L 1 U 1697/08

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 9214/06
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 1 U 1697/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.03.2008 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Ruptur der Rotatorenmanschette der linken Schulter des Klägers Folge eines Arbeitsunfalls ist.

Der 1950 geborene Kläger versuchte am 04.04.2006 mit einem Hebeeisen, ein 500 Kilogramm schweres Werkzeug in die richtige Position zu bringen, hierbei rutschte er ab und stürzte rückwärts mit der linken Schulter an einen Sockel (Unfallanzeige des Arbeitgebers vom 04.04.2006). Der Durchgangsarzt Dr. H. diagnostizierte am Unfalltag die Ruptur der langen Bicepssehne links und eine Schulterzerrung (Durchgangsarztbericht vom 04.04.2006). Die am 07.04.2006 durchgeführte Magnetresonanztomografie des linken Schultergelenks ergab eine komplette Rotatorenmanschettenruptur mit Abriss und Retraktion der Supraspinatus- und Subscapilarissehne, eine Luxation der Bizepssehne und Verdacht auf Labrum-Schaden cranial mit deutlichem Ödem in der angrenzenden Muskulatur und Einblutung in die Weichteile (Befundbericht der Gemeinschaftspraxis Dr. B. und Kollegen vom 07.04.2006). Am 20.04.2006 wurde unter der Diagnose einer Supraspinatussehnenruptur, Subscapilarissehnenruptur mit konsekutiver Bizepssehnenluxation links eine diagnostische Arthroskopie und eine offene Rotatorenmanschettenrekonstruktion durchgeführt (Operationsprotokoll des Paracelsus Krankenhauses R. vom 20.04. 2006, Operateur PD Dr. H.). Im histologischen Befundbericht von PD Dr. D. vom 21.04.2006 wurde das untersuchte Gewebegut der Rotatorenmanschette dahingehend beschrieben, dass ausgeprägte degenerative und reaktive Veränderungen sowie Zeichen eines frischen Einrisses zu erkennen gewesen seien.

In ihrer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 29.06.2006 führte Dr. K. aus, die Retraktion der Sehnen drei Tage nach dem Unfall spreche gegen eine traumatische Ruptur, ebenso der histologische Befund, der ausgeprägte degenerative und reparative Veränderungen ergeben habe. Der Hergang sei auch nicht geeignet gewesen, eine traumatische Ruptur der Rotatorenmanschette zu verursachen.

Mit Schreiben vom 04.07.2006 an den behandelnden Arzt Dr. H. forderte die Beklagte die Einstellung der Behandlung des Klägers zu ihren Lasten, denn ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und der Krankheit bestehe nicht. Die unfallbedingte Prellung der linken Schulter habe keine Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit verursacht. Gegen das dem Kläger zur Kenntnis gegebene Schreiben legte dieser Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom 07.11.2006 zurückgewiesen worden ist.

Der Kläger hat hiergegen Klage beim Sozialgericht Stuttgart erhoben mit dem Ziel der Feststellung, dass der Zustand nach Riss der Supraspinatussehne und Subscapilarissehne und Luxation der langen Bizepssehne links Folge des Arbeitsunfalls vom 04.04.2006 sei.

Das Sozialgericht hat von Amts wegen das Gutachten von Prof. Dr. U. vom 30.06.2007 mit ergänzender Stellungnahme vom 17.11.2007 eingeholt. Danach habe sich beim Kläger durch den Sturz auf die rückwärtige Seite der linken Schulter und Aufprall auf einen Betonsockel der linke Oberarmkopf nach ventral verschoben, dabei sei es zur Überdehnung und dann zur Zerreißung der Supraspinatus-, Subscapilarissehne und des Rotatorenmanschettenintervalls gekommen. Hierdurch sei die lange Bicepssehne luxiert, die nur bei Ruptur der Subscapilarissehne und des Intervalls nach ventral medial luxieren könne. Für ein Trauma spreche die im OP-Bericht beschriebene Einblutung in die Bursa, die 16 Tage nach dem Trauma üblicherweise noch nicht resorbiert sei. Ein möglicher Fauxpas des Operateurs sei nicht anzunehmen. Eine degenerative Ruptur hinterlasse allenfalls eine diskrete Blutmenge. Beim Kläger hätten zum Unfallzeitpunkt degenerative und reparative Veränderungen bestanden, jedoch sei ein frischer Einriss auch histologisch beschrieben worden. Die Retraktion der Sehne spreche nicht gegen eine traumatische Ruptur, sondern eher dafür wegen der noch kräftigen Rotatorenmanschettenmuskulatur. Auch die Kriterien der "Empfehlungen zur Diagnostik und Begutachtung der traumatischen Rotatorenmanschettenruptur von Löw, Habermaier u.a.", nämlich geeignetes Unfallereignis, leeres Vorerkrankungsverzeichnis, Arztbesuch binnen 24 Stunden, Einblutung in benachbarte Weichteile, aktive Bewegung unter 90° etc, lägen vor. Die akute Symptomatik nach dem Unfall mit sofortigen Schmerzen und unmittelbarem Kraft- und Funktionsverlust sei typisch gewesen. Für eine degenerative Ruptur sei ein allmähliches Zunehmen der Schmerzen typisch. Ab 01.12.2006 betrage die unfallbedingte MdE 20 v.H. für ein Jahr, danach voraussichtlich 10 v.H.

