Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
15
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 SO 1619/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 15 B 172/08 SO ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 16. Juni 2008 geändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 11. Juni 2008 Hilfe zum Lebensunterhalt im Umfang des Mietzinses für die Wohnung "R LM, l , q , P P, D de C", B, sowie eines Geldbetrages im Gegenwert von monatlich 172,50 EUR bis 30. Juni 2008 und 175,50 EUR ab 1. Juli 2008 zu gewähren. Zur Umsetzung der Verpflichtung arbeitet der Antragsgegner mit den diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik Deutschland in B zusammen. Die Verpflichtung besteht zunächst bis zum 31. Oktober 2008. Über diesen Zeitpunkt hinaus besteht sie nur, wenn der Antragsteller dem Antragsgegner gegenüber (1.) bis zum 30. September 2008 Nachweise dafür erbringt, dass er (a) bei dem b Gericht, auf dessen Anordnung hin sein deutscher Reisepass bei einer b staatlichen Stelle hinterlegt ist, einen Antrag auf Aushändigung des Passes zum Zweck der Ausreise aus B ohne konkretes Rückkehrdatum und (b) bei einer diplomatischen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland einen Antrag auf Übernahme der Kosten für die Rückführung in die Bundesrepublik Deutschland gestellt hat und (2.) bis zum 31. Oktober 2008 und danach jeweils zum Ende eines Kalendermonats Nachweise dafür erbringt, dass ein Antrag von der b staatlichen Stelle oder von der zuständigen Behörde der Bundesrepublik Deutschland abschlägig beschieden worden ist oder auf Grund eines Umstandes noch nicht beschieden worden ist, für den der Antragsteller nicht verantwortlich ist. Die Verpflichtung des Antragstellers ab dem 1. November 2008 besteht unter den genannten Voraussetzungen jeweils für den Kalendermonat, der dem Eingang der Nachweise folgt, längstens bis zum 28. Februar 2009. Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller dessen außergerichtliche Kosten des Verfahrens zu zwei Dritteln zu erstatten.
Gründe:
Die Beschwerde ist in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet. Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Leistungen, die ihm noch nicht zuerkannt sind. In diesem Fall setzt eine einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistung voraus, dass bei summarischer Prüfung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch nach materiellem Recht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG] in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 916 Zivilprozessordnung [ZPO]; Anordnungsanspruch) und eine besondere Eilbedürftigkeit feststellbar sind (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 917, 918 ZPO; Anordnungsgrund). Ein Anordnungsanspruch ist für die Zeit ab Eingang des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht ausreichend wahrscheinlich gemacht. Der Anspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt kann sich nur aus den §§ 27 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) ergeben. Allerdings hält sich der Antragsteller gewöhnlich in Brasilien auf. Das schließt gemäß § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) die Anwendbarkeit des SGB XII zunächst aus; dasselbe ergibt sich im Ergebnis aus § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Sowohl § 30 Abs. 1 SGB I als auch § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verwirklichen das völkerrechtlich abgesicherte Territorialitätsprinzip (Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialgesetzbuch, § 30 SGB I Randnummer [Rndr.] 2, Berlit in Lehr-und Praxiskommentar zum SGB XII [LPKSGB XII], § 24 Rdnr. 1). Der Antragsteller muss sich vor diesem Hintergrund vergegenwärtigen, dass ein Staat grundsätzlich ohne Weiteres berechtigt ist, (jedenfalls) die Gewährung steuerfinanzierter Sozialleistungen wie der Sozialhilfe davon abhängig zu machen, dass der Anspruchsteller sich im eigenen Staatsgebiet aufhält. Eine Ausnahme von § 30 Abs. 1 SGB I und § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ergibt sich nur nach Maßgabe des § 24 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 bis 6 SGB XII. Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB XII kann vom Leistungsausschluss nur abgewichen werden, soweit dies wegen einer außergewöhnlichen Notlage unabweisbar ist und zugleich nachgewiesen wird, dass eine Rückkehr in das Inland aus einem der abschließend genannten Gründe nicht möglich ist. Das Erfordernis der "außergewöhnlichen Notlage" geht über das der "besonderen Notlage" nach dem Bundessozialhilfegesetz bis 31. Dezember 2004 hinaus (hierzu im besonderen Bundesverwaltungsgericht, Amtliche Entscheidungssammlung [BVerwGE], Band 105, S. 44 ff). "Außergewöhnlich" ist eine Notlage nur dann, wenn eine schwerwiegende Beeinträchtigung existenzieller Rechtsgüter – vor allem Leben und körperliche Unversehrtheit einschließlich der elementaren Grundvoraussetzungen einer menschenwürdigen Existenz (Ernährung, Unterkunft und Bekleidung) – droht (Landessozialgericht Baden-Württemberg Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte [FEVS[ 57,S. 403). Eine außergewöhnliche Notlage in diesem Sinn hat der Antragsteller dargelegt. Er trägt begründet vor, über keine Einkünfte oder Ersparnisse mehr zu verfügen, mit der Miete (deshalb) so sehr im Rückstand zu sein, dass er täglich mit dem Verlust der Wohnung rechne und seine und die Ernährung seines bei ihm lebenden Kindes durch geschenkte Nahrungsmittel, den Verzehr von Früchten und Wasser aus einer natürlichen Quelle sicherzustellen. Dies entspricht nicht dem Mindeststandard, der nach den verfassungsrechtlichen Maßstäben der Bundesrepublik Deutschland an eine menschenwürdige Existenz zu stellen ist: Niemand muss sich auf die Wohltätigkeit anderer Menschen oder von nichtstaatlichen Organisationen verweisen lassen, vielmehr muss der Staat selbst eine materielle Grundausstattung gewährleisten (s. dazu im besonderen Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Amtliche Entscheidungssammlung [BVerfGE] Band 40, S. 121 ff unter C II; aus jüngerer Zeit etwa BVerfGE 82, 60 unter C III 2). Auch die Voraussetzung der "Unabweisbarkeit" ist erfüllt. Sie bedeutet, dass die begehrte Hilfe nach Art und Umfang die einzige Möglichkeit sein muss, die Bedrohung der in Frage stehenden Rechtsgüter abzuwenden. Grundsätzlich wird erwartet, dass der Anspruchsteller – entsprechend dem allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität von Leistungen der Sozialhilfe – seine Arbeitskraft einsetzt, Einkommen und Vermögen verwertet (§ 24 Abs. 3 SGB XII), sich um Unterstützungsleistungen seines Aufenthaltslandes bemüht (§ 24 Abs. 2 SGB XII) oder auch in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehrt, um dort Sozialhilfe (beziehungsweise die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch) in Anspruch zu nehmen (s. Bundestags-Drucksache 15/1761 S. 6 zu § 24 Abs. 1). Das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland sieht in seiner vom Senat eingeholten Auskunft vom 19. August 2008 die Möglichkeit einer Arbeitsaufnahme für den Antragsteller als schwierig, wenn auch nicht als unmöglich an. Wenn eine Arbeitssuche aber als "schwierig" bezeichnet wird, so kann mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nicht angenommen werden, dass die offenbar bestehende Arbeitslosigkeit des Antragstellers auf mangelnde Bemühungen um einen Arbeitsplatz zurückzuführen ist. Dass er über Einkommen und Vermögen nicht (mehr) verfügt, hat der Antragsteller dargelegt. Ebenso, dass er an der Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland auch zu der Zeit, in der dies 2007 rechtlich noch ohne Weiteres möglich gewesen war, aus tatsächlichen Gründen gehindert war, weil er dafür nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügte. Im