L 5 V 664/93

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
5
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 24 V 587/91
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 5 V 664/93
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. März 1993 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Kostentragung für einen Krankenhausaufenthalt der Klägerin in den USA.

Die 1918 geborene Klägerin ist die Witwe des 1945 gefallenen deutschen Soldaten G. S. Nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes J. H. R. 1973 lebte ihr Anspruch auf Witwenrente wieder auf. Mit Bescheid vom 1976 gewährte ihr der Beklagte Witwenrente ab 1974. Neben der Witwenrente erhält die Klägerin Einnahmen aus Hausbesitz und Zinsen bzw. eine Leibrente.

Während einer Besuchsreise zu Verwandten in den USA wurde die Klägerin am 16. Januar 1988 von einem Auto angefahren und befand sich bis zum 18. Juli 1988 in einem dortigen Krankenhaus. Anschließend war sie in der Neurologischen Klinik B. zur Nachbehandlung. Bei der Klägerin liegt seither ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 vor. Zum Pfleger wurde ihr Bruder W. B. bestellt. Er beantragte formlos mit Schreiben vom 20. November 1988 die Übernahme der Kosten für den Krankenhausaufenthalt, der sich nach seinen Angaben auf 169.870,07 US-Dollar belaufe. Hiervon habe die Vereinte Krankenversicherungs AG 60 %, d.h. 101.922,64 US-Dollar, bezahlt, den Rest begehrte er von dem Beklagten.

Mit Bescheid vom 1989 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab, da nicht rechtzeitig ein Antrag auf Kostenerstattung gestellt worden sei. Die Leistungen nach §§ 10 ff Bundesversorgungsgesetz (BVG) würden nur vom 15. des zweiten Monats des Kalendervierteljahres, das der Antragstellung (hier: 22. November 1988) vorausgegangen sei, frühestens jedoch von dem Tage an gewährt, von dem an ihre Voraussetzungen erfüllt seien (§ 18 a Abs. 2 BVG). Die geltend gemachten Aufwendungen für die Zeit vom 16. Januar bis 18. Juli 1988 könnten deshalb nicht erstattet werden.

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein. Zur Begründung wurde vorgetragen, daß der Pfleger erst am 29. September 1988 bestellt worden sei. Erst am 22. November 1988 hätte dieser einen entsprechenden Antrag stellen können. Im übrigen trug die Klägerin vor, soweit die Vereinte Krankenversicherung nicht bezahlt habe, habe die Haftpflichtversicherung der Schädigerin die restlichen 40 % "vorgelegt”. Des weiteren legte die Klägerin einen zwischen ihr und der Schädigerin A. B. geschlossenen Vergleich vom 27. November 1988 bzw. 1. März 1989 vor, wonach alle Ansprüche der Klägerin gegenüber der Schädigerin in Form einer Abfindung (Schadensersatzleistung) in Höhe von 1.250.000 US-Dollar abgegolten sei. Der Vertrag wurde im Wortlaut vorgelegt, darin heißt es unter Ziffer 1:

"Als Gegenleistung und gegen die Zahlung eines Betrages in Höhe von US S 1.250.000,00, der an G. R. – im Nachstehenden kurz ‚die Verzichtleistende’ genannt – gezahlt worden ist, versichert hiermit die G. R. als Verzichtleistende, eine allgemeine Verzichtleistung zugunsten von A. B. – im Nachstehenden kurz ‚die Übertragende’ genannt – als Schadensersatzleistung für die der Verzichtleistenden entstandenen Schäden im Anschluss an den Verkehrsunfall, der sich am 16. Januar 1988 an oder in der Nähe der Straßenkreuzung ‚S. Way und N. R. Drive’ in der Stadt P. S., Kreis R., Staat K., ereignet hat, auszusprechen.”

