L 26 B 360/08 AS

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 103 AS 3711/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 26 B 360/08 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
- Auslegung von Prozesserklärungen gem. § 197a SGG
- Kostenscheidung nach § 197 a SGG in Fällen einer Überleitung von Ansprüchen nach § 33 SGB II
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 7. August 2007 wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Gründe:

Die nach § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung statthafte und nach § 173 SGG im Übrigen zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Vorliegend ist nach Erledigung der vor dem Sozialgericht (SG) Berlin anhängig gewesenen Hauptsache über die Kosten zu entscheiden. Zutreffend ist das SG in dem angefochtenen Beschluss vom 7. August 2007 davon ausgegangen, dass rechtlicher Maßstab für diese Kostenentscheidung § 197a SGG ist. Die Klägerin, die sich als getrennt lebende Ehefrau eines Empfängers von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gegen einen Überleitungsbescheid nach § 33 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gewandt hatte, gehört selbst nicht zu dem in § 183 SGG genannten Personenkreis, für den das sozialgerichtliche Verfahren kostenfrei ist.

Es kann offen bleiben, ob mit Einführung der Kostenprivilegierung für den beklagten Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende zum 1. August 2006 die gesetzliche Regelung in § 64 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X, idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I S 1706) in Verbindung mit § 197a Abs. 1 und 3 SGG so verstanden werden muss, dass eine einheitliche Kostenregelung und damit Kostenfreiheit auch für einen Dritten in den Verfahren gelten soll (vgl. zum Grundsatz der einheitlichen Kostenregelung unter Geltung des SGG etwa BSG, Beschluss vom 29. Mai 2006 - B 2 U 391/05 B; SozR 4-1500 § 193 Nr. 3). Solche Verfahren (mit Ausnahme der Kostenerstattungsstreitigkeiten) könnten wie bereits nach § 188 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) umfassend gerichtskostenfrei sein, so dass § 197a Abs. 1 SGG nicht nur für den Träger, sondern auch für den Gegner keine Anwendung fände. Die Befreiung des Beklagten von der Pauschgebührenpflicht gemäß § 64 Abs. 3 Satz 2 SGB X gilt jedenfalls erst für nach dem 31. Juli 2006 abgeschlossene Gerichtsverfahren und findet auf das vorliegende, am 13. Juni 2006 in der Hauptsache erledigte Gerichtsverfahren keine Anwendung (im Einzelnen dazu LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 8. Januar 2008 - L 5 SF 3/06; zitiert nach juris).

Entgegen der Auffassung des SG hat sich der Rechtsstreit nicht durch Klagerücknahme erledigt, so dass sich die Kostenfolge nicht aus der zwingenden Regelung des § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 155 Abs. 2 VwGO ergibt. Bei der gebotenen Auslegung einer Prozesserklärung (vgl. § 123 SGG) ist (auch im Falle der Vertretung durch einen Rechtsanwalt) der wirkliche Wille des Prozessführenden maßgebend, soweit er sich aus Umständen ergibt, die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind (ständige Rechtssprechung seit BSGE 63, 93, 94 = SozR 2200 § 205 Nr. 65). Insbesondere eine als "Klagerücknahme" bezeichnete Erklärung kann daher im Zusammenhang mit vorangegangenen Erklärungen des Beklagten nicht als Aufgabe einer zuvor vertretenen Rechtsposition (mithin als Rücknahme der Klage) zu verstehen sein, sondern sich als Annahme eines Anerkenntnisses darstellen (vgl. etwa BSG SozR 1500 § 101 Nr. 6). So liegt es hier. Der unzweifelhafte Wille der Klägerin zur Erklärung der Annahme des Anerkenntnisses vom 23. Mai 2006 ergibt sich nicht nur aus der unmittelbaren Bezugnahme auf dieses Anerkenntnis im streitigen Satz. Im vorangegangenen Schriftwechsel hat sie zudem deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie die Abgabe einer Prozesserklärung von einem Anerkenntnis des Beklagten abhängig machen werde. Die außerhalb des Klageverfahrens abgegebenen Erklärungen des Beklagten vom 21. April 2006 genügten ihr nicht, sie hat vielmehr darauf verwiesen, der Beklagte möge klarstellen, ob die angefochtenen Verwaltungsakte aufgehoben würden und er an den Ansprüchen ihr gegenüber nicht mehr festhalte. Erst auf die entsprechende Erklärung des Beklagten vom 23. Mai 2006 hin und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf diese hat sie eine Prozesserklärung abgeben, die sich als Annahme eines Anerkenntnisses darstellt. Durch dieses angenommene Anerkenntnis, das den gesamten Streitgegenstand betraf, hat sich der Rechtstreit erledigt (§ 101 Abs. 2 SGG), ohne dass es der zugleich von ihr beantragten Entscheidung des Gerichts über die Erledigung in der Hauptsache oder einer weitergehenden Erklärung des Beklagten bedurft hätte.

