Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ar 330/94
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 10 Ar 822/95
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
verb. m. L 10 Ar 845/95
Zum Az. L-10/Ar-822/95:
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Juni 1995 – Az.: S-5/Ar-128/94 – wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Zum Az. L-10/Ar-845/95:
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Juni 1995 – Az.: S-5/Ar-330/94 – sowie der Bescheid der Beklagten vom 2. März 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 1994 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Dauer und die Höhe der Arbeitslosenhilfe im Streit.
Der im Jahre 1943 geborene Kläger war zuletzt vom 1. April 1986 bis zum 31. August 1986 beitragspflichtig beschäftigt und ist seitdem arbeitslos und Bezieher von Arbeitslosenhilfe.
Durch Bescheid vom 22. September 1993 wurde dem Kläger durch die Beklagte Arbeitslosenhilfe vom 1. September 1993 an in Höhe von 243,60 DM wöchentlich gewährt und als Ende des Bewilligungszeitraums der 31. August 1994 angegeben.
Mit Änderungsbescheid vom 4. Januar 1994 bewilligte die Beklagte Arbeitslosenhilfe mit Wirkung vom 1. Januar 1994 nur noch in Höhe von 226,80 DM wöchentlich. Gegen diesen Bescheid richtet sich der Widerspruch des Klägers vom 2. Februar 1994. Zur Begründung führte der Kläger an, nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liege das Existenzminimum bei 1.000,– DM im Monat. Wenn nunmehr ab 1. Januar 1994 die Leistung auf wöchentlich 226,80 DM bzw. 972,– DM monatlich gekürzt werde, so sei dies verfassungswidrig, da die Leistungskürzung unterhalb des Existenzminimums liege.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 1992 wurde der Widerspruch des Klägers von der Beklagten mit der Begründung zurückgewiesen, aufgrund des am 17. Dezember 1993 verabschiedeten Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms im Bereich des Arbeitsförderungsgesetzes und anderer Gesetze (1. SKWPG) sei § 136 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) dahingehend geändert worden, daß nunmehr die Arbeitslosenhilfe für Arbeitslose ohne Kind im Sinne des Einkommensteuergesetzes 53 v.H. des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen würden, verminderten Arbeitsentgeltes betrage. Nach den Übergangsvorschriften des § 242 q Abs. 2 und 5 AFG habe die Änderung rückwirkend ab 1. Januar 1994 zu erfolgen. Im Rahmen des § 136 Abs. 3 AFG ständen aufgrund eines Bemessungsentgeltes von 650,– DM dem Kläger somit 226,80 DM wöchentlich zu. Soweit der Kläger vortrage, daß er durch die Kürzung unter das Existenzminimum herabgedrückt werde, sei dies für die getroffene Entscheidung ohne Bedeutung. Sollte der Kläger hilfebedürftig im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes geworden sein, werde ihm empfohlen, bei der zuständigen Sozialbehörde zusätzliche Hilfe zum Lebensunterhalt zu beantragen.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger vor dem Sozialgericht Marburg am 7. März 1994 mit dem Ziel Klage erhoben, die beanstandeten Bescheide aufzuheben sowie das Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms im Bereich des Arbeitsförderungsgesetzes wegen Verfassungswidrigkeit nicht anzuwenden.
Mit Urteil vom 20. Juni 1995 hat das Sozialgericht Marburg die Klage abgewiesen. Es hat die gesetzlichen Vorschriften, insbesondere in der Fassung des 1. SKWPG, für verfassungsgemäß angesehen. Weder verstoße dieses Gesetz gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 noch gegen die Regelung des Art. 3 Grundgesetz.
Gegen das am 6. Juli 1995 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 31. Juli 1995 beim Sozialgericht Marburg.
Mit Bescheid vom 2. März 1994 teilte die Beklagte dem Kläger über den Änderungsbescheid vom 4. Januar 1994 hinaus mit, daß der Bewilligungszeitraum für die Arbeitslosenhilfe nicht bis zum 31. August 1994, sondern lediglich bis zum 31. März 1994 dauere, da aufgrund der Regelung des § 135 a AFG die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe auf 312 Tage begrenzt worden sei. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 4. März 1994 Widerspruch ein. Auch hier richtete er sich gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms.
Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 1994 von der Beklagten zurückgewiesen. Die Beklagte wies darauf hin, daß aufgrund des Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms im Bereich des AFG und anderer Gesetze auch § 135 a AFG neu eingefügt worden sei. Danach betrage die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe nach § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b Abs. 2, 3 und 3 a 312 Tage. Diese gesetzliche Regelung sei am 1. Januar 1994 in Kraft getreten, jedoch nach der Übergangsregelung des § 242 q Abs. 10 AFG nicht bis zum 31. März 1994 anzuwenden, falls die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bereits für einen Zeitraum zwischen dem 1. Oktober 1993 und dem 31. Dezember 1993 vorgelegen hätten. Dies bedeute, daß nur Arbeitslosenhilfe im Anschluß an den Bezug von Arbeitslosengeld unbegrenzt gewährt werden könne. Sogenannte originäre Arbeitslosenhilfe werde jedoch zeitlich befristet. Der Kläger beziehe seit dem 1. September 1986 mit kurzen Unterbrechungen sogenannte originäre Arbeitslosenhilfe durch die Beklagte. Die Dauer dieses Anspruches betrage daher nur 312 Tage.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 15. Juni 1994 vor dem Sozialgericht Marburg Klage erhoben. In dem Klageverfahren hat er das Ziel verfolgt, das 1. SKWPG in bezug auf § 135 a AFG für verfassungswidrig erklären zu lassen, insbesondere wegen Verstoßes gegen Art. 3 und Art. 120 Grundgesetz.
