Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ar 640/88
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 701/89
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. April 1989 wird zurückgewiesen und der Bescheid vom 10. Oktober 1989 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Arbeitslosenhilfe (Alhi) der Klägerin ab dem 30. Dezember 1988, konkret über die Berücksichtigung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs der Klägerin gegenüber ihrer Mutter.
Die 1939 geborene und seit 1960 verheiratete Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie hat von 1973 bis 1979 ein Studium der Pädagogik absolviert und mit der ersten Staatsprüfung für das Lehramt abgeschlossen. Vom 1. Mai 1980 bis zum 28. Februar 1981 und nach zwischenzeitlicher Arbeitslosigkeit vom 1. November 1981 bis 30. September 1983 war die Klägerin als Lehramtsreferendarin tätig, hat das Referendariat jedoch nicht abgeschlossen und die zweite Staatsprüfung für den Schuldienst daher nicht abgelegt.
Seit dem 26. November 1983 bezieht die Klägerin Alhi. Ihr am 1928 geborener Ehemann hat das erste juristische Staatsexamen abgelegt und ist ebenfalls ohne Einkommen. Er besitzt zwar die behördliche Erlaubnis, ein Inkassobüro zu betreiben, nach Angaben der Klägerin kann er diese Tätigkeit jedoch wegen fehlender finanzieller Eigenmittel nicht ausüben. Mit Bescheid vom 2. Dezember 1987 bewilligte die Beklagte der Klägerin Alhi unter Anrechnung von DM 92,31 wöchentlich aufgrund tatsächlicher monatlicher Unterhaltszahlungen des Vaters der Klägerin in Höhe von DM 400,00. Nachdem der Vater der Klägerin am 11. Mai 1988 verstorben war und die Klägerin nach eigenen Angaben von ihrer Mutter ab August 1988 keine Unterhaltszahlungen mehr erhielt, bewilligte ihr die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 16. August 1988 Alhi ab dem 1. August 1988 unter Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs gegen ihre Mutter in Höhe von DM 27,17 aufgrund deren geschätzter Witwenpension. Hiergegen erhob die Klägerin am 16. September 1988 Widerspruch mit der Begründung, daß ihr ein Unterhaltsanspruch gegenüber ihrer Mutter nicht zustehe und die vorgenommene Anrechnung daher rechtswidrig sei. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 1988, niedergelegt am 11. Oktober 1988, zurück. Mit Änderungsbescheid vom 28. Oktober 1988 bewilligte die Beklagte der Klägerin aufgrund der zwischenzeitlich vorgelegten Bescheinigung über die Höhe des Witwengeldes der Mutter der Klägerin Alhi ab dem 18. Oktober 1988 unter Anrechnung eines Unterhaltsbetrages in Höhe von DM 40,41.
Gegen die Bescheide vom 16. August 1988, vom 5. Oktober 1988 und vom 28. Oktober 1988 hat die Klägerin am 8. November 1988 Klage vor dem Sozialgericht Marburg erhoben.
Während des Klageverfahrens bewilligte die Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 21. November 1988 Alhi in bisheriger Höhe für die Zeit ab dem 26. November 1988. Hiergegen hat die Klägerin am 16. Dezember 1988 Widerspruch erhoben.
In der mündlichen Verhandlung vom 19. April 1989 räumte die Klägerin ein, von ihrer Mutter in den Monaten August bis November 1988 Unterhaltszahlungen erhalten zu haben und nahm die Klage hinsichtlich der im Streit befindlichen Ansprüche für die Zeit vor dem 1. Dezember 1988 zurück. Für den Zeitraum nach diesem Zeitpunkt vertritt sie die Auffassung, daß ihr Alhi in voller Höhe zustehe. Nach den zivilrechtlichen Vorschriften und Grundsätzen zum Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder, die sich nicht in Ausbildung befinden, gegenüber ihren Eltern komme eine Unterhaltsverpflichtung ihrer Mutter ihr gegenüber nicht in Betracht. Sie selbst sei vielmehr vorrangig verpflichtet, alle verfügbaren Kräfte einzusetzen und Opfer bis zur zumutbaren Grenze auf sich zu nehmen, um ihre Arbeitskraft zu verwerten. Sie legt hierzu u.a. die Kopie eines Beschlusses des Amtsgerichts Friedberg vom 3. Januar 1989 vor, durch den ihr die für eine Unterhaltsklage gegen ihre Mutter nachgesuchte Prozeßkostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht verweigert wurde.
Mit Urteil vom 19. April 1989 hat das Sozialgericht Marburg der Klage, soweit sie durch Klagerücknahme nicht erledigt war stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21. November 1988 verurteilt, der Klägerin ab dem 1. Dezember 1988 Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung von Einkommen ihrer Mutter zu gewähren. Ferner hat das Sozialgericht die Berufung zugelassen für streitige Ansprüche ab dem 30. Dezember 1988. Zur Begründung führte es aus, daß Streitgegenstand allein noch der im Laufe des Klageverfahrens erteilte Bescheid vom 11. November 1988, der gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden sei, und Ansprüche ab dem 1. Dezember 1988 seien. Die Klägerin sei in dem streitigen Zeitraum ihren nach zivilrechtlichen Grundsätzen für das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs vorausgesetzten unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten nicht nachgekommen. Sie habe sich nicht mit der erforderlichen Intensität um jedwede ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit entsprechenden Arbeit bis hin zur einfachsten Hilfsarbeiten bemüht. Solche Stellen seien auf dem für die Klägerin in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ausweislich des in der Tagespresse erscheinenden Stellenmarktes auch vorhanden. Da ferner davon auszugehen sei, daß die Klägerin ab Dezember 1988 von ihrer Mutter tatsächlich keine Zuwendungen mehr erhalten habe, sei die Anrechnung eines (fiktiven) Unterhaltsanspruchs auf den Alhi-Anspruch der Klägerin in der Zeit ab dem 1. Dezember 1988 daher rechtswidrig. Dies gelte sowohl unter Berücksichtigung des § 10 Nr. 1 Alhi-Verordnung (AlhiVO), als auch des ab 30. Dezember 1988 in Kraft getretenen § 10 Nr. 3 AlhiVO. Die letztgenannte Vorschrift, wonach ein fiktiver Unterhaltsanspruch zu berücksichtigen ist, wenn der Arbeitslose Handlungen unterläßt, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines derartigen Anspruchs sind, sei von der Ermächtigungsnorm des § 137 Abs. 3 AFG nicht gedeckt. Bereits das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 7. September 1988 darauf hingewiesen, daß sich die AlhiVO nicht mit den Regelungen des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) über die Verfügbarkeit in Widerspruch setzen dürfe. Darüber hinaus sei die Berücksichtigung eines fiktiven – also die wirtschaftliche Lage des Arbeitslosen nicht wirklich beeinflussenden – Unterhaltsanspruchs nicht mit der Bedürftigkeitsprüfung vereinbar. § 137 Abs. 1 und § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG setzten eindeutig einen Unterhaltsanspruch als solchen voraus, d.h. ein solcher müsse tatsächlich vorliegen und durchsetzbar sein.
Gegen das am 23. Mai 1989 zugestellte Urteil richtet sich die am 26. Juni 1989 (Montag) beim Hessischen Landessozialgericht eingelegte Berufung der Beklagten.
Wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt sie die Widereinsetzung in den vorigen Stand und macht hierzu geltend, sie sei ohne Verschulden verhindert gewesen, die Berufungsfrist einzuhalten. Sie habe die Berufungsschrift am Mittwoch dem 21. Juni 1989, d.h. zwei Tage vor Ablauf der Berufungsfrist, am Freitag dem 23. Juni 1989 mit einfachem Brief abgesandt. Sie legt hierzu eine mit einem entsprechenden Absendevermerk versehene Durchschrift der Berufungsschrift sowie eine weitere Durchschrift, die an das Arbeitsamt Marburg übersandt worden war und den Eingangsstempel des Arbeitsamts vom 22. Juni 1989 trägt, in Kopie vor. Aus diesen Unterlagen ergebe sich, daß die Berufungsschrift der Post so rechtzeitig zur Beförderung übergeben worden sei, daß diese bei normalem Beförderungsverlauf noch rechtzeitig bei dem Berufungsgericht hätte eingehen müssen.
Zur Begründung in der Sache führt die Beklagte aus, daß § 10 Nr. 3 AlhiVO von der Ermächtigungsgrundlage des § 137 Abs. 3 AFG gedeckt sei und mit höherrangigem Recht in Einklang stehe. Die Nachrangigkeit der Alhi gegenüber anderen Ansprüchen, auch gegenüber bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüchen, habe der Gesetzgeber in der Ermächtigungsnorm selbst zum Ausdruck gebracht. Der Verordnungsgeber sei daher berechtigt, durch die nähere Ausgestaltung des Merkmals der Bedürftigkeit die nachrangige Inanspruchnahme der Arbeitslosenhilfe sicherzustellen. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Alhi könne der Arbeitslose, der es unterlasse, sich in dem vom Unterhaltsrecht geforderten Ausmaß und der Intensität um Arbeit zu bemühen, nicht erwarten, daß die Allgemeinheit mit einer Leistung für ihn eintrete, die einem unterhaltsrechtlichen Anspruch gegenüber nachrangig sei. Die Verpflichtung des Arbeitslosen zu eigenem Aufklärungshandeln (Eigenbemühungen), ob offene Arbeitsstellen auf dem Arbeitsmarkt vorhandenen sind, stelle lediglich eine verfahrensrechtliche Mitwirkungsobliegenheit, d.h. eine Ausgestaltung des allgemeinen Mitwirkungsgrundsatzes dar. § 10 Nr. 3 AlhiVO stehe auch nicht im Widerspruch zur Zumutbarkeitsanordnung. Insgesamt habe der Verordnungsgeber mit § 10 Nr. 3 AlhiVO eine nicht zu beanstandende sachgemäße Unterscheidung zwischen Arbeitslosen mit und Arbeitslosen ohne unterhaltsfähige Verwandte getroffen, so daß ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht ersichtlich sei. Dies gelte auch für den am 8. Juli 1989 neu in Kraft getretenen § 137 Abs. 1a AFG, durch den die Verordnungsregelung in das AFG eingefügt worden sei.
Die Beklagte beantragt,
ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, sowie das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. April 1989 abzuändern und die Klage, auch gegen den Bescheid vom 10. Oktober 1989, insoweit abzuweisen, als Ansprüche ab dem 30. Dezember 1988 streitig sind.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
zurückzuweisen, sowie auf die Klage den Bescheid vom 10. Oktober 1989 aufzuheben.
Die Beteiligten beantragen übereinstimmend hilfsweise Zulassung der Revision.
Gegenüber dem Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten macht die Klägerin geltend, die Rechtsmittelklägerin treffe bei Ausschöpfung der Frist eine erhöhte Sorgfaltspflicht, daß das Rechtsmittel auch tatsächlich rechtzeitig beim zuständigen Gericht eingeht. Nachdem die Beklagte die Berufungsschrift erst zwei Tage vor Ablauf der Frist zur Post gegeben habe, hätte sie sich bei Beachtung der ihr obliegenden Sorgfaltspflicht am Freitag dem 23. Juni 1989 vergewissern müssen, ob die Berufungsschrift auch tatsächlich eingegangen ist. Da die Beklagte dies nicht getan habe, habe sie die Berufungsfrist schuldhaft versäumt.