In den von der Beklagten vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahmen vom 31.07. und 06.12.2007 widerspricht Dr. K. den Bewertungen des Sachverständigen. Aus den konventionellen Röntgenbildern vom 11.06.2007 ergebe sich ein beidseitiger Humeruskopfhochstand, was Ausdruck eines degenerativen Rotatorenmanschettenschadens sei. Auch die Bizepssehnenruptur der rechten Schulter 1986 spreche für eine degenerative Entwicklung. Sechzehn Tage nach dem Unfall könne sich aus dem Schleimbeutel nur noch altes Blut eines Hämatoms entleeren, nicht dagegen frisches. Dies müsse daher aus der Operation selbst stammen. Im Kernspintomogramm sei nicht sicher zu unterscheiden zwischen einem Ödem und einer Einblutung. Die Histologie ergebe deutliche degenerative Veränderungen. Dass bei dem Ereignis auch einige Fasern der Sehnen eingerissen seien, lasse sich nicht ausschließen, dies sei auch Teilursache. Rechtlich wesentlich für die Ruptur sei jedoch die Degeneration. Eine nicht degenerativ veränderte Sehne wäre bei dem Vorgang aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gerissen. Bei der Erstuntersuchung habe der Kläger Schmerzen an der luxierten Bizepssehne gehabt. Die üblichen Luxationswege der Schulter seien nach vorne unten, nach unten und nach hinten, eine Luxation nach oben gebe es nicht, da das Schulterdach im Wege sei. Der histologische Befund zeige ausgeprägte degenerative und reparative Veränderungen. Es wäre auch bei anderen Hergängen in absehbarer Zeit zum weiteren Einreißen der Rotatorenmanschette gekommen.

Mit Urteil vom 13.03.2008 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und festgestellt, dass das Ereignis vom 04.04.2006 ein versicherter Arbeitsunfall sei und der Riss der Supraspinatussehne, der Subscapilarissehne und die Luxation der langen Bizepssehne der linken Schulter Folgen dieses Arbeitsunfalls seien. In den Entscheidungsgründen hat sich das Sozialgericht auf die gutachtlichen Bewertungen von Prof. Dr. U. gestützt.

Gegen das der Beklagten am 31.03.2008 zugestellte Urteil hat sie am 09.04.2008 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt. Zur Begründung wiederholt die Beklagte ihr Vorbringen vor dem Sozialgericht und verweist auf die beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. K. vom 29.6.2006, 31.07.2007 und 06.12.2007.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.03.2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich zur Begründung auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil. Eine frische strukturelle Läsion bzw. eine frische reparative Ruptur belege einen Rotatorenmanschettenschaden, wie der Senat in einem früheren Urteil vom 15.04.2002 - L 1 U 1844/00 - bereits entschieden habe. Eine Gelegenheitsursache, wie die Beklagte meint, liege nicht vor. Die Schäden wären bei schicksalsmäßiger Entwicklung der Vorschäden nicht im selben Umfang eingetreten und hätten auch nicht völlig ohne Einwirkung von außen eintreten können. Weder ein Sturz noch das Heben eines schweren Werkzeuges stelle im Übrigen eine alltägliche Belastung dar. Hypothetische Ursachen dürften nicht herangezogen werden.

