L 12 J 521/89

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 1 J 613/88
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 12 J 521/89
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1) Zeiten der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung können zugunsten der Großmutter des Kindes nur berücksichtigt werden, wenn ein Pflegekindverhältnis bestanden hat, das Kind also mit Wissen und Wollen der leiblichen Mutter aus deren Fürsorge und Obhut ausgeschieden ist.
2) Die von der Mutter in bezug auf Erziehung und Sorge um das Wohl des Kindes ausgehenden Impulse hängen regelmäßig auch dann nicht von der Dauer des Aufenthalts im Haushalt der Mutter ab, wenn die Großmutter dem Kind entscheidende erzieherische Bemühungen zukommen läßt.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. März 1989 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob Zeiten der Kindererziehung bei dem Altersruhegeld der Klägerin als Großmutter der Kinder zu berücksichtigen sind.

Der 1923 geborenen Klägerin gewährt die Beklagte durch Bescheid vom 14. November 1984 vorgezogenes Altersruhegeld seit 1. Januar 1985.

Am 13. Januar 1988 stellte sie einen Antrag auf Neufeststellung des Altersruhegeldes unter Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten. Sie fügte eine Erklärung der Tochter, , vom 15. Januar 1988 bei, daß diese auf das "Kindergeld” zugunsten der Klägerin verzichte, weil sie aus familiären Gründen gezwungen gewesen sei, weiter berufstätig zu sein. Die Klägerin habe die Kinder und voll in ihren Haushalt aufgenommen.

Die Klägerin und ihre Tochter, die bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) versichert ist, haben gemeinsam am 13. Januar 1988 eine Erklärung nach § 28 a Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) über die überwiegende Erziehung der Kinder abgegeben. Gleichzeitig stellte die Klägerin noch einen Formularantrag auf Feststellung von Zeiten der Kindererziehung der Kinder , geb. am 1960 (Beginn der Erziehung am 15. März 1961, Ende der Erziehung am 30. April 1964) und der , geb. am 1968 (Beginn der Erziehung am 15. Juni 1968, Ende am 1. November 1974).

Die Klägerin legte im übrigen noch eine Bescheinigung der Gemeinde vom 16. März 1988 über den Wohnsitz der Kinder vor. Schließlich kam eine schriftliche Erklärung des Bürgermeisters , vom 30. März 1988 zu der Rentenakte, wonach die Tochter der Klägerin im Obergeschoß des Hauses gewohnt habe, und die Kinder im Erdgeschoß des Hauses bei der Klägerin ihr Zimmer gehabt und von dieser betreut worden seien.

Mit Bescheid vom 25. Mai 1988 stellte die Beklagte das Altersruhegeld der Klägerin unter Berücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung neu fest. Die Zeit vom 1. Februar 1942 bis 31. Januar 1943 erkannte sie als Versicherungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Erziehung der Tochter an. Für die Enkelkinder dagegen lehnte die Beklagte die Anerkennung als Versicherungszeit ab, da die Mutter der Kinder mit im Hause gewohnt und die Kinder mit erzogen habe.

Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 31. Mai 1988 vor dem Sozialgericht Kassel (SG) Klage erhoben.

Zu der Streitakte kam ein Bescheid der BfA vom 8. April 1988, gerichtet an , wonach Zeiten der Kindererziehung für und abgelehnt wurden, da eine andere Person die Kinder überwiegend erzogen habe. Für die Tochter erkannte die Beklagte eine Versicherungszeit vom 1. Oktober 1963 bis 30. September 1964 als Zeit der Kindererziehung an.

