L 14 KrR 1383/95 A

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 2 Kr 1184/95 (A)
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 14 KrR 1383/95 A
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Vorläufiger Rechtsschutz durch Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 97 Abs. 5 SGG ist zu gewähren, wenn das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides gegenüber dem Einzelinteresse des Antragstellers, die Vollziehung bis zur Entscheidung über seine gegen den Bescheid erhobene Klage hinauszuschieben, nicht überwiegt. Das ist dann der Fall, wenn der angefochtene Bescheid offensichtlich rechtswidrig ist. An der sofortigen Vollziehung eines offensichtlich rechtswidrigen Bescheides kann kein vorrangiges öffentliches Interesse bestehen. Für alle anderen Fälle ist bei summarischer Prüfung des Sachverhalts eine Abwägung der öffentlichen und „privaten” Interessen, die für oder gegen die Dringlichkeit der sofortigen Vollziehung sprechen, maßgebend (Beschluß des Senats vom 17-11-1994 – L-14/Kr-33 und 34/94 A – nicht veröffentl.–).
2. Das mit Wirkung vom 1.1.1996 im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung in Kraft getretene „Kassenwahlrecht” und dessen Rechtswirkungen hängen von einer gesetzlichen Zeitbestimmung in Form einzuhaltender Fristen ab. Diese Fristen können wirksam erst dann in Lauf gesetzt werden, wenn die gesetzliche Regelung in Kraft getreten ist. Eine Inanspruchnahme des Kassenwahlrechts schon im Jahre 1995 („de lege ferenda”) ist deshalb unwirksam.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 22. Dezember 1995 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

I.

Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen einen Verpflichtungsbescheid der Antragsgegnerin, mit dem diese die Aufnahme Versicherungspflichtiger Mitglieder zum 1. Januar 1996 untersagt hat.

Streitgegenstand des Verfahrens ist die zwischen den Beteiligten umstrittene Auffassung, zu welchem Zeitpunkt versicherungspflichtig Beschäftigte anderer Krankenkassen in die Betriebskrankenkasse des Ehegatten wechseln können (Ausübung des Kassenwahlrechts). Anläßlich einer Aufsichtsprüfung (9. November 1995) stellte die Antragsgegnerin fest, daß die Antragstellerin 150 versicherungspflichtig Beschäftigte, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Antragstellerin fallen, den Beginn der Mitgliedschaft zum 1. Januar 1996 in Aussicht gestellt hatte. Nach entsprechenden Willenserklärungen der Versicherten zur "Kündigung” der bisherigen Mitgliedschaft forderte die Antragstellerin die betroffenen Arbeitgeber dieser Beschäftigten, unter Beifügung neuer Mitgliedsbescheinigungen auf, die im einzelnen benannten Beschäftigten zum 1. Januar 1996 bei ihr, der Antragstellerin, anzumelden.

Nach erfolgloser aufsichtsrechtlicher Beratung verfügte die Antragsgegnerin durch den an die Antragstellerin adressierten Bescheid vom 14. Dezember 1995 bei gleichzeitiger Anordnung der sofortigen Vollziehung,

1) "die zum 1. Januar 1996 beabsichtigten Aufnahmen der etwa 150 versicherungspflichtig Beschäftigten, die 1995 nicht dem gesetzlich bestimmten Mitgliederkreis der BKK angehören, zu unterlassen,

2) die von Punkt 1 erfaßten Versicherten darüber zu informieren, daß sie wegen Unwirksamkeit ihrer 1995 erfolgten Kündigungserklärungen Mitglieder ihrer bisherigen Krankenkassen bleiben und 1996 ihr Wahlrecht erneut ausüben müssen, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen dafür vorliegen, die an die Versicherten bereits ausgegebenen Versichertenkarten zurückzufordern,

3) die Arbeitgeber der Betroffenen über die fehlerhaft ausgestellten Mitgliedschaftsbescheinigungen zu informieren und auf die weiterhin bestehende Zuständigkeit der bisherigen Krankenkasse zu verweisen,

4) die bisherigen Krankenkassen der betroffenen Versicherten von der Unwirksamkeit der 1995 ausgesprochenen "Kündigungen” zu unterrichten und auf die zur Klarstellung hier entsprechend anzuwendende Bescheinigungspflicht gem. § 183 Abs. 3 SGB V hinzuweisen”.

