Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 5 Ar 240/88
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 Ar 698/89
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. April 1989 wird zurückgewiesen.
II. Der Bescheid vom 8. November 1989 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger auch in der Zeit vom 8. September 1989 bis zum 31. Mai 1990 Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung von Unterhaltsansprüchen zu gewähren.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger in der Zeit vom 22. Februar 1989 bis zum 11. März 1989 sowie ab dem 8. September 1989 bis zum 31. Mai 1990 Arbeitslosenhilfe zusteht. Umstritten ist dabei, ob mögliche Unterhaltsansprüche des Klägers gegen seinen Vater der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe entgegenstehen.
Der Kläger ist 1957 geboren. Er lebt mit Frau in einer eheähnlichen Gemeinschaft. Der Kläger und Frau haben ein gemeinsames Kind, das 1984 geboren wurde. Dem Haushalt des Klägers gehört ein weiteres minderjähriges Kind von an.
Der Kläger ist von Beruf Kraftfahrer mit Führerschein Klasse 2. Im Verlauf seiner Tätigkeit war der Kläger auch im grenzüberschreitenden Fernlastverkehr eingesetzt.
Der Vater des Klägers ist niedergelassener Zahnarzt. Den elterlichen Haushalt hat der Kläger mit 18 Jahren verlassen. Nach Führung eines Unterhaltsrechtsstreits gegen seinen Vater im Jahre 1975 kam erstmals 1987 wieder ein Kontakt zwischen dem Kläger und seinem Vater zustande. Seither fanden zwei weitere Begegnungen statt.
Im Zusammenhang mit einer von der Beklagten gegenüber dem Vater des Klägers vorgenommenen Anfrage erklärte dieser mit Schreiben vom 29. Dezember 1985, er würde den Kläger gerne wieder bei sich aufnehmen, ihm einen Wohnraum zur Verfügung stellen und ihm anbieten, bei ihm zu essen und ihn zu kleiden sowie ihn im Haushalt und im Labor seiner Praxis zu beschäftigen. Mit Schreiben vom 7. Februar 1988 wurde dieses Angebot gegenüber dem Arbeitsamt wiederholt. Der Kläger lehnte dieses Angebot unter Hinweis auf die im Verhältnis zu seinem Vater eingetretene Zerrüttung der beiderseitigen Beziehungen sowie im Hinblick auf seine eigenen familiären Verhältnisse ab.
Zwischen Februar 1979 und März 1987 übte der Kläger mit Unterbrechungen Versicherungspflichtige Beschäftigungen als Fernfahrer aus. Am 1. April 1987 meldete er sich arbeitslos. In der Folgezeit bezog er bis zur Anspruchserschöpfung am 28. November 1987 Arbeitslosengeld nach einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von zuletzt 600,– DM. Bei der Vermittlung des zuständigen Arbeitsamtes wurde der Kläger während seiner Arbeitslosigkeit als Kraftfahrer geführt. Bezogen auf diese Berufstätigkeit beschränkte sich nach seinen Angaben auch die eigene Stellensuche. Um andere Arbeiten, insbesondere um die Übernahme von Hilfsarbeiten, bemühte sich der Kläger nicht.
Der Antrag des Klägers auf Anschlußarbeitslosenhilfe wurde durch Bescheid vom 17. Februar 1988 mit der Begründung abgelehnt, der Kläger sei in der Lage, seinen Lebensunterhalt auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe sicherzustellen, so daß Bedürftigkeit nicht vorliege, denn sein Vater habe gegenüber dem Arbeitsamt erklärt, daß er den Kläger in vollem Umfang unterhalten wolle. Die zugesagten Unterhaltsleistungen schlössen den Wohnraum, das Essen und die Kleidung sowie einen Arbeitsplatz in seiner Praxis ein.
Ab dem 13. März 1989 bis zum 31. August 1989 war der Kläger erneut als Kraftfahrer beschäftigt. Sein Antrag auf Arbeitslosenhilfe vom 8. September 1989 wurde von der Beklagten mit derselben Begründung – und nunmehr unter Berufung auf § 137 Abs. 1 a AFG i.d.F. vom 30. Juni 1989 (BGBl. 1, S. 1288) – durch Bescheid vom 8. November 1989 gleichfalls abgelehnt. Seit dem 1. Juni 1990 steht der Kläger erneut in einem Beschäftigungsverhältnis als Lkw-Fahrer.
In dem gegen den Bescheid vom 17. Februar 1988 eingelegten Widerspruch erklärte der Kläger, die von seinem Vater angebotene Unterhaltsleistung in Form von Wohnraum, Essen, Kleidung sowie einem Arbeitsplatz in seiner Praxis könne er nicht in Anspruch nehmen, da dies das Wohl seiner Familie gefährden würde. Es sei ihm nicht zuzumuten, seine mühselig aufgebaute Existenz aufzugeben und sich als Hilfsarbeiter bei seinem Vater beschäftigen zu lassen. Ihm stehe deshalb die beantragte Arbeitslosenhilfe zu.
Durch Widerspruchsbescheid vom 30. März 1988 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.
Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Marburg nach Einvernahme des Vaters des Klägers als Zeuge durch Urteil vom 19. April 1989 den Bescheid vom 17. Februar 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1988 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 30. November 1987 bis zum 19. Dezember 1988 und für die Zeit vom 22. Februar 1989 bis zum 11. März 1989 Arbeitslosenhilfe in gesetzlichem Umfang ohne Anrechnung von Einkommen seines Vaters zu gewähren. Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe in den streitbefangenen Zeiträumen ohne Anrechnung von Einkommen seines Vaters Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe, da ihm ein Unterhaltsanspruch gegenüber seinem Vater nicht zugestanden habe und die Bedürftigkeit auch nicht durch die Nichtwahrnehmung des von seinem Vater gemachten Arbeitsangebots einschließlich freier Wohnung, Verpflegung und Bekleidung entfallen sei. Denn der Kläger sei den nach zivilrechtlichen Grundsätzen für das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs vorausgesetzten unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten in den hier streitigen Zeiträumen nicht in ausreichendem Maße nachgekommen, da er sich ohne Einschaltung des Arbeitsamtes lediglich um Anstellungen als Kraftfahrer, also um Arbeitsstellen im zuletzt ausgeübten Beruf beworben habe und auch zur Aufrechterhaltung bzw. Entstehung eines Unterhaltsanspruchs gegenüber seinem Vater nicht bereit gewesen sei, eine Beschäftigung als Hilfsarbeiter zu suchen. Zum Entstehen eines zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs hätte sich der Kläger regelmäßig und intensiv um jedwede seiner körperlichen Leistungsfähigkeit entsprechende Arbeit bemühen müssen, wobei ihm nach zivilrechtlichen Grundsätzen auch einfachste Hilfsarbeiten zumutbar gewesen wären. Solche Stellen seien auf dem für den Kläger in Betracht kommenden Arbeitsmarkt auch vorhanden gewesen. Auch das Angebot seines Vaters, den Kläger wieder in sein Haus aufzunehmen, ihn zu kleiden, zu verpflegen und ihn in seiner Zahnarztpraxis im Rahmen der dort anfallenden Hilfsarbeiten anzustellen, schließe die Bedürftigkeit im Rahmen des § 138 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) i.V.m. § 10 Nr. 1 der Arbeitslosenhilfeverordnung (AlhiVO) nicht aus. Denn das Angebot seines Vaters, in dessen Zahnarztpraxis ein Beschäftigungsverhältnis aufzunehmen, sei dem Kläger nicht zumutbar gewesen. Hierbei sei zu berücksichtigen, daß der Kläger bereits kurz nach Vollendung seines 18. Jahres zu Hause ausgezogen sei, nachdem er sich mit seinem Vater nicht mehr verstanden habe und er ihn anschließend sogar auf Unterhalt habe verklagen müssen. Überdies sei über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren jeglicher persönlicher Kontakt abgebrochen gewesen. Trotz der nachfolgenden zwei Besuche sei das Verhältnis zerrüttet geblieben, so daß letztlich davon auszugehen sei, daß das Angebot des Zeugen lediglich darauf abgezielt habe, den Kläger wieder enger an sich zu binden, ohne daß jedoch bereits wieder ein persönliches Verhältnis irgendwelcher Art zwischen dem Kläger und seinem Vater aufgebaut worden sei. Die Unzumutbarkeit der Annahme dieses Angebots zur Gewährung von Naturalunterhalt ergebe sich im übrigen auch daraus, daß dieses Angebot von der Aufnahme einer Arbeitstätigkeit im Hause seines Vaters abhängig gewesen wäre. Aus § 10 AlhiVO sei auch kein fiktiver Unterhaltsanspruch, der die Bedürftigkeit entfallen lassen könnte, herzuleiten, da die dort niedergelegte Verpflichtung, jede zumutbare Möglichkeit zu nutzen, einen Unterhaltsanspruch herbeizuführen, jedenfalls dann, wenn nach dem Unterhaltsrecht zumutbare offene Arbeitsplätze wie vorliegend vorhanden seien, eine Verneinung der Bedürftigkeit in Höhe eines fiktiven Unterhaltsanspruchs nicht rechtfertigen könne. Dies folge bereits daraus, daß der Arbeitslose beim Vorhandensein entsprechender Arbeitsplätze einen Unterhaltsanspruch nicht herbeiführen könne. Würde er eine solche Arbeit aufnehmen, so wäre er tatsächlich nicht mehr unterhaltsbedürftig; würde er die Arbeitsaufnahme verweigern, so würde er als nicht unterhaltsbedürftig gelten (Hinweis auf BSG Urteil vom 7. September 1988 – 11 RAr 25/88). Auch die am 30. Dezember 1988 in Kraft getretene Änderung der Arbeitslosenhilfe-Verordnung führe zu keinem anderen Ergebnis. Zwar würde dem Wortlaut nach diese Regelung ab dem 30. Dezember 1988 die Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs auch im Falle des Klägers ermöglichen. Diese Regelung verstoße jedoch gegen geltendes Recht. Sie werde durch die Ermächtigungsnorm des § 137 Abs. 3 AFG nicht gedeckt. § 137 AFG enthalte nämlich insoweit keinerlei Hinweis darauf, daß bei der Prüfung der Bedürftigkeit die Zumutbarkeit einer Arbeit anders als bei der Prüfung der Verfügbarkeit zu bewerten sei (Hinweis auf BSG a.a.O.). Letztlich würden dadurch Arbeitslose – je nach dem ob sie zum Unterhalt verpflichtete Eltern haben oder nicht – unterschiedlich behandelt; dem einen wären jegliche Arbeiten zumutbar, dem anderen nur solche, die sich im Rahmen der Zumutbarkeitsanordnung hielten. Dies sei jedoch unzulässig. Da auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen gegeben seien, stehe dem Kläger für die gesamten streitbefangenen Zeiträume Arbeitslosenhilfe zu.
Gegen das der Beklagten am 23. Mai 1989 zugestellte Urteil richtet sich die am Montag dem 26. Juni 1989 eingegangene Berufung, die auf die Zeit ab dem 22. Februar 1989 beschränkt wurde. Die Beklagte ist der Auffassung, dem Kläger sei es durchaus zumutbar gewesen, bestimmte, in der Zahnarztpraxis seines Vaters anfallende Arbeiten zu übernehmen. Sein Vater hätte ihm hierfür Unterhaltsleistungen gewährt, insbesondere hätte der Kläger freie Unterkunft und Verpflegung gehabt. Für die Unzumutbarkeit eines solchen Angebots seien keine Gründe erkennbar geworden, zumal der Vater des Klägers habe erkennen lassen, daß er seinem Sohn den Abbruch der Kontakte im Jahre 1975 nicht nachtragen werde. Die strikte Ablehnung des Angebots seines Vaters führe dazu, daß jedenfalls ab dem 30. Dezember 1988 – dem Zeitpunkt des Inkrafttretens von § 10 Abs. 3 AlhiVO – Arbeitslosenhilfe nicht ungekürzt gezahlt werden könne. Wenn der Kläger nämlich wegen fehlender Eigenbemühungen keinen Unterhaltsanspruch habe oder auf angebotene Unterhaltsleistungen verzichte, werde nach § 10 Nr. 3 AlhiVO vermutet, daß der Arbeitslose, der es unterläßt, sich in dem vom Unterhaltsrecht geforderten Ausmaß und Intensität um Arbeit zu bemühen, im Umfang der sonst erlangten Unterhaltsansprüche nicht bedürftig im Sinne von § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AFG sei. § 10 Nr. 3 AlhiVO stehe auch mit dem vom Verordnungsgeber geregelten Inhalt mit der Ermächtigungsgrundlage des § 137 Abs. 3 AFG in Einklang. Die Nachrangigkeit der Arbeitslosenhilfe gegenüber anderen Ansprüchen habe der Gesetzgeber in der Ermächtigungsnorm selbst zum Ausdruck gebracht. Die Verpflichtung des Arbeitslosen zu eigenem Aufklärungshandeln (Eigenbemühungen), ob offene Arbeitsstellen auf dem Arbeitsmarkt vorhanden seien, liege in seinem eigenen Interesse (Mitwirkungsobliegenheit). Es handele sich hier um die Ausgestaltung des allgemeinen Mitwirkungsgrundsatzes, wie er auch in anderen Gesetzen seinen Niederschlag gefunden habe. Mit der Vermutung fehlender Bedürftigkeit bei unterlassenem Aufklärungshandeln bzw. bei fehlenden Eigenbemühungen setzte sich der Verordnungsgeber auch nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sowie zur Zumutbarkeits-Anordnung. Die Zumutbarkeits-Anordnung beruhe auf der Ermächtigung in § 103 Abs. 2 AFG und regelt dementsprechend die Frage, für welche Beschäftigungen ein Arbeitsloser bereit sein müsse, um die Anspruchsvoraussetzung "Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung” zu erfüllen. Demgegenüber betreffe § 10 Nr. 3 AlhiVO die Auswirkungen von unterlassenen Eigenbemühungen des Arbeitslosen um Arbeit auf die Beurteilung seiner Bedürftigkeit. Mit der Regelung des § 10 Nr. 3 AlhiVO habe der Verordnungsgeber eine auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende sachgemäße Unterscheidung zwischen Arbeitslosen mit und Arbeitslosen ohne Unterhaltsfähige Verwandte getroffen, so daß ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz nicht ersichtlich sei. Während Arbeitslose mit Verwandten auf materielle und ideelle Unterstützung des Familienverbandes zurückgreifen könnten, sei der Arbeitslose ohne Verwandte auf die Unterstützung der Allgemeinheit angewiesen. Ausgerichtet am Subsidiaritätsgedanken solle auf die Arbeitslosenhilfe erst zurückgegriffen werden, wenn weder die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld, noch der Familienverband einspringen könne. Mit dem Inkrafttreten von § 137 Abs. 1 a AFG sei nun auch im Gesetz ausdrücklich klargestellt, daß der Arbeitslose nicht bedürftig im Sinne von § 137 Abs. 1 Nr. 3 AFG sei, soweit er auf einen Anspruch, der nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG zu berücksichtigen wäre, vernichte oder Handlungen unterlasse, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines derartigen Anspruches seien. Antragsteller auf Arbeitslosenhilfe mit unterhaltspflichtigen Angehörigen würden durch Übersendung bzw. Aushändigung eines Merkblattes, auf die Folgen unterlassener Eigenbemühungen hingewiesen. Auch der Bescheid vom 8. November 1989 sei demzufolge zu Recht ergangen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. April 1989 insoweit aufzuheben, als es die Zeit 22. Februar 1989 bis zum 11. März 1989 betrifft und die Klage, auch soweit sie sich gegen den Bescheid vom 8. November 1989 richtet, abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zu zulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 8. November 1989 zu verurteilen, ihm ab dem 8. September 1989 bis zum 31. Mai 1990 Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung von Einkommen seines Vaters zu gewähren.