Mit Urteil vom 23. März 1989 hat das SG die Beklagte in Abänderung des Bescheides vom 25. Mai 1988 verurteilt, das Altersruhegeld der Klägerin unter Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten auch für die beiden Enkelkinder und neu festzustellen. In den Entscheidungsgründen hat das SG ausgeführt, der Anspruch sei nach § 1251 Abs. 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) i.V.m. § 1227 a Abs. 3 RVO begründet. Es habe ein Pflegekindverhältnis im Sinne des § 56 Abs. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch, 1. Buch (SGB 1) zur Klägerin bestanden. Mutter und Tochter hätten zwar im gleichen Haus gelebt, nicht aber im selben Geschoß. Die Klägerin habe in der mündlichen Verhandlung glaubhaft erklärt, die Kinderbetten hätten in ihrem Schlafzimmer gestanden, und die Kinder seien Tag und Nacht von ihr betreut worden. § 1227 a Abs. 3 RVO treffe eine Regelung auch für den Fall der überwiegenden Erziehung im Gegensatz zu § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG). Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt.

Gegen dieses der Beklagten durch Empfangsbekenntnis am 18. April 1989 zugestellte Urteil hat sie bei dem Hessischen Landessozialgericht am 2. Mai 1989 Berufung eingelegt.

Der Senat hat durch Beschluss vom 8. August 1989 die BfA sowie gemäß § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Verfahren beigeladen.

Vor dem Berichterstatter sind die Klägerin und die Beigeladene zu 2. persönlich zu dem Sachverhalt gehört und als Zeuge ist der Bürgermeister vernommen worden. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Die Akte der Beigeladenen zu 1. ist beigezogen worden. In der mündlichen Verhandlung ist die Beigeladene zu 2. erneut persönlich gehört worden.

Zur Begründung der Berufung bringt die Beklagte vor, die Erklärung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem SG sei nicht protokolliert worden und hätte daher nicht verwertet werden dürfen. Im übrigen seien aber auch die Voraussetzungen für die Kindererziehung bei der Klägerin nicht erfüllt. Die Kinder hätten tatsächlich mit der Klägerin und der Mutter zusammengelebt. Die Familiengemeinschaft zwischen Kind und Mutter sei vorrangig gegenüber der Gemeinschaft mit der Großmutter. Die Enkelkinder müßten mit Wissen und Wollen der leiblichen Eltern aus deren Obhut und Fürsorge ausgeschieden und in die Fürsorge und den Haushalt der Pflegeeltern übergetreten sein. Nur dann könne von einem Pflegekindverhältnis im Sinne des Gesetzes gesprochen werden. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben, da die Mutter die Kinder nach der Geburt erst selbst erzogen habe und dann alle im gleichen Haus gewohnt hätten. Die persönliche Anhörung habe die Rechtsauffassung der Beklagten bestätigt. Schließlich sei der Tenor des erstinstanzlichen Urteils unvollständig bzw. unbestimmt.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 23. März 1989 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die Beigeladene zu 1. schließt sich dem Antrag der Beklagten an.

Die Beigeladene zu 2. schließt sich dem Antrag der Klägerin an.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und des weiteren Akteninhalts wird auf die Streitakte, die Rentenakte der Beklagten sowie auf die beigezogene Akte der Beigeladenen zu 1., auszugsweise Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 153 Abs. 1 SGG) und statthaft (§ 143 SGG).

Die Berufung ist begründet. Das auf die zulässige Klage ergangene sozialgerichtliche Urteil war aufzuheben, denn die Beklagte hat zu Recht mit Bescheid vom 25. Mai 1988 die Berücksichtigung von Zeiten der Kindererziehung bei dem Altersruhegeld der Klägerin für deren Enkelkinder und abgelehnt. Zugunsten Klägerin besteht kein Anspruch auf Berücksichtigung dieser Zeiten nach §§ 1251 a Abs. 1 Satz 1, 1251 a Abs. 3 Satz 1, 1227 a Abs. 3 Satz 1 RVO, denn sie hat die beiden Kinder in den ersten zwölf Kalendermonaten nach Ablauf des Monats der Geburt nicht als Pflegemutter erzogen.

