienischen Versicherungsträger nicht als gleichgestellte Zeiten bezeichnet worden. Als gleichgestellt seien im Formblatt E 205 I nur die Zeit vom 23.05.1989 bis 18.11.1989 bezeichnet worden, also insgesamt sechs Monate des Leistungsbezugs nach italienischem Recht.

Am 07.05.2003 beantragte die Klägerin die Überprüfung des bestandskräftigen Ablehnungsbescheides vom 10.05.2001 nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Sie sei ab 23.05.1989 bis 23.08.1994 in Italien arbeitslos gemeldet gewesen. Die Arbeitslosmeldung führe nach Art.9a VO (EWG) Nr.1408/71 zu einer Verlängerung des für die Gewährung einer EU-Rente maßgeblichen Fünfjahreszeitraums. Mit Bescheid vom 25.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2006 lehnte die Beklagte es ab, den Bescheid vom 10.05.2001 aufzuheben und der Klägerin ab Antragstellung am 15.07.1997 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Die vom italienischen Versicherungsträger im Formblatt E 205 I bescheinigten Zeiten der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug in Italien führten zu keiner Verlängerung des maßgeblichen Zeitraums.

Die hiergegen erhobene Klage wies das SG Augsburg mit Gerichtsbescheid vom 28.11.2006 als unbegründet ab. Die Beklagte habe bei Erlass des bestandskräftig gewordenen Bescheides vom 10.05.2001 weder das Recht unrichtig angewandt, noch sei sie von einem sich als unrichtig erweisenden Sachverhalt ausgegangen. Die Beklagte habe die vom italienischen Versicherungsträger gemeldeten Zeiten zur Berechnung des Fünfjahreszeitraums zutreffend berücksichtigt. Der italienische Versicherungsträger habe lediglich 29 Monate an Pflichtbeitragszeiten (vom 01.08.1994 bis 31.12.1996) im maßgeblichen Zeitraum bescheinigt. Der Zeitraum sei auch nicht zu verlängern, da Verlängerungstatbestände nicht vorlägen. Eine solche Verlängerung wäre nur im Rahmen der nationalen deutschen Vorschriften möglich und nach deutschem Recht seien Anrechnungszeiten, die zu einer Verlängerung führen könnten, Zeiten, in denen der Versicherte wegen Arbeitslosigkeit gemeldet war und zusätzlich eine öffentlich-rechtliche Leistung bezog oder nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezogen hat (§ 58 Abs.1 Nr.3 SGB VI). Übertragen auf die Klägerin bedeute dies, dass allein die Arbeitslosmeldung in Italien nicht genüge. Vielmehr hätte die Klägerin Leistungen in Italien beziehen müssen - was unstreitig nicht der Fall war -, oder solche Leistungen nur wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht erhalten dürfen - was ebenfalls unstreitig nicht der Fall war. Dieser Prüfungsmaßstab würde der Rechtsprechung des EuGH gerecht, der auf das nationale Recht bezüglich der Verlängerungsmöglichkeit abstelle.

Gegen den Gerichtsbescheid des SG Augsburg legte die Klägerin Berufung zum Bayer. Landessozialgericht ein. Es sei europarechtswidrig, dass die Zeiten der Arbeitslosmeldung in Italien nicht für einen Verlängerungstatbestand anerkannt würden. Hätte die Klägerin ihren Wohnsitz in Deutschland gehabt, hätte sie die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen ohne Weiteres durch die Arbeitslosmeldung alleine erfüllt. Außerdem - so der Vortrag erstmalig in der Berufungsinstanz - sei der Versicherungsfall früher eingetreten, so dass es hierauf letztlich nicht mehr ankomme, da bei einem früheren Eintritt des Versicherungsfalles die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen unzweifelhaft erfüllt seien.

Die Klägerin beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Augsburg vom 28.11.2006 und den Bescheid vom 25.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2006 sowie den Bescheid am 10.05.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Antragstellung am 15.07.1997 Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die bloße Arbeitslosmeldung in Italien genüge nicht, um einen Verlängerungstatbestand nach inländischem Recht auszulösen. Dies sei aus europarechtlichen Gründen auch nicht erforderlich, wie sich aus einer entsprechenden Entscheidung des Hessischen Landessozialgerichts vom 25.11.2004 (Az.: L 12 RJ 1434/01) ergebe. Der Versicherungsfall sei zu keinem anderen Zeitpunkt eingetreten; die Klägerseite habe hierzu nichts Substantiiertes vorgetragen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) ist zulässig.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage gegen den Bescheid vom 25.10.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.03.2006 zu Recht abgewiesen, da die Beklagte das deutsche, italienische oder europäische Sozialversicherungsrecht nicht im Sinn von § 44 SGB X unrichtig angewandt hat. Das SG ist dabei von Sachverhaltsfeststellungen ausgegangen, die von der Klägerseite im Berufungsverfahren im Wesentlichen nicht substantiiert angegangen wurden.

Insbesondere steht fest, dass die Klägerin aufgrund eines am 30.12.1996 eingetretenen Leistungsfalles erwerbsunfähig ist, da die Klägerseite einen anderen Leistungsfall lediglich ins Blaue hinein behauptet hat, ohne die früher erfolgten Sachverhaltsfeststellungen substantiiert anzugeben.