Der Kläger hält die sozialgerichtliche Entscheidung für zutreffend. Er verweist im übrigen darauf, daß sein Vater ihm gegenüber niemals erklärt habe, er werde ihm Unterhalt gewähren, wenn er Arbeiten in der Zahnarztpraxis erledigen werde. Diese Erklärung habe sein Vater immer nur gegenüber dem Gericht oder gegenüber der Beklagten abgegeben. Dies zeige, wie wenig ernsthaft diese Äußerungen in Bezug auf die Unterhaltsgewährung seien. Selbst wenn er im übrigen im Hause seines Vaters Wohnraum erhielte, würde er die Existenz seiner Lebensgefährtin, seines eigenen Kindes und des zweiten Kindes, das zu seiner Familie gehöre, gefährden. Ihm könne auch aus anderen Gründen nicht zugemutet werden, Unterhaltsleistungen seines Vaters in Anspruch zu nehmen. Sein Vater sei in zweiter Ehe verheiratet. Seit seinem 18. Lebensjahr habe er praktisch keinerlei Kontakt mehr zu seinem Vater gehabt. Auch heute noch sei das Verhältnis zu seinem Vater zerrüttet. Im übrigen habe er sich seit Beginn seiner Arbeitslosigkeit immer wieder darum bemüht, eine Arbeitsstelle als Lkw-Fahrer oder Kraftfahrer zu bekommen. Deshalb habe er sich nicht nur bei inländischen sondern auch bei ausländischen Unternehmen beworben. Er habe die Qualifikation als Lkw-Fahrer und sei als solcher nicht gehalten, jede beliebige Hilfsarbeitertätigkeit anzunehmen. Anrechenbares Einkommen seiner Lebensgefährtin sei während der streitbefangenen Zeiträume nicht erzielt worden.
Vom Senat wurde Frau als Zeugin gehört. Auf die darüber gefertigte Sitzungsniederschrift wird ebenso Bezug genommen wie auf den gesamten weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogene Leistungsakte der Beklagten (Stamm-Nr. ).
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz –SGG–) ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach §§ 144 ff. SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Demgegenüber ist die vom Kläger gegen den – nach § 96 SGG zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen – Bescheid vom 8. November 1989 erhobene Klage begründet. Dem Kläger steht auch für die Zeit ab dem 8. September 1989 bis zur erneuten Arbeitsaufnahme Arbeitslosenhilfe zu und zwar ohne die Anrechnung vermeintlicher Unterhaltsansprüche gegenüber seinem Vater. Für die vorliegend umstrittenen Zeiträume sind sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosenhilfe erfüllt. So war der Kläger arbeitslos, stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, hatte sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Arbeitslosenhilfe beantragt (§ 134 Abs. 1 Nr. 1 AFG).
Auch von der Beklagten wird die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nach § 134 Abs. 1 Nr. 1 AFG nicht in Frage gestellt. Der Senat teilt diese Auffassung. Insbesondere hält er auch die Verfügbarkeit des Klägers (§ 103 AFG) für gegeben. Die Ablehnung der Übernahme von Hilfstätigkeiten in der Arztpraxis seines Vaters steht dem nicht entgegen. Denn selbst wenn man unterstellt, daß die vom Vater des Klägers insoweit entwickelten Vorstellungen zum zukünftigen Verhältnis zwischen ihm und seinem Sohn ein Arbeitsangebot beinhalteten, war die Annahme eines solchen Arbeitsangebots für den Kläger nicht zumutbar. Die angebotene Übertragung von Hilfstätigkeiten war, wie der Aussage des Vaters des Klägers vor dem Sozialgericht entnommen werden kann, verknüpft mit der Bedingung, abgesehen vom Wochenende, im Hause seines Vaters mit diesem und dessen zweiter Ehefrau zu leben. Darauf brauchte sich der Kläger, dessen Verhältnis zu seinem Vater nach wie vor als zerrüttet gelten kann, schon deshalb nicht einzulassen, weil dies zugleich eine – wenn auch nach den Vorstellungen des Vaters auf die Arbeitstage beschränkte – Trennung von seiner Lebensgefährtin und den Kindern bedeutet hätte.
Auch die Bedürftigkeit des Klägers (§§ 134 Abs. 1 Nr. 3, 137, 138 AFG) ist gegeben.
Nach § 137 Abs. 1 AFG ist ein Arbeitsloser bedürftig im Sinne des i.S.d. § 134 Abs. 1 Nr. 3 AFG, soweit er seinen Lebensunterhalt und den seines Ehegatten sowie seiner Kinder, für die er Anspruch auf Kindergeld oder eine das Kindergeld ausschließende Leistung für Kinder hat, nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann und das Einkommen, das nach § 138 AFG zu berücksichtigen ist, die Arbeitslosenhilfe nach § 136 AFG nicht erreicht.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger bezog im streitbefangenen Zeitraum kein anrechnungsfähiges Einkommen nach § 138 AFG. Dies wurde von der Zeugin in einer für den Senat durchaus glaubhaften Weise bestätigt. Auch Einkommen der Lebensgefährtin des Klägers, das dem Anspruch auf Arbeitslosenhilfe entgegenstehen könnte, war insoweit nicht anzurechnen.
Bei der Einkommensanrechnung sind im Rahmen des § 138 Abs. 1 AFG allerdings auch Unterhaltsansprüche gegen Verwandte ersten Grades zu berücksichtigen. Indes standen dem Kläger solche Ansprüche hinsichtlich derer allein der Vater des Klägers in Betracht gekommen wäre, nicht zu. Auch eine tatsächliche Unterhaltsgewährung ist durch den Vater des Klägers nicht erfolgt.
Maßgeblich für die Feststellung möglicher Unterhaltsansprüche im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes ist das zivilrechtliche Unterhaltsrecht (BSG Urteil vom 7. September 1988 – 11 RAr 25/88 = SozR 4100 § 138 Nr. 23 m.w.N.). Hiernach schulden die Eltern ihrem Kind gemäß §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dann Unterhalt, wenn dieses Kind außerstande ist, sich selbst unterhalten. An die Unterhaltsbedürftigkeit volljähriger Kinder werden im Hinblick, auf deren wirtschaftliche und soziale Eigenverantwortung strenge Anforderungen gestellt. Sie sind grundsätzliche verpflichtet, alle verfügbaren Kräfte einzusetzen und Opfer bis zur Zumutbarkeitsgrenze auf sich zu nehmen, um ihre Arbeitskraft zu verwerten. Sie müssen auch Arbeiten unterhalb ihrer gewohnten Lebensstellung bis hin zu Aushilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten annehmen, ehe sie einen Elternteil auf Unterhalt in Anspruch nehmen können. Nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung genügt dabei zum Beweis, daß der Arbeitslose außerstande ist, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, eine Meldung beim Arbeitsamt nicht. Der Arbeitslose muß sich vielmehr auch selbst nachhaltig um eine Arbeitsstelle bemühen (BSG a.a.O.).
Diesen Obliegenheiten als Voraussetzung für den bürgerlichrechtlichen Unterhaltsanspruch ist der Kläger im streitbefangenen Zeitraum nicht nachgekommen. Er hat sich vielmehr von sich aus lediglich um eine Beschäftigung in dem zuletzt ausgeübten Beruf bemüht und weitergehende Anstrengungen insbesondere bezogen auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht unternommen. Dies schließt einen Unterhaltsanspruch des Klägers gegen seinen Vater aus und begründet zugleich die Bedürftigkeit im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes.
Auch § 10 Abs. 3 AlhiVO (für die Zeit bis zum 7. Juli 1989) und § 137 Abs. 1 a AFG (für die Zeit nach dem Tage der Verkündung des KOV-Anpassungsgesetzes 1989 vom 30. Juni 1989) führen nicht zum Wegfall der Bedürftigkeit des Klägers.
Nach den genannten Bestimmungen ist der Arbeitslose nicht bedürftig im Sinne des § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AFG, soweit er einen Anspruch, der nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG zu berücksichtigen wäre, verzichtet oder Handlungen unterläßt, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines derartigen Anspruchs sind.
