S 125 AS 6462/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
125
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 125 AS 6462/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch der mittlerweile verstorbenen Frau U H auf Ar-beitslosengeld (Alg) II im Jahr 2005.

Die am 20. April 1959 geborene, allein stehende U H beantragte am 6. Juni 2005 Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 18. Juli 2005 lehnte der Beklagte den Antrag mit der Be-gründung ab, dass Frau H über zu berücksichtigendes Vermögen in Höhe von 43.260,- EUR ver-füge, das den Grundfreibetrag von 9.950,- EUR übersteige. Hiergegen legte Frau H am 18. Juli 2005 Widerspruch ein. Am 20. August 2005 verstarb sie. Gegenüber dem Nachlasspfleger wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2005 als unbe-gründet zurück. Zur Begründung führte er im wesentlichen aus, dass als Vermögenswerte drei Renten- bzw. Lebensversicherungsverträge mit einem Rückkaufswert von 10.082,14 EUR und ei-ne nicht selbst genutzte Eigentumswohnung mit einem einzusetzenden Vermögenswert von 4.469,81 EUR (Verkehrswert von 38.000,- EUR abzgl. einer Kapitalschuld von 33.530,19 EUR) zu be-rücksichtigen seien. Das verwertbare Vermögen übersteige die Freibeträge von 9.950,- EUR um 4.401,95 EUR abzüglich eines nicht nachgewiesenen Abzugs bei Rückkauf.

Hiergegen richtet sich die ursprünglich von den unbekannten Erben der Frau H am 4. Januar 2006 erhobene Klage, mit der Alg-II-Leistungen für den Zeitraum von der Antragstellung bis zum Tode der Frau H geltend gemacht werden. Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Verkehrswert der Eigentumswohnung nicht die vom Beklagten angenommen 38.000,- EUR betra-ge, weil unter anderem erhebliche Reparaturen an Gemeinschaftseigentum erforderlich seien. Nach erheblichen Schwierigkeiten bei der Suche nach einem Käufer sei die Wohnung mit Kaufvertrag vom 14. September 2006 schließlich für 29.500,- EUR verkauft worden. Es sei davon auszugehen, dass der Verkehrswert diesen Betrag jedenfalls nicht übersteige.

Mit Beschluss vom 20. Februar 2006 hat das Amtsgericht Charlottenburg das Insolvenzverfah-ren über den Nachlass der Frau H eröffnet und den Kläger zum Nachlassinsolvenzverwalter bestellt. Mit Schreiben vom 7. August 2007 hat der Kläger die Aufnahme des Verfahrens er-klärt.

Der Kläger beantragt, den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 19. Juli 2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2005 zu verurteilen, ihm dem Grunde nach Leistungen nach dem SGB II für die verstorbene Frau U H für den Zeitraum 6. Juni 2005 bis 20. August 2005 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er geht weiter von einzusetzendem Vermögen der Frau H im streitgegenständlichen Zeitraum aus. Auch seien Ansprüche nach dem SGB II nicht vererblich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, die vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die in zulässiger Weise erhobene und von dem Kläger als Nachlassinsolvenzverwalter fortge-führte Klage ist nicht begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat – unabhängig von der Bewertung des vorhandenen Vermögens der Frau H – keinen Anspruch auf Zahlung von Alg II gegen den Beklagten.

Voraussetzung für einen Anspruch des Klägers als Nachlassinsolvenzverwalter wäre zunächst, dass die geltend gemachten Ansprüche nach dem SGB II zum Nachlass gehörten, also vererb-lich nach § 58 SGB I wären. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Nach § 58 S. 1 SGB I werden fällige Ansprüche auf Geldleistungen, soweit sie nicht nach §§ 56 und 57 einem Sonderrechtsnachfolger zustehen – was vorliegend nicht der Fall ist –, nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs vererbt. Diese Bestimmung des Ersten Buchs gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs, aber nur soweit sich aus den übri-gen Büchern nichts Abweichendes ergibt (§ 37 S. 1 SGB I). Danach kann die Vererblichkeit eines Anspruchs auf Geldleistungen nach dem SGB II nicht angenommen werden. Dem stehen die Strukturprinzipien des SGB II, insbesondere die Gewährung von Geldleistungen nur im Falle der Hilfebedürftigkeit (§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1 SGB II) entgegen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Sozialhilfe nach dem bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Bundessozialhilfegesetz (BSHG) waren die danach beste-henden Ansprüche – trotz der Geltung des SGB I auch für das BSHG – grundsätzlich nicht vererblich, weil § 58 SGB I aufgrund des § 37 S. 1 SGB I und der einer Vererblichkeit der An-sprüche entgegenstehenden Strukturprinzipien des BSHG nicht anwendbar sei (BVerwGE 25, 23; BVerwGE 58, 68 m.w.N.). Die Sozialhilfe sei regelmäßig eine von einer gegenwärtigen konkreten Notlage ausgelöste Nothilfe aus steuerlichen Mitteln. Die Sozialhilfe richte sich nach dem Bedarf, wenn dieser durch andere, vorrangig einzusetzende Mittel nicht gedeckt werden könne. Nach dem Tod des Hilfesuchenden könne die Sozialhilfe zur Erfüllung des mit ihr verfolgten Zwecks – Abhilfe der Notlage des Bedürftigen – nicht mehr erbracht werden. Der Einsatz von Steuermitteln sei in diesem Fall nicht mehr gerechtfertigt. Die Sozialhilfe habe auch – anders als beispielsweise vererbliche (Pflege-)Leistungen nach dem Bundesversor-gungsgesetz – keine Schadensausgleichsfunktion (vgl. zum Ganzen BVerwGE 58, 68).