Mit Urteil vom 20. Juni 1995 hat das Sozialgericht Marburg die Klage abgewiesen. Das Sozialgericht hat zunächst festgestellt, daß in Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X die Beklagte zu Recht den Bewilligungsbescheid vom 22. September 1993 dahingehend abgeändert habe, daß der Bewilligungszeitraum für die Arbeitslosenhilfe lediglich bis zum 31. März 1994 anzusetzen war. Die Vorschrift des § 135 a AFG sei im übrigen verfassungsgemäß. Weder sei Art. 3 Grundgesetz noch Art. 14 noch Art. 120 Grundgesetz verletzt.
Gegen das am 6. Juli 1995 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 3. August 1995 beim Sozialgericht Marburg.
Beide Berufungsverfahren L-10/Ar-845/95 und L-10/Ar-822/95 werden im wesentlichen damit begründet, daß das 1. SKWPG gegen das Grundgesetz verstoßen würde und im übrigen die angefochtenen Bescheide aufzuheben seien. Ein Verstoß gegen Art. 120 Abs. 1 Satz 4 Grundgesetz sei dadurch gegeben, daß die originäre Arbeitslosenhilfe durch § 135 a AFG auf die Träger der Sozialhilfe und damit auf die Länder abgeschoben worden sei. Ein Verstoß gegen den Art. 3 Grundgesetz sei darin zu sehen, daß er 10 Jahre lang Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bezahlt habe und der dadurch erworbene Anspruch nicht durch das 1. SKWPG zum Wegfall gebracht werden könne. Dies sei insbesondere deshalb nicht vereinbar mit dem Grundgesetz, weil ihm lediglich 74 Tage für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld fehlten. Der Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe führe bei ihm zu einem Einkommensverlust von 25 %. Dies sei nicht mit den Grundsätzen, die für das Existenzminimum gelten würden, vereinbar. Im übrigen könne der Staat auch durch andere Maßnahmen, wie z.B. dem Wegfall der Subvention oder durch Beteiligung der Gesamtwirtschaftsunternehmen an den Kosten der Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie durch Privatisierung unrentabler Staatsbetriebe sparen, so daß sich schon daran zeige, daß die Leistungsminderung bei der originären Arbeitslosenhilfe sachlich völlig unbegründet sei. Insofern seien auch die Ausführungen des Sozialgerichts Marburg zu beanstanden und entsprächen nicht der Rechtslage. Die Beklagte sei von daher zu verurteilen, ihm weiterhin ab 1. April 1994 in Höhe von 243,60 DM wöchentlich Arbeitslosenhilfe zu zahlen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
1) die Urteile des Sozialgerichts Marburg vom 20. Juni 1995 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 4. Januar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 1994 und vom 2. März 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 1994 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 1. April 1994 hinaus Arbeitslosenhilfe von wöchentlich 243,60 DM zu gewähren,
2) hilfsweise,
das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des Art. 1 Nr. 43 des 1. Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogrammes einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß die erstinstanzlichen Urteile rechtsfehlerfrei ergangen sind. In dem Verfahren L-10/Ar-822/95 weist die Beklagte im übrigen darauf hin, daß ihrer Auffassung nach die Berufung schon deshalb nicht zulässig sei, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 1.000,– DM nicht übersteige im Rahmen des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Streitbefangen sei der Zeitraum vom 1. Januar 1994 bis 31. März 1994, so daß es sich mithin um einen Zeitraum von 12 Wochen und 6 Tagen bzw. 77 Werktagen handele. Aufgrund der Absenkung des Leistungssatzes erhalte der Kläger ab 1. Januar 1994 16,80 DM wöchentlich weniger Arbeitslosenhilfe als vorher. Insoweit sei der Kläger beschwert. Auf den Zeitraum des 1. Januar bis 31. März 1994 bezogen errechne sich ein Betrag in Höhe von 215,60 DM, der den Wert des Beschwerdegegenstandes im vorliegenden Fall darstelle. Von daher sei der Wert des Beschwerdegegenstandes von 1.000,– DM im Rahmen des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht erreicht. Im übrigen sei die Berufung auch unbegründet, da keinerlei Verstöße gegen das Grundgesetz durch das 1. SKWPG zu erkennen seien.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegten Berufungen des Klägers sind zulässig und statthaft. In dem Verfahren L-10/Ar-822/95 wird der Auffassung der Beklagten hinsichtlich der Höhe des Beschwerdegegenstandes nicht gefolgt und die Berufung als zulässig angesehen, da der Kläger über den 31. März 1994 hinaus im Parallelverfahren Arbeitslosenhilfe, zumindest bis zum 31. August 1994 begehrt und somit nicht lediglich der Zeitraum vom 1. Januar 1994 bis zum 31. März 1994 als streitbefangener Zeitraum angesehen werden kann.