Darüber hinaus sei die Berufung auch unbegründet. Das Sozialgericht habe in dem angegriffenen Urteil ausführlich und rechtlich fehlerfrei dargelegt, daß die Neuregelung des § 10 Nr. 3 AlhiVO weder von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt noch mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Da hierdurch im Ergebnis die Zumutbarkeitsanforderungen der Zumutbarkeitsanordnung für diejenigen Arbeitslosen erhöht werden, denen theoretisch zivilrechtliche Unterhaltsansprüche gegen Verwandte zustehen könnten, gehe diese Neuregelung auch weit über eine verfahrensrechtliche Regelung hinaus. Die Ungleichbehandlung von Arbeitslosen mit und ohne Verwandte sei mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren.
Während des Berufungsverfahrens teilte die Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 10. Oktober 1989 mit, daß die Alhi-Gewährung unter Berücksichtigung des Einkommens der Mutter der Klägerin ab dem 8. Juli 1989 nach dem neu eingeführten § 137 Abs. 1a AFG erfolge.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form-, jedoch nicht fristgerecht eingelegt worden (§ 151 SGG). Nachdem das angegriffene Urteil des Sozialgerichts Marburg der Beklagten am 23. Mai 1989 zugestellt worden war, endete die Berufungsfrist mit Ablauf des 23. Juni 1989, einem Freitag. Diese Frist hat die Beklagte versäumt, da die Berufungsschrift vom 21. Juni 1989 erst am 26. Juni 1989 beim Hessischen Landessozialgericht einging.
Wegen der Versäumung der Berufungsfrist ist der Beklagten aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 67 SGG ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, die versäumte Rechtshandlung aber rechtzeitig nachholt.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Es bedeutet kein Verschulden, wenn ein Schriftstück bei Postzustellung verspätet zugeht, obwohl es den postalischen Bestimmungen entsprechend richtig frankiert und so rechtzeitig zur Post gegeben worden ist, daß es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgemäß erreicht hätte. Dies hat die Beklagte vorliegend glaubhaft gemacht. Aufgrund des Absendevermerks auf der Durchschrift der Berufungsschrift und dem Eingang einer Durchschrift beim Arbeitsamt Marburg bereits am 22. Juni 1989 ist davon auszugehen, daß die Berufungsschrift am 21. Juni 1989 von der Beklagte zur Post gegeben wurde und bei regelmäßigem Betriebsablauf bei der Post das Hessische Landessozialgericht am 23. Juni 1989 hätte erreichen müssen. Verzögerungen der Briefbeförderungen durch die Post werden nicht als Verschulden angerechnet (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 3. Aufl., § 67 Anm. 6). Dem rechtzeitig gestellten Antrag der Beklagten auf Widereinsetzung in den vorigen Stand war daher zu entsprechen.
Die Berufung ist kraft Zulassung im Tenor des angefochtenen Urteils statthaft (§§ 147, 150 Nr. 1 SGG). Gegen die Zulassung der Berufung nur für Leistungsansprüche ab dem 30. Dezember 1988 durch das Sozialgericht bestehen im Ergebnis keine rechtlichen Bedenken, zumal die Beklagte die Berufung entsprechend eingeschränkt hat.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. April 1989 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten, als die Alhi der Klägerin während des hier in Frage stehenden Zeitraums nur unter Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs gegen ihre Mutter bewilligt wurde. Das Sozialgericht hat daher die angefochtenen Bescheide zutreffend abgeändert und die Beklagte zur Zahlung der Alhi in voller Höhe verurteilt. Darüber hinaus war der Bescheid vom 10. Oktober 1989, der gem. § 96 SGG kraft Klage Teil des Verfahrens geworden ist, aufzuheben.
Die Klägerin erfüllt für die hier fraglichen Zeiten die Voraussetzungen für einen Anspruch, auf Alhi: Sie war nach einer Beschäftigung von mindestens hundertfünfzig Tagen, ohne daß der Leistungsanspruch nach § 119 Abs. 3 AFG erloschen ist, arbeitslos, stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, hatte sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alhi beantragt (§ 134 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 4 AFG). Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und der Senat hat keine Veranlassung, am Vorliegen dieser Voraussetzungen zu zweifeln. Fraglich und umstritten ist allein das Ausmaß der Bedürftigkeit der Klägerin, konkret die Anrechenbarkeit eines fiktiven Unterhaltsanspruchs der Klägerin gegen ihre Mutter. Die Beklagte durfte bei der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung jedoch keinen Unterhaltsanspruch auf die Alhi der Klägerin anrechnen.
Gemäß § 137 Abs. 1 AFG ist der Arbeitslose bedürftig, soweit er seinen Lebensunterhalt und den seines Ehegatten sowie seiner kindergeldberechtigten Kinder nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann. Im Rahmen der hiernach vorzunehmenden Bedürftigkeitsprüfung werden als Einkommen auch Leistungen Dritter bzw. Ansprüche gegenüber Dritten berücksichtigt, Unterhaltsansprüche jedoch nur gegen Verwandte ersten Grades (§ 138 Nr. 1 AFG).
Die Klägerin hat nach ihren glaubhaften Angaben, die bestätigt werden durch den Versuch der Klägerin Ende 1988, Anfang 1989 einen Unterhaltsanspruch gegen ihre Mutter gerichtlich geltend zu machen, ab Dezember 1988 von ihrer Mutter keine Unterhaltszahlungen mehr erhalten und sie konnte solche auch nicht beanspruchen. Für diese bürgerlich-rechtliche Vortrage ist das zivilrechtliche Unterhaltsrecht maßgeblich und eine enge Anlehnung an die hierzu ergangene zivilrechtliche Rechtsprechung geboten (s. BSG Urteil vom 7. September 1988 – Az. 11 RAr 25/88 –, SozR 4100 § 138 Nr. 23). Hiernach schulden die Eltern ihrem Kind gemäß §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dann Unterhalt, wenn dieses außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Volljährige Kinder mit abgeschlossener Berufsausbildung – wie die Klägerin – genießen jedoch unterhaltsrechtlich keine irgendwie geartete Lebensstandard-Garantie wie Ehegatten oder Minderjährige (OLG Ffm./M., Urteil vom 16. Januar 1987, FamRZ 1987, S. 411 f.). An ihre Unterhaltsbedürftigkeit werden im Hinblick auf ihre wirtschaftliche und soziale Eigenverantwortung vielmehr strenge Anforderungen gestellt. Sie sind grundsätzlich verpflichtet, alle verfügbaren Kräfte einzusetzen und Opfer bis zur Zumutbarkeitsgrenze auf sich zu nehmen, um ihre Arbeitskraft zu verwerten, d.h. sie müssen jede Arbeit, einschließlich von Arbeiten unterhalb ihrer gewohnten Lebensstellung bis hin zu Aushilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten annehmen, ehe sie einen Elternteil auf Unterhalt in Anspruch nehmen können. Nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung genügt dabei zum Beweis, daß der Arbeitslose außerstande ist, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, eine Meldung beim Arbeitsamt nicht. Der Arbeitslose muß sich vielmehr auch selbst nachhaltig um eine Arbeitsstelle bemühen (vgl. hierzu z.B. OLG Hamm, Beschluss vom 19. Januar 1987, FamRZ 1987, S. 411 f.; BGH Urteil vom 6. Dezember 1984, FamRZ 1985, S. 273 ff.; BGH Urteil vom 4. April 1985, FamRZ 1985, S. 1245 f.; Schlegel, Unterhaltsansprüche erwachsener Arbeitsloser gegen ihre Eltern und subsidiäre Sozialleistungen, FamRZ 1986, S. 856 ff. und BSG, Urt. vom 7. September 1988 a.a.O.).
Die Klägerin ist während der hier fraglichen Zeiten ihrer unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheit nicht nachgekommen, da sie sich – wie bereits das Sozialgericht festgestellt hat – nicht um jedwede Arbeit, sondern lediglich um bestimmte qualifizierte Tätigkeiten bemüht hat. Bereits aus diesem Grund stand ihr kein Unterhaltsanspruch gegenüber ihrer Mutter zu, da es während der hier fraglichen Zeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeitsplätze und Beschäftigungen gab, die die Klägerin hätte an- bzw. aufnehmen können.
Ein anzurechnender Unterhaltsanspruch kann auch nicht fingiert werden.
Nach § 10 Nr. 3 der Alhi-VO vom 7. August 1974 (BGBl. I S. 1929) i.d. Fassung der 2. Verordnung zur Änderung der Alhi-VO vom 20. Dezember 1988 (BGBl, I, S. 2598), der für die Zeit vom 31. März bis zum 7. Juli 1989 – mangels Rückwirkung von § 137 Abs. 1 a AFG – die einzig mögliche Rechtsgrundlage hierfür darstellt, soll dies möglich sein, wenn der Arbeitslose Handlungen unterläßt, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG zu berücksichtigenden Anspruchs sind.
Der Senat hat hierzu bereits mit Urteil vom 6. Dezember 1989 – L-6/Ar-702/89 –, ebenso wie das erstinstanzliche Gericht im vorliegenden Fall, entschieden, daß diese Regelung jedenfalls soweit sie sich auf die fehlende Bereitschaft zur Ausübung unterwertiger, d.h. nach dem AFG und der hierzu ergangenen Zumutbarkeits-Anordnung vom 16. März 1982 (AN 1982, 523, Zumutbarkeits-AO) nicht zumutbare Tätigkeiten und die fehlenden Bemühungen zum Erhalt einer solchen Tätigkeit bezieht, bzw. beziehen soll, nicht von der Verordnungsermächtigung des § 137 Abs. 3 AFG gedeckt ist (im Ergebnis ebenso LSG Berlin, Urteil vom 10. Oktober 1989, L-14/Ar-34/88 sowie Urteil vom 27. Februar 1990, L-14/Ar-81/89; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. April 1989, L-12/Ar-12/87). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Auch bei Vorhandensein unterhaltsfähiger Verwandter ersten Grades bleiben die arbeitsförderungsrechtlichen Grundsätze zu den Erwerbsobliegenheiten im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung maßgeblich (BSG Urt. vom 7. September 1988 a.a.O.).
Der Klägerin waren die unterhaltsrechtlich geforderten und zumutbaren einfachen Tätigkeiten arbeitsförderungsrechtlich nicht zumutbar. Zumutbar waren dieser hiernach nur Tätigkeiten entsprechend ihrer Ausbildung, wie z.B. als Erzieherin, oder in vergleichbaren Beschäftigungen. Dies folgt aus §§ 103 Abs. 2 und 3 AFG sowie der hierzu ergangenen Zumutbarkeits-AO. Hiernach sind bei der Beurteilung der Zumutbarkeit die Interessen des Arbeitslosen und die der Gesamtheit der Beitragszahler gegeneinander abzuwägen. Entsprechend der Ermächtigung des § 103 Abs. 3 S. 2 AFG hat der Verwaltungsrat der Beklagten die Zumutbarkeits-Anordnung vom 16. März 1982 erlassen, die für Alg- und Alhi-Empfänger in gleicher Weise Gültigkeit hat (s. BSG Urteil vom 7. September 1988, a.a.O.; § 6 Zumutbarkeits-AO). Dort wurden in § 12 folgende 5 Qualifikationsstufen festgelegt:
1) Hochschul- und Fachhochschulausbildung,
2) Aufstiegsfortbildung auf einer Fachschule oder in einer vergleichbaren Einrichtung,
3) Ausbildung in einem Ausbildungsberuf,
4) Anlernausbildung,
5) alle übrigen Beschäftigungen.