Auf Anfrage des Beklagten teilte mit Schreiben vom 10. Januar 1991 das Hessische Sozialministerium mit, auch wenn die Klägerin zwei Monate lang bewußtlos gewesen sei, so habe eine angeheiratete, in den USA lebende Nichte die Angelegenheiten der Klägerin (entsprechender Antrag bei dem Beklagten) wahrnehmen können. Diese habe auch die Vereinte Krankenversicherung eingeschaltet und am 18. April 1988 sei bereits von dieser gezahlt worden. Im übrigen habe die Klägerin für alle erlittenen Schäden eine Abfindung erhalten. Hierzu zählten auch die Krankenhauskosten, so daß der Beklagte nicht die Kosten zu erstatten habe. Ein Kostenerstattungsanspruch sei im Hinblick auf die Vereitlung der Realisierung der Ansprüche nach § 81 a BVG nicht angemessen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 1991 wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte aus, daß durch die Abfindung (1.250.000 US-Dollar) alle Kosten, auch die Heilbehandlungskosten, bereits erstattet seien. Somit habe die Klägerin auch keinen Anspruch nach § 18 Abs. 4 BVG.

Am 1. März 1991 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben und vorgetragen, der Anspruch auf Übernahme der Krankenhausbehandlungskosten sei nicht entfallen, der Beklagte verkenne die Bedeutung des § 81 a BVG. Mit Urteil vom 31. März 1983 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Dem bestehenden Heilbehandlungsanspruch der Klägerin stelle die Vorschrift des § 81 a BVG entgegen. Nachdem mir der Abfindungsvereinbarung sämtliche Ansprüche der Klägerin gegen die Schädigerin erloschen seien, habe der Beklagte keinerlei Möglichkeiten mehr, im Sinne des § 81 a BVG Ansprüche geltend zu machen. Im übrigen seien die Krankenhauskosten von der Vereinten Versicherung und der Haftpflichtversicherung der Schädigerin bereits bezahlt worden. Angesichts dieses Sachverhaltes müsse sich die Frage der ungerechtfertigten Bereicherung aufdrängen.

Gegen das am 2. Juli 1993 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14. Juli 1993 Berufung eingelegt.

Die Klägerin ist der Ansicht, ihr Erstattungsanspruch ergebe sich aus § 18 Abs. 2 BVG a.F. Durch die Zahlung der privaten Krankenversicherung und der Abfindung sei dieser nicht berührt. Die private Krankenversicherung sei überwiegend aus eigenen Mitteln bestritten worden. Ein Anspruch aus einem nach californischem Recht geschlossenen Abfindungsvertrag sei kein gesetzlicher, sondern ein vertraglicher Anspruch. Er unterliege nicht dem Zugriff der Bundesrepublik Deutschland. Im übrigen könne der Beklagte keine Rechte aus dem Übergang herleiten (§ 81 a Abs. 1 Satz 3 BVG). Letztlich werde bestritten, daß die Abfindung auch für die Heilbehandlungskosten gezahlt worden sei. Es sei vielmehr nur Schmerzensgeld.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 31. März 1993 sowie den Bescheid vom 26. Juni 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Februar 1991 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr sämtliche Kosten für den Krankenhausaufenthalt in den USA in der Zeit vom 16. Januar 1988 bis 18. Juli 1988 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Angesichts der 100%igen Behandlungskostenregulierung und der rechtskräftigen Abfindungsvereinbarung stelle sich die Frage der ungerechtfertigten Bereicherung für den Fall der zusätzlich begehrten Zahlung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, denn sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie statthaft (§§ 143 ff. Sozialgerichtsgesetz – SGG –).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen, denn der angefochtene Bescheid vom 26. Juni 1989 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Oktober 1989 ist rechtmäßig. Im Wege der Klageerweiterung können auch im Berufungsverfahren weitere Ansprüche geltend gemacht werden, über die das Sozialgericht noch nicht entschieden hat (Meyer-Ladewig, SGG, 3. Auflage, § 99 Rdnr. 12). Die Klägerin konnte statt der 40%igen Krankenhauskosten nunmehr auch sämtliche Krankenhauskosten geltend machen, zumal der Beklagte nicht widersprochen hat (§ 99 Abs. 1 SGG). Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten jedoch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Kostenerstattung für die vom 16. Januar 1988 bis 18. Juli 1988 in den USA angefallenen Krankenhauskosten. Denn die Klägerin hat die geltend gemachten Krankenhauskosten nicht selbst getragen und kann sie deshalb auch nicht von dem Beklagten erstattet bekommen.