Die Berufung des Klägers in dem Verfahren L-10/Ar-822/95 ist unbegründet. Die Auffassung des Sozialgerichts Marburg im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit dem Grundgesetz ist zu teilen. Der Kläger hat im übrigen in der Berufungsbegründung weiterhin die Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen gesetzlichen Regelung, wie bereits in erster Instanz, in Frage gestellt und keine zusätzlichen Ergänzungen zu seinem erstinstanzlichen Vortrag gemacht, so daß sich der Senat die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils in dem Verfahren S-5/Ar-128/94 bzw. L-10/Ar-822/95 hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des 1. SKWPG und auch im übrigen im Rahmen des § 153 Abs. 2 SGG zu eigen machen kann und insoweit auf die Urteilsgründe Bezug genommen werden kann. Im übrigen hat die Beklagte auch in der Berufungsinstanz nochmals auf die Änderung der gesetzlichen Vorschriften hingewiesen und in diesem Zusammenhang auch überzeugend dargestellt, daß die Absenkung der Leistungsquoten und die Übergangsregelung auch in der Vergangenheit weder durch das Bundessozialgericht noch durch das Bundesverfassungsgericht nicht verfassungsrechtlich beanstandet wurden (Urteil hierzu des BSG vom 18. Februar 1987 – 7 RAr 94/85 und Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Juli 1987 – 1 BVR 488/86, siehe auch Urteil des BSG vom 8. Februar 1996 – 11 RAr 63/95).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg im Verfahren L 10/Ar-845/95 ist jedoch begründet. Auf seine Berufung war das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Juni 1995 sowie der Bescheid der Beklagten vom 2. März 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 1994 aufzuheben.
Durch das Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogrammes (1. SKWPG) ist zum 1. Januar 1994 die Regelung des § 135 a AFG eingeführt worden, wonach die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe nach § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b AFG lediglich 312 Tage beträgt. Die Regelung des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG schreibt dazu vor, daß § 135 a AFG bis zum 31. März 1994 nicht anzuwenden ist, wenn die Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe für einen Zeitraum zwischen dem 1. Oktober 1993 und dem 31. Dezember 1993 vorlagen. Wegen dieser Gesetzesänderung hat die Beklagte die Bewilligung der originären Arbeitslosenhilfe mit Wirkung vom 1. April 1994 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) aufgehoben, was nach Ansicht des Senats nicht Rechtens war.
Der 6. Senat des Hessischen Landessozialgerichts (HLSG) hat in seiner Entscheidung vom 21. Februar 1996 – L-6/Ar-1224/94 – die §§ 135 a, 242 q Abs. 10, 110 AFG nach der Gesetzessystematik dahin ausgelegt, daß am 1. April 1994 rückschauend geprüft werden müsse, ob der Bezieher von originärer Arbeitslosenhilfe bereits für 312 Tage die Leistung erhalten habe; dem entspreche auch der Wille des Gesetzgebers, eine Übergangsregelung nur für drei Monate zu schaffen. Soweit in die Leistungsbewilligung über den 31. März 1994 hinaus eingegriffen werde, liege eine zulässige unechte Rückwirkung des Gesetzes vor. Der Kläger bezog sogenannte originäre Arbeitslosenhilfe, d.h. Arbeitslosenhilfe ohne einen vorhergehenden Anspruch auf Arbeitslosengeld seit dem 1. September 1986 mit kurzen Unterbrechungen auf der Grundlage des § 134 Abs. 1 Nr. 4 b AFG. Der 6. Senat des HLSG hat für einen derartigen Fall des Bezugs von originärer Arbeitslosenhilfe die Auffassung vertreten, daß die Neuregelung des § 135 a in Verbindung mit § 242 q Abs. 10 AFG dann greife, wenn zum Zeitpunkt des 1. April 1994 der Anspruch auf 312 Tage bereits als erfüllt anzusehen sei. Dies ist im vorliegenden Fall gegeben. Auch aus der Sicht des 1. Januar 1994 war der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe in der Vergangenheit für mehr als 312 Tage erfüllt. Hieraus folgert der 6. Senat des HLSG, daß der Anspruch des Klägers in einem derartigen Fall ab 1. Januar 1994 nicht mehr bestanden hätte, wenn nicht der Gesetzgeber durch § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG eine Übergangsvorschrift geschaffen hätte. In einem solchen Falle handele es sich um eine unechte Rückwirkung durch das 1. SKWPG, so daß die §§ 135 a, 242 q Abs. 10 AFG in der Fassung des 1. SKWPG nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen würden. Bei der unechten Rückwirkung sei auf den verfassungsrechtlich herleitbaren Vertrauensschutz des Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Dabei sei der Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem kein Vertrauen (etwa im vorliegenden Fall auf unbegrenzten Fortbezug der originären Arbeitslosenhilfe) mehr bestehen könne. Spätestens mit Erlaß des 1. SKWPG habe daher ein Vertrauensschutz nicht mehr fortbestehen können. Bei Arbeitslosenhilfebescheiden könne sich das Vertrauen höchstens auf den Bewilligungszeitraum erstrecken, hier also höchstens bis zum 31. August 1994. Wenn aber überwiegende Gründe des Gemeinwohls gegen eine Fortgeltung bestünden, führe dies zu einer Einschränkung des Vertrauensschutzes. Grundlage des 1. SKWPG seien die dramatischen Verschlechterungen des Bundeshaushalts und ein sich daraus ergebender Zwang, eine alsbald greifende Verminderung der Ausgaben zu erreichen. Unter Berücksichtigung der dreimonatigen Übergangsfrist sei davon auszugehen, daß die Abwägung zwischen Vertrauensschutz und Gemeinwohl stattgefunden und nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes geführt habe, zumal der Gesetzgeber in der Begründung ausdrücklich darauf hinweise, daß die Arbeitslosenhilfe nur bei Bedürftigkeit gewährt werde und bei deren Wegfall Ansprüche auf Sozialhilfe eintreten würden, die die Existenz der Betroffenen sichern könnten.
