L 13 J 498/92

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 1 J 332/90
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 13 J 498/92
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. April 1992 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander für beide Rechtszüge keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Umstritten ist ein Anspruch des Klägers auf die Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit.

Der 1935 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt von September 1962 bis zum 26. September 1988 als Straßenbauarbeiter beschäftigt. Danach war er arbeitsunfähig krank.

Am 28. Juni 1989 beantragte der Kläger die Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbs- bzw. Berufsunfähigkeit. Die Beklagte veranlaßte eine orthopädische Begutachtung durch den Facharzt für Orthopädie Dr. med. M. und ließ den Kläger von dem Arzt für Innere Krankheiten und Sozialmedizin Dr. O. sozialmedizinisch untersuchen. In seinem Gutachten vom 27. Oktober 1989 diagnostizierte Dr. med. O. unter Berücksichtigung des orthopädischen Gutachtens von Dr. med. M. vom 9. August 1989 zusammenfassend eine leichte Rundrückenbildung und eine beginnende Gefügestörung im unteren Bereich der Halswirbelsäule, ein beginnender Knorpelabbau beider Hüftgelenke, eine rückfällige Entzündung des unteren Teils der Speiseröhre, eine unkomplizierte Leberzellschädigung, eine Hörminderung beiderseits sowie eine nervöse Übererregbarkeit. Das Leistungsvermögen schätzte Dr. O. in Übereinstimmung mit Dr. M. dahingehend ein, daß der Kläger noch in der Lage sei, körperlich leichte Arbeiten vollschichtig mit gewissen funktionalen Einschränkungen (ohne dauerndes Heben, Bücken oder Tragen, Stehen und Umhergehen sowie ohne Nachtschicht und ohne besonderen Zeitdruck) zu verrichten.

Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag durch Bescheid vom 8. November 1989 ab, weil weder Erwerbs- noch Berufsunfähigkeit vorliege. Den hiergegen am 24. November 1989 erhobenen Widerspruch wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 2. März 1990 zurück.

Auf die hiergegen am 8. März 1990 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Darmstadt einen Befundbericht des behandelnden Arztes Dr. med. S. vom 17. November 1990 eingeholt und Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. med. R ... In seinem Gutachten vom 18. März 1991 diagnostizierte Prof. Dr. R. eine Verhärtung der Hohlhandfaszie und endphasige Überstreckbehinderung des Ringfingers links sowie eine Narbe in der Hohlhand rechts nach Operation einer Dupuytren’schen Kontraktur, ohne auffällige Greifbehinderung, einen leichten Rundrücken, Krampfadern am rechten Bein, röntgenologisch altersentsprechende Befunde im Bereich beider Hüftgelenke, der Hals- und Lendenwirbelsäule und subjektive Klagen über eine massive Funktionseinschränkung von Halswirbelsäule, Brustwirbelsäule, Lendenwirbelsäule, Hüften und Schultern mit zunehmender Tendenz ohne objektivierbare Ausfälle. Trotz dieser Erkrankungen und Leiden beurteilte er die Leistungsfähigkeit des Klägers dahin, daß dieser noch mindestens leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig verrichten könne. Das SG hat ferner Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Sachverständigengutachtens von dem Chefarzt der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses in S.-J. Dr. med. S ... In seinem Gutachten vom 22. Juni 1991 und der ergänzenden Stellungnahme vom 5. Februar 1992 diagnostizierte Dr. S. auf internistischem Fachgebiet eine inkonstante axiale Hiatushernie (Gleitbruch des Magens) mit zeitweiliger Refluxoesophagitis. Auch dieser Sachverständige erachtete den Kläger noch für in der Lage, regelmäßig ganztags zumindest leichte körperliche Arbeiten zu verrichten. Im Hinblick auf den rezidivierenden Reflux von Magensaft sollte der Kläger während der Arbeitszeit häufige kleine Mahlzeiten einhalten, so daß ihm Gelegenheit zu zusätzlichen Eßpausen gegeben werden sollten, und zwar im Umfang von jeweils zwei zehnminütigen Pausen am Vormittag und am Nachmittag.