Diese Rechtsprechung ist nach Auffassung der Kammer auf Ansprüche nach dem SGB II zu übertragen (ebenso Diebold/Schiffer-Werneburg, in: LPK-SGB I, 2. Aufl. 2008, § 58 Rn. 9 und § 56 Rn. 6). Denn mit der Ablösung der Arbeitslosenhilfe durch die Einführung des Arbeitslo-sengelds II nach dem SGB II hat der Gesetzgeber wesentliche Strukturprinzipien der Sozialhil-fe (früher BSHG, jetzt SGB XII) übernommen. Insbesondere besteht ein Anspruch auf Geld-leistungen nur bei einem entsprechenden Bedarf. Wer seinen Lebensunterhalt aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus dem zu berücksichtigen Einkommen oder Vermögen si-chern kann, ist nicht hilfebedürftig (§ 9 Abs. 1 S.1 SGB II) und hat keinen Anspruch auf finan-zielle Unterstützung. Damit sind die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ebenso wie die Leistungen nach dem BSHG von einer aktuellen Notlage des Betroffe-nen abhängig. Weil die Beseitigung der Notlage nach dessen Tod nicht mehr möglich ist, ist der Einsatz öffentlicher Mittel deshalb ebenso wenig gerechtfertigt wie bei der früheren Sozi-alhilfe.

Die Kammer sieht ihre Auffassung auch durch die Wertung des Gesetzgebers in § 35 Abs. 1 SGB II bestätigt, wonach der Erbe eines Leistungsempfängers zum Ersatz der bis zu zehn Jahre vor dem Tod des Leistungsempfängers über 1.700,- EUR liegenden Leistungen aus dem Nachlass verpflichtet ist. Damit wird vor dem Tod des Leistungsempfängers geschütztes Vermögen nachträglich zur Bedarfsdeckung herangezogen, weil das zur Alters- und Zukunftsvorsorge be-lassene Vermögen nach dem Tod nicht mehr für diesen Zweck erforderlich ist. Ein Schutz des Erbanspruchs bzw. Vermögens der Erben wird durch die Grundfreibeträge und sonstigen nach § 12 SGB II geschützten Vermögensgegenstände nicht bezweckt. Ebenso wenig ist dann ein Schutz der Nachlassgläubiger und damit ein Anspruch des Klägers als Nachlassinsolvenzver-walter bezüglich eines etwaigen Anspruchs der Verstorbenen auf Alg II zu bejahen.

Der Beklagte hat Frau H zu deren Lebzeiten die Leistungen auch nicht entgegen Treu und Glauben vorenthalten, so dass auch aus unter diesem Gesichtspunkt die ausnahmsweise Beja-hung der Vererblichkeit hier nicht in Betracht kommt (vgl. hierzu BVerwGE 58, hier zit. n. ju-ris, Rn. 17). Denn noch im Dezember 2004 schätzte der Dipl-Ing./Architekt R den Wert der Eigentumswohnung auf 38.000,- EUR (Schreiben an Frau H v. 14. Dezember 2004, Bl. 39 der Verwaltungsakte). Hierauf durfte sich der Beklagte bei seiner Wertermittlung stützen. Ein ü-berhöhter Ansatz des Wohnungswerts entgegen der Grundsätze von Treu und Glauben ist hier-in nicht zu sehen. Auch die vom Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil BVerwGE 96, 18 entwickelte Ausnahme, nach der die Vererblichkeit des Anspruchs dann in Betracht kommt, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mit Hilfe eines im Vertrauen auf die spä-tere Bewilligung von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Träger der Sozial-hilfe nicht rechtzeitig geholfen oder Hilfe abgelehnt hat, ist vorliegend nicht einschlägig. Zwar hat Frau H ausweislich der zur Akte gereichten Girokontoauszüge vom 21. Juni bis 30. Sep-tember 2005 nach der Antragstellung unter anderem von einem Darlehen (Dispo-Kredit) ihrer Bank gelebt. Jedoch ist nichts dafür ersichtlich, dass die Bank, die bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung eine Überziehung des Kontos über 8000,- EUR geduldet hat, weitere Darlehensleis-tungen im Vertrauen auf die spätere Leistung des Beklagten eingeräumt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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