Diese Auffassung des 6. Senates des HLSG in seiner Entscheidung vom 21. Februar 1996 wird von dem erkennenden Senat nicht geteilt. Vielmehr schließt er sich der Auffassung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 4. August 1995 – S-51/Ar-3093/94 – (Info also 1996, 21) an, wonach nach der Übergangsregelung des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG der Verbrauch des durch § 135 a AFG auf 312 Tage begrenzten Anspruches auf originäre Arbeitslosenhilfe gemäß § 110 Satz 1 Nr. 1 AFG erst nach dem 31. März 1994 beginnt. Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts Berlin mit dem Ergebnis, daß dem Kläger bis zur Beendigung des Bewilligungszeitraums zum 31. August 1994 über den 31. März 1994 hinaus Arbeitslosenhilfe zusteht. Nach Auffassung des Senats in Übereinstimmung mit dem zitierten Urteil des Sozialgerichts Berlin ist die Übergangsvorschrift des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG dahingehend auszulegen, daß sich der Anspruch erst vom 1. April 1994 an um die Tage mindert, für die er erfüllt worden ist. Sicherlich ist davon auszugehen, daß die Anspruchsdauer auch in Altfällen lediglich 312 Tage im Rahmen des § 135 a AFG betrug. Die Auffassung des 6. Senates des HLSG, wonach der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe in Altfällen aber nur dann bereits am 31. März 1994 erschöpft gewesen sei, wenn er auch schon in der Zeit vor diesem Stichtag verbraucht worden wäre, wird nicht geteilt, weil diese Rechtsfolge nur dann eintreten kann, wenn § 110 Satz 1 Nr. 1 AFG bereits auf die Zeit vor dem 31. März 1994 entsprechend anzuwenden wäre. Dem steht jedoch – wie das SG Berlin zutreffend dargelegt hat – der Wortlaut des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG entgegen, nach dem die Vorschriften der §§ 134 Abs. 4 Satz 1 und 110 ausdrücklich in das Verbot, bis zum 31. März 1994 § 135 a anzuwenden, einbezogen sind. Zudem könnte der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe für die Dauer von 312 Tagen nur dann schon am 31. März 1994 verbraucht sein, wenn § 110 Satz 1 Nr. 1 AFG sogar bereits auf die Zeit vor dem 1. Januar 1994 entsprechend anzuwenden wäre. Um aber zu diesem Ergebnis zu kommen, müßte man § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG dahingehend auslegen, daß § 135 a in Verbindung mit § 134 Abs. 4 Satz 1 und § 110 AFG auf einen Zeitraum vor dem 31. März 1994 anzuwenden sind, der die letzten 312 Wochentage, in denen im Einzelfall gemäß § 134 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 114 AFG die Arbeitslosenhilfe gewährt worden ist, umfaßt. Diese Auslegung ist jedoch mit der Norm und dem Grundgesetz nicht vereinbar. Wenn man nämlich zu dem Schluß käme, daß in den Übergangsfällen der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bereits am 31. März 1994 erloschen sei, würde dies in Anwendung des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG eine echte Rückwirkung darstellen. Zwar wäre die Rechtsfolge eines Erlöschens des Anspruches erst nach der Verkündung der Neuregelung eingetreten. Wegen der rückwirkenden Inkraftsetzung des § 135 a AFG wäre aber schon in dem Zeitraum vor der Verkündung nach dem dann über § 134 Abs. 4 Satz 1 AFG auf diesen Zeitraum anzuwendenden § 110 Abs. 1 Nr. 1 AFG die Rechtsfolge einer Minderung des Anspruches eingetreten. Eine echte Rückwirkung ist aber nur in Ausnahmefällen verfassungsrechtlich zulässig. Es ist daher zu vermuten, daß der Gesetzgeber zwar das Ziel verfolgte, den Anspruch auf originäre Arbeitslosenhilfe in den Altfällen ab 1. April 1994 zum Erlöschen zu bringen, aber dabei nicht gesehen hat, daß dies eine rückwirkende Inkraftsetzung des § 135 a AFG voraussetzt, die aber als echte Rückwirkung verfassungsrechtlich unzulässig ist. Nach dieser verfassungsgemäßen Auslegung der Übergangsregelung des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG beginnt somit der Verbrauch des durch § 135 a AFG auf 312 Tage begrenzten Anspruchs auf originäre Arbeitslosenhilfe gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 1 AFG erst nach dem 31. März 1994 und nicht,
wie von der Beklagten vorliegend entschieden, vorher (im Ergebnis ebenso Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 30. Januar 1996 – L 1 Ar 57/95).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Die Revision hat der Senat in dem Verfahren L-10/Ar-822/95 nicht zugelassen, da keine der in § 160 Abs. 2 SGG genannten Gründe vorliegen. Der Senat hat die Revision jedoch in dem Verfahren L-10/Ar-845/95 zugelassen, da er gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG diesem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beimißt.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Juni 1995 – Az.: S-5/Ar-128/94 – wird zurückgewiesen.
II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Zum Az. L-10/Ar-845/95:
I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Juni 1995 – Az.: S-5/Ar-330/94 – sowie der Bescheid der Beklagten vom 2. März 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 1994 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Dauer und die Höhe der Arbeitslosenhilfe im Streit.