Die Klägerin hat zwar als Witwe mit einem Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung gemäß §§ 38 ff. BVG grundsätzlich Anspruch auf Krankenhausbehandlung (§ 10 Abs. 4 c BVG). Bei diesem Anspruch handelt es sich jedoch um einen Sachleistungsanspruch. Die Ausnahme vom Sachleistungsprinzip ist der Kostenerstattungsanspruch gemäß § 18 BVG. Der Anspruch auf Geldleistung anstelle einer Sachleistung setzt voraus, daß der Berechtigte die Heil- oder Krankenhausbehandlung auf eigene Kosten durchgeführt hat (vgl. Fehl in Wilke: Soziales Entschädigungsrecht, 6. Auflage, § 18 BVG Rdnr. 1). § 18 begründet für den Berechtigten weder generell noch im Einzelfall das Recht zu wählen, ob er eine Sachleistung oder eine Geldleistung in Anspruch nehmen will. Anstelle einer Sachleistung dürfen Geldleistungen nur gewährt werden, wenn rechtlich relevante Gründe die Inanspruchnahme der Sachleistung unmöglich machten. Aus der restriktiven Regelung geht hervor, daß der Gesetzgeber eine große Bedeutung dem Sachleistungsprinzip zumißt. Voraussetzung des Kostenerstattungsanspruches ist deshalb, daß unvermeidbare Umstände den Berechtigten die Inanspruchnahme der Verwaltungsbehörde unmöglich machten (§ 18 Abs. 4 früher § 18 Abs. 2 BVG). Der Erstattungsanspruch unterliegt den strengsten Voraussetzungen, d.h. die unvermeidbaren Umstände müssen vom Beginn bis Abschluß der Maßnahme ununterbrochen vorgelegen haben. Eine Verhinderung der Inanspruchnahme ist nicht schon gegeben, wenn lediglich ein Antrag auf Gewährung von Heil- oder Krankenhausbehandlung vor Beginn der Maßnahme nicht möglich war (vgl. Fehl in Wilke, a.a.O., § 18 BVG Rdnr. 11 m.w.N.). Nach der früheren Fassung des § 18 Abs. 2 BVG a.F. mußten sogar "zwingende Gründe” für die Nichtinanspruchnahme der Verwaltungsbehörde vorgelegen haben, wobei es sich um Umstände handelte, die sofortige Maßnahmen erforderten und ausschlossen, daß der Berechtigte sich vorher mit der Verwaltungsbehörde in Verbindung setzte. Bei einer Noteinweisung ist für den Beginn der Krankenhausbehandlung immer ein unvermeidbarer Umstand anzuerkennen (vgl. Rohr/Strässer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Stand Juli 1990, § 18 BVG Anmerk. 4).

Zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalles am 16. Januar 1988 lag bei der Klägerin eine Noteinweisung vor. Jedoch ist fraglich, ob dieser unvermeidbare Umstand bis zum Ende des Krankenhausaufenthaltes bis zum 18. Juli 1988 bzw. sogar bis zum 20. November 1988 (Antragstellung) anhielt. Auch wenn die Klägerin ca. zwei Monate lang bewußtlos war, so war doch zu jener Zeit bereits eine angeheiratete, in den USA lebende Nichte für die Klägerin tätig, so daß die private Krankenversicherung der Klägerin bereits am 18. April 1988 Versicherungsleistungen zugunsten der Klägerin auszahlte. Damit muß davon ausgegangen werden, daß unter Berücksichtigung der im Rechtsverkehr erforderlichen Sorgfalt (vgl. Fehl in Wilke, a.a.O. § 18 BVG Rdnr. 11) und den allgemeinen Verhältnissen erwartet werden konnte, daß ein entsprechender Antrag (bzw. Schreiben) vor Ablauf des Krankenhausaufenthaltes bei dem Beklagten gestellt werden konnte.

Im übrigen scheitert ein Kostenerstattungsanspruch an § 18 a Abs. 2 BVG, wonach eine Rückwirkungsmöglichkeit nur 4 1/2 Monate, gerechnet von der Antragstellung an, möglich ist, d.h. im vorliegenden Fall, daß bei der Antragstellung am 22. November 1988 nur rückwirkend bis zum 15. August 1988 eine Leistungserbringung möglich war. Der Krankenhausaufenthalt der Klägerin endete jedoch bereits am 18. Juli 1988.