Während der ersten 4 Monate der Arbeitslosigkeit waren der Klägerin nach §§ 8, 9 der Anordnung nur Beschäftigungen zumutbar, die den üblichen Bedingungen entsprechen, zu denen Arbeitnehmer mit einem vergleichbaren Berufsabschluß oder einem vergleichbaren beruflichen Werdegang Beschäftigungen ausüben. Während der folgenden 4 Monate waren der Klägerin auch Beschäftigungen auf der nächstniedrigeren Stufe zuzumuten, jedoch nur dann, wenn zuvor ein Beratungsgespräch hinsichtlich der Herabstufung stattgefunden hat. Ein solches Beratungsgespräch hat jedoch nicht stattgefunden, so daß eine Herabstufung der Klägerin auf die vierte oder fünfte Qualifikationsstufe des § 12 der Zumutbarkeits-AO nicht möglich war.
Im übrigen wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu dem nahezu wortgleichen, durch das Gesetz über die 18. Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz und zur Änderung der Vorschriften über die Arbeitslosenhilfe (KOV-Anpassungsgesetz 1989) vom 7. Juli 1989 (BGBl. I, S. 288) mit Wirkung vom 8. Juli 1989 eingeführten § 137 Abs. 1 a AFG und den Grundsatz der gesetzeskonformen Auslegung nachrangigen Rechts verwiesen.
Auch nach dieser gesetzlichen Regelung ist der Arbeitslose nicht bedürftig im Sinne des § 134 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AEG, soweit er auf einen Anspruch, der nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG zu berücksichtigen wäre, verzichtet oder Handlungen unterläßt, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines derartigen Anspruchs sind. Gegen den Wortlaut dieser Vorschrift sind unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebots, der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden. Es wird geltend gemacht, die zweite Tatbestandsalternative der Unterlassung lasse die Reichweite des Handlungsbegriffs nicht erkennen und operiere mit einem Tatbestandsmerkmal, dessen Inhalt von der Rechtsprechung entwickelt worden und für den rechtsunkundigen Laien nicht ohne fachkundige Hilfe auffindbar und nicht ohne weiteres verständlich sei. Auch das Ziel der Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche bleibe völlig verschlüsselt und müsse deswegen bei der Einzelfallanwendung den betroffenen Bürger überraschen (vgl. Siegfried, Anrechnung von fiktiven Unterhaltsansprüchen bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe: Verfassungswidrigkeit des § 137 Abs. 1 a AFG, SozSich 1990 S. 19 ff., 22).
Dem ist zunächst entgegenzuhalten, daß den rechtsstaatlichen Anforderungen an die inhaltliche, eine willkürliche Handhabung ausschließende Bestimmtheit einer Norm bereits dann Genüge getan ist, wenn sich der Normgehalt im Wege der Auslegung, insbesondere nach dem Zweck der Vorschrift und dem Gesamtzusammenhang, in den die Norm gestellt ist, ermitteln läßt (s.z.B. BVerfGE 37, 132, 142; 45, 400, 420; BSGE 61, 197, 200). Es ist daher vorrangig zu prüfen, ob sich der Normgehalt des § 137 Abs. 1 a AFG im Wege der Auslegung konkretisieren läßt. Sind hiernach mehrere Deutungen der Vorschrift möglich, so verdient diejenige den Vorzug, die den Wertentscheidungen der Verfassung entspricht (BVerfGE 8, 28, 33 f. und 210, 220 f.; E 35, 263, 280).
Für die – vorliegend alleine in Frage stehende – Tatbestandsalternative des Unterlassens von Handlungen, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines gegenüber der Alhi vorrangigen Anspruchs nach § 138 Abs. 1 AFG sind, ist ihrerseits Voraussetzung, daß der vorrangige Anspruch bei Hinzudenken der unterlassenen Handlungen tatsächlich bestünde, daß das Unterlassen mithin ursächlich für das Nichtbestehen des vorrangigen Anspruchs ist (ebenso Winkler, Gesetzlicher Schutz für eine vieljährige rechtswidrige Praxis – Abschließende Anmerkungen zur Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche auf die Arbeitslosenhilfe nach der Neufassung der §§ 137 und 152 AFG, info also 3/1989 S. 149 ff., 152). Dies gilt für die Tatbestandsalternative des Anspruchsverzichts in gleicher Weise für das Hinwegdenken des Verzichts. Dies folgt, wenn nicht bereits aus dem Wortlaut, so jedenfalls aus der systematischen Stellung und dem Sinn und Zweck der Vorschrift. § 137 Abs. 1 Buchst. a AFG ist eingeordnet in die Regelungen über die Bedürftigkeit des Arbeitslosen als Voraussetzung für den Anspruch auf Alhi und soll nach dem (subjektiven) Willen des Gesetzgebers "die am Subsidiaritätsgrundsatz ausgerichtete Reihenfolge der Unterhaltssicherungssysteme” gewährleisten und als "zusätzliche Klarstellung” u.a. den Vorrang des Unterhaltsrechts gegenüber der Alhi entsprechend der langjährigen Praxis der Bundesanstalt für Arbeit gewährleisten (s. BT-Drucks. 11/4178 S. 6). Zum Subsidiaritätsgrundsatz hat in diesem Zusammenhang das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 7. September 1988 (a.a.O.) bereits darauf hingewiesen, daß selbst wenn das Gesetz von einer Rangfolge der Unterhaltssysteme in der Reihenfolge Alg, Familienverband, Alhi und Sozialhilfe ausginge, diese Reihenfolge nur bei Konkurrenz zwischen bestehenden Ansprüchen gelte und nicht bedeute, daß ein Anspruch auf Alhi nur bei Fehlen unterhaltspflichtiger Verwandter eingeräumt sei. Mit der hier in Frage stehenden neuen Regelung sollen die Konkurrenzregelungen im Verhältnis des Unterhaltsrechts zur Arbeitslosenhilfe auf Fälle ausgedehnt werden, in denen der vorrangige Unterhaltsanspruch von dem Berechtigten durch Verzicht aufgegeben oder durch Unterlassung notwendiger Handlungen nicht realisiert wird. Allenfalls wenn gerade durch die unterlassenen Handlungen ein Unterhaltsanspruch entfällt, kann die Postulierung besonderer Handlungspflichten im Arbeitslosenhilferecht eine Konkurrenz von Unterhalts- und Arbeitslosenhilfeanspruch betreffen und den Vorrang des Unterhaltsanspruchs vor dem Arbeitslosenhilfeanspruch bzw. den Vorrang der familienrechtlichen vor der arbeitshilferechtlichen Unterhaltssicherung gewährleisten. Nur in dieser Fallgestaltung kann auch der Arbeitslose auf die Inanspruchnahme des Unterhaltsanspruchs verwiesen werden. Kann bzw. könnte auch bei Vornahme der erforderlichen Handlungen ein Unterhaltsanspruch aus anderen Gründen (insbesondere weil genügend unterhaltsrechtlich zumutbare Arbeitsplätze vorhanden sind und sich der Unterhaltsbegehrende durch Verwertung seiner Arbeitskraft selbst unterhalten könnte) nicht erlangt werden, so steht der Vorrang des Unterhaltsrechts nicht in Frage.
Der so verstandene Normzweck des § 137 Abs. 1 a AFG schließt es aus, diesen als bloße Verschärfung der arbeitsförderungsrechtlichen Erwerbsobliegenheiten des Arbeitslosen bei Vorhandensein eines (unterhaltsfähigen) Verwandten 1. Grades zu begreifen, ohne Rücksicht darauf, ob hierdurch (konkret) ein Unterhaltsanspruch erworben werden kann oder nicht. Mit diesem Inhalt wäre die Regelung systematisch den Vorschriften über die Verfügbarkeit, speziell den Regelungen über die Zumutbarkeit (§ 103 Abs. 2 AFG i.V.m. der Zumutbarkeits-AO) zuzuordnen.
Eine solche Deutung des § 137 Abs. 1 a AFG wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem Grundsatz der individuellen Arbeitsvermittlung zu vereinbaren und würde damit insgesamt gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen (im Ergebnis ebenso Siegfried, a.a.O., S. 24; Winkler, a.a.O., S. 153; Schlegel/Otte, Einkommen der Eltern und Arbeitslosenhilfe der Kinder, NJW 1989, S. 2800 f.; a.A. Rombach, Neues zur Anrechnung fiktiven Familienunterhalts im Rahmen der Gewährung von Arbeitslosenhilfe, SGb 1979, S. 291 ff., 295).
Der allgemeine Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. z.B. BVerfGE 55, 72 ff., (88); 75, 382 ff., 393). Dem Gesetzgeber kommt hierbei ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der jedoch bei benachteiligender Typisierung enger ist als bei bevorzugender und in jedem Falle einen – bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise sachlich vertretbaren Grund für die Ungleichbehandlung voraussetzt (vgl. z.B. BVerfGE 17, 1 ff. (23 f.); E 71, 39 ff. (58)).
Insbesondere volljährige beruflich qualifizierte Arbeitslose mit Verwandten 1. Grades wären durch § 137 Abs. 1 a AFG nach dieser Interpretation wesentlich schlechter gestellt als Arbeitslose ohne solche Verwandte. Ersteren würden unter Vernachlässigung der arbeitsförderungsrechtlich gebotenen Interessenabwägung bei der Frage der Zumutbarkeit der Annahme einer Beschäftigung (§ 103 Abs. 2 AFG) sofort die sehr viel weitergehenden und primär den potentiell Unterhaltspflichtigen schützenden unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheiten auferlegt, ohne Rücksicht darauf, ob sie hierdurch einen Unterhaltsanspruch erlangen können oder nicht. Arbeitslose mit beruflicher Qualifikation wären hiernach verpflichtet, sich sogleich um Beschäftigungen jedweder Art, einschließlich ungelernter Aushilfstätigkeiten, zu bemühen und solche Beschäftigungen anzunehmen. Die Regelung des § 137 Abs. 1 a AFG geht damit entgegen der Rechtsansicht der Beklagten über eine bloße Verfahrensregelung weit hinaus.
Das bloße Vorhandensein eines (unterhaltsfähigen) Verwandten 1. Grades stellt jedoch nach den oben genannten Kriterien des Art. 3 Abs. 1 GG keinen sachlich vertretbaren Grund für diese Ungleichbehandlung dar. Dies folgt insbesondere auch aus dem Grundsatz der individuellen Arbeitsvermittlung, von dem durch die personengruppenspezifische Übernahme der strengeren und vor allem auch andersartigen unterhaltsrechtlichen Zumutbarkeitsgrundsätze und Erwerbsobliegenheiten ohne hinreichenden Grund abgewichen würde.
Der Beklagten ist durch § 14 Abs. 1 AFG und die Präambel der Zumutbarkeits-AO (Buchst. c) aufgegeben, durch sachgerechte Beratungs- und Vermittlungsbemühungen sowie durch ein ausreichendes Angebot geeigneter Qualifizierungsmaßnahmen eine nach den beruflichen und sozialen Verhältnissen und Perspektiven des Arbeitslosenindividuelle Arbeitsvermittlung zu betreiben, wobei unterwertige Beschäftigungen vermieden werden sollen (§ 2 Nr. 1 AFG). Diese objektiv-rechtlichen Verpflichtungen der Beklagten sind wesentlich geprägt durch das Grundrecht auf Berufswahlfreiheit und freie Wahl des Arbeitsplatzes (Art. 12 GG).