Der im Jahre 1943 geborene Kläger war zuletzt vom 1. April 1986 bis zum 31. August 1986 beitragspflichtig beschäftigt und ist seitdem arbeitslos und Bezieher von Arbeitslosenhilfe.
Durch Bescheid vom 22. September 1993 wurde dem Kläger durch die Beklagte Arbeitslosenhilfe vom 1. September 1993 an in Höhe von 243,60 DM wöchentlich gewährt und als Ende des Bewilligungszeitraums der 31. August 1994 angegeben.
Mit Änderungsbescheid vom 4. Januar 1994 bewilligte die Beklagte Arbeitslosenhilfe mit Wirkung vom 1. Januar 1994 nur noch in Höhe von 226,80 DM wöchentlich. Gegen diesen Bescheid richtet sich der Widerspruch des Klägers vom 2. Februar 1994. Zur Begründung führte der Kläger an, nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts liege das Existenzminimum bei 1.000,– DM im Monat. Wenn nunmehr ab 1. Januar 1994 die Leistung auf wöchentlich 226,80 DM bzw. 972,– DM monatlich gekürzt werde, so sei dies verfassungswidrig, da die Leistungskürzung unterhalb des Existenzminimums liege.
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 1992 wurde der Widerspruch des Klägers von der Beklagten mit der Begründung zurückgewiesen, aufgrund des am 17. Dezember 1993 verabschiedeten Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms im Bereich des Arbeitsförderungsgesetzes und anderer Gesetze (1. SKWPG) sei § 136 Abs. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) dahingehend geändert worden, daß nunmehr die Arbeitslosenhilfe für Arbeitslose ohne Kind im Sinne des Einkommensteuergesetzes 53 v.H. des um die gesetzlichen Abzüge, die bei Arbeitnehmern gewöhnlich anfallen würden, verminderten Arbeitsentgeltes betrage. Nach den Übergangsvorschriften des § 242 q Abs. 2 und 5 AFG habe die Änderung rückwirkend ab 1. Januar 1994 zu erfolgen. Im Rahmen des § 136 Abs. 3 AFG ständen aufgrund eines Bemessungsentgeltes von 650,– DM dem Kläger somit 226,80 DM wöchentlich zu. Soweit der Kläger vortrage, daß er durch die Kürzung unter das Existenzminimum herabgedrückt werde, sei dies für die getroffene Entscheidung ohne Bedeutung. Sollte der Kläger hilfebedürftig im Sinne des Bundessozialhilfegesetzes geworden sein, werde ihm empfohlen, bei der zuständigen Sozialbehörde zusätzliche Hilfe zum Lebensunterhalt zu beantragen.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger vor dem Sozialgericht Marburg am 7. März 1994 mit dem Ziel Klage erhoben, die beanstandeten Bescheide aufzuheben sowie das Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms im Bereich des Arbeitsförderungsgesetzes wegen Verfassungswidrigkeit nicht anzuwenden.
Mit Urteil vom 20. Juni 1995 hat das Sozialgericht Marburg die Klage abgewiesen. Es hat die gesetzlichen Vorschriften, insbesondere in der Fassung des 1. SKWPG, für verfassungsgemäß angesehen. Weder verstoße dieses Gesetz gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 noch gegen die Regelung des Art. 3 Grundgesetz.
Gegen das am 6. Juli 1995 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 31. Juli 1995 beim Sozialgericht Marburg.
Mit Bescheid vom 2. März 1994 teilte die Beklagte dem Kläger über den Änderungsbescheid vom 4. Januar 1994 hinaus mit, daß der Bewilligungszeitraum für die Arbeitslosenhilfe nicht bis zum 31. August 1994, sondern lediglich bis zum 31. März 1994 dauere, da aufgrund der Regelung des § 135 a AFG die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe auf 312 Tage begrenzt worden sei. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 4. März 1994 Widerspruch ein. Auch hier richtete er sich gegen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms.
Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 1994 von der Beklagten zurückgewiesen. Die Beklagte wies darauf hin, daß aufgrund des Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms im Bereich des AFG und anderer Gesetze auch § 135 a AFG neu eingefügt worden sei. Danach betrage die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe nach § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b Abs. 2, 3 und 3 a 312 Tage. Diese gesetzliche Regelung sei am 1. Januar 1994 in Kraft getreten, jedoch nach der Übergangsregelung des § 242 q Abs. 10 AFG nicht bis zum 31. März 1994 anzuwenden, falls die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bereits für einen Zeitraum zwischen dem 1. Oktober 1993 und dem 31. Dezember 1993 vorgelegen hätten. Dies bedeute, daß nur Arbeitslosenhilfe im Anschluß an den Bezug von Arbeitslosengeld unbegrenzt gewährt werden könne. Sogenannte originäre Arbeitslosenhilfe werde jedoch zeitlich befristet. Der Kläger beziehe seit dem 1. September 1986 mit kurzen Unterbrechungen sogenannte originäre Arbeitslosenhilfe durch die Beklagte. Die Dauer dieses Anspruches betrage daher nur 312 Tage.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 15. Juni 1994 vor dem Sozialgericht Marburg Klage erhoben. In dem Klageverfahren hat er das Ziel verfolgt, das 1. SKWPG in bezug auf § 135 a AFG für verfassungswidrig erklären zu lassen, insbesondere wegen Verstoßes gegen Art. 3 und Art. 120 Grundgesetz.
