L 9 R 4937/06

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 1969/05
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 4937/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 29. August 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist zwischen den Beteiligten die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Die 1953 geborene Klägerin kam 1970 aus der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland. Sie ist Mutter von vier Kindern, die in den Jahren 1970, 1971, 1974 und 1983 geboren wurden. Sie hat in der Türkei fünf Jahre die Schule besucht und keinen Beruf erlernt. In der Bundesrepublik Deutschland war sie von Januar bis August 1973, von August 1978 bis April 1981 und von Juli 1990 bis Oktober 1993 als Hilfsarbeiterin beschäftigt. Danach bezog sie Krankengeld und Leistungen des Arbeitsamtes bzw. der Arbeitsagentur.

Rentenanträge der Klägerin vom 6.6.1995 und 9.7.2003 hatten keinen Erfolg (Bescheid vom 8.1.1996, Widerspruchsbescheid vom 6.9.1996, Urteil des Sozialgerichts - SG - Mannheim vom 28.10.1997 - S 9 J 2274/96 -; Bescheid vom Juli 2003).

Auf Grund der Rentenanträge waren von der Beklagten Gutachten des Orthopäden Dr. Th. vom 13.11.1995, des Neurologen und Psychiaters Dr. Sch. vom 30.10.1995, des Internisten Dr. L vom 16.11.1995, des Neurologen und Psychiaters M. vom 14.7.1996, des Neurologen und Psychiaters Dr. Sch. vom 10.4.2003, des Orthopäden Dr. S. vom 6.5.2003 und des Internisten Dr. M. vom 22.7.2003 sowie vom SG das Gutachten von Prof. Dr. U., Psychiatrisches Zentrum Nordbaden, vom 21.7.1997 eingeholt worden.

Am 5.8.2004 beantragte die Klägerin, bei der seit 19.7.2004 ein Grad der Behinderung von 40 festgestellt ist, erneut die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte ließ die Klägerin von dem Internisten und Arzt für Sozialmedizin Dr. L gutachterlich untersuchen. Dieser stellte bei der Klägerin im Gutachten vom 8.10.2004 folgende Diagnosen: • Anhaltendes Zervikobrachial- und Lumbalsyndrom mit Bewegungseinschränkungen ohne Hinweise auf neurologische Ausfälle • Anhaltendes myofasciales generalisiertes Schmerzsyndrom seit Jahren. Gegenüber den Voruntersuchungen im April 2003 sei es zu keiner wesentlichen Verschlechterung gekommen. Die Klägerin sei weiterhin in der Lage, leichte bis mittelschwere Tätigkeiten mit qualitativen Einschränkungen sechs Stunden und mehr zu verrichten.

Mit Bescheid vom 15.10.2004 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, weil weder eine teilweise noch eine volle Erwerbsminderung und auch keine Berufsunfähigkeit vorliege. Den Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 22.6.2005 zurück.

Hiergegen erhob die Klägerin am 13.7.2005 Klage (S 7 R 1969/05) zum SG Mannheim. Dieses hörte die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen und holte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten ein.

Der Neurologe und Psychiater Dr. J. teilte unter dem 6.9.2005 mit, er habe die Klägerin in den letzten Jahren in ca. dreimonatigen Abständen behandelt. Bei ihr liege eine depressive Entwicklung mit somatoformem Schmerzsyndrom, sozialem Rückzug und hochgradig geminderter emotionaler Belastbarkeit vor. Die somatoforme Schmerzstörung und das depressive Syndrom hätten sich in letzter Zeit wesentlich verschlechtert; die polyneuropathische Symptomatik habe sich gebessert. Aus seiner Sicht sei das Leistungsvermögen für leichte körperliche Frauenarbeiten von wirtschaftlichem Wert auf unter sechs Stunden täglich gesunken.