Zwar trifft es zu, daß der Kläger, wie seinen eigenen Erklärungen zu entnehmen ist, sich nicht unterhalb der Ebene des Lkw-Fahrers um eine Beschäftigung bemüht hat und sich – trotz bestehender gesundheitlicher Einschränkungen – lediglich in diesem Bereich nach neuen Tätigkeiten umgesehen hat. Das von § 10 Nr. 3 AlhiVO bzw. § 137 Abs. 1 a AFG nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen erwartete zusätzliche Handeln ist durch den Kläger insoweit unterblieben. Dies schließt jedoch seinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe selbst dann nicht aus, wenn unterstellt wird, daß dem Kläger bei einem Tätigwerden in diesem Sinne ein Unterhaltsanspruch gegen seinen Vater zugestanden hätte. Denn aus arbeitsförderungsrechtlichen Gesichtspunkten war dem Kläger ein solches Handeln jedenfalls so lange nicht zumutbar, als das in § 12 Abs. 4 Zumutbarkeits-Anordnung vorgesehene Beratungsgespräch mit dem Kläger nicht geführt worden ist. Die insoweit beim Kläger unterbliebene Beratung über möglicherweise zumutbare andere Beschäftigungen mit einer niedrigeren Qualitätsstufe unter gleichzeitigem Hinweis auf die sich für die Beklagte aus § 12 Abs. 4 Satz 2 Zumutbarkeits-Anordnung ergebende Verpflichtung, schließt bei dem Kläger, der nach seinem Berufsbild und seiner bisherigen Berufserfahrung zumindest der Qualitätsstufe 4 der Zumutbarkeits-Anordnung zuzuordnen ist, aus, daß eine Vermittlung für alle übrigen Beschäftigungen (§ 2 Nr. 5 Zumutbarkeits-Anordnung) des allgemeinen Arbeitsmarktes in Betracht kommt. Da auch bei Vorhandensein unterhaltsfähiger Verwandter ersten Grades die arbeitsförderungsrechtlichen Grundsätze hinsichtlich der Erwerbsobliegenheiten im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung maßgeblich bleiben (BSG a.a.O.) kann das Unterlassen weitergehender Handlungen durch den Kläger – trotz § 10 Nr. 3 AlhiVO bzw. § 137 Abs. 1 a AFG – den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht den Wegfall bringen.
Zu § 10 Nr. 3 AlhiVO hat der Senat insoweit bereits entschieden (Urteil vom 6. Dezember 1989 – L-6/Ar-702/89), daß diese Regelung, jedenfalls soweit sie sich auf die fehlende Bereitschaft zur Ausübung der nach dem AFG und der hierzu ergangenen Zumutbarkeits-Anordnung bezieht bzw. beziehen soll, nicht von der Verordnungsermächtigung des § 137 Abs. 3 AfG gedeckt ist. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Auch § 137 Abs. 1 a AFG i.d.F. 30. Juni 1989 hat den Anspruch des Klägers nicht beseitigt.
Die Beklagte versteht § 137 Abs. 1 a AfG dahingehend, daß allein auf das Vorhandensein dem Grunde nach unterhaltspflichtiger Verwandter ersten Grades ohne Beachtung der ansonsten arbeitsförderungsrechtlich maßgeblichen Zumutbarkeit der Ausübung einer Beschäftigung abgehoben wird, was im Falle des Klägers zur Versagung der Arbeitslosenhilfe führen müßte. Eine solche Auslegung wäre indes nicht mit dem im Arbeitsförderungsgesetz postulierten Grundsatz der individuellen Arbeitsvermittlung zu vereinbaren und würde damit gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstoßen (Winkler, Gesetzlicher Schutz für eine vieljährige rechtswidrige Praxis, info also 1989, Seite 149 ff.; Siegfried, Anrechnung von fiktiven Unterhaltsansprüchen bei Gewährung von Arbeitslosenhilfe, SozSich 1990, Seite 19 ff.). Insbesondere volljährige beruflich qualifizierte Arbeitslose mit Verwandten ersten Grades wären durch § 137 Abs. 1 a AfG nach dieser Auslegung wesentlich schlechter gestellt als Arbeitslose ohne solche Verwandte. Ersteren würden unter Vernachlässigung der arbeitsförderungsrechtlich gebotenen Interessensabwägung bei der Frage der Zumutbarkeit der Annahme einer Beschäftigung (§ 103 Abs. 2 AfG) sofort die sehr viel weitergehenden und primär den potentiell Unterhaltspflichtigen schützenden unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheiten auferlegt, ohne Rücksicht darauf, ob sie hierdurch tatsächlich einen Unterhaltsanspruch erlangen können oder nicht. Arbeitslose mit beruflicher Qualifikation wären hiernach verpflichtet, sich sogleich um Beschäftigungen jedweder Art, einschließlich ungelernter Aushilfstätigkeiten zu bemühen und solche Beschäftigungen anzunehmen.
Das bloße Vorhandensein eines unterhaltsfähigen Verwandten ersten Grades stellt jedoch – trotz des weiten Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber grundsätzlich zukommt – keinen sachlich vertretbaren Grund für die Ungleichbehandlung beider Personengruppen dar.
Der Beklagten ist aufgegeben, durch sachgerechte Beratungs- und Vermittlungsbemühungen sowie durch ein ausreichliches Angebot geeigneter Qualifizierungsmaßnahmen eine nach den beruflichen und sozialen Verhältnissen und Perspektiven des Arbeitslosen individuelle Arbeitsvermittlung zu betreiben, wobei unterwertige Beschäftigungen vermieden werden sollen (§§ 2 Nr. 1, 14 Abs. 1 AfG; Präambel der Zumutbarkeitsanordnung vom 16. März 1982). Wesentlich geprägt sind diese Verpflichtungen der Beklagten durch das Grundrecht auf Berufswahlfreiheit und die freie Wahl des Arbeitsplatzes (Art. 12 GG).
Während im Unterhaltsrecht Erwerbsobliegenheiten des Unterhaltsbegehrenden und die Zumutbarkeit der Verwertung der eigenen Arbeitskraft sehr weitgehend sind und nahezu uneingeschränkt die Eigenverantwortlichkeit des unterhaltsbegehrenden Erwachsenen und dessen Verpflichtung zur Selbsthilfe praktisch ohne berufliche Statussicherung betont werden, bemißt sich die arbeitsförderungsrechtliche Zumutbarkeit für die Annahme einer Beschäftigung nach der Grundregelung des § 103 Abs. 2 AfG aufgrund einer Abwägung der Interessen des Arbeitslosen gegenüber denjenigen der Gesamtheit der Beitragszahler. Die zu berücksichtigenden Interessen des Arbeitslosen umfassen auch die Befreiung vom Zwang, jede Arbeit annehmen und alle Arbeitsbedingungen akzeptieren zu müssen (Winkler a.a.O.). Sie beinhalten zugleich einen zeitlich gestaffelten beruflichen Statusschutz, der durch die §§ 8 bis 12 Zumutbarkeitsanordnung im einzelnen konkretisiert und in seiner Handhabung insbesondere durch § 12 Abs. 4 Zumutbarkeits-Anordnung verfahrensrechtlich geregelt ist.
Eine rein schematische Arbeitsvermittlung ist der Beklagten demnach versagt und eine unmodifizierte Rezeption der auf gänzlich anderen Kriterien und Interessensabwägungen beruhenden unterhaltsrechtlichen Zumutbarkeitsgrundsätze und Erwerbsobliegenheiten für Personen mit einem potentiell unterhaltspflichtigen Verwandten ersten Grades gegenüber Personen ohne solche Verwandte nicht zu rechtfertigen.
Verfassungskonform kann § 137 Abs. 1 a AfG demnach allein dahingehend ausgelegt werden, daß die unterlassenen Handlungen im Sinne dieser Bestimmung sowohl kausal für das Nichtbestehen des vorrangigen Anspruchs (vgl. dazu Winkler a.a.O.), als auch arbeitsförderungsrechtlich und unter Beachtung der dem Arbeitsförderungsgesetz und der Zumutbarkeitsanordnung inne wohnenden Vermittlungsgrundsätze zumutbar sein müssen.
Ein Gleichklang zwischen Unterhalts- und Arbeitslosenhilferecht kann verfassungskonform im Einzelfall durch die Beklagte nach Maßgabe der Zumutbarkeitsanordnung durchaus hergestellt werden. § 137 Abs. 1 a AFG behält damit einen eigenständigen Regelungsbereich, der eine Abwägung der Interessen des Arbeitslosen mit denjenigen der Gesamtheit der Beitragszahler erlaubt.
Bei verfassungskonformer Auslegung des § 137 Abs. 1 a AFG schließt diese Bestimmung im Falle des Klägers den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht aus. Insbesondere kommt bei ihm eine Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche nicht in Betracht.
Die Berufung der Beklagten war nach alledem zurückzuweisen. Im übrigen steht dem Kläger auch in der Zeit vom 8. September 1989 bis zum 31. Mai 1990 Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision hat der Senat gemäß § 160 Abs. 2 Satz 1 SGG zugelassen.
II. Der Bescheid vom 8. November 1989 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger auch in der Zeit vom 8. September 1989 bis zum 31. Mai 1990 Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung von Unterhaltsansprüchen zu gewähren.
III. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger in der Zeit vom 22. Februar 1989 bis zum 11. März 1989 sowie ab dem 8. September 1989 bis zum 31. Mai 1990 Arbeitslosenhilfe zusteht. Umstritten ist dabei, ob mögliche Unterhaltsansprüche des Klägers gegen seinen Vater der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe entgegenstehen.
Der Kläger ist 1957 geboren. Er lebt mit Frau in einer eheähnlichen Gemeinschaft. Der Kläger und Frau haben ein gemeinsames Kind, das 1984 geboren wurde. Dem Haushalt des Klägers gehört ein weiteres minderjähriges Kind von an.
Der Kläger ist von Beruf Kraftfahrer mit Führerschein Klasse 2. Im Verlauf seiner Tätigkeit war der Kläger auch im grenzüberschreitenden Fernlastverkehr eingesetzt.
Der Vater des Klägers ist niedergelassener Zahnarzt. Den elterlichen Haushalt hat der Kläger mit 18 Jahren verlassen. Nach Führung eines Unterhaltsrechtsstreits gegen seinen Vater im Jahre 1975 kam erstmals 1987 wieder ein Kontakt zwischen dem Kläger und seinem Vater zustande. Seither fanden zwei weitere Begegnungen statt.
Im Zusammenhang mit einer von der Beklagten gegenüber dem Vater des Klägers vorgenommenen Anfrage erklärte dieser mit Schreiben vom 29. Dezember 1985, er würde den Kläger gerne wieder bei sich aufnehmen, ihm einen Wohnraum zur Verfügung stellen und ihm anbieten, bei ihm zu essen und ihn zu kleiden sowie ihn im Haushalt und im Labor seiner Praxis zu beschäftigen. Mit Schreiben vom 7. Februar 1988 wurde dieses Angebot gegenüber dem Arbeitsamt wiederholt. Der Kläger lehnte dieses Angebot unter Hinweis auf die im Verhältnis zu seinem Vater eingetretene Zerrüttung der beiderseitigen Beziehungen sowie im Hinblick auf seine eigenen familiären Verhältnisse ab.
Zwischen Februar 1979 und März 1987 übte der Kläger mit Unterbrechungen Versicherungspflichtige Beschäftigungen als Fernfahrer aus. Am 1. April 1987 meldete er sich arbeitslos. In der Folgezeit bezog er bis zur Anspruchserschöpfung am 28. November 1987 Arbeitslosengeld nach einem wöchentlichen Arbeitsentgelt von zuletzt 600,– DM. Bei der Vermittlung des zuständigen Arbeitsamtes wurde der Kläger während seiner Arbeitslosigkeit als Kraftfahrer geführt. Bezogen auf diese Berufstätigkeit beschränkte sich nach seinen Angaben auch die eigene Stellensuche. Um andere Arbeiten, insbesondere um die Übernahme von Hilfsarbeiten, bemühte sich der Kläger nicht.
Der Antrag des Klägers auf Anschlußarbeitslosenhilfe wurde durch Bescheid vom 17. Februar 1988 mit der Begründung abgelehnt, der Kläger sei in der Lage, seinen Lebensunterhalt auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe sicherzustellen, so daß Bedürftigkeit nicht vorliege, denn sein Vater habe gegenüber dem Arbeitsamt erklärt, daß er den Kläger in vollem Umfang unterhalten wolle. Die zugesagten Unterhaltsleistungen schlössen den Wohnraum, das Essen und die Kleidung sowie einen Arbeitsplatz in seiner Praxis ein.
Ab dem 13. März 1989 bis zum 31. August 1989 war der Kläger erneut als Kraftfahrer beschäftigt. Sein Antrag auf Arbeitslosenhilfe vom 8. September 1989 wurde von der Beklagten mit derselben Begründung – und nunmehr unter Berufung auf § 137 Abs. 1 a AFG i.d.F. vom 30. Juni 1989 (BGBl. 1, S. 1288) – durch Bescheid vom 8. November 1989 gleichfalls abgelehnt. Seit dem 1. Juni 1990 steht der Kläger erneut in einem Beschäftigungsverhältnis als Lkw-Fahrer.
In dem gegen den Bescheid vom 17. Februar 1988 eingelegten Widerspruch erklärte der Kläger, die von seinem Vater angebotene Unterhaltsleistung in Form von Wohnraum, Essen, Kleidung sowie einem Arbeitsplatz in seiner Praxis könne er nicht in Anspruch nehmen, da dies das Wohl seiner Familie gefährden würde. Es sei ihm nicht zuzumuten, seine mühselig aufgebaute Existenz aufzugeben und sich als Hilfsarbeiter bei seinem Vater beschäftigen zu lassen. Ihm stehe deshalb die beantragte Arbeitslosenhilfe zu.
Durch Widerspruchsbescheid vom 30. März 1988 wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.
Auf die dagegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Marburg nach Einvernahme des Vaters des Klägers als Zeuge durch Urteil vom 19. April 1989 den Bescheid vom 17. Februar 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30. März 1988 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 30. November 1987 bis zum 19. Dezember 1988 und für die Zeit vom 22. Februar 1989 bis zum 11. März 1989 Arbeitslosenhilfe in gesetzlichem Umfang ohne Anrechnung von Einkommen seines Vaters zu gewähren. Das Sozialgericht hat die Auffassung vertreten, der Kläger habe in den streitbefangenen Zeiträumen ohne Anrechnung von Einkommen seines Vaters Anspruch auf Gewährung von Arbeitslosenhilfe, da ihm ein Unterhaltsanspruch gegenüber seinem Vater nicht zugestanden habe und die Bedürftigkeit auch nicht durch die Nichtwahrnehmung des von seinem Vater gemachten Arbeitsangebots einschließlich freier Wohnung, Verpflegung und Bekleidung entfallen sei. Denn der Kläger sei den nach zivilrechtlichen Grundsätzen für das Bestehen eines Unterhaltsanspruchs vorausgesetzten unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten in den hier streitigen Zeiträumen nicht in ausreichendem Maße nachgekommen, da er sich ohne Einschaltung des Arbeitsamtes lediglich um Anstellungen als Kraftfahrer, also um Arbeitsstellen im zuletzt ausgeübten Beruf beworben habe und auch zur Aufrechterhaltung bzw. Entstehung eines Unterhaltsanspruchs gegenüber seinem Vater nicht bereit gewesen sei, eine Beschäftigung als Hilfsarbeiter zu suchen. Zum Entstehen eines zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs hätte sich der Kläger regelmäßig und intensiv um jedwede seiner körperlichen Leistungsfähigkeit entsprechende Arbeit bemühen müssen, wobei ihm nach zivilrechtlichen Grundsätzen auch einfachste Hilfsarbeiten zumutbar gewesen wären. Solche Stellen seien auf dem für den Kläger in Betracht kommenden Arbeitsmarkt auch vorhanden gewesen. Auch das Angebot seines Vaters, den Kläger wieder in sein Haus aufzunehmen, ihn zu kleiden, zu verpflegen und ihn in seiner Zahnarztpraxis im Rahmen der dort anfallenden Hilfsarbeiten anzustellen, schließe die Bedürftigkeit im Rahmen des § 138 Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) i.V.m. § 10 Nr. 1 der Arbeitslosenhilfeverordnung (AlhiVO) nicht aus. Denn das Angebot seines Vaters, in dessen Zahnarztpraxis ein Beschäftigungsverhältnis aufzunehmen, sei dem Kläger nicht zumutbar gewesen. Hierbei sei zu berücksichtigen, daß der Kläger bereits kurz nach Vollendung seines 18. Jahres zu Hause ausgezogen sei, nachdem er sich mit seinem Vater nicht mehr verstanden habe und er ihn anschließend sogar auf Unterhalt habe verklagen müssen. Überdies sei über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren jeglicher persönlicher Kontakt abgebrochen gewesen. Trotz der nachfolgenden zwei Besuche sei das Verhältnis zerrüttet geblieben, so daß letztlich davon auszugehen sei, daß das Angebot des Zeugen lediglich darauf abgezielt habe, den Kläger wieder enger an sich zu binden, ohne daß jedoch bereits wieder ein persönliches Verhältnis irgendwelcher Art zwischen dem Kläger und seinem Vater aufgebaut worden sei. Die Unzumutbarkeit der Annahme dieses Angebots zur Gewährung von Naturalunterhalt ergebe sich im übrigen auch daraus, daß dieses Angebot von der Aufnahme einer Arbeitstätigkeit im Hause seines Vaters abhängig gewesen wäre. Aus § 10 AlhiVO sei auch kein fiktiver Unterhaltsanspruch, der die Bedürftigkeit entfallen lassen könnte, herzuleiten, da die dort niedergelegte Verpflichtung, jede zumutbare Möglichkeit zu nutzen, einen Unterhaltsanspruch herbeizuführen, jedenfalls dann, wenn nach dem Unterhaltsrecht zumutbare offene Arbeitsplätze wie vorliegend vorhanden seien, eine Verneinung der Bedürftigkeit in Höhe eines fiktiven Unterhaltsanspruchs nicht rechtfertigen könne. Dies folge bereits daraus, daß der Arbeitslose beim Vorhandensein entsprechender Arbeitsplätze einen Unterhaltsanspruch nicht herbeiführen könne. Würde er eine solche Arbeit aufnehmen, so wäre er tatsächlich nicht mehr unterhaltsbedürftig; würde er die Arbeitsaufnahme verweigern, so würde er als nicht unterhaltsbedürftig gelten (Hinweis auf BSG Urteil vom 7. September 1988 – 11 RAr 25/88). Auch die am 30. Dezember 1988 in Kraft getretene Änderung der Arbeitslosenhilfe-Verordnung führe zu keinem anderen Ergebnis. Zwar würde dem Wortlaut nach diese Regelung ab dem 30. Dezember 1988 die Anrechnung eines Unterhaltsanspruchs auch im Falle des Klägers ermöglichen. Diese Regelung verstoße jedoch gegen geltendes Recht. Sie werde durch die Ermächtigungsnorm des § 137 Abs. 3 AFG nicht gedeckt. § 137 AFG enthalte nämlich insoweit keinerlei Hinweis darauf, daß bei der Prüfung der Bedürftigkeit die Zumutbarkeit einer Arbeit anders als bei der Prüfung der Verfügbarkeit zu bewerten sei (Hinweis auf BSG a.a.O.). Letztlich würden dadurch Arbeitslose – je nach dem ob sie zum Unterhalt verpflichtete Eltern haben oder nicht – unterschiedlich behandelt; dem einen wären jegliche Arbeiten zumutbar, dem anderen nur solche, die sich im Rahmen der Zumutbarkeitsanordnung hielten. Dies sei jedoch unzulässig. Da auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen gegeben seien, stehe dem Kläger für die gesamten streitbefangenen Zeiträume Arbeitslosenhilfe zu.