Mit Urteil vom 20. Juni 1995 hat das Sozialgericht Marburg die Klage abgewiesen. Das Sozialgericht hat zunächst festgestellt, daß in Anwendung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X die Beklagte zu Recht den Bewilligungsbescheid vom 22. September 1993 dahingehend abgeändert habe, daß der Bewilligungszeitraum für die Arbeitslosenhilfe lediglich bis zum 31. März 1994 anzusetzen war. Die Vorschrift des § 135 a AFG sei im übrigen verfassungsgemäß. Weder sei Art. 3 Grundgesetz noch Art. 14 noch Art. 120 Grundgesetz verletzt.
Gegen das am 6. Juli 1995 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers vom 3. August 1995 beim Sozialgericht Marburg.
Beide Berufungsverfahren L-10/Ar-845/95 und L-10/Ar-822/95 werden im wesentlichen damit begründet, daß das 1. SKWPG gegen das Grundgesetz verstoßen würde und im übrigen die angefochtenen Bescheide aufzuheben seien. Ein Verstoß gegen Art. 120 Abs. 1 Satz 4 Grundgesetz sei dadurch gegeben, daß die originäre Arbeitslosenhilfe durch § 135 a AFG auf die Träger der Sozialhilfe und damit auf die Länder abgeschoben worden sei. Ein Verstoß gegen den Art. 3 Grundgesetz sei darin zu sehen, daß er 10 Jahre lang Beiträge zur Arbeitslosenversicherung bezahlt habe und der dadurch erworbene Anspruch nicht durch das 1. SKWPG zum Wegfall gebracht werden könne. Dies sei insbesondere deshalb nicht vereinbar mit dem Grundgesetz, weil ihm lediglich 74 Tage für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld fehlten. Der Wegfall der originären Arbeitslosenhilfe führe bei ihm zu einem Einkommensverlust von 25 %. Dies sei nicht mit den Grundsätzen, die für das Existenzminimum gelten würden, vereinbar. Im übrigen könne der Staat auch durch andere Maßnahmen, wie z.B. dem Wegfall der Subvention oder durch Beteiligung der Gesamtwirtschaftsunternehmen an den Kosten der Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sowie durch Privatisierung unrentabler Staatsbetriebe sparen, so daß sich schon daran zeige, daß die Leistungsminderung bei der originären Arbeitslosenhilfe sachlich völlig unbegründet sei. Insofern seien auch die Ausführungen des Sozialgerichts Marburg zu beanstanden und entsprächen nicht der Rechtslage. Die Beklagte sei von daher zu verurteilen, ihm weiterhin ab 1. April 1994 in Höhe von 243,60 DM wöchentlich Arbeitslosenhilfe zu zahlen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
1) die Urteile des Sozialgerichts Marburg vom 20. Juni 1995 aufzuheben und die Bescheide der Beklagten vom 4. Januar 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Februar 1994 und vom 2. März 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 1994 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 1. April 1994 hinaus Arbeitslosenhilfe von wöchentlich 243,60 DM zu gewähren,
2) hilfsweise,
das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit des Art. 1 Nr. 43 des 1. Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogrammes einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufungen zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß die erstinstanzlichen Urteile rechtsfehlerfrei ergangen sind. In dem Verfahren L-10/Ar-822/95 weist die Beklagte im übrigen darauf hin, daß ihrer Auffassung nach die Berufung schon deshalb nicht zulässig sei, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 1.000,– DM nicht übersteige im Rahmen des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Streitbefangen sei der Zeitraum vom 1. Januar 1994 bis 31. März 1994, so daß es sich mithin um einen Zeitraum von 12 Wochen und 6 Tagen bzw. 77 Werktagen handele. Aufgrund der Absenkung des Leistungssatzes erhalte der Kläger ab 1. Januar 1994 16,80 DM wöchentlich weniger Arbeitslosenhilfe als vorher. Insoweit sei der Kläger beschwert. Auf den Zeitraum des 1. Januar bis 31. März 1994 bezogen errechne sich ein Betrag in Höhe von 215,60 DM, der den Wert des Beschwerdegegenstandes im vorliegenden Fall darstelle. Von daher sei der Wert des Beschwerdegegenstandes von 1.000,– DM im Rahmen des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht erreicht. Im übrigen sei die Berufung auch unbegründet, da keinerlei Verstöße gegen das Grundgesetz durch das 1. SKWPG zu erkennen seien.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten und auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegten Berufungen des Klägers sind zulässig und statthaft. In dem Verfahren L-10/Ar-822/95 wird der Auffassung der Beklagten hinsichtlich der Höhe des Beschwerdegegenstandes nicht gefolgt und die Berufung als zulässig angesehen, da der Kläger über den 31. März 1994 hinaus im Parallelverfahren Arbeitslosenhilfe, zumindest bis zum 31. August 1994 begehrt und somit nicht lediglich der Zeitraum vom 1. Januar 1994 bis zum 31. März 1994 als streitbefangener Zeitraum angesehen werden kann.