Mütter und Väter im Sinne des § 1251 a Abs. 1 Satz 1 RVO sind nach der Verweisung des § 1251 a Abs. 3 Satz 1 RVO auf §§ 1227 a Abs. 3 RVO und 56 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 SGB 1 u.a. auch Pflegemütter und Pflegeväter. Die Klägerin ist aber aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens unter Berücksichtigung der persönlichen Anhörung von ihr selbst, der Beigeladenen zu 2. und der Vernehmung des Zeugen keine Pflegemutter im Sinne des Gesetzes. Die Voraussetzungen hierfür sind nicht zumindest glaubhaft gemacht (vgl. zu dieser Beweiserleichterung § 1251 a Abs. 3 Satz 2 RVO), d.h. es sprechen nicht mehr Gründe für als gegen ein Pflegekindverhältnis.

Pflegeeltern sind nach § 56 Abs. 3 Nr. 3 SGB 1 Personen, die den Berechtigten (im vorliegenden Zusammenhang die beiden Kinder und ) als Pflegekind aufgenommen haben.

Eine Legaldefinition des Pflegekindverhältnisses findet sich im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) nicht, wohl aber im Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG). Nach § 27 Abs. 1 JWG sind Pflegekinder Minderjährige unter 16 Jahren, die sich dauernd oder nur für einen Teil des Tages, jedoch regelmäßig, außerhalb des Elternhauses in Familienpflege befinden. Keine Pflegekinder sind gemäß § 27 Abs. 2 Nr. 2 JWG Minderjährige, die sich bei Verwandten oder Verschwägerten bis zum dritten Grad befinden, es sei denn, daß diese Personen Minderjährige gewerbsmäßig oder gewohnheitsmäßig in Pflege nehmen. Diese Voraussetzungen des § 27 Abs. 2 Nr. 2 JWG liegen zwar vor, jedoch kann die Vorschrift nach Sinn und Zweck der Regelungen des JWG über Pflegekinder nicht zur Auslegung des Begriffs der Pflegeeltern oder der Pflegekinder nach § 56 Abs. 3 Nr. 2 SGB 1 herangezogen werden, denn das JWG beabsichtigt den Schutz von Pflegekindern und ordnet hierfür die Notwendigkeit einer Pflegeerlaubnis des Jugendamtes an (§ 28 JWG). § 29 JWG regelt die Voraussetzungen für deren Erteilung. Verwandte benötigen diese Erlaubnis grundsätzlich nicht. § 27 JWG enthält keine Legaldefinition des Pflegekindes, die für alle Rechtsgebiete einheitlich gilt.

Vielmehr ist eine Auslegung dieses Rechtsbegriffes nach Bedeutung und systematischer Stellung im jeweiligen Sinnzusammenhang des Gesetzes vorzunehmen. Hierbei ist zum einen § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB 1 zu beachten, der Pflegekinder als Personen bezeichnet, die mit dem Berechtigten durch ein auf längere Dauer angelegtes Pflegeverhältnis mit häuslicher Gemeinschaft so verbunden sind wie Kinder mit Eltern. Die Kindererziehungszeiten sollen zum anderen nur demjenigen zugute kommen, der die Kinder tatsächlich (überwiegend) erzogen hat. Dies gilt nach dem Willen des Gesetzgebers allerdings nur dann, wenn zugleich ein Pflegekindverhältnis vorliegt. Die Verweisung auf § 56 Abs. 3 Nr. 3 SGB 1 macht dies deutlich.

Mutter und Vater wird nach § 1251 a Abs. 2 Satz 1 RVO ein Wahlrecht hinsichtlich der Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten eingeräumt. Dieses Wahlrecht besteht nicht im Verhältnis von Pflegeeltern zueinander oder im Verhältnis Pflegeeltern/leiblichen Eltern/Stiefeltern. § 1251 a Abs. 3 RVO verweist nicht auf § 1251 a Abs. 2 RVO oder auf § 1227 a Abs. 2 RVO, sondern nur auf § 1227 a Abs. 3 RVO. Nach § 1227 a Abs. 3 Satz 2 RVO ist, sofern mehrere Personen ein Kind erziehen und soweit sich aus Abs. 2 der Vorschrift nichts anderes ergibt, der Elternteil versichert, der das Kind überwiegend erzieht. Diese Regelung gilt nicht nur im Verhältnis von Elternteilen im Sinne des § 1227 a Abs. 3 Satz 1 RVO zueinander, sondern z.B. auch im Verhältnis von leiblicher Mutter/Stiefvater oder leiblicher Mutter/Pflegemutter/Pflegevater. Dies ergibt sich aus der einschränkenden Verweisung auf Abs. 2 und der Gleichstellung von Stiefelternteilen mit Pflegeelternteilen. Für den wichtigen Fall der Erziehung eines Kindes durch den leiblichen Elternteil und den Stiefelternteil gemeinsam, hat der Gesetzgeber keine andere Regelung getroffen als für den Fall der Erziehung durch leibliche Eltern und Pflegeeltern. Hätte der Gesetzgeber etwas anderes gewollt, hätte er eine weitere Ausnahmeregelung in § 1227 a Abs. 2 RVO aufnehmen müssen.