Mit Urteil vom 24. April 1992 gab das SG Darmstadt daraufhin der Klage statt und verurteilte die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide, dem Kläger ab 1. Juli 1989 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren. Zur Begründung führte das SG im wesentlichen aus, daß der Kläger nach dem Ergebnis der medizinischen Ermittlungen noch in der Lage sei, vollschichtig körperlich leichte Arbeiten mit gewissen funktionalen Einschränkungen zu verrichten. Da dem Kläger jedoch auch vier zusätzliche Eßpausen arbeitstäglich eingeräumt werden müßten, müsse bei dem Kläger davon ausgegangen werden, daß für ihn der Arbeitsmarkt verschlossen sei. Es könnten keine Tätigkeiten benannt werden, die der Kläger auf dem Arbeitsmarkt noch ausführen könnte. Die bei diesen vorhandenen Leistungseinschränkungen und die zusätzlichen Pausen stellten auch bei einer Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt eine schwere spezifische Leistungsbehinderung dar. Nach der ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführten Auskunft des Landesarbeitsamts Hessen vom 5. August 1991 stünden Arbeitsplätze, die Beschäftigten die Möglichkeit bieten, Zwischenmahlzeiten einzunehmen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht in nennenswertem Umfang zur Verfügung, zumal eine Anrechnung auf die allgemeinen betriebsüblichen Unterbrechungen wegen feststehender Pausen und Arbeitszeitregelungen meistens nicht möglich sei. Der Arbeitsmarkt müsse für solche Versicherte als verschlossen angesehen werden. Damit liege Erwerbsunfähigkeit im Sinne des Gesetzes vor.

Gegen dieses der Beklagten am 20. Mai 1992 zugestellte Urteil richtet sich deren am 4. Juni 1992 beim Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingegangene Berufung. Zur Begründung trägt die Beklagte vor, daß nach der Stellungnahme ihres ärztlichen Beraters Dr. H. nicht davon auszugehen sei, daß bei dem Kläger eine Erkrankung vorliege, welche arbeitsunübliche Pausen erforderlich machen würde. Die von dem Kläger vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden hätten durch die Untersuchungen durch den Sachverständigen Dr. med. S. befundmäßig nicht belegt werden können. Der Diagnose "Gleitbruch des Magens mit zeitweiser Refluxoesophagitis” beruhe allein auf den Beschwerdeschilderungen des Klägers und sei daher nicht mehr als eine Annahme. Entgegen den Annahmen des Sachverständigen seien auch höchstens zwei zusätzliche zehnminütige Zusatzpausen für die Einnahme von Zwischenmahlzeiten erforderlich. Bei solchen Pausen sei jedoch der Arbeitsmarkt nicht verschlossen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 24. April 1992 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Er erachtet das angefochtene Urteil für zutreffend und bezieht sich auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen.

Der Senat hat durch einstweilige Anordnung vom 28. August 1992 die Vollstreckung aus dem angefochtenen Urteil des SG Darmstadt ausgesetzt, Befundberichte der behandelnden Ärzte M. S. vom 27. Mai 1993 und von Dr. med. G. vom 16. November 1993 eingeholt sowie Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Sachverständigengutachtens von dem Arzt für Innere Medizin Dr. med. S ... In seinem Gutachten vom 16. September 1994 diagnostizierte der Sachverständige auf seinem Fachgebiet ein Geschwür am Mageneingang, eine inkonstante axiale Hiatusgleithernie mit Neigung zu Reizzuständen in der Speiseröhre sowie eine Krampfaderbildung beider Beine. Der Kläger könne aufgrund dieser Erkrankungen noch leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten vollschichtig verrichten. Dabei sei das Heben oder Tragen von Lasten über 20 kg sowie Arbeiten, die mit häufigem Bücken verbunden sind, zu vermeiden. Die Einnahme von Zwischenmahlzeiten sei nicht erforderlich. Hierzu verweist der Sachverständige auf völlig fehlende Hinweise in der arbeitsmedizinischen und gastroenterologischen Fachliteratur. Selbst unter hypothetischer Annahme einer Refluxoesophagitis III bei Zwerchfellbruch (beides sei jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht existent) sei die Empfehlung arbeitsunüblicher Pausen zur Einhaltung von Zwischenmahlzeiten in keiner Weise nachvollziehbar. Insofern seien die Ausführungen im Sachverständigengutachten von Dr. med. S. nicht zu stützen. Dieser Sachverständige habe in seinem Gutachten auf Seite 13 selbst beschrieben, daß die Oesophagusschleimhaut in allen Etagen unauffällig sei, insbesondere habe jetzt weder eine Hiatushernie noch eine Refluxoesophagitis nachgewiesen werden können. Auch die von Dr. S. zusätzlich durchgeführte Magen-Darm-Passage habe ebenfalls keine Hiatushernie darstellen können. Im übrigen sei bei einer Refluxoesophagitis bzw. einem Zwerchfellbruch lediglich notwendig, eine Erhöhung des intraabdominellen Drucks zu vermeiden, wie zum Beispiel beim Bücken, Heben oder Tragen von schweren Lasten sowie bei horizontaler Lagerung beim Schlafen, weswegen eine Anhebung der kopfwärts gelegenen Bettpfosten um zirka zehn bis fünfzehn Zentimeter empfohlen werde, um das Zurückfließen von Magensäure in die Speiseröhre zu verhindern.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten ergänzend Bezug genommen. Der wesentliche Inhalt dieser Akten war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig; sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie an sich statthaft (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz –SGG–).