Die Berufung des Klägers in dem Verfahren L-10/Ar-822/95 ist unbegründet. Die Auffassung des Sozialgerichts Marburg im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit dem Grundgesetz ist zu teilen. Der Kläger hat im übrigen in der Berufungsbegründung weiterhin die Verfassungsmäßigkeit der maßgeblichen gesetzlichen Regelung, wie bereits in erster Instanz, in Frage gestellt und keine zusätzlichen Ergänzungen zu seinem erstinstanzlichen Vortrag gemacht, so daß sich der Senat die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils in dem Verfahren S-5/Ar-128/94 bzw. L-10/Ar-822/95 hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des 1. SKWPG und auch im übrigen im Rahmen des § 153 Abs. 2 SGG zu eigen machen kann und insoweit auf die Urteilsgründe Bezug genommen werden kann. Im übrigen hat die Beklagte auch in der Berufungsinstanz nochmals auf die Änderung der gesetzlichen Vorschriften hingewiesen und in diesem Zusammenhang auch überzeugend dargestellt, daß die Absenkung der Leistungsquoten und die Übergangsregelung auch in der Vergangenheit weder durch das Bundessozialgericht noch durch das Bundesverfassungsgericht nicht verfassungsrechtlich beanstandet wurden (Urteil hierzu des BSG vom 18. Februar 1987 – 7 RAr 94/85 und Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Juli 1987 – 1 BVR 488/86, siehe auch Urteil des BSG vom 8. Februar 1996 – 11 RAr 63/95).
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg im Verfahren L 10/Ar-845/95 ist jedoch begründet. Auf seine Berufung war das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 20. Juni 1995 sowie der Bescheid der Beklagten vom 2. März 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 1994 aufzuheben.
Durch das Inkrafttreten des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogrammes (1. SKWPG) ist zum 1. Januar 1994 die Regelung des § 135 a AFG eingeführt worden, wonach die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe nach § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 b AFG lediglich 312 Tage beträgt. Die Regelung des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG schreibt dazu vor, daß § 135 a AFG bis zum 31. März 1994 nicht anzuwenden ist, wenn die Voraussetzungen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe für einen Zeitraum zwischen dem 1. Oktober 1993 und dem 31. Dezember 1993 vorlagen. Wegen dieser Gesetzesänderung hat die Beklagte die Bewilligung der originären Arbeitslosenhilfe mit Wirkung vom 1. April 1994 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) aufgehoben, was nach Ansicht des Senats nicht Rechtens war.
Der 6. Senat des Hessischen Landessozialgerichts (HLSG) hat in seiner Entscheidung vom 21. Februar 1996 – L-6/Ar-1224/94 – die §§ 135 a, 242 q Abs. 10, 110 AFG nach der Gesetzessystematik dahin ausgelegt, daß am 1. April 1994 rückschauend geprüft werden müsse, ob der Bezieher von originärer Arbeitslosenhilfe bereits für 312 Tage die Leistung erhalten habe; dem entspreche auch der Wille des Gesetzgebers, eine Übergangsregelung nur für drei Monate zu schaffen. Soweit in die Leistungsbewilligung über den 31. März 1994 hinaus eingegriffen werde, liege eine zulässige unechte Rückwirkung des Gesetzes vor. Der Kläger bezog sogenannte originäre Arbeitslosenhilfe, d.h. Arbeitslosenhilfe ohne einen vorhergehenden Anspruch auf Arbeitslosengeld seit dem 1. September 1986 mit kurzen Unterbrechungen auf der Grundlage des § 134 Abs. 1 Nr. 4 b AFG. Der 6. Senat des HLSG hat für einen derartigen Fall des Bezugs von originärer Arbeitslosenhilfe die Auffassung vertreten, daß die Neuregelung des § 135 a in Verbindung mit § 242 q Abs. 10 AFG dann greife, wenn zum Zeitpunkt des 1. April 1994 der Anspruch auf 312 Tage bereits als erfüllt anzusehen sei. Dies ist im vorliegenden Fall gegeben. Auch aus der Sicht des 1. Januar 1994 war der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosenhilfe in der Vergangenheit für mehr als 312 Tage erfüllt. Hieraus folgert der 6. Senat des HLSG, daß der Anspruch des Klägers in einem derartigen Fall ab 1. Januar 1994 nicht mehr bestanden hätte, wenn nicht der Gesetzgeber durch § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG eine Übergangsvorschrift geschaffen hätte. In einem solchen Falle handele es sich um eine unechte Rückwirkung durch das 1. SKWPG, so daß die §§ 135 a, 242 q Abs. 10 AFG in der Fassung des 1. SKWPG nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen würden. Bei der unechten Rückwirkung sei auf den verfassungsrechtlich herleitbaren Vertrauensschutz des Betroffenen Rücksicht zu nehmen. Dabei sei der Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem kein Vertrauen (etwa im vorliegenden Fall auf unbegrenzten Fortbezug der originären Arbeitslosenhilfe) mehr bestehen könne. Spätestens mit Erlaß des 1. SKWPG habe daher ein Vertrauensschutz nicht mehr fortbestehen können. Bei Arbeitslosenhilfebescheiden könne sich das Vertrauen höchstens auf den Bewilligungszeitraum erstrecken, hier also höchstens bis zum 31. August 1994. Wenn aber überwiegende Gründe des Gemeinwohls gegen eine Fortgeltung bestünden, führe dies zu einer Einschränkung des Vertrauensschutzes. Grundlage des 1. SKWPG seien die dramatischen Verschlechterungen des Bundeshaushalts und ein sich daraus ergebender Zwang, eine alsbald greifende Verminderung der Ausgaben zu erreichen. Unter Berücksichtigung der dreimonatigen Übergangsfrist sei davon auszugehen, daß die Abwägung zwischen Vertrauensschutz und Gemeinwohl stattgefunden und nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes geführt habe, zumal der Gesetzgeber in der Begründung ausdrücklich darauf hinweise, daß die Arbeitslosenhilfe nur bei Bedürftigkeit gewährt werde und bei deren Wegfall Ansprüche auf Sozialhilfe eintreten würden, die die Existenz der Betroffenen sichern könnten.