Der Senat hat die Verwaltungsakte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts beigezogen. Auf diese Unterlagen und auf die vor dem Senat angefallene Akte im Berufungsverfahren wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die gem. §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung der Beklagten ist auch im Übrigen zulässig.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil ist nicht zu beanstanden. Der Kläger hat einen Anspruch auf Feststellung des Ereignisses als Arbeitsunfall und der streitigen Gesundheitsstörungen als Unfallfolgen.

Hinsichtlich der vom Sozialgericht getroffenen Feststellung eines Arbeitsunfalls bestand seitens des Klägers auch ein Rechtsschutzbedürfnis, obgleich die Beklagte in dem als Verwaltungsakt behandelten Schreiben vom 04.07.2006 zur Begründung der Einstellung der Behandlung anführt, dass der Arbeitsunfall nur nicht behandlungsbedürftige und keine Arbeitsunfähigkeit auslösende Prellungen verursacht habe. Eine förmliche und materielle Feststellung des Ereignisses vom 04.04. 2006 als Arbeitsunfall ist damit nicht erfolgt.

Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i. S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist neben dem inneren bzw. sachlichen Zusammenhang der Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls mit der versicherten Tätigkeit erforderlich, dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis - geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(-erst-)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Das Entstehen von längerandauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheits(-erst-)schadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, B 2 U 40/05 R, B 2 U 26/04 R).

Diese Voraussetzungen liegen für das Ereignis vom 04.04.2006 vor, selbst wenn man mit der Beklagten als Gesundheitserstschaden nur das Eintreten von Prellungen annimmt.

Zur Überzeugung des Senats ist durch den Sturz des Klägers auch unmittelbar der Riss der Supraspinatussehne- und Subscapilarissehne sowie des Rotatorenmanschettenintervalls verursacht worden. Die haftungsbegründende Kausalität dieser Verletzungen ist gegeben.

Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. stellvertretend BSG vom 12. April 2005 - B 2 U 27/04 R - BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, jeweils RdNr. 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).

Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. dazu nur Heinrichs in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl. 2006, Vorb. v § 249 RdNr. 57 ff m. w. N. sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.

Anders als bei der für das Zivilrecht maßgebenden Adäquanztheorie (stellvertretend BGHZ 137, 11, 19ff m.w.N.) folgt daraus keine abstrakt-generalisierende Betrachtungsweise; vielmehr ist die Kausalitätsbewertung in der gesetzlichen Unfallversicherung vom ex-post-Standpunkt aus anhand individualisierender und konkretisierender Merkmale des jeweiligen Einzelfalles vorzunehmen. Daher kommt es bei der Wertung im Bereich der Kausalität vor allem darauf an, welche Auswirkungen das Unfallgeschehen gerade bei der betreffenden Einzelperson mit ihrer jeweiligen Struktureigenheit im körperlich-seelischen Bereich hervorgerufen hat (vgl. BSGE 66, 156 , 158 = SozR 3-2200 § 553 Nr. 1 m.w.N.). Gleichzeitig ist im Rahmen der gegenseitigen Abwägung mehrerer, zu einem bestimmten "Erfolg" führender Umstände der Schutzzweck sowohl der gesetzlichen Unfallversicherung im Allgemeinen als auch der jeweils anzuwendenden Norm zu berücksichtigen. Dies führt zu der Wertbestimmung, bis zu welcher Grenze der Versicherungsschutz im Einzelfall reicht (vgl. insgesamt BSG SozR 4-2200 § 589 Nr. 1 m.w.N.; SozR 2200 § 589 Nr. 96).

Bei mehreren Ursachen ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende (Mit)Ursache auch wesentlich war, ist unerheblich. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung, ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne weiteres zu unterstellen ist (vgl. insgesamt zum Vorstehenden BSG, Urteile vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R, B 2 U 40/05 R, B 2 U 26/04 R -, jeweils m. w. H.).

Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Es gibt aber im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist, weil dies bei komplexem Krankheitsgeschehen zu einer Beweislastumkehr führen würde (BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. RVO; BSG Urteil vom 7. September 2004 - B 2 U 34/03 R; zu Berufskrankheiten vgl. § 9 Abs. 3 SGB VII). Für die Feststellung dieses Ursachenzusammenhangs - der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität - genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a. F. RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr. 15 zu § 1263 a. F. RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr. 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 09.05.2006 a.a.O. m.w.H.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i. S. des "Vollbeweises", also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m. w. N.).