Gegen das der Beklagten am 23. Mai 1989 zugestellte Urteil richtet sich die am Montag dem 26. Juni 1989 eingegangene Berufung, die auf die Zeit ab dem 22. Februar 1989 beschränkt wurde. Die Beklagte ist der Auffassung, dem Kläger sei es durchaus zumutbar gewesen, bestimmte, in der Zahnarztpraxis seines Vaters anfallende Arbeiten zu übernehmen. Sein Vater hätte ihm hierfür Unterhaltsleistungen gewährt, insbesondere hätte der Kläger freie Unterkunft und Verpflegung gehabt. Für die Unzumutbarkeit eines solchen Angebots seien keine Gründe erkennbar geworden, zumal der Vater des Klägers habe erkennen lassen, daß er seinem Sohn den Abbruch der Kontakte im Jahre 1975 nicht nachtragen werde. Die strikte Ablehnung des Angebots seines Vaters führe dazu, daß jedenfalls ab dem 30. Dezember 1988 – dem Zeitpunkt des Inkrafttretens von § 10 Abs. 3 AlhiVO – Arbeitslosenhilfe nicht ungekürzt gezahlt werden könne. Wenn der Kläger nämlich wegen fehlender Eigenbemühungen keinen Unterhaltsanspruch habe oder auf angebotene Unterhaltsleistungen verzichte, werde nach § 10 Nr. 3 AlhiVO vermutet, daß der Arbeitslose, der es unterläßt, sich in dem vom Unterhaltsrecht geforderten Ausmaß und Intensität um Arbeit zu bemühen, im Umfang der sonst erlangten Unterhaltsansprüche nicht bedürftig im Sinne von § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AFG sei. § 10 Nr. 3 AlhiVO stehe auch mit dem vom Verordnungsgeber geregelten Inhalt mit der Ermächtigungsgrundlage des § 137 Abs. 3 AFG in Einklang. Die Nachrangigkeit der Arbeitslosenhilfe gegenüber anderen Ansprüchen habe der Gesetzgeber in der Ermächtigungsnorm selbst zum Ausdruck gebracht. Die Verpflichtung des Arbeitslosen zu eigenem Aufklärungshandeln (Eigenbemühungen), ob offene Arbeitsstellen auf dem Arbeitsmarkt vorhanden seien, liege in seinem eigenen Interesse (Mitwirkungsobliegenheit). Es handele sich hier um die Ausgestaltung des allgemeinen Mitwirkungsgrundsatzes, wie er auch in anderen Gesetzen seinen Niederschlag gefunden habe. Mit der Vermutung fehlender Bedürftigkeit bei unterlassenem Aufklärungshandeln bzw. bei fehlenden Eigenbemühungen setzte sich der Verordnungsgeber auch nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sowie zur Zumutbarkeits-Anordnung. Die Zumutbarkeits-Anordnung beruhe auf der Ermächtigung in § 103 Abs. 2 AFG und regelt dementsprechend die Frage, für welche Beschäftigungen ein Arbeitsloser bereit sein müsse, um die Anspruchsvoraussetzung "Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung” zu erfüllen. Demgegenüber betreffe § 10 Nr. 3 AlhiVO die Auswirkungen von unterlassenen Eigenbemühungen des Arbeitslosen um Arbeit auf die Beurteilung seiner Bedürftigkeit. Mit der Regelung des § 10 Nr. 3 AlhiVO habe der Verordnungsgeber eine auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende sachgemäße Unterscheidung zwischen Arbeitslosen mit und Arbeitslosen ohne Unterhaltsfähige Verwandte getroffen, so daß ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz nicht ersichtlich sei. Während Arbeitslose mit Verwandten auf materielle und ideelle Unterstützung des Familienverbandes zurückgreifen könnten, sei der Arbeitslose ohne Verwandte auf die Unterstützung der Allgemeinheit angewiesen. Ausgerichtet am Subsidiaritätsgedanken solle auf die Arbeitslosenhilfe erst zurückgegriffen werden, wenn weder die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld, noch der Familienverband einspringen könne. Mit dem Inkrafttreten von § 137 Abs. 1 a AFG sei nun auch im Gesetz ausdrücklich klargestellt, daß der Arbeitslose nicht bedürftig im Sinne von § 137 Abs. 1 Nr. 3 AFG sei, soweit er auf einen Anspruch, der nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG zu berücksichtigen wäre, vernichte oder Handlungen unterlasse, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines derartigen Anspruches seien. Antragsteller auf Arbeitslosenhilfe mit unterhaltspflichtigen Angehörigen würden durch Übersendung bzw. Aushändigung eines Merkblattes, auf die Folgen unterlassener Eigenbemühungen hingewiesen. Auch der Bescheid vom 8. November 1989 sei demzufolge zu Recht ergangen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 19. April 1989 insoweit aufzuheben, als es die Zeit 22. Februar 1989 bis zum 11. März 1989 betrifft und die Klage, auch soweit sie sich gegen den Bescheid vom 8. November 1989 richtet, abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zu zulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 8. November 1989 zu verurteilen, ihm ab dem 8. September 1989 bis zum 31. Mai 1990 Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung von Einkommen seines Vaters zu gewähren.