Im vorliegenden Fall kann jedoch dahinstehen, ob die Klägerin die beiden Kinder der Beigeladenen zu 2. überwiegend erzogen hat, denn ein Pflegekindverhältnis bestand jedenfalls nicht. Das Pflegeverhältnis beinhaltet die erforderlichen Erziehungsleistungen und setzt darüber hinaus elternähnliche Aufsichts- und Betreuungsleistungen voraus. Nicht erforderlich ist dagegen eine erhebliche Beteiligung an den Kosten des Unterhalts für die Kinder (vgl. Jahn, SGB für die Praxis, § 56 SGB 1 Rdnr. 9, 23. Erg.-Lieferung Dezember 1985). Es kommt also nicht alleine auf eine räumliche Aufnahme des Kindes in den Haushalt der nicht leiblichen Eltern an. Durch die Verwendung des Begriffs "mit häuslicher Gemeinschaft” in § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB 1 wird dies deutlich. Die Auslegung alleine nach räumlichen Gegebenheiten gilt im übrigen auch nicht für § 1262 Abs. 2 RVO, nach dem die Kinder in den Haushalt des Rentenberechtigten aufgenommen sein müssen. Unter Haushaltsaufnahme ist auch dort mehr zu verstehen als eine Wohngemeinschaft. Es wurde stets ein Vergleich mit der Kindergeldgesetzgebung hergestellt. Der Gesetzgeber des SGB 1 hat die von der Rechtsprechung des BSG aufgestellten Auslegungskriterien in § 56 Abs. 2 Nr. 2 SGB 1 übernommen. Im Kindergeldrecht wurde ein auf längere Dauer gerichtetes Betreuungs- und Erziehungsverhältnis familienähnlicher Art, die Aufnahme in die Familiengemeinschaft, ein elternähnliches, auf Dauer berechnetes Band gefordert (vgl. Urteil des BSG vom 19. Oktober 1977 – 4 RJ 57/65 in SozR 2200 § 1262 RVO Nr. 11 m.w.N.). Nachdem das Zweite Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BKGG vom 16. Dezember 1970 (BGBl. I, 1725) durch Art. 1 Nr. 1 Buchst. b die Voraussetzungen des nicht erheblichen Beitrags zu den Kosten des Unterhalts gestrichen hat, kommt es auf eine Unterhaltserfordernis im Rahmen eines Pflegeverhältnisses nicht an (BSG a.a.O.). Die Befugnis und Verpflichtung zur Aufsicht und Erziehung ist jedoch in jedem Falle unverzichtbar. Das Erziehungs- und Aufsichtsrecht über die Kinder muß auch aufgrund eigenen Rechts ausgeübt werden. Die Ausübung muß schließlich ständig erfolgen. Maßgeblich ist hierbei eine natürliche Betrachtungsweise des Pflegekindschaftsverhältnisses. Zu entscheiden ist, welchem Teil der Erziehungsberechtigten der Vorrang einzuräumen ist. Das Kind muß tatsächlich mit Wissen und Wollen seiner leiblichen Eltern aus deren Obhut und Fürsorge ausscheiden und in die – alleinige – Fürsorge und den Haushalt der Pflegeeltern übertreten (Kommentar zur RVO, 4. und 5. Buch, Band I, herausgegeben vom Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, § 1227 a RVO Rdnr. 21 m.w.N.). Das Kind muß sich aus dem Haushalt der leiblichen Eltern gelöst haben und in den Haushalt der Pflegeeltern überführt worden sein (vgl. Urteil des BSG vom 25. April 1963 – 4 RJ 341/61).

Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Klägerin hat zwar die beiden Kinder der Beigeladenen zu 2. tagsüber beaufsichtigt und das Erziehungs- und Aufsichtsrecht über sie ausgeübt. Auch nachts schliefen die beiden Kinder im Schlafzimmer der Klägerin. Diese Rechte hat die Klägerin aber nicht aufgrund eigenen Rechts ausgeübt, sondern nur und soweit, als die Beigeladene zu 2. sie übertragen hat und übertragen konnte. Das Sorgerecht und die Sorgepflicht hat die Mutter aus eigenem Recht unverzichtbar und vorrangig vor anderen. Übt die Kindesmutter ihr Sorgerecht nicht aus, so tritt an ihre Stelle ein Vormund. Die Klägerin konnte somit auch nicht unter Berufung auf ihre elterliche Gewalt über die Beigeladene zu 2. sich in die Erziehung der Enkelkinder einmischen und Weisungen erteilen. Die Beigeladene zu 2. konnte das ihr zustehende Sorgerecht nach wie vor ausüben und hat dies auch tatsächlich getan. Nach den Feststellungen des Senats aufgrund der persönlichen Anhörung der Klägerin, der Beigeladenen zu 2. und der Vernehmung des Zeugen konnte die Mutter der Kinder diese täglich sehen und ihr Sorgerecht ausüben. Sie hat dargelegt, daß sie die Kinder auch jeden Abend, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, sah, mit ihnen spielte und sie auf den Arm nahm. Am Wochenende waren die Kinder ebenfalls mit ihrer Mutter zusammen, nur schliefen sie nachts bei der Klägerin. Sie fuhr die Kinder aus, besuchte Verwandte, z.B. die anderen Großeltern in , ging im Haus nach unten, sah nach ihnen, gab ihnen die Flasche und legte sie – wie es sich ergab – trocken. Über Krankheiten, Arztbesuche und den Gesundheitszustand der Kinder wurde die Beigeladene zu 2. stets informiert. Zwar haben Klägerin, Beigeladene zu 2. und die Kinder nicht in einer gemeinsamen Wohnung gelebt. Dies ist jedoch hier nicht entscheidend. Maßgeblich ist vielmehr, daß beide in einem Zweifamilienhaus unter einem Dach zusammenlebten und ein ständiger Kontakt möglich war. Jede andere Annahme würde einer natürlichen Betrachtungsweise widersprechen. Die arbeitsbedingte Abwesenheit der Mutter tagsüber kann deshalb nicht entscheidend ins Gewicht fallen, weil sonst die Mutter auch bei einer Unterbringung der Kinder in einem Kinderhort das Familienband aufgeben würde, was offensichtlich nicht der Fall ist. Eine enge Auslegung des Begriffs des Pflegekindes ist gerechtfertigt. Auch wenn zwei Haushalte geführt worden sind, läßt sich doch das primäre Erziehungs- und Fürsorgerecht der Mutter gegenüber den Kindern nicht wegdenken. Bei einem so engen räumlichen Zusammenleben muß das nähere Familienverhältnis der Mutter vorgehen, denn das Familienband des Kindes mit der Mutter ist enger und näher als das mit den Großeltern. Dies gilt selbst dann, wenn das Kind als leibliches Kind der Mutter und Pflegekind als den Großeltern in gleicher Weise zugehörig betrachtet wird (vgl. Urteil des BSG vom 25. April 1963 a.a.O. und auch Urteil vom 30. Juni 1966 – 12 RJ 116/66 sowie Urteil vom 11. Juli 1972 – 5 RJ 392/71).