Zusammenhang mit dem Merkmal der "Unabweisbarkeit" steht letztlich, dass der Antragsteller einen der drei in § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB XII genannten Gründe, die einer Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland aus tatsächlichen Gründen entgegenstehen, nachweisen muss. Der Nachweis ist jedenfalls für den Grund nach § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB XII erbracht. Denn hoheitliche Gewalt hindert den Antragsteller derzeit an der dauerhaften Ausreise aus B. Das Generalkonsulat bestätigt in der bereits erwähnten Auskunft, dass der Antragsteller auf Grund eines richterlichen Beschlusses Brasilien nicht länger als 60 Tage verlassen darf und dass er einer Meldeauflage unterliegt. Sein Pass ist bei einer brasilianischen staatlichen Stelle hinterlegt. Die übrigen Voraussetzungen für einen gegen den Antragsgegner gerichteten Leistungsanspruch sind ebenfalls erfüllt: Der Antragsteller hat den erforderlichen Leistungsantrag gestellt (§ 24 Abs. 4 Satz 1 SGB XII) und der Antragsgegner ist der gemäß § 24 Abs. 4 Satz 2 SGB XII in Verbindung mit § 2 des Berliner Gesetzes zur Ausführung des SGB XII (vom 7. September 2005, Gesetz- und Verordnungsblatt S. 467) sachlich und örtlich zuständige Leistungsträger. Der Anspruch ist auch nicht nach § 21 SGB XII ausgeschlossen, weil der Antragsteller als Erwerbsfähiger nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) leistungsberechtigt wäre. Denn leistungsberechtigt nach dem SGB II ist nur, wer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Schließlich steht einem Anspruch (bisher) auch nicht die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 27. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2007 entgegen. Dies jedenfalls deshalb nicht, weil der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. Juni 2008, mit dem die Klage gegen die Bescheide abgewiesen worden war, dem Antragsteller noch nicht zugestellt ist und somit die Rechtsmittelfrist gegen den Gerichtsbescheid noch nicht zu laufen begonnen hat. Ein Anordnungsgrund liegt ebenfalls vor, denn Leistungen, welche das Existenzminimum sichern, sind grundsätzlich unaufschiebbar. Kein Anordnungsgrund besteht dagegen für Zeiträume, die vor Eingang des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Gericht liegen; grundsätzlich lässt sich ein Bedürfnis nach einer eiligen gerichtlichen Regelung erst dann erkennen, wenn ein entsprechender Antrag bei Gericht gestellt wird. § 24 Abs. 3 SGB XII, der bestimmt, dass Art und Maß der Leistungserbringung sich nach den besonderen Verhältnissen im Aufenthaltsland richten sowie dem rechtlichen Gebot, dass das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur insoweit das Ergebnis eines regulären Klageverfahrens vorwegnehmen dürfen, als dies zum Schutz der in Frage stehenden Rechte unerlässlich ist (ausführlich dazu BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, 803), hat der Senat durch die Ausgestaltung der Verpflichtung des Antragsgegners Rechnung getragen: Neben den Kosten der Unterkunft (§ 29 Abs. 1 Satz 1 SGB XII) ist die Verpflichtung zu einer die Kosten des notwendigen Lebensunterhalts abdeckenden Barleistung nur in Höhe von 50 % des Regelbedarfs für einen Haushaltsvorstand ausgesprochen worden. Der Senat hat sich dabei an den Angaben auf der Internetseite der b Botschaft in Berlin orientiert, ausweislich derer eine Hausangestellte in den großen Städten Brasiliens bei freier Kost und Logis mit einer Vergütung von umgerechnet zirka 200,- bis 300,- EUR rechnen kann (brasilianische-botschaft.de/land/leben-in-brasilien). Außerdem ist die Verpflichtung des Antragsgegners über den 31. Oktober 2008 hinaus davon abhängig, dass der Antragsteller Anstrengungen unternimmt, um Brasilien dauerhaft verlassen zu können. Denn wie bereits ausgeführt, sieht es der Gesetzgeber grundsätzlich als