Während im Unterhaltsrecht die Erwerbsobliegenheiten des Unterhaltsbegehrenden und die Zumutbarkeit der Verwertung der eigenen Arbeitskraft unter Berücksichtigung des potentiell Unterhaltspflichtigen und des potentiell Unterhaltsberechtigten – wie dargestellt – sehr weitgehend sind und nahezu uneingeschränkt die Eigenverantwortlichkeit des unterhaltsbegehrenden Erwachsenen und dessen Verpflichtung zur Selbsthilfe praktisch ohne berufliche Statussicherung betont werden, bemißt sich die arbeitsförderungsrechtliche Zumutbarkeit für die Annahme einer Beschäftigung nach der – für das Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilferecht gleichermaßen geltenden – Grundregelung des § 103 Abs. 2 AFG aufgrund einer Abwägung der Interessen des Arbeitslosen gegenüber denjenigen der Gesamtheit der Beitragszahler. Die zu berücksichtigenden Interessen des Arbeitslosen umfassen auch die Befreiung vom Zwang, jede Arbeit annehmen und alle Arbeitsbedingungen akzeptieren zu müssen (vgl. Steinmeyer, in: Gagel, AFG, Komm., § 103 Rdnr. 39 ff., 56 ff; Winkler, a.a.O., S. 153) und beinhalten damit u.a. einen relativen zeitlich gestaffelten beruflichen Statusschutz, wie er in der Zumutbarkeits-AO durch die §§ 8 bis 12 im einzelnen konkretisiert wird. Hierbei handelt sich zwar um untergesetzliche Regelungen, diese bestimmen jedoch die tatsächliche Verwaltungspraxis der Beklagten im Sinne einer nach Art. 3 Abs. 1 GG relevanten Selbstbindung. Dieser relative berufliche Statusschutz ist nicht nur bedeutsam für Bezieher der sog. originären Alhi (§ 136 Abs. 2 Nr. 2 AFG), sondern im Einzelfall und nach Maßgabe der Zumutbarkeits-AO auch für Bezieher der sog. Anschluß-Alhi (§ 136 Abs. 2 Nr. 1 AFG).
Ist der Beklagten demnach eine rein schematische Arbeitsvermittlung versagt (Knigge u.a., AFG, Komm., 2. Auflage 1988, § 14 Anm. 18), so ist eine unmodifizierte Rezeption der auf gänzlich anderen Kriterien und Interessenabwägungen beruhenden unterhaltsrechtlichen Zumutbarkeitsgrundsätze und Erwerbsobliegenheiten für Personen mit einem potentiell unterhaltspflichtigen Verwandten 1. Grades gegenüber Personen ohne solche Verwandte nicht zu rechtfertigen. Der Vorrang des Unterhaltsrechts ist im Falle der Anspruchskonkurrenz bezogen und begrenzt auf die Bedürftigkeit (Bedürftigkeitsvorrang), hinsichtlich der Erwerbsobliegenheiten und den Kriterien für die Zumutbarkeit der Annahme einer Beschäftigung ist die Alhi das umfassendere und allgemeinere Sicherungssystem mit einer anderen Interessenkonstellation. Es erscheint daher zweifelhaft, ob insoweit überhaupt von einer Lücke zwischen Unterhalts- und Arbeitslosenrecht gesprochen werden kann. Ein Gleichklang zwischen Unterhalts- und Arbeitslosenhilferecht kann verfassungskonform nicht dadurch bewerkstelligt werden, daß für einen Teil der Berechtigten des allgemeinen Systems (Alhi) die weitergehenden und zusätzlichen Voraussetzungen des spezielleren Systems (dem Unterhaltsrecht) auch im allgemeinen System auferlegt werden.
Ein Gleichklang dieser Sicherungssysteme kann insoweit allenfalls durch die Beklagte im Einzelfall nach Maßgabe der Zumutbarkeits-AO hergestellt werden, d.h. soweit die Abwägung der Interessen des Arbeitslosen und derjenigen der Gesamtheit der Beitragszahler eine arbeitsförderungsrechtliche Zumutbarkeit und Verweisbarkeit des Arbeitslosen im Umfang der unterhaltsrechtlichen Zumutbarkeit erlaubt.
Die Schlechterstellung Arbeitsloser mit Verwandten 1. Grades kann auch nicht als Härte oder Ungerechtigkeit im Einzelfall angesehen werden, wie sie bei typisierenden Regelungen hinzunehmen sind. Dies kommt nur in Betracht, wenn lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen in dieser Weise betroffen und die Härte nicht zu groß wäre (BVerfGE 26, 265 ff., 275 f.). Mit der Unterstellung eines realisierbaren Unterhaltsanspruchs bei volljährigen Arbeitslosen mit (unterhaltsfähigen) Verwandten 1. Grades würde jedoch die Ausnahme zum Typischen erhoben. Ein Unterhaltsanspruch volljähriger Arbeitsloser gegen ihre Eltern oder Kinder ist aufgrund der weitgehenden unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheiten die Ausnahme.
Die unterlassenen Handlungen im Sinne von § 137 Abs. 1 a AFG müssen demnach bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift sowohl kausal für das Nichtbestehen des vorrangigen Anspruchs als auch arbeitsförderungsrechtlich zumutbar sein.
Im Grunde geht auch die Beklagte von dem Erfordernis der Kausalität des Unterlassens aus, da sie die Leistungsfähigkeit der potentiell unterhaltspflichtigen Mutter der Klägerin prüft und einen fiktiven Unterhaltsanspruch nur insoweit anrechnet, als dieser leistungsfähig ist. Das Erfordernis der Kausalität des Unterlassens für den fehlenden Unterhaltsanspruch bezieht sich aber nach Wortlaut und Zweck der Regelung auf alle Tatbestandsvoraussetzungen dieses Anspruchs, d.h. auch auf die Bedürftigkeit des Unterhaltsbegehrenden, insbesondere auf dessen Unvermögen, seinen Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst bestreiten zu können.
Der Senat verkennt nicht, daß das Erfordernis der Kausalität der Unterlassung unter Berücksichtigung der hohen unterhaltsrechtlichen Anforderungen an die Eigeninitiative des Arbeitslosen zur Erlangung einer wie auch immer gearteten Erwerbstätigkeit dem eigenständigen Regelungsbereich dieser Tatbestandsalternative des § 137 Abs. 1 a AFG im Hinblick auf Unterhaltsansprüche enge Grenzen zieht. Existieren nämlich offene unterhaltsrechtlich zumutbare Arbeitsplätze für den Arbeitslosen, so kann dieser einen Unterhaltsanspruch in der Regel nicht herbeiführen: Er ist nicht unterhaltsberechtigt, wenn er sich mit der erforderlichen Intensität um Beschäftigungen jedweder Art bemüht und eine solche Beschäftigung aufnimmt, oder er gilt als nicht unterhaltsbedürftig, insbesondere wenn er diesen Erwerbsobliegenheiten nicht nachkommt (so bereits BSG Urteil vom 7. September 1988 a.a.O.). Ähnlich ist es umgekehrt, wenn offene unterhaltsrechtlich zumutbare Arbeitsplätze für den Arbeitslosen nicht existieren und der gesamte Arbeitsmarkt für den Arbeitslosen verschlossen ist. In diesem Fall bedarf es der Fingierung eines Unterhaltsanspruchs nicht, denn ein solcher besteht unabhängig davon, daß sich der Arbeitslose erfolglos in der erforderlichen Intensität und Breite um eine Beschäftigung oder Tätigkeit bemüht. Das Unterlassen solcher Bemühungen ist in diesem Falle nicht ursächlich für die Arbeitslosigkeit und den Unterhaltsanspruch (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Mai 1985, FamRZ 1985, S. 1045 f., das hierzu auch die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) heranzieht). Damit entfallen jedoch ein eigenständiger Regelungsbereich und eine praktische Relevanz dieser Vorschrift auch für Unterhaltsansprüche nicht gänzlich, denn die oben genannten Schlußfolgerungen sind in zeitlicher Hinsicht nicht unbedingt sofort festzustellen bzw. treten unterhaltsrechtlich nicht sofort ein. Des weiteren könnte diese Vorschrift auch dann praktisch werden, wenn ungelernte oder im Sinne der Zumutbarkeitsvorschriften "abgestufte” Arbeitslose die unterhaltsrechtlich erforderlichen Eigenbemühungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes unterlassen. Diese Frage kann jedoch hier dahingestellt bleiben.
Im vorliegenden Fall ist die Ursächlichkeit der von der Klägerin unterlassenen, unterhaltsrechtlich jedoch geforderten Erwerbsobliegenheiten für den nichtbestehenden Unterhaltsanspruch weder dargelegt, noch ersichtlich. Diese waren ihr arbeitsförderungsrechtlich – wie bereits ausgeführt – auch nicht in vollem Umfang zumutbar. Die heute 49 Jahre alte Klägerin, die seit November 1983 durchgehend Alhi bezieht, konnte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch eine Vielzahl ungelernter Beschäftigungen verrichten und es ist nicht ersichtlich, daß sie keine solche Beschäftigung hätte aufnehmen können. Für Arbeitslose, deren Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt insbesondere nach Alter und Gesundheitszustand nicht wesentlich eingeschränkt sind, besteht die Vermutung, daß sie sich durch eigene Tätigkeiten selbst unterhalten können. Der gegenteilige Schluß, daß die Klägerin außerstande war, sich selbst zu unterhalten, weil es ihr (ggf. zeitlich begrenzt) nicht möglich war, eine Beschäftigung irgendwelcher Art zu erlangen, könnte allenfalls dann gezogen werden, wenn die Vermittlungsbemühungen der Beklagten sich auf alle Beschäftigungen bezogen hätten, die der Klägerin unterhaltsrechtlich zugemutet werden (so bereits BSG Urt. vom 13. Juli 1985, 7 RAr 93/84, SozR 4100 § 128 Nr. 12 = BSGE 58, 165). Solche zum Nachweis des (ggfs. zeitlich begrenzten) Unvermögens der Klägerin zur Erlangung einer Beschäftigung jedweder Art erforderlichen Vermittlungsbemühungen der Beklagten sind in der (unterhaltsrechtlich) erforderlichen Breite während des streitbefangenen Zeitraums nicht vorgenommen worden.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen, ohne daß es weiterer Ermittlungen und Ausführungen zu der Erwerbslosigkeit des gegenüber der Mutter der Klägerin vorrangig unterhaltspflichtigen Ehemannes der Klägerin (§ 1608 SGB) oder zur Gebrechlichkeit und damit zur Leistungsfähigkeit der 81-jährigen Mutter der Klägerin im Sinne des Unterhaltsrechts bedurfte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 160 Abs. 2 Satz 1 SGG.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Arbeitslosenhilfe (Alhi) der Klägerin ab dem 30. Dezember 1988, konkret über die Berücksichtigung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs der Klägerin gegenüber ihrer Mutter.