Die häusliche Gemeinschaft verlangt eine gewisse Dauer und Beständigkeit. Die von den Eltern in bezug auf die Erziehung und die Sorge um das Wohl des Kindes ausgehenden Impulse sind grundsätzlich nicht von der Dauer des Aufenthalts im elterlichen Haushalt abhängig. Die elterlichen Impulse können im Einzelfall so stark sein, daß die zeitlich längeren Aufenthalte des Kindes bei Großeltern während der Werktage nur das Gepräge einer "Verwahrung” haben, die die Großeltern im Auftrage berufstätiger Eltern übernommen haben. Auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, und die Großeltern einem Kind ebenfalls entscheidende erzieherische und fürsorgerische Bemühungen zukommen lassen, kann nicht davon ausgegangen werden, daß sich diese auf das Wohl des Kindes gewichtiger und nachhaltiger auswirken als die entsprechenden Anstrengungen der leiblichen Eltern. Vielmehr sind es in der Lebenswirklichkeit regelmäßig die Eltern bzw. hier die Mutter, die in bezug auf die Sorge und das Wohl des Kindes die entscheidenden Einflüsse ausüben/ausübt. Der Senat verkennt nicht das Lebensalter, in dem sich die Kinder damals befanden. Gerade dieser Gesichtspunkt stützt jedoch die hier vertretene Rechtsauffassung. Die Beaufsichtigung und Pflege der Kinder, die in den ersten Lebensjahren eine wichtige Rolle spielt, stand hier im Vordergrund. Die erzieherischen Aufgaben haben zwar auch in diesem Lebensalter eine große Bedeutung, stellen sich aber anders dar als bei älteren Kindern oder Jugendlichen. Zuwendung, Beschäftigung, Ansprache und Fürsorge stehen im Vordergrund, nicht die Praktizierung eines bestimmten vom Vorverständnis her geprägten Erziehungsstils. Hierzu war die Beigeladene zu 2. in ihrer Freizeit in der Lage, sie bediente sich für die übrige Zeit bei der Ausübung ihrer Personensorge nur der Hilfe der Klägerin. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn feststünde, daß sich die Beigeladene zu 2. weder werktagsabends noch am Wochenende um ihre Kinder gekümmert hätte, diese ihr völlig gleichgültig gewesen wären, und sie keinerlei Zeit und Interesse für erzieherische Aufgaben gehabt hätte. Hierfür besteht jedoch nach dem Ergebnis des Verfahrens unter Berücksichtigung der Anhörung von Klägerin und Beigeladener zu 2. kein Anhaltspunkt. Aufgrund der mündlichen Verhandlung ist der Senat insbesondere davon überzeugt, daß die Beigeladene zu 2. an den Wochenenden die erforderliche Zeit aufwandte, um sich ihren Kindern dem Lebensalter entsprechend zu widmen, und diese nicht nur ganz kurz besuchsweise sah (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 11. Juli 1972 – 5 RJ 392/71).

Die Angaben der Klägerin und der Beigeladenen zu 2. sowie die Aussage des Zeugen sind glaubhaft. Sie stehen mit der weitaus überwiegenden Lebenswirklichkeit im Einklang und erfolgten widerspruchsfrei. An der Glaubwürdigkeit des Zeugen bestehen keine Zweifel. Er ist zwar der Cousin der Klägerin, hat jedoch am Ausgang des Rechtsstreits kein eigenes Interesse. Soweit der Zeuge bekundete, er wisse nicht mehr genau, ob und in welchem Umfang die Mutter abends und am Wochenende die Kinder gesehen und versorgt habe, schließt dies die Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit nicht aus. Die Vorgänge liegen über zwei Jahrzehnte zurück. Der Zeuge wohnte zwar nur ungefähr 100 m von dem Haus der Klägerin entfernt, kannte die persönlichen und örtlichen Verhältnisse jedoch nur von Besuchen her.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. In Anbetracht des Verwandtschaftsverhältnisses zwischen Klägerin und Beigeladener zu 2. hat der Senat davon abgesehen, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. aufzuerlegen.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht erfüllt sind.
Rechtskraft
Aus
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