zumutbar an, dass ein deutscher Staatsangehöriger, der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums in Anspruch nehmen will, in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehrt. Die absolute Begrenzung der Leistungsverpflichtung auf die Zeit bis zum 28. Februar 2009 beruht darauf, dass im März 2009 ohnehin die Auflage des b Gerichts ausläuft, die den Antragsteller derzeit rechtlich an der dauernden Ausreise aus B hindert. Die Verpflichtung des Antragsgegners, mit den diplomatischen Behörden der Bundesrepublik Deutschland im Aufenthaltsland des Antragstellers zusammenzuarbeiten – im besonderen, um den vorliegenden Beschluss schnellstmöglich umzusetzen, ergibt sich unmittelbar aus § 24 Abs. 6 SGB XII. Soweit dem Antrag des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes angesichts dessen nicht stattzugeben war, war die Beschwerde abzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 193 SGG. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Gründe:
Die Beschwerde ist in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang begründet. Der Antragsteller begehrt die Gewährung von Leistungen, die ihm noch nicht zuerkannt sind. In diesem Fall setzt eine einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistung voraus, dass bei summarischer Prüfung mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein Anspruch nach materiellem Recht (§ 86b Abs. 2 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG] in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 916 Zivilprozessordnung [ZPO]; Anordnungsanspruch) und eine besondere Eilbedürftigkeit feststellbar sind (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 917, 918 ZPO; Anordnungsgrund). Ein Anordnungsanspruch ist für die Zeit ab Eingang des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht ausreichend wahrscheinlich gemacht. Der Anspruch auf Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt kann sich nur aus den §§ 27 ff Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) ergeben. Allerdings hält sich der Antragsteller gewöhnlich in Brasilien auf. Das schließt gemäß § 30 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) die Anwendbarkeit des SGB XII zunächst aus; dasselbe ergibt sich im Ergebnis aus § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Sowohl § 30 Abs. 1 SGB I als auch § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verwirklichen das völkerrechtlich abgesicherte Territorialitätsprinzip (Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialgesetzbuch, § 30 SGB I Randnummer [Rndr.] 2, Berlit in Lehr-und Praxiskommentar zum SGB XII [LPKSGB XII], § 24 Rdnr. 1). Der Antragsteller muss sich vor diesem Hintergrund vergegenwärtigen, dass ein Staat grundsätzlich ohne Weiteres berechtigt ist, (jedenfalls) die Gewährung steuerfinanzierter Sozialleistungen wie der Sozialhilfe davon abhängig zu machen, dass der Anspruchsteller sich im eigenen Staatsgebiet aufhält. Eine Ausnahme von § 30 Abs. 1 SGB I und § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ergibt sich nur nach Maßgabe des § 24 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 bis 6 SGB XII. Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB XII kann vom Leistungsausschluss nur abgewichen werden, soweit dies wegen einer außergewöhnlichen Notlage unabweisbar ist und zugleich nachgewiesen wird, dass eine Rückkehr in das Inland aus einem der abschließend genannten Gründe nicht möglich ist. Das Erfordernis der "außergewöhnlichen Notlage" geht über das der "besonderen Notlage" nach dem Bundessozialhilfegesetz bis 31. Dezember 2004 hinaus (hierzu im besonderen Bundesverwaltungsgericht, Amtliche Entscheidungssammlung [BVerwGE], Band 105, S. 44 ff). "Außergewöhnlich" ist eine Notlage nur dann, wenn eine schwerwiegende Beeinträchtigung existenzieller Rechtsgüter – vor allem Leben und körperliche Unversehrtheit einschließlich der elementaren