In der Begründung wird ausgeführt, daß die Vorgehensweise der Antragstellerin nicht mit dem geltenden Recht zu vereinbaren sei. Die mit der gesetzlichen Neuregelung erweiterte Wahlmöglichkeit könne erst ab Jahresbeginn 1996 ausgeübt werden. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei im öffentlichen Interesse geboten. Hierbei müsse berücksichtigt werden, daß die Auswirkungen in ihrer Gesamtheit für die die Mitglieder abgebenden Krankenkassen schwerwiegend seien, da erhebliche Beitragsverluste drohten.

Gegen diesen am 19. Dezember 1995 zugestellten Bescheid hat die Antragstellerin am 19. Dezember 1995 vor dem Sozialgericht Wiesbaden Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Die Antragstellerin hat geltend gemacht, daß der angefochtene Verpflichtungsbescheid rechtswidrig sei und keine vollziehbaren Handlungsanweisungen enthalte. Sie, die Antragstellerin, sei nicht befugt, "über die Unwirksamkeit von Kündigungen anderer Krankenkassenmitglieder zu befinden”. Auch lasse der angefochtene Verpflichtungsbescheid wegen der für andere Kassen geringen wirtschaftlichen Bedeutung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit außer acht. Hingegen seien für die einzelnen Versicherten durchaus spürbare Auswirkungen zu befürchten, wenn diese noch ein Jahr lang auf die Umsetzung ihrer Kassenwahl verzichten müßten. Auch verschaffe sie sich keinerlei Wettbewerbsvorteile, wenn sie Ehegatten versichere, die ihr Wahlrecht zum 1. Januar 1996 ausübten.

Durch Beschluss vom 22. Dezember 1995 hat das Sozialgericht Wiesbaden den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung abgelehnt. In den Gründen hat es ausgeführt, daß die erhobene Klage geringe Aussicht auf Erfolg habe. Der Verpflichtungsbescheid der Antragsgegnerin, mit dem eine Rechtverletzung aufsichtsrechtlich behoben werden solle, werde voraussichtlich einer rechtlichen Prüfung standhalten. Die Aktionen der Antragstellerin seien ohne gesetzliche Grundlage erfolgt, weil die erweiterte Wahlmöglichkeit erst ab Jahresbeginn 1996 in Anspruch genommen werden könne. Eine Überleitungsvorschrift, die die Ausübung des Krankenkassenwahlrechts bereits vor dem Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung ermögliche, existiere nicht. Deshalb sei die Antragsgegnerin berechtigt gewesen, die angefochtenen aufsichtsrechtlichen Maßnahmen zu ergreifen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei ausreichend und zutreffend begründet worden.

Gegen diesen dem Prozeßbevollmächtigten der Antragstellerin gegen Empfangsbekenntnis am 23. Dezember 1995 zugestellten Beschluss richtet sich die mit Schriftsatz vom 27. Dezember 1995 – eingegangen per Fax bei dem Sozialgericht Wiesbaden am gleichen Tage – eingelegte Beschwerde der Antragstellerin, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Die Antragstellerin verfolgt ihr Begehren weiter und macht – ergänzend zu ihrem Vorbringen erster Instanz – geltend, daß die Antragsgegnerin durch Anordnung der sofortigen Vollziehung der Hauptsache vorgreife. Deshalb dürfe sie keinen Bestand haben. In dem mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts seien die Ausführungen der Antragsgegnerin ohne nähere Auseinandersetzung und ohne Abwägung der beiderseitigen Interessen übernommen worden.

Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 22. Dezember 1995 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält an ihrer Rechtsauffassung fest, daß die Antragstellerin das Recht verletzt habe. Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, daß die Wahl der Krankenkasse nur aufgrund des zum Zeitpunkt der Wahl geltenden Rechts erfolgen könne. Danach sei eine Aufspaltung in eine "Kündigung” und eine "Wahl” gesetzlich nicht vorgesehen. Das öffentliche Interesse für die sofortige Vollziehung ergebe sich aus dem Gesichtspunkt der Sicherung der Wettbewerbsgleichheit zwischen den Krankenkassen. Den "abgebenden” Kassen entstünden durch die unrechtmäßige Begründung von Mitgliedsverhältnissen durch die Antragstellerin erhebliche Beitragsverluste. Im übrigen bestehe in besonderem Maße die Gefahr einer gezielten Auswahl "sogenannter guter Risiken”.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und der von diesen vorgelegten weiteren Dokumente wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsverfahrensakte der Antragsgegnerin, die Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

II.

Die Beschwerde ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 172 Abs. 1, 173 Sozialgerichtsgesetz –SGG–).

Die Beschwerde ist jedoch sachlich nicht begründet. Das Sozialgericht Wiesbaden hat im Ergebnis den Antrag der Antragstellerin zu Recht abgelehnt. Ein Anspruch auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der am 19. Dezember 1995 vor dem Sozialgericht Wiesbaden gegen den Bescheid vom 14. Dezember 1995 erhobenen Klage ist nicht gegeben.

Nach § 97 Abs. 1 Nr. 6 SGG hat die Klage aufschiebende Wirkung, wenn die Aufhebung einer Entscheidung der Aufsichtsbehörde begehrt wird, durch die der Versicherungsträger verpflichtet worden ist, eine Rechtverletzung zu beheben (§ 89 Abs. 1 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch); die aufschiebende Wirkung entfällt in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.

Im Falle des Abs. 1 Nr. 6 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen (§ 97 Abs. 5 SGG). In verfassungskonformer Auslegung (Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz –GG–) hat ein Antrag danach Erfolg, wenn das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts gegenüber dem privaten Interesse des Antragstellers, die Vollziehung bis zur Entscheidung über seinen Rechtsbehelf hinauszuschieben, nicht überwiegt. Das ist dann der Fall, wenn der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein vorrangiges öffentliches Interesse bestehen. In allen anderen Fällen entscheidet bei summarischer Beurteilung des Sachverhalts eine Abwägung der beteiligten öffentlichen und privaten Interessen, die für oder gegen die Dringlichkeit der Vollziehung sprechen, über die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (so schon Beschluss des Senats vom 17. November 1994 – L-14/Kr-33 und 34/94-A; nicht veröffentl.).

An diesen Voraussetzungen fehlt es vorliegend. Der Verpflichtungsbescheid beruht auf der Vorschrift des § 89 Abs. 1 4. Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Wird durch das Handeln oder Unterlassen eines Versicherungsträgers das Recht verletzt, soll die Aufsichtsbehörde zunächst beratend darauf hinwirken, daß der Versicherungsträger die Rechtverletzung behebt. Kommt der Versicherungsträger dem innerhalb angemessener Frist nicht nach, kann die Aufsichtsbehörde den Versicherungsträger verpflichten, die Rechtverletzung zu beheben. Die Verpflichtung kann mit den Mitteln des Verwaltungsvollstreckungsrechts durchgesetzt werden, wenn ihre sofortige Vollziehung angeordnet worden oder sie unanfechtbar geworden ist.

Das nach dieser Vorschrift normierte Aufsichtsmittel in Form eines abgestuften Verfahrens (vgl. hierzu Kass. Komm./Maier, Stand: 1. März 1995, § 89 SGB IV Rdnr. 3)

1) "Beratung;
2) Fristsetzung;
3) Erlaß eines Verpflichtungsbescheides”

ist (mit Ausnahme einer "angedrohten Maßnahme nach dem Verwaltungsvollstreckungsrecht”) von der Antragsgegnerin eingehalten worden. Wie nach dem Inhalt der Verwaltungsverfahrensakte erkennbar ist, ist die Antragstellerin mit Schreiben vom 22. November 1995 ordnungsgemäß beraten worden. Mit Schreiben vom 30. November 1995 hat die Antragstellerin dann erklärt, daß ihr bisheriges Handeln keine Rechtverletzung darstelle. Daraufhin hat die Antragsgegnerin den Verpflichtungsbescheid vom 14. Dezember 1995 erlassen.