Der Arzt für Allgemeinmedizin Dr. Sch. bekundete unter dem 14.9.2005, die Klägerin stehe seit dem 20.3.2001 in seiner hausärztlichen Behandlung. Bei ihr bestehe ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus Typ IIb und eine diabetische Polyneuropathie sowie eine Hyperlipidämie. Auf neurologischem Gebiet liege eine rezidivierende depressive Störung mit einer ausgeprägten Somatisierungsstörung, vor allem in Form von somatoformen Schmerzen, vor. Auf orthopädischem Gebiet fänden sich ein chronisches degeneratives Halswirbelsäulen(HWS)-Syndrom mit Osteochondrose C 5/6, ein chronisches degeneratives Lendenwirbelsäulen(LWS)-Syndrom und eine diskrete Gonarthrose links. Im Vordergrund stehe das ausgeprägte Fibromyalgie-Syndrom bzw. das myofasciale Schmerzsyndrom. Von seinem Fachgebiet sei es zwar vertretbar, dass die Klägerin einer leichten körperlichen Arbeit nachgehe. Auf Grund der geringen psychischen und physischen Belastbarkeit halte er sechs Stunden täglich nicht für realisierbar, sondern maximal vier Stunden täglich.

Der Orthopäde Dr. H. erklärte unter dem 27.9.2005, er behandele die Klägerin seit dem 25.4.2002. Die Vorstellungen erfolgten seitdem im Abstand einiger Monate, seit Frühjahr 2004 im Abstand einiger Wochen. Er habe folgende Diagnosen gestellt: Degeneratives LWS-Syndrom, Osteoporose, Lumboischialgie beidseits, Fibromyalgie-Syndrom, degeneratives HWS-Syndrom und Gonarthrose links. Im Juni 2004 sei eine Änderung insoweit eingetreten, als seitdem Beschwerden eher im LWS-Bereich mit Ausstrahlung in die Beine vorhanden seien. Ausgehend von dem am 17.5.2005 erhobenen Befund könne er eine Leistungsfähigkeit von sechs Stunden täglich nicht bestätigen.

Der Neurologe und Psychiater Dr. B. stellte im Gutachten vom 2.3.2006 bei der Klägerin eine leichte bis mittel ausgeprägte mehrdimensionale (somatoform-dysthyme) psychosomatische (neurotische) Störung fest und gelangte zum Ergebnis, die Klägerin könne bei Berücksichtigung zahlreicher qualitativer Einschränkungen weiterhin acht Stunden täglich arbeiten. Zu vermeiden seien besondere (überdurchschnittliche) Anforderungen an das Auffassungsvermögen oder an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit (geistige Beweglichkeit), besondere (überdurchschnittliche) Anforderungen an die Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit und das Verantwortungsbewusstsein, besondere (überdurchschnittliche) Anforderungen an das Konzentrationsvermögen oder an die Merkfähigkeit besondere (überdurchschnittliche) Anforderungen an das Durchsetzungsvermögen besondere (überdurchschnittliche) nervliche Belastungen Schicht-, Nacht-, Akkord- und Fließbandarbeit besonderer (überdurchschnittlicher) Zeitdruck sehr häufiger Publikumsverkehr Arbeiten mit Absturzgefahr (auf Leitern und Gerüsten) Arbeiten mit überdurchschnittlichen Anforderungen an das Hörvermögen und mit besonderer (überdurchschnittlicher) Lärmbelastung.

Mit Urteil vom 29.8.2006 wies das SG die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, die Klägerin sei noch in der Lage, einer leichten körperlichen Arbeit sechs Stunden täglich nachzugehen, wenn qualitative Einschränkungen berücksichtigt würden. Dies ergebe sich aus den Gutachten von Dr. B. vom 2.3.2006 und Dr. L vom 8.10.2004. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.

Gegen das am 12.9.2006 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28.9.2006 Berufung eingelegt und vorgetragen, ihre behandelnden Ärzte hätten bekundet, dass sie dauerhaft auf Schmerzmittel angewiesen sei und ein positives Leistungsbild derzeit nicht bestehe, sodass von voller Erwerbsminderung auszugehen sei. Bei Dr. J. solle ein Gutachten gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholt werden.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 29. August 2006 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. Oktober 2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. Juni 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. August 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, die Ausführungen in der Berufungsbegründung führten zu keiner Änderung ihres bisherigen Standpunkts.

Die Klägerin hat Arztbriefe der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg vom 15.2. und 19.7.2007 vorgelegt (Fibromyalgie-Syndrom, bekannte degenerative Wirbelsäulenveränderungen, Osteoporose, derzeit mittelgradige depressive Episode).