Der Kläger hält die sozialgerichtliche Entscheidung für zutreffend. Er verweist im übrigen darauf, daß sein Vater ihm gegenüber niemals erklärt habe, er werde ihm Unterhalt gewähren, wenn er Arbeiten in der Zahnarztpraxis erledigen werde. Diese Erklärung habe sein Vater immer nur gegenüber dem Gericht oder gegenüber der Beklagten abgegeben. Dies zeige, wie wenig ernsthaft diese Äußerungen in Bezug auf die Unterhaltsgewährung seien. Selbst wenn er im übrigen im Hause seines Vaters Wohnraum erhielte, würde er die Existenz seiner Lebensgefährtin, seines eigenen Kindes und des zweiten Kindes, das zu seiner Familie gehöre, gefährden. Ihm könne auch aus anderen Gründen nicht zugemutet werden, Unterhaltsleistungen seines Vaters in Anspruch zu nehmen. Sein Vater sei in zweiter Ehe verheiratet. Seit seinem 18. Lebensjahr habe er praktisch keinerlei Kontakt mehr zu seinem Vater gehabt. Auch heute noch sei das Verhältnis zu seinem Vater zerrüttet. Im übrigen habe er sich seit Beginn seiner Arbeitslosigkeit immer wieder darum bemüht, eine Arbeitsstelle als Lkw-Fahrer oder Kraftfahrer zu bekommen. Deshalb habe er sich nicht nur bei inländischen sondern auch bei ausländischen Unternehmen beworben. Er habe die Qualifikation als Lkw-Fahrer und sei als solcher nicht gehalten, jede beliebige Hilfsarbeitertätigkeit anzunehmen. Anrechenbares Einkommen seiner Lebensgefährtin sei während der streitbefangenen Zeiträume nicht erzielt worden.
Vom Senat wurde Frau als Zeugin gehört. Auf die darüber gefertigte Sitzungsniederschrift wird ebenso Bezug genommen wie auf den gesamten weiteren Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogene Leistungsakte der Beklagten (Stamm-Nr. ).
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz –SGG–) ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach §§ 144 ff. SGG liegen nicht vor.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Demgegenüber ist die vom Kläger gegen den – nach § 96 SGG zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gewordenen – Bescheid vom 8. November 1989 erhobene Klage begründet. Dem Kläger steht auch für die Zeit ab dem 8. September 1989 bis zur erneuten Arbeitsaufnahme Arbeitslosenhilfe zu und zwar ohne die Anrechnung vermeintlicher Unterhaltsansprüche gegenüber seinem Vater. Für die vorliegend umstrittenen Zeiträume sind sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosenhilfe erfüllt. So war der Kläger arbeitslos, stand der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, hatte sich beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet und Arbeitslosenhilfe beantragt (§ 134 Abs. 1 Nr. 1 AFG).
Auch von der Beklagten wird die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nach § 134 Abs. 1 Nr. 1 AFG nicht in Frage gestellt. Der Senat teilt diese Auffassung. Insbesondere hält er auch die Verfügbarkeit des Klägers (§ 103 AFG) für gegeben. Die Ablehnung der Übernahme von Hilfstätigkeiten in der Arztpraxis seines Vaters steht dem nicht entgegen. Denn selbst wenn man unterstellt, daß die vom Vater des Klägers insoweit entwickelten Vorstellungen zum zukünftigen Verhältnis zwischen ihm und seinem Sohn ein Arbeitsangebot beinhalteten, war die Annahme eines solchen Arbeitsangebots für den Kläger nicht zumutbar. Die angebotene Übertragung von Hilfstätigkeiten war, wie der Aussage des Vaters des Klägers vor dem Sozialgericht entnommen werden kann, verknüpft mit der Bedingung, abgesehen vom Wochenende, im Hause seines Vaters mit diesem und dessen zweiter Ehefrau zu leben. Darauf brauchte sich der Kläger, dessen Verhältnis zu seinem Vater nach wie vor als zerrüttet gelten kann, schon deshalb nicht einzulassen, weil dies zugleich eine – wenn auch nach den Vorstellungen des Vaters auf die Arbeitstage beschränkte – Trennung von seiner Lebensgefährtin und den Kindern bedeutet hätte.
Auch die Bedürftigkeit des Klägers (§§ 134 Abs. 1 Nr. 3, 137, 138 AFG) ist gegeben.
Nach § 137 Abs. 1 AFG ist ein Arbeitsloser bedürftig im Sinne des i.S.d. § 134 Abs. 1 Nr. 3 AFG, soweit er seinen Lebensunterhalt und den seines Ehegatten sowie seiner Kinder, für die er Anspruch auf Kindergeld oder eine das Kindergeld ausschließende Leistung für Kinder hat, nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann und das Einkommen, das nach § 138 AFG zu berücksichtigen ist, die Arbeitslosenhilfe nach § 136 AFG nicht erreicht.
Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger bezog im streitbefangenen Zeitraum kein anrechnungsfähiges Einkommen nach § 138 AFG. Dies wurde von der Zeugin in einer für den Senat durchaus glaubhaften Weise bestätigt. Auch Einkommen der Lebensgefährtin des Klägers, das dem Anspruch auf Arbeitslosenhilfe entgegenstehen könnte, war insoweit nicht anzurechnen.
Bei der Einkommensanrechnung sind im Rahmen des § 138 Abs. 1 AFG allerdings auch Unterhaltsansprüche gegen Verwandte ersten Grades zu berücksichtigen. Indes standen dem Kläger solche Ansprüche hinsichtlich derer allein der Vater des Klägers in Betracht gekommen wäre, nicht zu. Auch eine tatsächliche Unterhaltsgewährung ist durch den Vater des Klägers nicht erfolgt.
Maßgeblich für die Feststellung möglicher Unterhaltsansprüche im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes ist das zivilrechtliche Unterhaltsrecht (BSG Urteil vom 7. September 1988 – 11 RAr 25/88 = SozR 4100 § 138 Nr. 23 m.w.N.). Hiernach schulden die Eltern ihrem Kind gemäß §§ 1601 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) dann Unterhalt, wenn dieses Kind außerstande ist, sich selbst unterhalten. An die Unterhaltsbedürftigkeit volljähriger Kinder werden im Hinblick, auf deren wirtschaftliche und soziale Eigenverantwortung strenge Anforderungen gestellt. Sie sind grundsätzliche verpflichtet, alle verfügbaren Kräfte einzusetzen und Opfer bis zur Zumutbarkeitsgrenze auf sich zu nehmen, um ihre Arbeitskraft zu verwerten. Sie müssen auch Arbeiten unterhalb ihrer gewohnten Lebensstellung bis hin zu Aushilfstätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten annehmen, ehe sie einen Elternteil auf Unterhalt in Anspruch nehmen können. Nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung genügt dabei zum Beweis, daß der Arbeitslose außerstande ist, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, eine Meldung beim Arbeitsamt nicht. Der Arbeitslose muß sich vielmehr auch selbst nachhaltig um eine Arbeitsstelle bemühen (BSG a.a.O.).
Diesen Obliegenheiten als Voraussetzung für den bürgerlichrechtlichen Unterhaltsanspruch ist der Kläger im streitbefangenen Zeitraum nicht nachgekommen. Er hat sich vielmehr von sich aus lediglich um eine Beschäftigung in dem zuletzt ausgeübten Beruf bemüht und weitergehende Anstrengungen insbesondere bezogen auf Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht unternommen. Dies schließt einen Unterhaltsanspruch des Klägers gegen seinen Vater aus und begründet zugleich die Bedürftigkeit im Rahmen des Arbeitsförderungsgesetzes.
Auch § 10 Abs. 3 AlhiVO (für die Zeit bis zum 7. Juli 1989) und § 137 Abs. 1 a AFG (für die Zeit nach dem Tage der Verkündung des KOV-Anpassungsgesetzes 1989 vom 30. Juni 1989) führen nicht zum Wegfall der Bedürftigkeit des Klägers.
Nach den genannten Bestimmungen ist der Arbeitslose nicht bedürftig im Sinne des § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AFG, soweit er einen Anspruch, der nach § 138 Abs. 1 Nr. 1 AFG zu berücksichtigen wäre, verzichtet oder Handlungen unterläßt, die Voraussetzung für das Entstehen oder Fortbestehen eines derartigen Anspruchs sind.