Auch die von der Antragsgegnerin angenommene Rechtverletzung läßt nach summarischer Prüfung keinen Rechtsfehler erkennen. Bei der Beantwortung der vorliegend umstrittenen Frage, ob der in einem Versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis stehende Personenkreis sein Kassenwahlrecht schon 1995 mit Wirkung vom 1. Januar 1996 ausüben konnte, ist maßgeblich abzustellen auf die hierfür grundlegende Struktur der Rechtsbeziehungen im Verhältnis der Mitglieder zu den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Entstehen der Mitgliedschaft und nachfolgende Änderungen in der Mitgliedschaft sind von zentraler Bedeutung, weil hieraus konstitutiv die Leistungsansprüche der Mitglieder (und Versicherten) gesetzlicher Krankenkassen entstehen (vgl. dazu Haus, Die Einführung der Kostenerstattung im Gesetz zur Strukturreform im Gesundheitswesen, Wiesbaden 1993, S. 78 ff.). Bis zum 31. Dezember 1995 dominierte insoweit eine in sich geschlossene Grundstruktur, die für die Pflichtversicherten der gesetzlichen Krankenversicherung nur ein gesetzliches Zuweisungssystem mit begrenzten Wahlmöglichkeiten vorsah. Ausgangspunkt der entstehenden Rechtsbeziehungen zur Krankenkasse ist der Beginn der Mitgliedschaft. Die Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse beginnt für Versicherungspflichtige Arbeitnehmer auf der Grundlage des gesetzlichen Zuweisungssystems kraft Gesetzes mit dem Tage des Eintritts in die Beschäftigung (§ 186 Abs. 1 SGB V). Sie beginnt ohne ausdrückliche Willenserklärung, setzt also keinen Antrag, keine Anmeldung und keine besondere Feststellung durch die Krankenkasse voraus. Die Frage der zuständigen Krankenkasse regelten die §§ 173 ff. SGB V. Eine insoweit begrenzte Wahlmöglichkeit, durch einseitige Willenserklärung das Kassenwahlrecht auszuüben, eröffnete in der bis zum 31. Dezember 1995 geltenden Fassung die Vorschrift des § 183 SGB V unter den dort in Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 genannten Voraussetzungen. Diese Wahlmöglichkeit stellte nach § 183 Abs. 5 Satz 1 SGB V jedoch auf den "Tag des Eintritts in die Beschäftigung” ab. § 183 Abs. 5 SGB V (alte Fassung) darf indes nicht als Kündigungsregelung mißverstanden werden, worauf die Antragsgegnerin zutreffend hingewiesen hat. Nach dem im Jahre 1995 geltenden Recht hatten Versicherungspflichtige Beschäftigte danach die Wahl der für sie zuständigen Orts-, Innungs- oder Betriebskrankenkasse und der Ersatzkasse, zu deren Mitgliederkreis sie gehörten (§ 183 Abs. 1 Satz 1 SGB V – a.F.). Ein versicherungspflichtig beschäftigtes Mitglied einer Ersatzkasse war nach § 183 Abs. 4 SGB V (a.F.) berechtigt, die Mitgliedschaft bei einer (für das Mitglied) zuständigen Krankenkasse zu wählen. Bis zum 31. Dezember 1995 waren mithin bei Versicherungspflichtigen für die Frage der Mitgliedschaft und etwaiger Änderungen durch einseitige Willenserklärung nur eng begrenzte Wahlmöglichkeiten gegeben. Eine Aufspaltung in eine "Kündigung” und eine "Wahl” sah das Gesetz (noch) nicht vor. Es bestand auch nach der 1995 geltenden gesetzlichen Regelung noch nicht die Möglichkeit des Kassenwechsels im Rahmen der Ehegattenversicherung nach § 173 Abs. 2 Nr. 6 SGB V (in der seit dem 1. Januar 1996 geltenden Fassung). Soweit dies vorliegend gleichwohl in ca. 150 Fällen geschehen ist, erfolgte dies ohne gesetzliche Grundlage und kann deshalb keine Wirksamkeit beanspruchen.

Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn, wie dies die Antragstellerin offensichtlich ausnutzen will, schon für das Jahr 1995 die neu konzipierte Kassenwahlmöglichkeit "de lege ferenda” in Erwägung zu ziehen wäre. Diese mit Wirkung vom 1. Januar 1996 in Kraft getretenen (neuen) Kassenwahlmöglichkeiten und deren Rechtswirkungen hängen allerdings von einer gesetzlichen Zeitbestimmung in Form einzuhaltender Fristen ab. So ist nach § 175 Abs. 4 SGB V (neue Fassung) eine Kündigung der Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger mit einer Frist von drei Monaten zum Ende des Kalenderjahres möglich. Für die Beantwortung der Frage, ob diese Frist eingehalten worden ist, ist es zunächst einmal erforderlich, daß die gesetzliche Frist in Lauf gesetzt worden ist. Dazu müßte jedoch die Vorschrift Rechtswirkung erlangt haben. Hieran fehlt es aber, weil § 175 SGB V (Ausübung des Wahlrechts) erst mit Wirkung vom 1. Januar 1996 in Kraft getreten ist. Folglich kann die Zeitbestimmung (Einhaltung der Frist) nicht in Lauf gesetzt worden sein. Eine "vorsorgliche” Inanspruchnahme dieses Kassenwahlrechts ist nicht möglich. Damit verhält es sich so, wie mit einem "vorsorglich eingelegten Widerspruch”. Ein vor Erlaß der Entscheidung eingelegter Widerspruch wird auch nicht von selbst dann zulässig, wenn tatsächlich eine rechtsmittelfähige Entscheidung ergeht (so schon BVerwG NJW 1978, S. 1870 unter Bezugnahme auf BVerwGE 25, 20). Mit gutem Grund gibt es insoweit auch keine gesetzgeberische Vorgriffsregelung für neues Recht ("unechte Rückwirkung”), wie sie die Antragstellerin mit der hier umstrittenen Aktion praktiziert hat. Die in diesem Zusammenhang entstandene Frage nach einer "Überleitung” stellt sich insoweit nicht, da es vorliegend nicht um eine Rechtsanwendung für abgeschlossene Tatbestände geht und auch nicht unklare Rechtsnormen durch rechtlich einwandfreie Normen ersetzt werden müßten.

Da die Antragsgegnerin somit offensichtlich zutreffend eine Rechtverletzung angenommen hat, mußte sie auch die sofortige Vollziehung zum Zwecke des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung bei Klageerhebung anordnen. Der angefochtene Verpflichtungsbescheid vom 14. Dezember 1995 enthält eine insgesamt tragfähige, objektiv nachvollziehbare Begründung des besonderen öffentlichen Interesses.

Soweit vorliegend weder im erstinstanzlichen noch im Beschwerdeverfahren Beiladungen nach § 75 SGG der Versicherten, ihrer Arbeitgeber und der betroffenen anderen Krankenkassen vorgenommen worden sind, wird dies in dem rechtshängigen Hauptsacheverfahren nachzuholen sein. Nach den Verfügungssätzen des Bescheides vom 14. Dezember 1995 (1. bis 4.) scheint sichergestellt zu sein, daß die Rechte der betroffenen Beteiligten gewahrt werden. Im Interesse des Gebotes, einstweiligen Rechtsschutz effektiv und zügig zu gewähren, hat deshalb auch der erkennende Senat in dem vorliegenden Verfahren von Beiladungen abgesehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 Satz 1 SGG.

Dieser Beschluss kann mit der Beschwerde nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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