Ferner steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die in der Bescheinigung E 205 I vom italienischen Versicherungsträger bescheinigten Zeiten richtig sind. Danach hat die Klägerin nur von August 1994 bis Dezember 1996 insgesamt 29 Monate an Pflichtbeiträgen bei der italienischen Rentenversicherung zurückgelegt; vom 23.05.1989 bis 18.11.1989 sind der Klägerin sechs Monate gleichgestellter Zeiten wegen Arbeitslosigkeiten bescheinigt. Die übrigen vom italienischen Versicherungsträger bescheinigten Zeiten sind ohne Leistungsbezug bzw. ohne Berechtigung zum Leistungsbezug dem Grunde nach in Italien zurückgelegt worden. Demgemäß hat die Klägerseite sich auch bei ihrer Berufung zunächst auf die Klärung der Rechtsfrage konzentriert, ob Zeiten der Arbeitslosigkeit in Italien ohne Leistungsbezug nach Art.9a VO (EWG) 1408/71 als Verlängerungszeiten in Deutschland zu berücksichtigen sind. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Art.9a VO (EWG) Nr.1408/71 stellt ausländische Zeiten des Bezugs von Invaliditäts- oder Altersrente oder von Leistungen wegen Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Arbeitsunfällen nach den Rechtsvorschriften anderer Mitgliedsstaaten und Zeiten der Kindererziehung im Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates den deutschen Verlängerungstatbeständen gleich. Solche Zeiten nach Art.9a VO (EWG) Nr.1408/71 liegen bei der Klägerin nach dem 18.11.1989 nicht vor.

Nach deutschem Recht wird eine Zeit der Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug zum Verlängerungstatbestand, wenn sie Anrechnungszeit im Sinn der § 58, 50, 252 oder 252a SGB VI ist. Voraussetzung für die Anrechnungszeit ist, dass der Versicherte bei einer deutschen Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet war, der deutschen Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand und eine öffentlich-rechtliche Leistung bezog oder wegen des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens nicht bezog. Derartige Zeiten ergeben sich für die Klägerin nicht.

Nach italienischem Recht werden im Falle der Arbeitslosigkeit Leistungen längstens für 180 Tage pro Jahr erbracht. Mit Beendigung des Leistungsbezugs sind die Voraussetzungen für die Berücksichtigungen einer rentenrechtlichen Zeit - trotz weiterer Meldung beim italienischen Arbeitsamt und Verfügbarkeit für den italienischen Arbeitsmarkt - und italienischem Recht nicht mehr erfüllt. Die Klägerin hat solche Zeiten in Italien ausschließlich im Jahr 1989, also nicht im entscheidenden Fünf-Jahres-Zeitraum.

Im Ergebnis sind die Voraussetzungen des Art.9a VO (EWG) Nr.1408/71 weder unter Berücksichtigung des deutschen noch des italienischen Rechts erfüllt und das Begehren der Klägerin scheitert daran, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

Auch aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich nichts anderes. Mit dem Urteil des EuGH vom 04.10.1991 in der Rechtssache C-349/87 "Paraschi" wurde der Anwendungsbereich des Art.9a VO (EWG) Nr.1408/71 im Hinblick auf Zeiten ohne Leistungsbezug in einem anderen EU-Mitgliedsstaat zwar ausgedehnt.

Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 04.10.1991 dargelegt, dass der nationale Gesetzgeber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zur Invalidenrente eigenständig und abweichend von den Bestimmungen anderer Mitgliedsstaaten regeln kann, soweit hierdurch keine mittelbar diskriminierende Ungleichbehandlung der Wanderarbeitnehmer herbeigeführt und deren Freizügigkeit beeinträchtigt würde.

Eine solche Ungleichbehandlung ist - wie das SG zutreffend dargelegt hat - nicht erkennbar. Die Regelungen der Arbeitslosenunterstützung bzw. der Arbeitslosmeldung mit der Erklärung der Verfügbarkeit zur Arbeitsvermittlung machen in Italien wie auch in Deutschland keinen Unterschied dahin, ob es sich bei dem Versicherten um einen Italiener oder einen Deutschen handelt (Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25.11.2004 Az.: L 12 RJ 1434/01). Dies gilt auch für den Umstand, dass in Italien die dem deutschen Arbeitslosengeld vergleichbare Arbeitslosenunterstützung längstens für 180 Tage gewährt wird. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH bleibt es dem Heimatstaat der italienischen Klägerin überlassen, wie er dies in eigener Zuständigkeit regelt. Der italienische Staat diskriminiert damit nicht seine italienische Staatsbürgerin. Auf der anderen Seite wird die Klägerin auch nicht vom deutschen Gesetzgeber, der sich an das europäische Recht hält, diskriminiert. Deutsches Recht kann insoweit über europäisches Gemeinschaftsrecht nicht ins italienische Recht transportiert werden (vgl. Hessisches Landessozialgericht a.a.O.).

Insbesondere sind in Italien keine Tatsachen und Umstände eingetreten, die den verlängerungswirksamen Tatsachen und Umständen im Inland entsprächen (vgl. LSG Berlin, Urteil vom 17.09.1997, L 17 An 15/97 für das Spanische Recht). Denn auch der EU-Vertrag gebietet nicht, dass das Recht des einzelnen Mitgliedsstaates die Andersartigkeit anderer Sozialleistungssysteme durch nationales Recht ausgleicht (LSG Berlin a.a.O.).

Nach alledem ist die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und der Erwägung, dass die Klägerin mit ihrem Begehren erfolglos blieb.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich, nachdem die Rechtslage durch den EuGH geklärt ist.
Rechtskraft
Aus
Saved