Zwar trifft es zu, daß der Kläger, wie seinen eigenen Erklärungen zu entnehmen ist, sich nicht unterhalb der Ebene des Lkw-Fahrers um eine Beschäftigung bemüht hat und sich – trotz bestehender gesundheitlicher Einschränkungen – lediglich in diesem Bereich nach neuen Tätigkeiten umgesehen hat. Das von § 10 Nr. 3 AlhiVO bzw. § 137 Abs. 1 a AFG nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen erwartete zusätzliche Handeln ist durch den Kläger insoweit unterblieben. Dies schließt jedoch seinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe selbst dann nicht aus, wenn unterstellt wird, daß dem Kläger bei einem Tätigwerden in diesem Sinne ein Unterhaltsanspruch gegen seinen Vater zugestanden hätte. Denn aus arbeitsförderungsrechtlichen Gesichtspunkten war dem Kläger ein solches Handeln jedenfalls so lange nicht zumutbar, als das in § 12 Abs. 4 Zumutbarkeits-Anordnung vorgesehene Beratungsgespräch mit dem Kläger nicht geführt worden ist. Die insoweit beim Kläger unterbliebene Beratung über möglicherweise zumutbare andere Beschäftigungen mit einer niedrigeren Qualitätsstufe unter gleichzeitigem Hinweis auf die sich für die Beklagte aus § 12 Abs. 4 Satz 2 Zumutbarkeits-Anordnung ergebende Verpflichtung, schließt bei dem Kläger, der nach seinem Berufsbild und seiner bisherigen Berufserfahrung zumindest der Qualitätsstufe 4 der Zumutbarkeits-Anordnung zuzuordnen ist, aus, daß eine Vermittlung für alle übrigen Beschäftigungen (§ 2 Nr. 5 Zumutbarkeits-Anordnung) des allgemeinen Arbeitsmarktes in Betracht kommt. Da auch bei Vorhandensein unterhaltsfähiger Verwandter ersten Grades die arbeitsförderungsrechtlichen Grundsätze hinsichtlich der Erwerbsobliegenheiten im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung maßgeblich bleiben (BSG a.a.O.) kann das Unterlassen weitergehender Handlungen durch den Kläger – trotz § 10 Nr. 3 AlhiVO bzw. § 137 Abs. 1 a AFG – den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht den Wegfall bringen.
Zu § 10 Nr. 3 AlhiVO hat der Senat insoweit bereits entschieden (Urteil vom 6. Dezember 1989 – L-6/Ar-702/89), daß diese Regelung, jedenfalls soweit sie sich auf die fehlende Bereitschaft zur Ausübung der nach dem AFG und der hierzu ergangenen Zumutbarkeits-Anordnung bezieht bzw. beziehen soll, nicht von der Verordnungsermächtigung des § 137 Abs. 3 AfG gedeckt ist. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Auch § 137 Abs. 1 a AFG i.d.F. 30. Juni 1989 hat den Anspruch des Klägers nicht beseitigt.
Die Beklagte versteht § 137 Abs. 1 a AfG dahingehend, daß allein auf das Vorhandensein dem Grunde nach unterhaltspflichtiger Verwandter ersten Grades ohne Beachtung der ansonsten arbeitsförderungsrechtlich maßgeblichen Zumutbarkeit der Ausübung einer Beschäftigung abgehoben wird, was im Falle des Klägers zur Versagung der Arbeitslosenhilfe führen müßte. Eine solche Auslegung wäre indes nicht mit dem im Arbeitsförderungsgesetz postulierten Grundsatz der individuellen Arbeitsvermittlung zu vereinbaren und würde damit gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstoßen (Winkler, Gesetzlicher Schutz für eine vieljährige rechtswidrige Praxis, info also 1989, Seite 149 ff.; Siegfried, Anrechnung von fiktiven Unterhaltsansprüchen bei Gewährung von Arbeitslosenhilfe, SozSich 1990, Seite 19 ff.). Insbesondere volljährige beruflich qualifizierte Arbeitslose mit Verwandten ersten Grades wären durch § 137 Abs. 1 a AfG nach dieser Auslegung wesentlich schlechter gestellt als Arbeitslose ohne solche Verwandte. Ersteren würden unter Vernachlässigung der arbeitsförderungsrechtlich gebotenen Interessensabwägung bei der Frage der Zumutbarkeit der Annahme einer Beschäftigung (§ 103 Abs. 2 AfG) sofort die sehr viel weitergehenden und primär den potentiell Unterhaltspflichtigen schützenden unterhaltsrechtlichen Erwerbsobliegenheiten auferlegt, ohne Rücksicht darauf, ob sie hierdurch tatsächlich einen Unterhaltsanspruch erlangen können oder nicht. Arbeitslose mit beruflicher Qualifikation wären hiernach verpflichtet, sich sogleich um Beschäftigungen jedweder Art, einschließlich ungelernter Aushilfstätigkeiten zu bemühen und solche Beschäftigungen anzunehmen.
Das bloße Vorhandensein eines unterhaltsfähigen Verwandten ersten Grades stellt jedoch – trotz des weiten Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber grundsätzlich zukommt – keinen sachlich vertretbaren Grund für die Ungleichbehandlung beider Personengruppen dar.
Der Beklagten ist aufgegeben, durch sachgerechte Beratungs- und Vermittlungsbemühungen sowie durch ein ausreichliches Angebot geeigneter Qualifizierungsmaßnahmen eine nach den beruflichen und sozialen Verhältnissen und Perspektiven des Arbeitslosen individuelle Arbeitsvermittlung zu betreiben, wobei unterwertige Beschäftigungen vermieden werden sollen (§§ 2 Nr. 1, 14 Abs. 1 AfG; Präambel der Zumutbarkeitsanordnung vom 16. März 1982). Wesentlich geprägt sind diese Verpflichtungen der Beklagten durch das Grundrecht auf Berufswahlfreiheit und die freie Wahl des Arbeitsplatzes (Art. 12 GG).
Während im Unterhaltsrecht Erwerbsobliegenheiten des Unterhaltsbegehrenden und die Zumutbarkeit der Verwertung der eigenen Arbeitskraft sehr weitgehend sind und nahezu uneingeschränkt die Eigenverantwortlichkeit des unterhaltsbegehrenden Erwachsenen und dessen Verpflichtung zur Selbsthilfe praktisch ohne berufliche Statussicherung betont werden, bemißt sich die arbeitsförderungsrechtliche Zumutbarkeit für die Annahme einer Beschäftigung nach der Grundregelung des § 103 Abs. 2 AfG aufgrund einer Abwägung der Interessen des Arbeitslosen gegenüber denjenigen der Gesamtheit der Beitragszahler. Die zu berücksichtigenden Interessen des Arbeitslosen umfassen auch die Befreiung vom Zwang, jede Arbeit annehmen und alle Arbeitsbedingungen akzeptieren zu müssen (Winkler a.a.O.). Sie beinhalten zugleich einen zeitlich gestaffelten beruflichen Statusschutz, der durch die §§ 8 bis 12 Zumutbarkeitsanordnung im einzelnen konkretisiert und in seiner Handhabung insbesondere durch § 12 Abs. 4 Zumutbarkeits-Anordnung verfahrensrechtlich geregelt ist.
Eine rein schematische Arbeitsvermittlung ist der Beklagten demnach versagt und eine unmodifizierte Rezeption der auf gänzlich anderen Kriterien und Interessensabwägungen beruhenden unterhaltsrechtlichen Zumutbarkeitsgrundsätze und Erwerbsobliegenheiten für Personen mit einem potentiell unterhaltspflichtigen Verwandten ersten Grades gegenüber Personen ohne solche Verwandte nicht zu rechtfertigen.
Verfassungskonform kann § 137 Abs. 1 a AfG demnach allein dahingehend ausgelegt werden, daß die unterlassenen Handlungen im Sinne dieser Bestimmung sowohl kausal für das Nichtbestehen des vorrangigen Anspruchs (vgl. dazu Winkler a.a.O.), als auch arbeitsförderungsrechtlich und unter Beachtung der dem Arbeitsförderungsgesetz und der Zumutbarkeitsanordnung inne wohnenden Vermittlungsgrundsätze zumutbar sein müssen.
Ein Gleichklang zwischen Unterhalts- und Arbeitslosenhilferecht kann verfassungskonform im Einzelfall durch die Beklagte nach Maßgabe der Zumutbarkeitsanordnung durchaus hergestellt werden. § 137 Abs. 1 a AFG behält damit einen eigenständigen Regelungsbereich, der eine Abwägung der Interessen des Arbeitslosen mit denjenigen der Gesamtheit der Beitragszahler erlaubt.
Bei verfassungskonformer Auslegung des § 137 Abs. 1 a AFG schließt diese Bestimmung im Falle des Klägers den Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nicht aus. Insbesondere kommt bei ihm eine Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche nicht in Betracht.
Die Berufung der Beklagten war nach alledem zurückzuweisen. Im übrigen steht dem Kläger auch in der Zeit vom 8. September 1989 bis zum 31. Mai 1990 Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung fiktiver Unterhaltsansprüche zu.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision hat der Senat gemäß § 160 Abs. 2 Satz 1 SGG zugelassen.
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