Nach diesen Grundsätzen liegt zur Überzeugung des Senats eine unfallbedingte Kausalität für die geltend gemachten Gesundheitsstörungen vor.

Den nachvollziehbaren Ausführungen von Prof. Dr. U. entnimmt der Senat, dass der vom Kläger durchgehend gleich geschilderte Unfallablauf geeignet war, die Supraspinatus- und Subscapularissehne sowie das Rotatorenmanschettenintervall zu überdehnen und schließlich zu zerreißen. Der von Prof. Dr. U. hierzu angenommene biomechanische Ablauf, dass durch den Anprall der rückwärtigen linke Schulter auf den Betonsockel der linke Oberarmkopf nach vorne oben gedrückt wurde, was zur Anspannung der Sehnen führte, ist schlüssig und damit überzeugend dargelegt. Der Einwand von Dr. K., dies entspreche nicht den typischen Luxationswegen, ist nach Prof. Dr. U. nicht stichhaltig. Entgegen der Annahme von Dr. K., diese Bewegung des Humeruskopfes werde durch das darüber liegende Schulterdach verhindert, konnte der Humeruskopf durch die angenommenen Dezentrierung nach vorne am Schulterdach vorbei gleiten. Diese Auffassung von Prof. Dr. U. wird auch gestützt durch die aus der Kernspintomographie ersichtliche Signalanhebung des ventralen cranialen Labrum glenoidale, das durch den dezentrierten Humeruskopf gequetscht wurde. Auch die Einblutung des nicht gerissenen Infraspinatus lässt sich durch eine solche Dezentrierung des Humeruskopfes im Sinne der Zerrung erklären.

Dass es durch diesen Unfallablauf zur Ruptur der genannten Sehnen gekommen ist, ist zur Überzeugung des Senats durch die Kernspintomographie, den intraoperativen Befund und die aufgetretene akute Beschwerdesymptomatik mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Die Magnetresonanztomographie vom 07.04.2006, also drei Tage nach dem Unfall, ergab die komplette Rotatorenmanschettenruptur mit deutlicher Einblutung in die Weichteile und deutlichem Ödem in der angrenzenden Muskulatur, was nach Prof. Dr. U. auf die traumatische Ruptur hindeutet, denn bei einer allmählich eintretenden, degenerativen Ruptur findet sich allenfalls eine diskrete Blutmenge, die nicht mit der mit dem beschriebenen Ausmaß vergleichbar ist. Damit korrespondiert auch der intraoperative Befund vom 20.04.2006, wonach sich aus der Bursa Blut entleerte. Der Formulierung einer "frisch eingebluteten Bursa" im Operationsbericht vom 20.04.2006 ist die von Dr. K. unterstellte Ursache nicht zu entnehmen. Weder sind im Operationsbericht sonstige Hinweise auf einen Kunstfehler des Operateurs enthalten, noch ergeben sich Hinweise darauf, dass damit nicht eine auf das in der Vorgeschichte des Operationsberichts erwähnte Unfallereignis bezogene frische Einblutung gemeint ist. Prof. Dr. U. hat überzeugend dargelegt, dass 16 Tage nach einem Trauma üblicherweise die Einblutung noch nicht resorbiert ist und sich bei Eröffnung ein entsprechend altes Hämatom entleert. Auch der histologische Befund vom 21.04.2006 ergab aus der Untersuchung der bis zu 1,8 cm langen unregelmäßigen Gewebeteile neben ausgeprägten degenerativen und operativen Veränderungen Zeichen eines frischen Einrisses. Dass es zu - weiteren - Einrissen gekommen ist, hat Dr. K. zuletzt auch nicht mehr angezweifelt (vgl. ihre beratungsärztliche Stellungnahme vom 06.12.2007). Die mit einer traumatisch bedingten Sehnenruptur verbundene Beschwerdesymptomatik und die Positiv-Kriterien eines Traumas lagen nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. U. vor, der sich hierbei auf die unfallmedizinische Literatur (die Veröffentlichung von Löw, Habermaier u. a. aus dem Jahr 2000 und von Rickert, Schröter und Schiltenwolf von 2005) stützt. Ob die akute Beschwerdesymptomatik des Klägers auch allein durch die Bizepssehnenluxation verursacht werden kann - wie Dr. K. meint -, kann dahinstehen. Im Hinblick auf die in den genannten Befunden objektivierten frischen Einrisse ist die Beurteilung von Prof. Dr. U., dass die Bizepssehnenluxation eine Folge der frischen Rupturen der Subscapularissehne und des Rotatorenmanschettenintervalls war, für den Senat einleuchtend. Die Diagnose einer konsekutiven Bizepssehnenluxation hat damit übereinstimmend auch der behandelnde Arzt PD Dr. H. gestellt.