Die Berufung ist in der Sache auch begründet. Das Urteil des SG Darmstadt vom 24. April 1992 kann nach der vom Senat durchgeführten weiteren Beweiserhebung nicht aufrechterhalten werden. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind zu Recht ergangen. Dem Kläger steht kein Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit oder wegen Berufsunfähigkeit zu, da er weder erwerbsunfähig, noch berufsunfähig ist.

Da der Kläger bereits für die Zeit vor dem 1. Januar 1992 einen Anspruch auf Rentengewährung erhebt und einen entsprechenden Rentenantrag vor dem 31. März 1992 gestellt hat, sind gemäß § 300 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Sechstes Buch (SGB VI) im vorliegenden Fall für die Zeit bis zum 31. Dezember 1991 noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der vor Inkrafttreten des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) vom 18. Dezember 1989 (BGBl. I, 2261) maßgeblichen Fassung anzuwenden.

Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erhält gemäß § 1247 Abs. 1 RVO, wer erwerbsunfähig ist und zuletzt vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, wenn die Wartezeit erfüllt ist. Unter den gleichen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erhält Rente wegen Berufsunfähigkeit gemäß § 1246 Abs. 1 RVO wer berufsunfähig ist.

Erwerbsunfähig ist gemäß § 1247 Abs. 2 Satz 1 RVO derjenige, der infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann.

Zur Überzeugung des Senats kann indes nicht davon ausgegangen werden, daß der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist. Der Kläger kann noch einer geregelten Erwerbstätigkeit vollschichtig nachgehen und auf diese Weise mehr als nur geringfügige Einkünfte erzielen. Diese Beurteilung des Leistungsvermögens ergibt sich unter Berücksichtigung aller Einzelumstände des vorliegenden Falles aus einer Gesamtschau der über den Gesundheitszustand des Klägers vorliegenden ärztlichen Stellungnahmen und medizinischen Gutachten. Mit dem vom Senat eingeholten internistischen Sachverständigengutachten des Arztes für Innere Medizin Dr. med. S. vom 16. September 1994 und den vom SG Darmstadt eingeholten Sachverständigengutachten auf orthopädischem Fachgebiet von Prof. Dr. R. vom 18. März 1991 und auf internistischem Fachgebiet von Dr. med. S. vom 22. Juni 1991 ist der Gesundheitszustand des Klägers auf diesen Fachgebieten vollständig und überzeugend festgestellt. Es steht danach fest, daß bei dem Kläger auf orthopädischem Fachgebiet eine Verhärtung der Hohlhandfaszie und endphasige Überstreckbehinderungen des Ringfingers links sowie einen auch in der Hohlhand rechts nach Operation einer Dupuytren’schen Kontraktur, ein leichter Rundrücken, röntgenologische altersentsprechende Befunde im Bereich beider Hüftgelenke sowie der Hals- und Lendenwirbelsäule und geklagte Funktionseinschränkungen der Hals-, Brust- und Lendenwirbelsäule, der Hüften und Schultern ohne objektivierbare Ausfälle bestehen. Auf internistischem Fachgebiet leidet der Kläger an einem Geschwür am Mageneingang, an einer inkonstanten axialen Hiatushernie mit Neigung zu Reizzuständen in der Speiseröhre sowie an einer Krampfaderbildung beider Beine. Nach den überzeugenden Ausführungen von Dr. med. S. in seinem Sachverständigengutachten vom 16. September 1994 besteht eine Hiatushernie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht, im Ergebnis kann dies ebenso wie das Vorliegen einer Refluxoesophagitis bzw. eines Zwerchfellbruchs dahinstehen, da diese Erkrankungen für die Leistungsbeurteilung im Ergebnis keine Rolle spielen.