Die 1939 geborene und seit 1960 verheiratete Klägerin hat keinen Beruf erlernt. Sie hat von 1973 bis 1979 ein Studium der Pädagogik absolviert und mit der ersten Staatsprüfung für das Lehramt abgeschlossen. Vom 1. Mai 1980 bis zum 28. Februar 1981 und nach zwischenzeitlicher Arbeitslosigkeit vom 1. November 1981 bis 30. September 1983 war die Klägerin als Lehramtsreferendarin tätig, hat das Referendariat jedoch nicht abgeschlossen und die zweite Staatsprüfung für den Schuldienst daher nicht abgelegt.
Seit dem 26. November 1983 bezieht die Klägerin Alhi. Ihr am 1928 geborener Ehemann hat das erste juristische Staatsexamen abgelegt und ist ebenfalls ohne Einkommen. Er besitzt zwar die behördliche Erlaubnis, ein Inkassobüro zu betreiben, nach Angaben der Klägerin kann er diese Tätigkeit jedoch wegen fehlender finanzieller Eigenmittel nicht ausüben. Mit Bescheid vom 2. Dezember 1987 bewilligte die Beklagte der Klägerin Alhi unter Anrechnung von DM 92,31 wöchentlich aufgrund tatsächlicher monatlicher Unterhaltszahlungen des Vaters der Klägerin in Höhe von DM 400,00. Nachdem der Vater der Klägerin am 11. Mai 1988 verstorben war und die Klägerin nach eigenen Angaben von ihrer Mutter ab August 1988 keine Unterhaltszahlungen mehr erhielt, bewilligte ihr die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 16. August 1988 Alhi ab dem 1. August 1988 unter Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs gegen ihre Mutter in Höhe von DM 27,17 aufgrund deren geschätzter Witwenpension. Hiergegen erhob die Klägerin am 16. September 1988 Widerspruch mit der Begründung, daß ihr ein Unterhaltsanspruch gegenüber ihrer Mutter nicht zustehe und die vorgenommene Anrechnung daher rechtswidrig sei. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. Oktober 1988, niedergelegt am 11. Oktober 1988, zurück. Mit Änderungsbescheid vom 28. Oktober 1988 bewilligte die Beklagte der Klägerin aufgrund der zwischenzeitlich vorgelegten Bescheinigung über die Höhe des Witwengeldes der Mutter der Klägerin Alhi ab dem 18. Oktober 1988 unter Anrechnung eines Unterhaltsbetrages in Höhe von DM 40,41.
Gegen die Bescheide vom 16. August 1988, vom 5. Oktober 1988 und vom 28. Oktober 1988 hat die Klägerin am 8. November 1988 Klage vor dem Sozialgericht Marburg erhoben.
Während des Klageverfahrens bewilligte die Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 21. November 1988 Alhi in bisheriger Höhe für die Zeit ab dem 26. November 1988. Hiergegen hat die Klägerin am 16. Dezember 1988 Widerspruch erhoben.
In der mündlichen Verhandlung vom 19. April 1989 räumte die Klägerin ein, von ihrer Mutter in den Monaten August bis November 1988 Unterhaltszahlungen erhalten zu haben und nahm die Klage hinsichtlich der im Streit befindlichen Ansprüche für die Zeit vor dem 1. Dezember 1988 zurück. Für den Zeitraum nach diesem Zeitpunkt vertritt sie die Auffassung, daß ihr Alhi in voller Höhe zustehe. Nach den zivilrechtlichen Vorschriften und Grundsätzen zum Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder, die sich nicht in Ausbildung befinden, gegenüber ihren Eltern komme eine Unterhaltsverpflichtung ihrer Mutter ihr gegenüber nicht in Betracht. Sie selbst sei vielmehr vorrangig verpflichtet, alle verfügbaren Kräfte einzusetzen und Opfer bis zur zumutbaren Grenze auf sich zu nehmen, um ihre Arbeitskraft zu verwerten. Sie legt hierzu u.a. die Kopie eines Beschlusses des Amtsgerichts Friedberg vom 3. Januar 1989 vor, durch den ihr die für eine Unterhaltsklage gegen ihre Mutter nachgesuchte Prozeßkostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht verweigert wurde.
Mit Urteil vom 19. April 1989 hat das Sozialgericht Marburg der Klage, soweit sie durch Klagerücknahme nicht erledigt war stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 21. November 1988 verurteilt, der Klägerin ab dem 1. Dezember 1988 Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung von Einkommen ihrer Mutter zu gewähren. Ferner hat das Sozialgericht die Berufung zugelassen für streitige Ansprüche ab dem 30. Dezember 1988. Zur Begründung führte es aus, daß Streitgegenstand allein noch der im Laufe des Klageverfahrens erteilte Bescheid vom 11. November 1988, der gemäß § 96 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden sei, und Ansprüche ab dem 1. Dezember 1988 seien. Die Klägerin sei in dem streitigen Zeitraum ihren nach zivilrechtlichen Grundsätzen für das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs vorausgesetzten unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten nicht nachgekommen. Sie habe sich nicht mit der erforderlichen Intensität um jedwede ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit entsprechenden Arbeit bis hin zur einfachsten Hilfsarbeiten bemüht. Solche Stellen seien auf dem für die Klägerin in Betracht kommenden Arbeitsmarkt ausweislich des in der Tagespresse erscheinenden Stellenmarktes auch vorhanden. Da ferner davon auszugehen sei, daß die Klägerin ab Dezember 1988 von ihrer Mutter tatsächlich keine Zuwendungen mehr erhalten habe, sei die Anrechnung eines (fiktiven) Unterhaltsanspruchs auf den Alhi-Anspruch der Klägerin in der Zeit ab dem 1. Dezember 1988 daher rechtswidrig. Dies gelte sowohl unter Berücksichtigung des § 10 Nr. 1 Alhi-Verordnung (AlhiVO), als auch des ab 30. Dezember 1988 in Kraft getretenen § 10 Nr. 3 AlhiVO. Die letztgenannte Vorschrift, wonach ein fiktiver Unterhaltsanspruch zu berücksichtigen ist, wenn der Arbeitslose Handlungen unterläßt, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines derartigen Anspruchs sind, sei von der Ermächtigungsnorm des § 137 Abs. 3 AFG nicht gedeckt. Bereits das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 7. September 1988 darauf hingewiesen, daß sich die AlhiVO nicht mit den Regelungen des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) über die Verfügbarkeit in Widerspruch setzen dürfe. Darüber hinaus sei die Berücksichtigung eines fiktiven – also die wirtschaftliche Lage des Arbeitslosen nicht wirklich beeinflussenden – Unterhaltsanspruchs nicht mit der Bedürftigkeitsprüfung vereinbar. § 137 Abs. 1 und § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG setzten eindeutig einen Unterhaltsanspruch als solchen voraus, d.h. ein solcher müsse tatsächlich vorliegen und durchsetzbar sein.
Gegen das am 23. Mai 1989 zugestellte Urteil richtet sich die am 26. Juni 1989 (Montag) beim Hessischen Landessozialgericht eingelegte Berufung der Beklagten.
Wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt sie die Widereinsetzung in den vorigen Stand und macht hierzu geltend, sie sei ohne Verschulden verhindert gewesen, die Berufungsfrist einzuhalten. Sie habe die Berufungsschrift am Mittwoch dem 21. Juni 1989, d.h. zwei Tage vor Ablauf der Berufungsfrist, am Freitag dem 23. Juni 1989 mit einfachem Brief abgesandt. Sie legt hierzu eine mit einem entsprechenden Absendevermerk versehene Durchschrift der Berufungsschrift sowie eine weitere Durchschrift, die an das Arbeitsamt Marburg übersandt worden war und den Eingangsstempel des Arbeitsamts vom 22. Juni 1989 trägt, in Kopie vor. Aus diesen Unterlagen ergebe sich, daß die Berufungsschrift der Post so rechtzeitig zur Beförderung übergeben worden sei, daß diese bei normalem Beförderungsverlauf noch rechtzeitig bei dem Berufungsgericht hätte eingehen müssen.
Zur Begründung in der Sache führt die Beklagte aus, daß § 10 Nr. 3 AlhiVO von der Ermächtigungsgrundlage des § 137 Abs. 3 AFG gedeckt sei und mit höherrangigem Recht in Einklang stehe. Die Nachrangigkeit der Alhi gegenüber anderen Ansprüchen, auch gegenüber bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsansprüchen, habe der Gesetzgeber in der Ermächtigungsnorm selbst zum Ausdruck gebracht. Der Verordnungsgeber sei daher berechtigt, durch die nähere Ausgestaltung des Merkmals der Bedürftigkeit die nachrangige Inanspruchnahme der Arbeitslosenhilfe sicherzustellen. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Alhi könne der Arbeitslose, der es unterlasse, sich in dem vom Unterhaltsrecht geforderten Ausmaß und der Intensität um Arbeit zu bemühen, nicht erwarten, daß die Allgemeinheit mit einer Leistung für ihn eintrete, die einem unterhaltsrechtlichen Anspruch gegenüber nachrangig sei. Die Verpflichtung des Arbeitslosen zu eigenem Aufklärungshandeln (Eigenbemühungen), ob offene Arbeitsstellen auf dem Arbeitsmarkt vorhandenen sind, stelle lediglich eine verfahrensrechtliche Mitwirkungsobliegenheit, d.h. eine Ausgestaltung des allgemeinen Mitwirkungsgrundsatzes dar. § 10 Nr. 3 AlhiVO stehe auch nicht im Widerspruch zur Zumutbarkeitsanordnung. Insgesamt habe der Verordnungsgeber mit § 10 Nr. 3 AlhiVO eine nicht zu beanstandende sachgemäße Unterscheidung zwischen Arbeitslosen mit und Arbeitslosen ohne unterhaltsfähige Verwandte getroffen, so daß ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht ersichtlich sei. Dies gelte auch für den am 8. Juli 1989 neu in Kraft getretenen § 137 Abs. 1a AFG, durch den die Verordnungsregelung in das AFG eingefügt worden sei.
Die Beklagte beantragt,
ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, sowie das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. April 1989 abzuändern und die Klage, auch gegen den Bescheid vom 10. Oktober 1989, insoweit abzuweisen, als Ansprüche ab dem 30. Dezember 1988 streitig sind.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
zurückzuweisen, sowie auf die Klage den Bescheid vom 10. Oktober 1989 aufzuheben.
Die Beteiligten beantragen übereinstimmend hilfsweise Zulassung der Revision.
Gegenüber dem Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten macht die Klägerin geltend, die Rechtsmittelklägerin treffe bei Ausschöpfung der Frist eine erhöhte Sorgfaltspflicht, daß das Rechtsmittel auch tatsächlich rechtzeitig beim zuständigen Gericht eingeht. Nachdem die Beklagte die Berufungsschrift erst zwei Tage vor Ablauf der Frist zur Post gegeben habe, hätte sie sich bei Beachtung der ihr obliegenden Sorgfaltspflicht am Freitag dem 23. Juni 1989 vergewissern müssen, ob die Berufungsschrift auch tatsächlich eingegangen ist. Da die Beklagte dies nicht getan habe, habe sie die Berufungsfrist schuldhaft versäumt.