Übereinstimmend gehen Prof. Dr. U. und Dr. K. davon aus, dass die Rotatorenmanschette der linken Schulter unfallvorbestehend bereits degenerative Veränderungen aufgewiesen hatte. Die Bewertung von Prof. Dr. U., dass diese nicht bereits so stark ausgeprägt waren, dass sie alleinige Ursache hätten sein können, sondern das Unfallereignis wesentlich zu der Ruptur der Rotatorenmanschette beigetragen hat, ist für den Senat überzeugend. Der histologische Befund ergibt zwar die von Dr. K. auch angesprochenen degenerativen und reparativen Veränderungen mit älteren Einrissen und Narbenfeldern. Jedoch ist für einen weiter fortgeschrittenen Gewebeabbau aufgrund eines bereits langjährigen Degenerationsprozesses nach Prof. Dr. U. kein Anhaltspunkt zu erkennen. Eine arthrotische Verengung des subacromialen Raums, der mechanisch zur Ausdünnung der darin verlaufenden Sehnen der Rotatorenmanschette führt, ist weder dem radiologischen Befund vom 04.04.2006 noch der Kernspintomographie vom 07.04.2006 zu entnehmen. Röntgenologisch ergaben sich altersentsprechende Konturen des Schultergelenks links. Die Aufnahme der Kernspintomographie belegte keine Arthrophyten, die nach Prof. Dr. U. fast immer bei einer degenerativen Ruptur nachzuweisen sind. Weder der Befund über den beidseitigen Humeruskopfhochstand noch die Retraktion der Sehnenanteile ist nach Prof. Dr. U. ein Beleg für eine langjährige degenerative Entwicklung. Der Humeruskopfhochstand ist erstmals im Röntgenbefund vom Juni 2007, also über ein Jahr nach dem Arbeitsunfall, belegt, sodass dies auch eine Folge der unfallbedingten Funktionseinschränkung der linke Schulter sein kann. Die Retraktion der Sehnenanteile spricht nach Prof. Dr. U. nicht zwingend für eine schon vorbestehende degenerative Entwicklung. Behandlungsbedürftige unfallvorbestehende Schulterbeschwerden sind darüber hinaus nicht dokumentiert. In der Gesamtbetrachtung ergeben sich somit für den Senat keine Anhaltspunkte für eine dermaßen ausgeprägte degenerative Rotatorenmanschette, dass durch jegliche Alltagsbelastung eine Ruptur der drei Sehnen hätte eintreten können.

Eine solche Schlussfolgerung ist auch nicht über die Bewertung der bei dem Unfallereignis einwirkenden Kraft auf die linke Rotatorenmanschette möglich. Der Einschätzung von Dr. K., der Unfallablauf sei für die Ruptur der Rotatorenmanschette ungeeignet gewesen, folgt der Senat nicht. Bei der von Prof. Dr. U. überzeugend dargelegten Unfallmechanik mit Heraustreten des Humeruskopfes aus dem Gelenk ist die Intensität der Einwirkung auf die Gelenkanteile der linken Schulter, wie sie auch bei einer alltäglichen Belastungen auftreten können, überschritten. Dr. K., die annimmt, dass eine gesunde Rotatorenmanschette hierbei keinen Schaden genommen hätte, verkennt, dass der Maßstab für die Annahme einer "Gelegenheitsursache" die einer Alltagsbelastung vergleichbare Einwirkung ist, die ebenso zu dem zu beurteilenden Körperschaden geführt hätte. Damit sind aber Einwirkungen, die zwar ein nicht vorgeschädigtes Organ nicht verletzen können, aber die Intensität von Alltagsbelastungen noch übersteigen, nicht geeignet im Sinne einer Gelegenheitsursache den wesentlichen Zusammenhang zwischen unfallbedingter Einwirkung und Körperschaden auszuschließen. Das Unfallereignis war daher zur Überzeugung des Senats neben den unfallvorbestehenden degenerativen Veränderungen der Rotatorenmanschette wesentliche Mitursache für die eingetretene Verletzung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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