Grundvoraussetzungen einer menschenwürdigen Existenz (Ernährung, Unterkunft und Bekleidung) – droht (Landessozialgericht Baden-Württemberg Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte [FEVS[ 57,S. 403). Eine außergewöhnliche Notlage in diesem Sinn hat der Antragsteller dargelegt. Er trägt begründet vor, über keine Einkünfte oder Ersparnisse mehr zu verfügen, mit der Miete (deshalb) so sehr im Rückstand zu sein, dass er täglich mit dem Verlust der Wohnung rechne und seine und die Ernährung seines bei ihm lebenden Kindes durch geschenkte Nahrungsmittel, den Verzehr von Früchten und Wasser aus einer natürlichen Quelle sicherzustellen. Dies entspricht nicht dem Mindeststandard, der nach den verfassungsrechtlichen Maßstäben der Bundesrepublik Deutschland an eine menschenwürdige Existenz zu stellen ist: Niemand muss sich auf die Wohltätigkeit anderer Menschen oder von nichtstaatlichen Organisationen verweisen lassen, vielmehr muss der Staat selbst eine materielle Grundausstattung gewährleisten (s. dazu im besonderen Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Amtliche Entscheidungssammlung [BVerfGE] Band 40, S. 121 ff unter C II; aus jüngerer Zeit etwa BVerfGE 82, 60 unter C III 2). Auch die Voraussetzung der "Unabweisbarkeit" ist erfüllt. Sie bedeutet, dass die begehrte Hilfe nach Art und Umfang die einzige Möglichkeit sein muss, die Bedrohung der in Frage stehenden Rechtsgüter abzuwenden. Grundsätzlich wird erwartet, dass der Anspruchsteller – entsprechend dem allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität von Leistungen der Sozialhilfe – seine Arbeitskraft einsetzt, Einkommen und Vermögen verwertet (§ 24 Abs. 3 SGB XII), sich um Unterstützungsleistungen seines Aufenthaltslandes bemüht (§ 24 Abs. 2 SGB XII) oder auch in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehrt, um dort Sozialhilfe (beziehungsweise die Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch) in Anspruch zu nehmen (s. Bundestags-Drucksache 15/1761 S. 6 zu § 24 Abs. 1). Das Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland sieht in seiner vom Senat eingeholten Auskunft vom 19. August 2008 die Möglichkeit einer Arbeitsaufnahme für den Antragsteller als schwierig, wenn auch nicht als unmöglich an. Wenn eine Arbeitssuche aber als "schwierig" bezeichnet wird, so kann mangels gegenteiliger Anhaltspunkte nicht angenommen werden, dass die offenbar bestehende Arbeitslosigkeit des Antragstellers auf mangelnde Bemühungen um einen Arbeitsplatz zurückzuführen ist. Dass er über Einkommen und Vermögen nicht (mehr) verfügt, hat der Antragsteller dargelegt. Ebenso, dass er an der Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland auch zu der Zeit, in der dies 2007 rechtlich noch ohne Weiteres möglich gewesen war, aus tatsächlichen Gründen gehindert war, weil er dafür nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügte. Im Zusammenhang mit dem Merkmal der "Unabweisbarkeit" steht letztlich, dass der Antragsteller einen der drei in § 24 Abs. 1 Satz 2 SGB XII genannten Gründe, die einer Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland aus tatsächlichen Gründen entgegenstehen, nachweisen muss. Der Nachweis ist jedenfalls für den Grund nach § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB XII erbracht. Denn hoheitliche Gewalt hindert den Antragsteller derzeit an der dauerhaften Ausreise aus B. Das Generalkonsulat bestätigt in der bereits erwähnten Auskunft, dass der Antragsteller auf Grund eines richterlichen Beschlusses Brasilien nicht länger als 60 Tage verlassen darf und dass er einer Meldeauflage unterliegt. Sein Pass ist bei einer brasilianischen staatlichen Stelle hinterlegt. Die übrigen Voraussetzungen für einen gegen den Antragsgegner gerichteten Leistungsanspruch sind ebenfalls erfüllt: Der Antragsteller hat den erforderlichen Leistungsantrag gestellt (§ 24 Abs. 4 Satz 1 SGB XII) und der Antragsgegner