Darüber hinaus sei die Berufung auch unbegründet. Das Sozialgericht habe in dem angegriffenen Urteil ausführlich und rechtlich fehlerfrei dargelegt, daß die Neuregelung des § 10 Nr. 3 AlhiVO weder von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt noch mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Da hierdurch im Ergebnis die Zumutbarkeitsanforderungen der Zumutbarkeitsanordnung für diejenigen Arbeitslosen erhöht werden, denen theoretisch zivilrechtliche Unterhaltsansprüche gegen Verwandte zustehen könnten, gehe diese Neuregelung auch weit über eine verfahrensrechtliche Regelung hinaus. Die Ungleichbehandlung von Arbeitslosen mit und ohne Verwandte sei mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren.
Während des Berufungsverfahrens teilte die Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 10. Oktober 1989 mit, daß die Alhi-Gewährung unter Berücksichtigung des Einkommens der Mutter der Klägerin ab dem 8. Juli 1989 nach dem neu eingeführten § 137 Abs. 1a AFG erfolge.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist form-, jedoch nicht fristgerecht eingelegt worden (§ 151 SGG). Nachdem das angegriffene Urteil des Sozialgerichts Marburg der Beklagten am 23. Mai 1989 zugestellt worden war, endete die Berufungsfrist mit Ablauf des 23. Juni 1989, einem Freitag. Diese Frist hat die Beklagte versäumt, da die Berufungsschrift vom 21. Juni 1989 erst am 26. Juni 1989 beim Hessischen Landessozialgericht einging.
Wegen der Versäumung der Berufungsfrist ist der Beklagten aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Nach § 67 SGG ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten, die versäumte Rechtshandlung aber rechtzeitig nachholt.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Es bedeutet kein Verschulden, wenn ein Schriftstück bei Postzustellung verspätet zugeht, obwohl es den postalischen Bestimmungen entsprechend richtig frankiert und so rechtzeitig zur Post gegeben worden ist, daß es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Post bei regelmäßigem Betriebsablauf den Empfänger fristgemäß erreicht hätte. Dies hat die Beklagte vorliegend glaubhaft gemacht. Aufgrund des Absendevermerks auf der Durchschrift der Berufungsschrift und dem Eingang einer Durchschrift beim Arbeitsamt Marburg bereits am 22. Juni 1989 ist davon auszugehen, daß die Berufungsschrift am 21. Juni 1989 von der Beklagte zur Post gegeben wurde und bei regelmäßigem Betriebsablauf bei der Post das Hessische Landessozialgericht am 23. Juni 1989 hätte erreichen müssen. Verzögerungen der Briefbeförderungen durch die Post werden nicht als Verschulden angerechnet (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 3. Aufl., § 67 Anm. 6). Dem rechtzeitig gestellten Antrag der Beklagten auf Widereinsetzung in den vorigen Stand war daher zu entsprechen.
Die Berufung ist kraft Zulassung im Tenor des angefochtenen Urteils statthaft (§§ 147, 150 Nr. 1 SGG). Gegen die Zulassung der Berufung nur für Leistungsansprüche ab dem 30. Dezember 1988 durch das Sozialgericht bestehen im Ergebnis keine rechtlichen Bedenken, zumal die Beklagte die Berufung entsprechend eingeschränkt hat.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. April 1989 ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten, als die Alhi der Klägerin während des hier in Frage stehenden Zeitraums nur unter Anrechnung eines fiktiven Unterhaltsanspruchs gegen ihre Mutter bewilligt wurde. Das Sozialgericht hat daher die angefochtenen Bescheide zutreffend abgeändert und die Beklagte zur Zahlung der Alhi in voller Höhe verurteilt. Darüber hinaus war der Bescheid vom 10. Oktober 1989, der gem. § 96 SGG kraft Klage Teil des Verfahrens geworden ist, aufzuheben.
Die Klägerin erfüllt für die hier fraglichen Zeiten die Voraussetzungen für einen Anspruch, auf Alhi: Sie war nach einer Beschäftigung von mindestens hundertfünfzig Tagen, ohne daß der Leistungsanspruch nach § 119 Abs. 3 AFG erloschen ist, arbeitslos, stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, hatte sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Alhi beantragt (§ 134 Abs. 1 Nrn. 1, 2 und 4 AFG). Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und der Senat hat keine Veranlassung, am Vorliegen dieser Voraussetzungen zu zweifeln. Fraglich und umstritten ist allein das Ausmaß der Bedürftigkeit der Klägerin, konkret die Anrechenbarkeit eines fiktiven Unterhaltsanspruchs der Klägerin gegen ihre Mutter. Die Beklagte durfte bei der vorliegenden Sachverhaltsgestaltung jedoch keinen Unterhaltsanspruch auf die Alhi der Klägerin anrechnen.
Gemäß § 137 Abs. 1 AFG ist der Arbeitslose bedürftig, soweit er seinen Lebensunterhalt und den seines Ehegatten sowie seiner kindergeldberechtigten Kinder nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann. Im Rahmen der hiernach vorzunehmenden Bedürftigkeitsprüfung werden als Einkommen auch Leistungen Dritter bzw. Ansprüche gegenüber Dritten berücksichtigt, Unterhaltsansprüche jedoch nur gegen Verwandte ersten Grades (§ 138 Nr. 1 AFG).
Die Klägerin hat nach ihren glaubhaften Angaben, die bestätigt werden durch den Versuch der Klägerin Ende 1988, Anfang 1989 einen Unterhaltsanspruch gegen ihre Mutter gerichtlich geltend zu machen, ab Dezember 1988 von ihrer Mutter keine Unterhaltszahlungen mehr erhalten und sie konnte solche auch nicht beanspruchen. Für diese bürgerlich-rechtliche Vortrage ist das zivilrechtliche Unterhaltsrecht maßgeblich und eine enge Anlehnung an die hierzu ergangene zivilrechtliche Rechtsprechung geboten (s. BSG Urteil vom 7. September 1988 – Az. 11 RAr 25/88 –, SozR 4100 § 138 Nr. 23). Hiernach schulden die Eltern ihrem Kind gemäß §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dann Unterhalt, wenn dieses außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Volljährige Kinder mit abgeschlossener Berufsausbildung – wie die Klägerin – genießen jedoch unterhaltsrechtlich keine irgendwie geartete Lebensstandard-Garantie wie Ehegatten oder Minderjährige (OLG Ffm./M., Urteil vom 16. Januar 1987, FamRZ 1987, S. 411 f.). An ihre Unterhaltsbedürftigkeit werden im Hinblick auf ihre wirtschaftliche und soziale Eigenverantwortung vielmehr strenge Anforderungen gestellt. Sie sind grundsätzlich verpflichtet, alle verfügbaren Kräfte einzusetzen und Opfer bis zur Zumutbarkeitsgrenze auf sich zu nehmen, um ihre Arbeitskraft zu verwerten, d.h. sie müssen jede Arbeit, einschließlich von Arbeiten unterhalb ihrer gewohnten Lebensstellung bis hin zu Aushilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten annehmen, ehe sie einen Elternteil auf Unterhalt in Anspruch nehmen können. Nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung genügt dabei zum Beweis, daß der Arbeitslose außerstande ist, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, eine Meldung beim Arbeitsamt nicht. Der Arbeitslose muß sich vielmehr auch selbst nachhaltig um eine Arbeitsstelle bemühen (vgl. hierzu z.B. OLG Hamm, Beschluss vom 19. Januar 1987, FamRZ 1987, S. 411 f.; BGH Urteil vom 6. Dezember 1984, FamRZ 1985, S. 273 ff.; BGH Urteil vom 4. April 1985, FamRZ 1985, S. 1245 f.; Schlegel, Unterhaltsansprüche erwachsener Arbeitsloser gegen ihre Eltern und subsidiäre Sozialleistungen, FamRZ 1986, S. 856 ff. und BSG, Urt. vom 7. September 1988 a.a.O.).
Die Klägerin ist während der hier fraglichen Zeiten ihrer unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheit nicht nachgekommen, da sie sich – wie bereits das Sozialgericht festgestellt hat – nicht um jedwede Arbeit, sondern lediglich um bestimmte qualifizierte Tätigkeiten bemüht hat. Bereits aus diesem Grund stand ihr kein Unterhaltsanspruch gegenüber ihrer Mutter zu, da es während der hier fraglichen Zeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Arbeitsplätze und Beschäftigungen gab, die die Klägerin hätte an- bzw. aufnehmen können.
Ein anzurechnender Unterhaltsanspruch kann auch nicht fingiert werden.
Nach § 10 Nr. 3 der Alhi-VO vom 7. August 1974 (BGBl. I S. 1929) i.d. Fassung der 2. Verordnung zur Änderung der Alhi-VO vom 20. Dezember 1988 (BGBl, I, S. 2598), der für die Zeit vom 31. März bis zum 7. Juli 1989 – mangels Rückwirkung von § 137 Abs. 1 a AFG – die einzig mögliche Rechtsgrundlage hierfür darstellt, soll dies möglich sein, wenn der Arbeitslose Handlungen unterläßt, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG zu berücksichtigenden Anspruchs sind.
Der Senat hat hierzu bereits mit Urteil vom 6. Dezember 1989 – L-6/Ar-702/89 –, ebenso wie das erstinstanzliche Gericht im vorliegenden Fall, entschieden, daß diese Regelung jedenfalls soweit sie sich auf die fehlende Bereitschaft zur Ausübung unterwertiger, d.h. nach dem AFG und der hierzu ergangenen Zumutbarkeits-Anordnung vom 16. März 1982 (AN 1982, 523, Zumutbarkeits-AO) nicht zumutbare Tätigkeiten und die fehlenden Bemühungen zum Erhalt einer solchen Tätigkeit bezieht, bzw. beziehen soll, nicht von der Verordnungsermächtigung des § 137 Abs. 3 AFG gedeckt ist (im Ergebnis ebenso LSG Berlin, Urteil vom 10. Oktober 1989, L-14/Ar-34/88 sowie Urteil vom 27. Februar 1990, L-14/Ar-81/89; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17. April 1989, L-12/Ar-12/87). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Auch bei Vorhandensein unterhaltsfähiger Verwandter ersten Grades bleiben die arbeitsförderungsrechtlichen Grundsätze zu den Erwerbsobliegenheiten im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung maßgeblich (BSG Urt. vom 7. September 1988 a.a.O.).
Der Klägerin waren die unterhaltsrechtlich geforderten und zumutbaren einfachen Tätigkeiten arbeitsförderungsrechtlich nicht zumutbar. Zumutbar waren dieser hiernach nur Tätigkeiten entsprechend ihrer Ausbildung, wie z.B. als Erzieherin, oder in vergleichbaren Beschäftigungen. Dies folgt aus §§ 103 Abs. 2 und 3 AFG sowie der hierzu ergangenen Zumutbarkeits-AO. Hiernach sind bei der Beurteilung der Zumutbarkeit die Interessen des Arbeitslosen und die der Gesamtheit der Beitragszahler gegeneinander abzuwägen. Entsprechend der Ermächtigung des § 103 Abs. 3 S. 2 AFG hat der Verwaltungsrat der Beklagten die Zumutbarkeits-Anordnung vom 16. März 1982 erlassen, die für Alg- und Alhi-Empfänger in gleicher Weise Gültigkeit hat (s. BSG Urteil vom 7. September 1988, a.a.O.; § 6 Zumutbarkeits-AO). Dort wurden in § 12 folgende 5 Qualifikationsstufen festgelegt:
1) Hochschul- und Fachhochschulausbildung,
2) Aufstiegsfortbildung auf einer Fachschule oder in einer vergleichbaren Einrichtung,
3) Ausbildung in einem Ausbildungsberuf,
4) Anlernausbildung,
5) alle übrigen Beschäftigungen.