Ein Kostenerstattungsanspruch scheitert im übrigen an § 81 a BVG. Die Vorschriften §§ 81 ff. BVG sollen verhindern, daß dem Versorgungsberechtigten mehrere Ansprüche aufgrund eines schädigenden Ereignisses zustehen. § 81 a BVG bewirkt deshalb einen gesetzlichen Forderungsübergang auf den Bund in den Fällen, in denen der Versorgungsberechtigte einen gesetzlichen Schadensersatzanspruch gegenüber einem Dritten hat (vgl. Rohr/Strässer, a.a.O., § 81 a BVG Vorbemerkung). Bei dem Rückgriffsanspruch der Versorgungsverwaltung gegen den Schädiger handelt es sich nicht um die Geltendmachung eines vom Bund durch das schadenstiftende Ereignis erwachsenen Schadens, sondern eines Ersatzanspruches, der in der Person des Versorgungsberechtigten entstanden und im Wege des gesetzlichen Forderungsüberganges auf den Bund übergegangen ist. Als gesetzlicher Schadensanspruch gegenüber Dritten kommen im wesentlichen in Betracht Ansprüche aus unerlaubter Handlung nach §§ 823 ff. BGB, Ansprüche aus Haftpflichtgesetz, Ansprüche aus dem Straßenverkehrsgesetz bzw. Luftverkehrsgesetz. Im vorliegenden Fall ereignete sich der Verkehrsunfall zwar nicht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern in den USA, jedoch hat die Klägerin dadurch einem den deutschen Gesetzen vergleichbaren gesetzlichen Anspruch auf Schadensersatz gegenüber der Schädigerin A. B ... Der Übergang der Ansprüche vollzieht sich dem Grunde nach bereits im Augenblick des Unfalles. Der Übergang findet jedoch nur in dem Umfange statt, als er die Leistungen aufgrund des BVG betrifft. Der weitergehende Ersatzschaden steht dem Versorgungsberechtigten zu. Die Versorgungsverwaltung muß ein zwischen dem verletzten Versorgungsberechtigten und dem Schädiger geschlossenen Abfindungsvergleich (wegen aller auf einen Unfall beruhenden Ansprüche nach §§ 412, 407 Abs. 1 BGB) gegen sich gelten lassen, es sei denn, daß der Schädiger oder sein Bevollmächtigter bei Abschluß des Vergleichs den dem gesetzlichen Forderungsübergang begründenden tatsächlichen Umstand kannte. Fahrlässige Unkenntnis genügt nicht. Bei Wirksamkeit des Vergleiches besteht jedoch gegenüber dem Versorgungsberechtigten Anspruch gemäß §§ 185 Abs. 2, 816 Abs. 2 BGB (vgl. Rohr/Strässer, a.a.O., § 81 a Anmerk. 5).

Im vorliegenden Fall muß die Beklagte also den Abfindungsvertrag vom 27. November 1988 bzw. 1. März 1989 gegen sich gelten lassen. Jedoch ergibt sich aufgrund des Wortlautes dieses Vertrages, daß die Klägerin aufgrund der Zahlung von 1.250.000 US-Dollar auf alle aus dem Unfall resultierenden weiteren Ersatzansprüche verzichtet. Unter "sämtliche Ansprüche” zählen bereits dem Wortlaut nach auch die Krankenhausbehandlungskosten. Damit scheitert ein Kostenerstattungsanspruch der Klägerin, denn der Beklagte hätte im Gegenzug einen Anspruch aus § 816 Abs. 2 BGB gegenüber der Klägerin. Im übrigen ist bereits eine 100%ige Regulierung der Krankenhausbehandlungskosten eingetreten. Denn die Vereinte Krankenversicherung hat 60 % gezahlt und nach eigenem Vortrag der Klägerin hat die Haftpflichtversicherung der Schädigerin die restlichen 40 % "vorgelegt”. Damit ist ein weiterer Anspruch gegenüber

dem Beklagten nicht möglich, dies würde dem Sinn und Zweck der §§ 81 ff. BVG analog widersprechen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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