Dr. J. hat im Gutachten vom 28.8.2007 bei der Klägerin folgende Diagnosen gestellt: • Chronische, mittelgradig ausgeprägte somatoforme Schmerzstörung • Anhaltende depressive Störung mit Migrationshintergrund • Leichtgradige sensible Polyneuropathie • Tinnitus rechtes Ohr • Multifaktoriell bedingte kognitive Leistungseinschränkung. Das Leistungsvermögen der Klägerin liege unter drei Stunden. Ein positives Leistungsprofil für den freien Arbeitsmarkt könne nicht erstellt werden. Die Einschränkungen qualitativer Art seien so gravierend, dass nur Arbeiten im geschützten Rahmen einer Werkstatt für Behinderte möglich seien. Die Wegefähigkeit sei hochgradig eingeschränkt; zur Zeit sei eine Begleitperson erforderlich. Der festgestellte Zustand bestehe mindestens seit August 2004. In einer ergänzenden ärztlichen Stellungnahme vom 7.8.2008 hat Dr. J. an seiner Beurteilung festgehalten.

Die Beklagte hat Stellungnahmen der Ärztin für Psychiatrie MUDr. H. vom 6.2. und 24.7.2008 vorgelegt. Diese hat zusammenfassend dargelegt, der Leistungsbeurteilung von Dr. J. könne nicht gefolgt werden, auch nicht seiner medizinischen Begründung und seinen Argumenten (mangelhaftes Arbeitstraining bei der seit 1993 bestehenden Arbeitslosigkeit, berufliches Leistungsdefizit, mehrmonatige Fehlzeiten in den letzten Jahren der Berufstätigkeit).

Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG (S 7 R 1969/05 und S 9 J 2274/96) sowie des Senats Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.

Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da die Klägerin keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung hat. Das SG hat den rechtserheblichen Sachverhalt umfassend dargestellt, die an eine Rentengewährung geknüpften Voraussetzungen zutreffend benannt und das Beweisergebnis frei von Rechtsfehlern gewürdigt. Hierbei ist es ausführlich auf die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen eingegangen; auch hat es überzeugend begründet, weshalb es den Beurteilungen des Dr. L und Dr. B. gefolgt ist. Der Senat schließt sich der Beweiswürdigung des SG uneingeschränkt an und sieht deshalb von einer Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG weitgehend ab. Ergänzend ist auszuführen, dass der Senat auch unter Berücksichtigung des Gutachtens von Dr. J. vom 28.8.2007 (nebst ergänzender Stellungnahme vom 7.8.2008) eine Erwerbsminderung der Klägerin, d. h. ein Absinken ihrer beruflichen und körperlichen Leistungsfähigkeit auf ein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von weniger als sechs Stunden täglich nicht festzustellen vermag. Dies ergibt sich im wesentlichen aus der Gesamtwürdigung der im Laufe der drei Rentenverfahren eingeholten ärztlichen Gutachten der Orthopäden Dr. Th. und Dr. S. vom 13.11.1995 und 6.5.2003, des Internisten und Arztes für Sozialmedizin Dr. L vom 16.11.1995 und 8.10.2004, des Internisten Dr. M. vom 22.7.2003 sowie der Neurologen und Psychiater Dr. Sch. vom 30.10.1995 und 10.4.2003, M. vom 14.7.1996, Professor Dr. U. vom 21.7.1997 sowie Dr. B. vom 2.3.2006. Die Klägerin leidet nach den auf den oben genannten ärztlichen Unterlagen beruhenden Feststellung des Senats im Wesentlichen unter folgenden, ihre berufliche Leistungsfähigkeit einschränkenden Gesundheitsstörungen: • Somatoforme Schmerzstörung • Dysthymie • Leichtgradige sensible Polyneuropathie • Degeneratives LWS- und HWS-Syndrom, Osteoporose • Tinnitus rechtes Ohr • Diabetes mellitus-Typ IIb (insulinpflichtig) • Hyperlipidämie. Auf Grund dieser Gesundheitsstörungen kann die Klägerin keine schweren und ausschließlich mittelschweren Arbeiten, Arbeiten mit ganztägigem Stehen, mit Heben und Tragen von Lasten über 12 kg, mit häufigem Bücken, mit Zwangshaltungen und Rumpfverdrehung sowie mit besonderen (überdurchschnittlichen) Anforderungen an das Auffassungs-, Konzentrations- und Durchsetzungsvermögen, Verantwortungsbewusstsein, an die Umstellungs- und Anpassungsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit, Übersicht, Aufmerksamkeit, Zuverlässigkeit, Merkfähigkeit, mit nervlichen Belastungen, Zeitdruck, mit Absturzgefahr, sehr häufigem Publikumsverkehr, mit überdurchschnittlichen Anforderungen an das Hörvermögen und mit besonderer (überdurchschnittlicher) Lärmbelastung sowie mit Schicht-, Nacht-, Akkord- und Fließbandarbeiten mehr verrichten. Die Klägerin ist jedoch nicht gehindert, körperlich leichte Tätigkeiten überwiegend im Sitzen bzw. in wechselnder Körperhaltung in Tagesschicht in normaltemperierten Räumen sechs Stunden täglich zu verrichten. Dies ergibt sich für den Senat aus den übereinstimmenden Beurteilungen in den Gutachten der Orthopäden Dr. Th. und Dr. S., der Internisten Dr. L und Dr. M. sowie der Neurologen und Psychiater Dr. Sch., M., Professor Dr. U. und Dr. B., die den Gesundheitszustand der Klägerin über einen Zeitraum von über 10 Jahren dokumentieren. Der hiervon abweichenden Beurteilung von Dr. J. im Gutachten vom 28.8.2007 (nebst Stellungnahme vom 7.8.2008) vermag sich der Senat dagegen nicht anzuschließen. Er hat im wesentlichen übereinstimmend mit seinen früheren Diagnosen in der ärztlichen Bescheinigung vom 13.3.1996 (rezidivierende, endoreaktive Depression mit ausgeprägter Somatisierung im Sinne eines Fibromyalgiesyndroms) und vom 22.1.2003 (rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode (F33.2 ICD-10) mit somatoformer Schmerzstörung (F45.4. ICD-10)) und in seinen sachverständigen Zeugenaussagen vom 27.1.1997 und vom 6.9.2005 bei der Klägerin neben der somatoformen Schmerzstörung (F45.4 ICD-10) nunmehr sonstige depressive Episoden - Atypische Depression (F32.8 ICD-10) mit Migrationshintergrund festgestellt. Demgegenüber konnten Dr. Sch., Neurologe und Psychiater M. und Professor Dr. U. in den Gutachten vom 30.10.1995, 5.7.1996 und 21.7.1997 bei ihren Untersuchungen damals eine Depression ebenso wenig bestätigen, wie Dr. Sch. und Dr. B. in den Gutachten vom 10.4.2003 und vom 2.3.2006. In letzterem hat Dr. B. bei der Klägerin eine leicht bis mittel ausgeprägte, mehrdimensionale (somatoform-dysthyme) psychosomatische (neurotische) Störung festgestellt, mithin also im affektiven Bereich eine dysthyme Störung, die als chronische depressive Verstimmung definiert ist, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten rezidivierenden Störung (F33.