Während der ersten 4 Monate der Arbeitslosigkeit waren der Klägerin nach §§ 8, 9 der Anordnung nur Beschäftigungen zumutbar, die den üblichen Bedingungen entsprechen, zu denen Arbeitnehmer mit einem vergleichbaren Berufsabschluß oder einem vergleichbaren beruflichen Werdegang Beschäftigungen ausüben. Während der folgenden 4 Monate waren der Klägerin auch Beschäftigungen auf der nächstniedrigeren Stufe zuzumuten, jedoch nur dann, wenn zuvor ein Beratungsgespräch hinsichtlich der Herabstufung stattgefunden hat. Ein solches Beratungsgespräch hat jedoch nicht stattgefunden, so daß eine Herabstufung der Klägerin auf die vierte oder fünfte Qualifikationsstufe des § 12 der Zumutbarkeits-AO nicht möglich war.
Im übrigen wird auf die nachfolgenden Ausführungen zu dem nahezu wortgleichen, durch das Gesetz über die 18. Anpassung der Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz und zur Änderung der Vorschriften über die Arbeitslosenhilfe (KOV-Anpassungsgesetz 1989) vom 7. Juli 1989 (BGBl. I, S. 288) mit Wirkung vom 8. Juli 1989 eingeführten § 137 Abs. 1 a AFG und den Grundsatz der gesetzeskonformen Auslegung nachrangigen Rechts verwiesen.
Auch nach dieser gesetzlichen Regelung ist der Arbeitslose nicht bedürftig im Sinne des § 134 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AEG, soweit er auf einen Anspruch, der nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG zu berücksichtigen wäre, verzichtet oder Handlungen unterläßt, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines derartigen Anspruchs sind. Gegen den Wortlaut dieser Vorschrift sind unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgebots, der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit verfassungsrechtliche Bedenken erhoben worden. Es wird geltend gemacht, die zweite Tatbestandsalternative der Unterlassung lasse die Reichweite des Handlungsbegriffs nicht erkennen und operiere mit einem Tatbestandsmerkmal, dessen Inhalt von der Rechtsprechung entwickelt worden und für den rechtsunkundigen Laien nicht ohne fachkundige Hilfe auffindbar und nicht ohne weiteres verständlich sei. Auch das Ziel der Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche bleibe völlig verschlüsselt und müsse deswegen bei der Einzelfallanwendung den betroffenen Bürger überraschen (vgl. Siegfried, Anrechnung von fiktiven Unterhaltsansprüchen bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe: Verfassungswidrigkeit des § 137 Abs. 1 a AFG, SozSich 1990 S. 19 ff., 22).
Dem ist zunächst entgegenzuhalten, daß den rechtsstaatlichen Anforderungen an die inhaltliche, eine willkürliche Handhabung ausschließende Bestimmtheit einer Norm bereits dann Genüge getan ist, wenn sich der Normgehalt im Wege der Auslegung, insbesondere nach dem Zweck der Vorschrift und dem Gesamtzusammenhang, in den die Norm gestellt ist, ermitteln läßt (s.z.B. BVerfGE 37, 132, 142; 45, 400, 420; BSGE 61, 197, 200). Es ist daher vorrangig zu prüfen, ob sich der Normgehalt des § 137 Abs. 1 a AFG im Wege der Auslegung konkretisieren läßt. Sind hiernach mehrere Deutungen der Vorschrift möglich, so verdient diejenige den Vorzug, die den Wertentscheidungen der Verfassung entspricht (BVerfGE 8, 28, 33 f. und 210, 220 f.; E 35, 263, 280).
Für die – vorliegend alleine in Frage stehende – Tatbestandsalternative des Unterlassens von Handlungen, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines gegenüber der Alhi vorrangigen Anspruchs nach § 138 Abs. 1 AFG sind, ist ihrerseits Voraussetzung, daß der vorrangige Anspruch bei Hinzudenken der unterlassenen Handlungen tatsächlich bestünde, daß das Unterlassen mithin ursächlich für das Nichtbestehen des vorrangigen Anspruchs ist (ebenso Winkler, Gesetzlicher Schutz für eine vieljährige rechtswidrige Praxis – Abschließende Anmerkungen zur Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche auf die Arbeitslosenhilfe nach der Neufassung der §§ 137 und 152 AFG, info also 3/1989 S. 149 ff., 152). Dies gilt für die Tatbestandsalternative des Anspruchsverzichts in gleicher Weise für das Hinwegdenken des Verzichts. Dies folgt, wenn nicht bereits aus dem Wortlaut, so jedenfalls aus der systematischen Stellung und dem Sinn und Zweck der Vorschrift. § 137 Abs. 1 Buchst. a AFG ist eingeordnet in die Regelungen über die Bedürftigkeit des Arbeitslosen als Voraussetzung für den Anspruch auf Alhi und soll nach dem (subjektiven) Willen des Gesetzgebers "die am Subsidiaritätsgrundsatz ausgerichtete Reihenfolge der Unterhaltssicherungssysteme” gewährleisten und als "zusätzliche Klarstellung” u.a. den Vorrang des Unterhaltsrechts gegenüber der Alhi entsprechend der langjährigen Praxis der Bundesanstalt für Arbeit gewährleisten (s. BT-Drucks. 11/4178 S. 6). Zum Subsidiaritätsgrundsatz hat in diesem Zusammenhang das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 7. September 1988 (a.a.O.) bereits darauf hingewiesen, daß selbst wenn das Gesetz von einer Rangfolge der Unterhaltssysteme in der Reihenfolge Alg, Familienverband, Alhi und Sozialhilfe ausginge, diese Reihenfolge nur bei Konkurrenz zwischen bestehenden Ansprüchen gelte und nicht bedeute, daß ein Anspruch auf Alhi nur bei Fehlen unterhaltspflichtiger Verwandter eingeräumt sei. Mit der hier in Frage stehenden neuen Regelung sollen die Konkurrenzregelungen im Verhältnis des Unterhaltsrechts zur Arbeitslosenhilfe auf Fälle ausgedehnt werden, in denen der vorrangige Unterhaltsanspruch von dem Berechtigten durch Verzicht aufgegeben oder durch Unterlassung notwendiger Handlungen nicht realisiert wird. Allenfalls wenn gerade durch die unterlassenen Handlungen ein Unterhaltsanspruch entfällt, kann die Postulierung besonderer Handlungspflichten im Arbeitslosenhilferecht eine Konkurrenz von Unterhalts- und Arbeitslosenhilfeanspruch betreffen und den Vorrang des Unterhaltsanspruchs vor dem Arbeitslosenhilfeanspruch bzw. den Vorrang der familienrechtlichen vor der arbeitshilferechtlichen Unterhaltssicherung gewährleisten. Nur in dieser Fallgestaltung kann auch der Arbeitslose auf die Inanspruchnahme des Unterhaltsanspruchs verwiesen werden. Kann bzw. könnte auch bei Vornahme der erforderlichen Handlungen ein Unterhaltsanspruch aus anderen Gründen (insbesondere weil genügend unterhaltsrechtlich zumutbare Arbeitsplätze vorhanden sind und sich der Unterhaltsbegehrende durch Verwertung seiner Arbeitskraft selbst unterhalten könnte) nicht erlangt werden, so steht der Vorrang des Unterhaltsrechts nicht in Frage.
Der so verstandene Normzweck des § 137 Abs. 1 a AFG schließt es aus, diesen als bloße Verschärfung der arbeitsförderungsrechtlichen Erwerbsobliegenheiten des Arbeitslosen bei Vorhandensein eines (unterhaltsfähigen) Verwandten 1. Grades zu begreifen, ohne Rücksicht darauf, ob hierdurch (konkret) ein Unterhaltsanspruch erworben werden kann oder nicht. Mit diesem Inhalt wäre die Regelung systematisch den Vorschriften über die Verfügbarkeit, speziell den Regelungen über die Zumutbarkeit (§ 103 Abs. 2 AFG i.V.m. der Zumutbarkeits-AO) zuzuordnen.
Eine solche Deutung des § 137 Abs. 1 a AFG wäre nach Auffassung des Senats nicht mit dem Grundsatz der individuellen Arbeitsvermittlung zu vereinbaren und würde damit insgesamt gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen (im Ergebnis ebenso Siegfried, a.a.O., S. 24; Winkler, a.a.O., S. 153; Schlegel/Otte, Einkommen der Eltern und Arbeitslosenhilfe der Kinder, NJW 1989, S. 2800 f.; a.A. Rombach, Neues zur Anrechnung fiktiven Familienunterhalts im Rahmen der Gewährung von Arbeitslosenhilfe, SGb 1979, S. 291 ff., 295).
Der allgemeine Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen anders behandelt wird, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. z.B. BVerfGE 55, 72 ff., (88); 75, 382 ff., 393). Dem Gesetzgeber kommt hierbei ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der jedoch bei benachteiligender Typisierung enger ist als bei bevorzugender und in jedem Falle einen – bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise sachlich vertretbaren Grund für die Ungleichbehandlung voraussetzt (vgl. z.B. BVerfGE 17, 1 ff. (23 f.); E 71, 39 ff. (58)).
Insbesondere volljährige beruflich qualifizierte Arbeitslose mit Verwandten 1. Grades wären durch § 137 Abs. 1 a AFG nach dieser Interpretation wesentlich schlechter gestellt als Arbeitslose ohne solche Verwandte. Ersteren würden unter Vernachlässigung der arbeitsförderungsrechtlich gebotenen Interessenabwägung bei der Frage der Zumutbarkeit der Annahme einer Beschäftigung (§ 103 Abs. 2 AFG) sofort die sehr viel weitergehenden und primär den potentiell Unterhaltspflichtigen schützenden unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheiten auferlegt, ohne Rücksicht darauf, ob sie hierdurch einen Unterhaltsanspruch erlangen können oder nicht. Arbeitslose mit beruflicher Qualifikation wären hiernach verpflichtet, sich sogleich um Beschäftigungen jedweder Art, einschließlich ungelernter Aushilfstätigkeiten, zu bemühen und solche Beschäftigungen anzunehmen. Die Regelung des § 137 Abs. 1 a AFG geht damit entgegen der Rechtsansicht der Beklagten über eine bloße Verfahrensregelung weit hinaus.
Das bloße Vorhandensein eines (unterhaltsfähigen) Verwandten 1. Grades stellt jedoch nach den oben genannten Kriterien des Art. 3 Abs. 1 GG keinen sachlich vertretbaren Grund für diese Ungleichbehandlung dar. Dies folgt insbesondere auch aus dem Grundsatz der individuellen Arbeitsvermittlung, von dem durch die personengruppenspezifische Übernahme der strengeren und vor allem auch andersartigen unterhaltsrechtlichen Zumutbarkeitsgrundsätze und Erwerbsobliegenheiten ohne hinreichenden Grund abgewichen würde.