Trotz dieser gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind die Sachverständigen übereinstimmend in überzeugender und nachvollziehbarer Weise zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger noch ganztags zumindest körperlich leichte Arbeiten mit gewissen funktionalen Einschränkungen (insbesondere unter Vermeidung von Arbeiten mit Heben und Tragen von Lasten über 20 kg oder häufigem Bücken) verrichten kann. Die von Dr. S. in seinem Sachverständigengutachten vom 22. Juni 1991 angenommene Notwendigkeit zusätzlicher arbeitsunüblicher Pausen zur Einnahme kleinerer Zwischenmahlzeiten ist von Dr. S. nachvollziehbar und überzeugend widerlegt worden. Um das Zurückfließen von Magensäure in die Speiseröhre zu verhindern, ist hiernach lediglich erforderlich, daß eine Erhöhung des intraabdominellen Drucks vermieden wird, wie zum Beispiel beim Bücken, Heben oder Tragen von schweren Lasten sowie durch eine horizontale Lagerung des Körpers beim Schlafen. Dementsprechend hat auch Dr. med. O. in seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 27. Oktober 1989 keine Notwendigkeit für zusätzliche arbeitsunübliche Pausen zur Einnahme kleinerer Zwischenmahlzeiten gesehen.

Mit den von medizinischer Seite insgesamt getroffenen Feststellungen hält der Senat das Leistungsvermögen des Klägers für ausreichend aufgeklärt und eine weitere Begutachtung für nicht mehr geboten. Weitere Zweifel an der Richtigkeit der vorliegenden Gutachten ergeben sich für den Senat nicht. Die Ausführungen insbesondere des medizinischen Sachverständigen Dr. med. S. sind in sich schlüssig, widerspruchsfrei und überzeugend. Die Leistungsbeurteilung, auch durch Prof. Dr. R., wird in den vorgelegten Gutachten nach eingehender Befunderhebung mit nachvollziehbarer und für den Senat einleuchtender Begründung aus den gestellten Diagnosen abgeleitet. Anhaltspunkte für das Vorliegen weitergehender Gesundheitsbeeinträchtigungen mit zusätzlicher leistungsmindernder Bedeutung sind nicht ersichtlich.

Der Kläger kann auch nicht damit gehört werden, daß seine vom Senat festgestellte Resterwerbsfähigkeit dem Arbeitsleben wegen der Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt praktisch nicht verwertbar sind. Denn es gibt auf dem für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarkt noch eine nennenswerte Zahl von Tätigkeiten, die er trotz seines eingeschränkten Leistungsvermögens ausüben könnte. Ob die betreffenden Arbeitsplätze frei sind oder besetzt, ist für die Entscheidung des vorliegenden Falles unerheblich, denn die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten, der wie der Kläger noch vollschichtig einsatzfähig ist, hängt nicht davon ab, ob das Vorhandensein von für ihn offenen Arbeitsplätzen für in Betracht kommende Erwerbstätigkeit konkret festgestellt werden kann oder nicht. Der im Sinne der sog. konkreten Betrachtungsweise auf die tatsächliche Verwertbarkeit der Resterwerbsfähigkeit abstellende Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 10. Dezember 1976, SozR 2200 § 46 Nr. 13) kann bei noch vollschichtig einsatzfähigen Versicherten grundsätzlich nicht herangezogen werden. Ausnahmen können allenfalls dann in Betracht kommen, wenn ein Versicherter nach seinem Gesundheitszustand nicht dazu in der Lage ist, die an sich zumutbaren Arbeiten unter den in der Regel in den Betrieben üblichen Bedingungen zu verrichten oder wenn er außerstande ist, Arbeitsplätze dieser Art von seiner Wohnung aus aufzusuchen (vgl. BSG, Urteil vom 25. Januar 1994 – 4 RA 35/93). Nachdem zusätzliche Pausen zur Einnahme von Zwischenmahlzeiten während des Arbeitstages – wie dargelegt – nicht erforderlich sind, kann ein solcher Ausnahmefall vorliegend nicht bejaht werden.