- ICD-10) zu erfüllen (vgl. F34.1 ICD-10). Eine gravierende depressive Störung vermag der Senat auch aus dem von Dr. J. im Gutachten vom 28.8.2007 beschriebenen psychischen Befund der Klägerin nicht abzuleiten. Zwar zeigte sich die Klägerin in der Untersuchungssituation bei Leistungsanweisungen in vielen Fällen gleichgültig und desinteressiert, andererseits war die Klägerin hinsichtlich Wissensfragen zu ihrer Allgemeinbildung, die in Anwesenheit ihrer türkischen Landsmännin gestellt wurden, außerordentlich gut informiert. Sie war in der Lage, die Namen der zur Wahl angetretenen türkischen Politiker, detaillierte Wahlkampf-Themen, Namen von Schauspielern in türkischen Fernsehen-Serien zu nennen, Inhalte populärer Serien wiederzugeben und über aktuelle Geschehen aus dem Leben der regionalen islamischen Glaubensgemeinschaft zu berichten. Dies spricht gegen eine gravierende leistungseinschränkende Depression. Auch zeigte sich die Klägerin bei der zweiten gutachterlichen Untersuchung bei Dr. J. - ohne Anwesenheit ihres Ehemannes, in Anwesenheit der türkischen Dolmetscherin - deutlich lebhafter, weniger ernst und am Gespräch mit ihrer Landsmännin interessiert. Ferner ist die Klägerin in der Lage, trotz ihrer Schmerzen und ihrer finanziellen Situation Freundschaften - zumeist zu Landsleuten - beizubehalten und Kontakte mit ihrem Familienangehörigen zu pflegen. Darüber hinaus erfordern nach Aktenlage die seelischen Störungen auch keine engmaschige psychiatrische Betreuung. So hat Dr. J. in seiner sachverständigen Zeugenaussage vom 6.9.2005 angegeben, die Klägerin suche ihn in 3-Monats-Abständen auf. Auch gegenüber Dr. B. gab die Klägerin am 15.2.2006 an, sie suche Dr. J. alle 3 bis 6 Monate einmal auf. Die medikamentöse Behandlung der depressiven Verstimmung mit dem Präparat Cymbalta, von dem die Klägerin nach ihren Angaben gegenüber Dr. B. täglich 2 Kapseln à 30 mg einnahm, ist gleichgeblieben, wie der Senat den Berichten der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg vom 15.2. und 19.7.2007 entnimmt. Zum anderen hat Dr. J. schon in seinen ärztlichen Bescheinigungen vom 13.3.1996 und vom 22.1.2003 die Ansicht vertreten, dass die Klägerin erwerbsunfähig sei. Diese Auffassung hat er auch in seinen sachverständigen Zeugenaussagen vom 27.1.1997 und 6.9.2005 geäußert, was jedoch weder von Dr. Sch. in den Gutachten vom 30.10.1995 und 10.4.2003, M. im Gutachten vom 14.7.1996, Professor Dr. U. im Gutachten vom 21.7.1997 sowie von Dr. B. im Gutachten vom 2.3.2006 bestätigt werden konnte. Angesichts dessen vermag der Senat nicht festzustellen, dass die Klägerin auf Grund der bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörungen, insbesondere der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung und der chronischen depressiven Verstimmung i.S. einer Dysthymia, gehindert ist, körperlich leichte Tätigkeiten sechs Stunden täglich zu verrichten. Die sonstigen Umstände, die nach der Beurteilung von Dr. J. eine sechsstündige Tätigkeit ausschließen, wie mangelndes Arbeitstraining bei seit 1993 bestehender Arbeitslosigkeit, neurotisches Verhalten gegenüber Leistungsanforderungen unter kulturfremden Bedingungen, mehrmonatige Fehlzeiten in den letzten Jahren der Berufstätigkeit, berufliches Leistungsdefizit, begründen keine Leistungsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI, weil es sich dabei nicht um Krankheiten und Behinderungen im Sinne des Gesetzes handelt. Der Senat vermag bei der Klägerin auch keine hochgradige Einschränkung der Wegefähigkeit und insbesondere keine Notwendigkeit einer Begleitperson aus gesundheitlichen Gründen zu erkennen. Dr. J. führt diese auf eine Gangunsicherheit wegen der diabetisch bedingten Polyneuropathie zurück, die er aber andererseits in der sachverständigen Zeugenaussage vom 6.9.2005 als gebessert bezeichnet und im Gutachten vom 28.8.2007 als lediglich leichtgradig ausgeprägt beschreibt. Dem von Dr. J. vorgelegten Bericht des Diabetologen Dr. D.vom 7.8.2007 entnimmt der Senat, dass als weiterer diabetischer Endorganschaden bei der Klägerin inzwischen ein diabetisches Fußsyndrom vorliegt, allerdings ist auch dieses noch gering ausgeprägt im Stadium 0 der Einteilung nach Wagner, bezeichnet als Risikofuß ohne offene Läsionen. Eine Einschränkung der Gehfähigkeit lässt sich daraus nicht ableiten. Der Leistungsbeurteilung von Dr. J. vermag sich der Senat - ebenso wie MUDr. H. in der Stellungnahmen vom 6.2. und 24.7.2008 - nicht anzuschließen. Zusammenfassend ist der Klägerin unter Berücksichtigung sämtlicher bei ihr diagnostizierter Gesundheitsstörungen nach alledem noch in der Lage, jedenfalls körperlich leichte Tätigkeiten mit den genannten qualitativen Einschränkungen mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Die Klägerin ist somit nicht erwerbsgemindert, zumal auch die Zusammenschau der einzelnen Gesundheitsstörungen kein Leistungsvermögen von täglich weniger als sechs Stunden begründet. Insbesondere muss für die Verneinung von Erwerbsminderung bei mindestens sechs Stunden täglich leistungsfähigen Versicherten - anders als bei Teilzeitkräften - weder eine konkrete Tätigkeit benannt werden, noch ist die Frage zu prüfen, ob es genügend Arbeitsplätze gibt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für in diesem Umfang leistungsfähige Ungelernte und Angelernte des unteren Bereichs geeignete Arbeitsplätze in ausreichender Anzahl vorhanden sind (Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996, u.a. SozR 3-2600 § 44 Nr. 8). Dies stimmt mit dem erklärten Willen des Gesetzgebers überein, der durch § 43 Abs. 3 SGB VI klargestellt hat, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann, wobei die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.