Der Beklagten ist durch § 14 Abs. 1 AFG und die Präambel der Zumutbarkeits-AO (Buchst. c) aufgegeben, durch sachgerechte Beratungs- und Vermittlungsbemühungen sowie durch ein ausreichendes Angebot geeigneter Qualifizierungsmaßnahmen eine nach den beruflichen und sozialen Verhältnissen und Perspektiven des Arbeitslosenindividuelle Arbeitsvermittlung zu betreiben, wobei unterwertige Beschäftigungen vermieden werden sollen (§ 2 Nr. 1 AFG). Diese objektiv-rechtlichen Verpflichtungen der Beklagten sind wesentlich geprägt durch das Grundrecht auf Berufswahlfreiheit und freie Wahl des Arbeitsplatzes (Art. 12 GG).
Während im Unterhaltsrecht die Erwerbsobliegenheiten des Unterhaltsbegehrenden und die Zumutbarkeit der Verwertung der eigenen Arbeitskraft unter Berücksichtigung des potentiell Unterhaltspflichtigen und des potentiell Unterhaltsberechtigten – wie dargestellt – sehr weitgehend sind und nahezu uneingeschränkt die Eigenverantwortlichkeit des unterhaltsbegehrenden Erwachsenen und dessen Verpflichtung zur Selbsthilfe praktisch ohne berufliche Statussicherung betont werden, bemißt sich die arbeitsförderungsrechtliche Zumutbarkeit für die Annahme einer Beschäftigung nach der – für das Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilferecht gleichermaßen geltenden – Grundregelung des § 103 Abs. 2 AFG aufgrund einer Abwägung der Interessen des Arbeitslosen gegenüber denjenigen der Gesamtheit der Beitragszahler. Die zu berücksichtigenden Interessen des Arbeitslosen umfassen auch die Befreiung vom Zwang, jede Arbeit annehmen und alle Arbeitsbedingungen akzeptieren zu müssen (vgl. Steinmeyer, in: Gagel, AFG, Komm., § 103 Rdnr. 39 ff., 56 ff; Winkler, a.a.O., S. 153) und beinhalten damit u.a. einen relativen zeitlich gestaffelten beruflichen Statusschutz, wie er in der Zumutbarkeits-AO durch die §§ 8 bis 12 im einzelnen konkretisiert wird. Hierbei handelt sich zwar um untergesetzliche Regelungen, diese bestimmen jedoch die tatsächliche Verwaltungspraxis der Beklagten im Sinne einer nach Art. 3 Abs. 1 GG relevanten Selbstbindung. Dieser relative berufliche Statusschutz ist nicht nur bedeutsam für Bezieher der sog. originären Alhi (§ 136 Abs. 2 Nr. 2 AFG), sondern im Einzelfall und nach Maßgabe der Zumutbarkeits-AO auch für Bezieher der sog. Anschluß-Alhi (§ 136 Abs. 2 Nr. 1 AFG).
Ist der Beklagten demnach eine rein schematische Arbeitsvermittlung versagt (Knigge u.a., AFG, Komm., 2. Auflage 1988, § 14 Anm. 18), so ist eine unmodifizierte Rezeption der auf gänzlich anderen Kriterien und Interessenabwägungen beruhenden unterhaltsrechtlichen Zumutbarkeitsgrundsätze und Erwerbsobliegenheiten für Personen mit einem potentiell unterhaltspflichtigen Verwandten 1. Grades gegenüber Personen ohne solche Verwandte nicht zu rechtfertigen. Der Vorrang des Unterhaltsrechts ist im Falle der Anspruchskonkurrenz bezogen und begrenzt auf die Bedürftigkeit (Bedürftigkeitsvorrang), hinsichtlich der Erwerbsobliegenheiten und den Kriterien für die Zumutbarkeit der Annahme einer Beschäftigung ist die Alhi das umfassendere und allgemeinere Sicherungssystem mit einer anderen Interessenkonstellation. Es erscheint daher zweifelhaft, ob insoweit überhaupt von einer Lücke zwischen Unterhalts- und Arbeitslosenrecht gesprochen werden kann. Ein Gleichklang zwischen Unterhalts- und Arbeitslosenhilferecht kann verfassungskonform nicht dadurch bewerkstelligt werden, daß für einen Teil der Berechtigten des allgemeinen Systems (Alhi) die weitergehenden und zusätzlichen Voraussetzungen des spezielleren Systems (dem Unterhaltsrecht) auch im allgemeinen System auferlegt werden.
Ein Gleichklang dieser Sicherungssysteme kann insoweit allenfalls durch die Beklagte im Einzelfall nach Maßgabe der Zumutbarkeits-AO hergestellt werden, d.h. soweit die Abwägung der Interessen des Arbeitslosen und derjenigen der Gesamtheit der Beitragszahler eine arbeitsförderungsrechtliche Zumutbarkeit und Verweisbarkeit des Arbeitslosen im Umfang der unterhaltsrechtlichen Zumutbarkeit erlaubt.
Die Schlechterstellung Arbeitsloser mit Verwandten 1. Grades kann auch nicht als Härte oder Ungerechtigkeit im Einzelfall angesehen werden, wie sie bei typisierenden Regelungen hinzunehmen sind. Dies kommt nur in Betracht, wenn lediglich eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen in dieser Weise betroffen und die Härte nicht zu groß wäre (BVerfGE 26, 265 ff., 275 f.). Mit der Unterstellung eines realisierbaren Unterhaltsanspruchs bei volljährigen Arbeitslosen mit (unterhaltsfähigen) Verwandten 1. Grades würde jedoch die Ausnahme zum Typischen erhoben. Ein Unterhaltsanspruch volljähriger Arbeitsloser gegen ihre Eltern oder Kinder ist aufgrund der weitgehenden unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheiten die Ausnahme.
Die unterlassenen Handlungen im Sinne von § 137 Abs. 1 a AFG müssen demnach bei verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift sowohl kausal für das Nichtbestehen des vorrangigen Anspruchs als auch arbeitsförderungsrechtlich zumutbar sein.
Im Grunde geht auch die Beklagte von dem Erfordernis der Kausalität des Unterlassens aus, da sie die Leistungsfähigkeit der potentiell unterhaltspflichtigen Mutter der Klägerin prüft und einen fiktiven Unterhaltsanspruch nur insoweit anrechnet, als dieser leistungsfähig ist. Das Erfordernis der Kausalität des Unterlassens für den fehlenden Unterhaltsanspruch bezieht sich aber nach Wortlaut und Zweck der Regelung auf alle Tatbestandsvoraussetzungen dieses Anspruchs, d.h. auch auf die Bedürftigkeit des Unterhaltsbegehrenden, insbesondere auf dessen Unvermögen, seinen Lebensunterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst bestreiten zu können.
Der Senat verkennt nicht, daß das Erfordernis der Kausalität der Unterlassung unter Berücksichtigung der hohen unterhaltsrechtlichen Anforderungen an die Eigeninitiative des Arbeitslosen zur Erlangung einer wie auch immer gearteten Erwerbstätigkeit dem eigenständigen Regelungsbereich dieser Tatbestandsalternative des § 137 Abs. 1 a AFG im Hinblick auf Unterhaltsansprüche enge Grenzen zieht. Existieren nämlich offene unterhaltsrechtlich zumutbare Arbeitsplätze für den Arbeitslosen, so kann dieser einen Unterhaltsanspruch in der Regel nicht herbeiführen: Er ist nicht unterhaltsberechtigt, wenn er sich mit der erforderlichen Intensität um Beschäftigungen jedweder Art bemüht und eine solche Beschäftigung aufnimmt, oder er gilt als nicht unterhaltsbedürftig, insbesondere wenn er diesen Erwerbsobliegenheiten nicht nachkommt (so bereits BSG Urteil vom 7. September 1988 a.a.O.). Ähnlich ist es umgekehrt, wenn offene unterhaltsrechtlich zumutbare Arbeitsplätze für den Arbeitslosen nicht existieren und der gesamte Arbeitsmarkt für den Arbeitslosen verschlossen ist. In diesem Fall bedarf es der Fingierung eines Unterhaltsanspruchs nicht, denn ein solcher besteht unabhängig davon, daß sich der Arbeitslose erfolglos in der erforderlichen Intensität und Breite um eine Beschäftigung oder Tätigkeit bemüht. Das Unterlassen solcher Bemühungen ist in diesem Falle nicht ursächlich für die Arbeitslosigkeit und den Unterhaltsanspruch (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Mai 1985, FamRZ 1985, S. 1045 f., das hierzu auch die Beweiserleichterung des § 287 Abs. 2 Zivilprozeßordnung (ZPO) heranzieht). Damit entfallen jedoch ein eigenständiger Regelungsbereich und eine praktische Relevanz dieser Vorschrift auch für Unterhaltsansprüche nicht gänzlich, denn die oben genannten Schlußfolgerungen sind in zeitlicher Hinsicht nicht unbedingt sofort festzustellen bzw. treten unterhaltsrechtlich nicht sofort ein. Des weiteren könnte diese Vorschrift auch dann praktisch werden, wenn ungelernte oder im Sinne der Zumutbarkeitsvorschriften "abgestufte” Arbeitslose die unterhaltsrechtlich erforderlichen Eigenbemühungen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes unterlassen. Diese Frage kann jedoch hier dahingestellt bleiben.
Im vorliegenden Fall ist die Ursächlichkeit der von der Klägerin unterlassenen, unterhaltsrechtlich jedoch geforderten Erwerbsobliegenheiten für den nichtbestehenden Unterhaltsanspruch weder dargelegt, noch ersichtlich. Diese waren ihr arbeitsförderungsrechtlich – wie bereits ausgeführt – auch nicht in vollem Umfang zumutbar. Die heute 49 Jahre alte Klägerin, die seit November 1983 durchgehend Alhi bezieht, konnte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch eine Vielzahl ungelernter Beschäftigungen verrichten und es ist nicht ersichtlich, daß sie keine solche Beschäftigung hätte aufnehmen können. Für Arbeitslose, deren Chancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt insbesondere nach Alter und Gesundheitszustand nicht wesentlich eingeschränkt sind, besteht die Vermutung, daß sie sich durch eigene Tätigkeiten selbst unterhalten können. Der gegenteilige Schluß, daß die Klägerin außerstande war, sich selbst zu unterhalten, weil es ihr (ggf. zeitlich begrenzt) nicht möglich war, eine Beschäftigung irgendwelcher Art zu erlangen, könnte allenfalls dann gezogen werden, wenn die Vermittlungsbemühungen der Beklagten sich auf alle Beschäftigungen bezogen hätten, die der Klägerin unterhaltsrechtlich zugemutet werden (so bereits BSG Urt. vom 13. Juli 1985, 7 RAr 93/84, SozR 4100 § 128 Nr. 12 = BSGE 58, 165). Solche zum Nachweis des (ggfs. zeitlich begrenzten) Unvermögens der Klägerin zur Erlangung einer Beschäftigung jedweder Art erforderlichen Vermittlungsbemühungen der Beklagten sind in der (unterhaltsrechtlich) erforderlichen Breite während des streitbefangenen Zeitraums nicht vorgenommen worden.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen, ohne daß es weiterer Ermittlungen und Ausführungen zu der Erwerbslosigkeit des gegenüber der Mutter der Klägerin vorrangig unterhaltspflichtigen Ehemannes der Klägerin (§ 1608 SGB) oder zur Gebrechlichkeit und damit zur Leistungsfähigkeit der 81-jährigen Mutter der Klägerin im Sinne des Unterhaltsrechts bedurfte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 160 Abs. 2 Satz 1 SGG.
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