Diese Auffassung des 6. Senates des HLSG in seiner Entscheidung vom 21. Februar 1996 wird von dem erkennenden Senat nicht geteilt. Vielmehr schließt er sich der Auffassung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 4. August 1995 – S-51/Ar-3093/94 – (Info also 1996, 21) an, wonach nach der Übergangsregelung des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG der Verbrauch des durch § 135 a AFG auf 312 Tage begrenzten Anspruches auf originäre Arbeitslosenhilfe gemäß § 110 Satz 1 Nr. 1 AFG erst nach dem 31. März 1994 beginnt. Der Senat teilt die Auffassung des Sozialgerichts Berlin mit dem Ergebnis, daß dem Kläger bis zur Beendigung des Bewilligungszeitraums zum 31. August 1994 über den 31. März 1994 hinaus Arbeitslosenhilfe zusteht. Nach Auffassung des Senats in Übereinstimmung mit dem zitierten Urteil des Sozialgerichts Berlin ist die Übergangsvorschrift des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG dahingehend auszulegen, daß sich der Anspruch erst vom 1. April 1994 an um die Tage mindert, für die er erfüllt worden ist. Sicherlich ist davon auszugehen, daß die Anspruchsdauer auch in Altfällen lediglich 312 Tage im Rahmen des § 135 a AFG betrug. Die Auffassung des 6. Senates des HLSG, wonach der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe in Altfällen aber nur dann bereits am 31. März 1994 erschöpft gewesen sei, wenn er auch schon in der Zeit vor diesem Stichtag verbraucht worden wäre, wird nicht geteilt, weil diese Rechtsfolge nur dann eintreten kann, wenn § 110 Satz 1 Nr. 1 AFG bereits auf die Zeit vor dem 31. März 1994 entsprechend anzuwenden wäre. Dem steht jedoch – wie das SG Berlin zutreffend dargelegt hat – der Wortlaut des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG entgegen, nach dem die Vorschriften der §§ 134 Abs. 4 Satz 1 und 110 ausdrücklich in das Verbot, bis zum 31. März 1994 § 135 a anzuwenden, einbezogen sind. Zudem könnte der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe für die Dauer von 312 Tagen nur dann schon am 31. März 1994 verbraucht sein, wenn § 110 Satz 1 Nr. 1 AFG sogar bereits auf die Zeit vor dem 1. Januar 1994 entsprechend anzuwenden wäre. Um aber zu diesem Ergebnis zu kommen, müßte man § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG dahingehend auslegen, daß § 135 a in Verbindung mit § 134 Abs. 4 Satz 1 und § 110 AFG auf einen Zeitraum vor dem 31. März 1994 anzuwenden sind, der die letzten 312 Wochentage, in denen im Einzelfall gemäß § 134 Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit § 114 AFG die Arbeitslosenhilfe gewährt worden ist, umfaßt. Diese Auslegung ist jedoch mit der Norm und dem Grundgesetz nicht vereinbar. Wenn man nämlich zu dem Schluß käme, daß in den Übergangsfällen der Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bereits am 31. März 1994 erloschen sei, würde dies in Anwendung des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG eine echte Rückwirkung darstellen. Zwar wäre die Rechtsfolge eines Erlöschens des Anspruches erst nach der Verkündung der Neuregelung eingetreten. Wegen der rückwirkenden Inkraftsetzung des § 135 a AFG wäre aber schon in dem Zeitraum vor der Verkündung nach dem dann über § 134 Abs. 4 Satz 1 AFG auf diesen Zeitraum anzuwendenden § 110 Abs. 1 Nr. 1 AFG die Rechtsfolge einer Minderung des Anspruches eingetreten. Eine echte Rückwirkung ist aber nur in Ausnahmefällen verfassungsrechtlich zulässig. Es ist daher zu vermuten, daß der Gesetzgeber zwar das Ziel verfolgte, den Anspruch auf originäre Arbeitslosenhilfe in den Altfällen ab 1. April 1994 zum Erlöschen zu bringen, aber dabei nicht gesehen hat, daß dies eine rückwirkende Inkraftsetzung des § 135 a AFG voraussetzt, die aber als echte Rückwirkung verfassungsrechtlich unzulässig ist. Nach dieser verfassungsgemäßen Auslegung der Übergangsregelung des § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG beginnt somit der Verbrauch des durch § 135 a AFG auf 312 Tage begrenzten Anspruchs auf originäre Arbeitslosenhilfe gemäß § 110 Abs. 1 Nr. 1 AFG erst nach dem 31. März 1994 und nicht,
wie von der Beklagten vorliegend entschieden, vorher (im Ergebnis ebenso Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 30. Januar 1996 – L 1 Ar 57/95).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Die Revision hat der Senat in dem Verfahren L-10/Ar-822/95 nicht zugelassen, da keine der in § 160 Abs. 2 SGG genannten Gründe vorliegen. Der Senat hat die Revision jedoch in dem Verfahren L-10/Ar-845/95 zugelassen, da er gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG diesem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beimißt.
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