Der Kläger ist auch nicht berufsunfähig, denn seine Erwerbsfähigkeit ist nicht auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt nämlich gemäß § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO alle Tätigkeiten, die (objektiv) ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen (subjektiv) unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können.

Das Gesetz räumt den Versicherten einen Anspruch auf Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit also nicht bereits dann ein, wenn sie ihren – versicherungspflichtig ausgeübten – "bisherigen Beruf” bzw. ihre "bisherige Berufstätigkeit” aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können. Vielmehr wird von den Versicherten verlangt, daß sie – immer bezogen auf ihren "bisherigen Beruf” – einen "zumutbaren” beruflichen Abstieg in Kauf nehmen und sich vor Inanspruchnahme der Rente mit einer geringerwertigen Erwerbstätigkeit zufrieden geben (vgl. BSGE 41, 129, 131 = SozR 2200 § 1246 Nr. 11). Nur wer sich nicht in dieser Weise auf einen anderen Beruf "verweisen” lassen muß, ist berufsunfähig im Sinne des Gesetzes. Das zur Ausfüllung dieser Rechtssätze von der Rechtsprechung entwickelte sog. Mehr-Stufen-Schema unterscheidet dabei für Arbeiterberufe die Gruppe mit dem Leitberuf der Ungelernten – als unterste Gruppe –, die mittlere Gruppe mit dem Leitberuf der Angelernten, schließlich die Gruppe mit dem Leitberuf der Gelernten (Facharbeiter) und darüber die zahlenmäßig kleine Gruppe mit dem Leitberuf der Vorarbeiter mit Vorgesetztenfunktion bzw. der Facharbeiter mit besonders qualifizierten Tätigkeiten. Als im Sinne von § 1246 Abs. 2 Satz 2 RVO zumutbaren beruflichen Abstieg hat die angeführte Rechtsprechung jeweils den Abstieg zur nächstniedrigeren Gruppe angenommen. Unabhängig davon können Versicherte mit dem Leitberuf der Ungelernten auf das gesamte allgemeine Arbeitsfeld verwiesen werden (vgl. etwa BSGE 55, 45 = SozR 2200 § 1246 Nr. 107 m.w.N. – ständige Rechtsprechung).

Ausgehend von diesen in ständiger Rechtsprechung vom Bundessozialgericht entwickelten und nach Auffassung des Senats sachgerechten Grundsätzen kann der Kläger im vorliegenden Fall nicht für sich in Anspruch nehmen, daß er mit dem ihm verbliebenen – noch vollschichtigen – Restleistungsvermögen berufsunfähig ist. Denn er verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung und war von 1962 bis 1988 ausschließlich als ungelernter Straßenbauarbeiter versicherungspflichtig erwerbstätig, so daß er sich zur Verwertung seines Restleistungsvermögens sozial zumutbar auf sämtliche seinem Gesundheitszustand entsprechenden Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisen lassen muß.

Für einen auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbaren ungelernten Versicherten ist die konkrete Bezeichnung von Verweisungstätigkeiten nur erforderlich, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung festgestellt ist (vgl. BSG vom 1. März 1984 – 4 RJ 43/83 = SozR 2200 § 1246 Nr. 117 unter Hinweis auf BSG vom 30. November 1982 – 4 RJ 1/82) oder wenn er wegen seines besonders gearteten Berufslebens deutlich aus dem Kreis vergleichbarer Versicherter herausfällt (vgl. BSG vom 18. Februar 1991 – 1 RJ 124/79; BSG vom 27. April 1982 – 1 RJ 132/90). Gravierende Einschränkungen in diesem Sinne liegen bei dem Kläger aber (noch) nicht vor.

Nach alledem ist der Kläger nicht erwerbs- oder berufsunfähig im Sinne der §§ 1247 Abs. 2, 1246 Abs. 2 RVO.

Die gilt auch für Zeiten nach dem 31. Dezember 1991 nach den insoweit anzuwendenden Regelungen des SGB VI, da sich die Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit hiernach nicht wesentlich geändert haben (§§ 43, 44 SGB VI).

Der Berufung der Beklagten konnte damit insgesamt der Erfolg nicht versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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