ist der gemäß § 24 Abs. 4 Satz 2 SGB XII in Verbindung mit § 2 des Berliner Gesetzes zur Ausführung des SGB XII (vom 7. September 2005, Gesetz- und Verordnungsblatt S. 467) sachlich und örtlich zuständige Leistungsträger. Der Anspruch ist auch nicht nach § 21 SGB XII ausgeschlossen, weil der Antragsteller als Erwerbsfähiger nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) leistungsberechtigt wäre. Denn leistungsberechtigt nach dem SGB II ist nur, wer seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Schließlich steht einem Anspruch (bisher) auch nicht die Bestandskraft des Ablehnungsbescheides vom 27. März 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. August 2007 entgegen. Dies jedenfalls deshalb nicht, weil der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 16. Juni 2008, mit dem die Klage gegen die Bescheide abgewiesen worden war, dem Antragsteller noch nicht zugestellt ist und somit die Rechtsmittelfrist gegen den Gerichtsbescheid noch nicht zu laufen begonnen hat. Ein Anordnungsgrund liegt ebenfalls vor, denn Leistungen, welche das Existenzminimum sichern, sind grundsätzlich unaufschiebbar. Kein Anordnungsgrund besteht dagegen für Zeiträume, die vor Eingang des Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei Gericht liegen; grundsätzlich lässt sich ein Bedürfnis nach einer eiligen gerichtlichen Regelung erst dann erkennen, wenn ein entsprechender Antrag bei Gericht gestellt wird. § 24 Abs. 3 SGB XII, der bestimmt, dass Art und Maß der Leistungserbringung sich nach den besonderen Verhältnissen im Aufenthaltsland richten sowie dem rechtlichen Gebot, dass das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur insoweit das Ergebnis eines regulären Klageverfahrens vorwegnehmen dürfen, als dies zum Schutz der in Frage stehenden Rechte unerlässlich ist (ausführlich dazu BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05, Breithaupt 2005, 803), hat der Senat durch die Ausgestaltung der Verpflichtung des Antragsgegners Rechnung getragen: Neben den Kosten der Unterkunft (§ 29 Abs. 1 Satz 1 SGB XII) ist die Verpflichtung zu einer die Kosten des notwendigen Lebensunterhalts abdeckenden Barleistung nur in Höhe von 50 % des Regelbedarfs für einen Haushaltsvorstand ausgesprochen worden. Der Senat hat sich dabei an den Angaben auf der Internetseite der b Botschaft in Berlin orientiert, ausweislich derer eine Hausangestellte in den großen Städten Brasiliens bei freier Kost und Logis mit einer Vergütung von umgerechnet zirka 200,- bis 300,- EUR rechnen kann (brasilianische-botschaft.de/land/leben-in-brasilien). Außerdem ist die Verpflichtung des Antragsgegners über den 31. Oktober 2008 hinaus davon abhängig, dass der Antragsteller Anstrengungen unternimmt, um Brasilien dauerhaft verlassen zu können. Denn wie bereits ausgeführt, sieht es der Gesetzgeber grundsätzlich als zumutbar an, dass ein deutscher Staatsangehöriger, der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums in Anspruch nehmen will, in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehrt. Die absolute Begrenzung der Leistungsverpflichtung auf die Zeit bis zum 28. Februar 2009 beruht darauf, dass im März 2009 ohnehin die Auflage des b Gerichts ausläuft, die den Antragsteller derzeit rechtlich an der dauernden Ausreise aus B hindert. Die Verpflichtung des Antragsgegners, mit den diplomatischen Behörden der Bundesrepublik Deutschland im Aufenthaltsland des Antragstellers zusammenzuarbeiten – im besonderen, um den vorliegenden Beschluss schnellstmöglich umzusetzen, ergibt sich unmittelbar aus § 24 Abs. 6 SGB XII. Soweit dem Antrag des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes angesichts dessen nicht stattzugeben war, war die Beschwerde abzuweisen. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 193 SGG. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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