Der Klägerin ist somit keine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren, und zwar unabhängig davon, ob die für sie zuständige Arbeitsagentur einen ihrem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz anbieten könnte. Denn das Risiko, keinen offenen Arbeitsplatz zu finden, ist nicht von der Renten-, sondern grundsätzlich von der Arbeitslosenversicherung zu tragen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 137 m.w.N.). Allerdings ist die Frage, ob es auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeitsplätze gibt, immer dann zu klären, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (BSG SozR 2200 § 1246 Nrn. 104 und 117) oder wenn Arbeitskräfte i.S.v. § 43 Abs. 3 SGB VI nur noch auf solchen Arbeitsplätzen einsetzbar sind, bei denen wegen ihrer Seltenheit die Gefahr einer Verschlossenheit des Arbeitsmarktes besteht, also z.B. noch in Betracht kommende Tätigkeiten nicht unter betriebsüblichen Bedingungen ausgeübt werden können oder entsprechende Arbeitsplätze aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen von der Wohnung aus nicht erreichbar sind oder nur vereinzelt vorkommen (BSG SozR 2200 §§ 1246 Nrn. 136, 137 und 139 sowie 1247 Nrn. 33 und 53; SozR 3-2200 § 1247 Nrn. 10 und 14).

Ausgehend hiervon sind - wie bereits ausgeführt - keine Beschränkungen des zumutbaren Arbeitsweges erkennbar. Auch benötigt die Klägerin keine betriebsunüblichen Pausen. Blutzuckermessungen und Insulinzufuhr können während den Pausen bzw. in der persönlichen Verteilzeiten vorgenommen werden. Ebenso gibt es für das Bestehen der übrigen sog. Katalogfälle keine Anhaltspunkte.

Darüber hinaus liegt auch keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor. Denn bei den genannten Einschränkungen handelt es sich im Wesentlichen um solche, denen durch die Begrenzung auf leichte körperliche Arbeit hinreichend Rechnung getragen wird. So sind die der Klägerin noch zumutbaren leichten körperlichen Arbeiten überwiegend im Sitzen bzw. in wechselnder Körperhaltung nicht mit schwerem Heben und Tragen von Lasten, Zwangshaltungen, langem Stehen, besonderem Zeitdruck, Schicht-, Akkord-, Fließband- und Nachtarbeiten, größeren Konzentrations- und Reaktionsleistungen sowie Publikumsverkehr verbunden. Die der Klägerin noch zumutbaren Arbeiten (z. B. Verpacken von Kleinteilen, Sortier-, Montier-, Etikettier- und Klebearbeiten) werden überwiegend im Sitzen zu ebener Erde in normaltemperierten Räumen in Normalarbeitszeit verrichtet und erfordern keine Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten, mit größeren Konzentrations- und Reaktionsleistungen und sind nicht mit häufigem Publikumsverkehr bzw. besonderen Belastungen verbunden. Schließlich liegt auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor.

Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung der Klägerin musste deswegen zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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