Eine Kostentragungspflicht der Klägerin aus § 156 VwGO kommt ebenfalls nicht in Betracht. Das Schreiben vom 21. April 2006, das der Klägerin persönlich (nicht dagegen dem von ihr schon im Widerspruchsverfahren beauftragten Rechtsanwalt) am 25. April 2006 (dem Tag der Klageerhebung) zugegangen ist, war nicht geeignet, den streitigen Sachverhalt vollständig zu klären. Aus dem Schreiben wird nur deutlich, dass von der dem erfolglos gebliebenen Widerspruchsverfahren nachgelagerten Prüfung der Unterhaltsansprüche im Einzelnen abgesehen werde. Die streitigen Bescheide werden nicht in Bezug genommen. Dem entspricht der interne Vermerk vom 21. April 2006, nach dem der Vorgang lediglich "eingestellt" werden sollte (schon weil die Sachbearbeiterin intern wohl nicht berechtigt war, den Widerspruchsbescheid aufzuheben). Die Erklärung, die Klägerin werde "bis auf weiteres nicht zur Unterhaltszahlung herangezogen", erhielt also keine eindeutige Regelung über den Streitgegenstand, wovon die Klägerin im Schriftsatz vom 10. Mai 2006 zutreffend ausgegangen ist. Da die Behörde den Anspruch auf Aufhebung der angefochtenen Bescheide somit nicht sofort nach Klageerhebung anerkannt hat, ist für § 156 VwGO kein Raum. Damit richtet sich die Kostenentscheidung nach § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung § 161 Abs. 2 VwGO. Zwar betrifft § 161 Abs. 2 VwGO die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen. Diesem prozessualen Verhalten der Beteiligten ist die Abgabe eines Anerkenntnisses und dessen Annahme durch die Gegenseite vergleichbar. Die prozessualen Folgen eines derart angenommenen Anerkenntnisses (Beendigung des Rechtsstreits) sind in der VwGO nicht geregelt, so dass – da § 156 VwGO nicht einschlägig ist - § 161 Abs. 2 VwGO heranzuziehen ist (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6. April 2005 - L 13 AL 220/05 AK-A, zitiert nach juris, dort RdNr. 3). Danach entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens. Dabei ist in der Regel der vermutliche Verfahrensausgang im Zeitpunkt der Abgabe des Anerkenntnisses von Bedeutung; es ist allerdings nicht Aufgabe der Kostenentscheidung ist, den Streitfall hinsichtlich aller tatsächlichen und rechtlichen Zweifelsfragen auszuschöpfen. Damit entspricht es regelmäßig billigem Ermessen, die Kosten dem Beteiligten aufzuerlegen, der im Ergebnis dieser nur summarischen Prüfung voraussichtlich unterlegen wäre. Es sind vorliegend keine Gründe ersichtlich, weshalb eine Klageerhebung gegen den belastenden Bescheid vom 24. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 2006 nicht geboten und die Klage vor Abgabe des Anerkenntnisses nicht Erfolg versprechend gewesen sein sollte. Insbesondere ist weder erkennbar noch vorgetragen, dass das Anerkenntnis erst aufgrund von weiterem Vortrag der Klägerin abgegeben werden konnte, der im Widerspruchsverfahren noch nicht erfolgt war. Nachdem die Einholung von Auskünften über die Einkommens- und Vermögenssituation bei der für ihren Wohnort zuständigen Arbeitsgemeinschaft, der die Klägerin zugestimmte hatte, nicht erfolgreich war, hat der Beklagte ohne weitere Ermittlungen die Überleitung der Ansprüche des Hilfeempfängers auf Unterhalt bei Getrenntleben gegen die Klägerin festgestellt (Bescheid vom 24. Februar 2006). Bereits im Widerspruchsverfahren hat die Klägerin nachgewiesen, dass sie über keinerlei Einkommen verfüge und ihr Vermögen in Höhe von rund 25.000 Euro zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts einsetze. Dieser Vortrag hat im Widerspruchsbescheid vom 24. März 2006 ersichtlich keine Berücksichtigung gefunden, aber in der Folge zur Abgabe des Anerkenntnisses geführt. Die Kostentragung durch den Beklagten entspricht daher billigem Ermessen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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